Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.12.2018, Az.: L 3 KA 10/16

Regress wegen der Verordnung von Sprechstundenbedarf; Verordnung von Gentamycin(sulfat) zur Wundbehandlung; Vertrauensschutz gegenüber Regressen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.12.2018
Aktenzeichen
L 3 KA 10/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 50787
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 16.12.2015 - AZ: S 66 KA 89/12

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Verordnung von Gentamycin(sulfat) zur Wundbehandlung als Sprechstundenbedarf ist nicht möglich, weil nach dem allgemein gebräuchlichen Arzneimittelverzeichnis "Rote Liste" dieses Präparat nur zur Therapie primärer bakterieller Hautinfektionen durch gentamycinempfindliche Erreger anzuwenden ist.

2. Vertragsärzte können gegenüber Regressen wegen fehlerhafter Sprechstundenbedarfsverordnungen Vertrauensschutz geltend machen; Voraussetzung ist insoweit, dass die für die Verordnung und Prüfung von Sprechstundenbedarf zuständigen Körperschaften oder Gremien ausdrücklich die von ihnen praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt haben und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft der zuständigen Behörde ihre Verordnungsweise aufgenommen bzw. fortgesetzt haben.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2015 aufgehoben.

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.805 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung von Sprechstundenbedarf.

Die Klägerin ist eine ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Praxissitz in E. und bestand in den hier maßgeblichen Quartalen I/2007 bis III/2008 aus zwei Hautärztinnen, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen waren. In den genannten Quartalen verordneten die Ärztinnen Creme-Rezepturen als Sprechstundenbedarf, die das Antibiotikum Gentamycinsulfat und die Kortikoide Betagalen oder Triamgalen enthielten. Auf entsprechende Anträge der Rezeptprüfstelle F. (RPD) setzte die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit sieben Bescheiden vom 13. Oktober 2009 Regresse wegen unzulässiger Verordnungen von Sprechstundenbedarf in Höhe von insgesamt 3.804,99 Euro fest. In dem das 3. Quartal 2008 betreffenden Bescheid wurde außerdem ein Erstattungsbetrag von 33,90 Euro wegen der Verordnung der Rezeptur Triamcinolonacetonid 0,1 festgesetzt. Zur Begründung wies die Beigeladene zu 1. auf die Anl 1 zur Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung (SSBV) hin, wonach Salben und Cremes nur zur Behandlung von Wunden, stumpfen Traumata und Condolymata accuminata als Sprechstundenbedarf verordnet werden dürften. Rezepturen seien außerdem im Sprechstundenbedarf nur verordnungsfähig, wenn sie den Preis eines ggf im Handel befindlichen Fertigpräparates nicht übersteigen bzw wenn Fertigpräparate im Handel nicht verfügbar seien. Die hiergegen eingelegten Widersprüche blieben erfolglos: Mit Bescheiden vom 22. Dezember 2011 bestätigte der Beklagte die festgesetzten Regresse in Höhe von insgesamt 3.839,89 Euro.

Gegen die Regressierung der Verordnungen von Gentamycinsulfat-Betagalen bzw -Triamgalen hat die Klägerin jeweils am 23. Januar 2012 Klagen zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, die dort zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Verordnung als Sprechstundenbedarf zulässig gewesen, weil die betreffenden Rezepturen der Wundbehandlung iSv Anl 1 Nr 5 zur SSBV dienten. Sie würden bei lokalisierten kleinflächigen Hauterkrankungen angewendet, die - bei gleichzeitiger bakterieller Superinfektion - einer Behandlung mit einem stark wirksamen Glukokortikoid bedürften. Die Antibiotika (Aminoglykoside) würden durch Hautärzte vorwiegend bei superinfizierten Wunden und Hautinfektionen (beispielsweise Dekubitus oder offene Beine) in Form von Cremes eingesetzt werden. Zu den Wunden gehörten (ua nach der Definition im Klinischen Wörterbuch Pschyrembel 260. Aufl.;) nicht nur durchVerletzungen entstandene, sondern auch chronische Wunden. Im Übrigen habe sie auch darauf vertrauen dürfen, dass die streitgegenständlichen Rezepturen von der SSBV umfasst sind, weil die Beigeladene zu 1. ihren Widersprüchen zu vorangegangenen Quartalen stattgegeben und dabei ausgeführt habe, dass Gentamycinsulfat-Rezepturen Punkt 5 der Anl 1 zur SSBV zuzurechnen seien (Hinweis auf Widerspruchsbescheid der Beigeladenen zu 1. vom 19. November 2007). Hiergegen habe zwar der G. Nord Klagen erhoben, diese seien mittlerweile jedoch wieder zurückgenommen worden.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2015 hat das SG die Bescheide des Beklagten vom 22. Dezember 2011 aufgehoben, soweit dort Regresse wegen der Verordnung von Gentamycinsulfat-Betagalen Creme und Gentamycinsulfat-Triamgalen Creme festgesetzt worden sind. Die Klägerin könne sich aufgrund des Widerspruchsbescheides der Beigeladenen zu 1. vom 19. November 2007 auf Vertrauensschutz berufen. Der von der Beigeladenen gesetzte Vertrauenstatbestand wirke auch für den Beklagten als Funktionsnachfolger der KÄV fort. Ob die Cremes im Rahmen des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig gewesen seien, könne daher dahinstehen. Es sei allerdings zweifelhaft, ob es sich bei den verordneten Präparaten um Rezepturen handele, die unter Ziff 5 der Anl 1 zur SSBV 2005 fielen. Denn bei der von der Klägerin beschriebenen Behandlung von sekundär heilenden Wunden bis zum Vorliegen eines Abstrichergebnisses handele es sich um eine länger währende Therapie zur Verbesserung des Wundmilieus, die entsprechend dem Grundsatz der patientenbezogenen Verordnung mittels Einzelrezept auf den Namen des Patienten und zulasten der jeweiligen Krankenkasse zu erfolgen habe.

Gegen das ihm am 15. Januar 2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Februar 2016 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Das SG habe bei seiner Entscheidung übersehen, dass die Verordnungen für die streitgegenständlichen Quartale I bis III/2007 bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheides der Beigeladenen zu 1. am 19. November 2007 erfolgt seien. Zudem seien dieser Widerspruchsbescheid und gleichlautende Bescheide der Beigeladenen zu 1. von Seiten der Krankenkassen beklagt worden; die Klageverfahren seien erst Anfang 2011 durch Klagerücknahme abgeschlossen worden. Bis dahin habe für die Klägerin generell noch kein Vertrauenstatbestand hinsichtlich der umstrittenen Verordnungen der streitgegenständlichen Quartale entstehen können. Im Übrigen sei der Beklagte nicht an eine Entscheidung der Beigeladenen zu 1. als seine Funktionsvorgängerin gebunden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2015 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Rezepturen zur Wundbehandlung verordnet worden seien. Insbesondere stellten superinfizierte Ekzeme mit Wundenbildung in der Dermatologie eine Indikation für die Behandlung mit derartigen Rezepturen gemäß Ziff 5 der Anl 1 der SSBV dar. Das SG habe im Übrigen zu Recht den Vertrauensschutz bejaht, weil die Klage des H. Nord den durch die Rechtsvorgängerin des Beklagten gesetzten Vertrauenstatbestand nicht habe aufheben können. Dies gelte umso mehr, als die KÄV in einem der zuvor geführten Gerichtsverfahren vor dem SG Hannover mit Schriftsatz vom 17. November 2008 explizit an ihrer Rechtsauffassung festgehalten habe.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Die Beigeladene zu 1. hat sich der Rechtsauffassung der Klägerin angeschlossen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten der abgeschlossenen Verfahren S 16 KA 666/07 und S 24 KA 110/08, 111/08, 131/08 sowie 187/08 des SG Hannover beigezogen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das SG hat den am 23. Januar 2012 erhobenen Klagen zu Unrecht stattgegeben.

I. Klagegegenstand sind vorliegend allein die Bescheide des Beklagten vom 22. Dezember 2011 (zu dieser verfahrensrechtlichen Situation bei der Überprüfung von Sprechstundenbedarf vgl. Bundessozialgericht (BSG); SozR 3-5533 Allg Nr 2). Die gegen die Festsetzung von Regressen in Höhe von insgesamt 3.804,99 Euro gerichteten Klagen sind als Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthaft und auch imÜbrigen zulässig.

II. Sie sind jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden.

1. a) Rechtsgrundlage hierfür ist die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Vereinbarung über die Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 1. November 2004 (SSBV 2005), die von den Partnern der Gesamtverträge aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 83 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abgeschlossen worden ist. Die SSBV 2005 hat unter Nr V.1 (S 1 und 2) geregelt, dass die (jeweils zuständige) Bezirksstelle der KÄV eine Regressforderung gegenüber dem Arzt erhebt, der andere als die nach der Vereinbarung zulässige Mittel verordnet hat. Das Verfahren wird durch eine Anzeige der RPD eingeleitet, die in Niedersachsen gemäß Anl 3 der SSBV 2005 die für die Abrechnung von Sprechstundenbedarf zuständige Stelle ist. Über die Widersprüche, die gegen die Regressbescheide der KÄV eingelegt worden sind, hatte ab 1. Januar 2010 der Beklagte zu entscheiden. Dies ergibt sich aus der Übergangsvorschrift des § 8 Abs 4 Buchst c der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen SSBV 2009 (bzw aus § 33a Abs 5 S 2 der ab 2010 maßgeblichen "Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V" § 106 SGB V; (PrüfV).

b) Die formal-rechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung eines Sprechstundenbedarfsregresses sind vorliegend erfüllt. Insbesondere hat die RPD als Abrechnungsstelle bei ihren Regressanforderungen die in Nr V.2 SSBV 2005 (jetzt: § 33a Abs 2 S 1 PrüfV) vorgesehene Frist von neun Monaten nach Ablauf des Ausstellungsquartals gewahrt:

Die Forderungen für das Quartal I/2007 sind am 22. November 2007, die für II/2007 am 25. Februar 2008, die für III/2007 am 30. Mai 2008 und die für IV/2007 am 22. September 2008 bei der Beigeladenen zu 1. geltend gemacht worden. Die Anforderung für I/2008 ist am 1. Dezember 2008, die für II/2008 am 9. März 2009 und die für III/2008 am 22. Juni 2009 bei der KÄV eingegangen. In allen Quartalen ist schließlich der Mindestregressbetrag von 50 Euro (Nr V.3 SSBV 2005 bzw § 33a Abs 2 S 3 PrüfV) überschritten.

c) In der Sache ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die Verordnung der hier umstrittenen Rezepturen als Sprechstundenbedarf nicht den Vorgaben der SSBV 2005 entspricht.

Gemäß Nr I.2 SSBV 2005 gelten als Sprechstundenbedarf (nur) die in den Anl 1 und 2 aufgeführten Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder bei sofortiger Anwendung bzw Überwindung eines lebensbedrohenden Zustandes erforderlich sind. Die entsprechenden Anlagen enthalten nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 8. November 2006 - L 3 KA 175/02 - und vom 26. November 2008 - L 3 KA 169/06) eine Positiv-Liste, die abschließenden Charakter hat. Dies gilt auch hier, ungeachtet dessen, dass in den Abschnitten 5 und 6 der Anl 1 zur SSBV 2005 (diagnostische und therapeutische Arznei- und Hilfsmittel; Arzneimittel zur sofortigen Anwendung/zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands) außerdem Negativ-Listen enthalten sind (zur Möglichkeit einer im Einzelfall hiervon abweichenden Auslegung vgl BSG aaO). Denn dies ändert nichts daran, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Nr I.2 SSBV 2005 die Verordnungsfähigkeit als Sprechstundenbedarf an die Aufführung des betroffenen Mittels in den Anl 1 bzw 2 geknüpft ist. Die daneben in den Abschnitten 5 und 6 vorliegende alphabetische Auflistung nicht verordnungsfähiger Arznei- und Hilfsmittel erfüllt demgegenüber die Funktion, die Vertragsärzte auf einen Blick über Präparate zu informieren, die als Sprechstundenbedarf ausgeschlossen sind - was sich aus dem den Negativ-Listen vorangestellten Hinweis: "Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Zweifelsfällen fragen Sie bitte bei Ihrer zuständigen KVN-Bezirksstelle nach" ergibt - oder wiederum Ausnahmen von Festsetzungen der Positiv-Liste zu regeln.

Die vorliegend streitbefangenen Präparate könnten allenfalls unter die in Abschnitt 5 der Anl 1 enthaltene Regelung fallen, wonach als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig sind: "Salben, Puder, Pulver, Salben (sic) und Gele zur Wundbehandlung, Behandlung stumpfer Traumata (ausgenommen Arzneimittel der Negativliste) und zur Behandlung von Condolymata accuminata, sofern sie bei mehreren Patienten sofort oder im ursächlichen Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung Anwendung finden. Rezepturen sind nur verordnungsfähig, wenn sie den Preis eines ggf. im Handel befindlichen Fertigpräparates nicht übersteigen bzw. wenn Fertigpräparate im Handel nicht verfügbar sind".

Die vorliegend verordneten Arzneimittel werden hiervon aber nicht erfasst, weil sie weder der Wundbehandlung noch der Therapie stumpfer Traumata oder von Condolymata accuminata (Feigwarzen) dienen. Dabei ist nichtmaßgeblich, ob gerade die Ärztinnen in der Praxis der Klägerin das Ziel verfolgt haben, Wunden mit Hilfe der Rezepturen aus Gentamycinsulfat und Betagalen bzw Triamgalen zu therapieren. Entscheidend ist vielmehr nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl zB Urteile vom 27. Juli 2005 - L 3 KA 366/02 -, vom 14. Juni 2006 - L 3 KA 371/04 - und zuletzt vom 18. April 2018 - L 3 KA 82/15, juris), für welche Indikation das jeweilige Arzneimittel zugelassen ist. Das folgt daraus, dass (hier) Nr I.6 SSBV 2005 vorsieht, dass der Arzt auch bei der Verordnung von Sprechstundenbedarf alle gesetzlichen Regelungen, Verordnungen und Vereinbarungen sowie die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln sowie über die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arznei-, Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien) in der jeweils gültigen Fassung beachten muss. Hierzu gehört auch, dass Arzneimittel (auch) in der vertragsärztlichen Versorgung nur im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulässigkeit verordnet werden dürfen, es sei denn, es lägen seltene Ausnahmefälle (zB ein sog Off-Label-Gebrauch) vor (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 8; SozR 4-2500 § 106 Nr 47). Derartige Ausnahmen sind im Bereich des Sprechstundenbedarfs allerdings regelmäßig irrelevant, weil sie stets im Einzelfall zu untersuchen sind und als Sprechstundenbedarf - wie dargelegt - nur solche Mittel in Betracht kommen, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten angewendet werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Verordnung von Gentamycin(sulfat) zur Wundbehandlung als Sprechstundenbedarf nicht möglich. Denn nach dem allgemein gebräuchlichen Arzneimittelverzeichnis "Rote Liste" (Jahrgang 2007; dort Nr 32 003) ist dieses Präparat zur Therapie primärer bakterieller Hautinfektionen durch gentamycinempfindliche Erreger einzusetzen. Dabei werden zwar auch Decubitalulcera und Ulcus cruris beispielhaft genannt, also Krankheitsbilder, die mit Wunden ("offenen Stellen") einhergehen können. Dass die Ärztinnen der Klägerin mit ihren Verordnungen von Gentamycinsulfat deshalb im Ergebnis auch auf Wunden eingewirkt haben können, ändert aber nichts daran, dass dieses Antibiotikum ausdrücklich zur kausalen Bekämpfung der bakteriellen Hautinfektion als Grunderkrankung indiziert ist und nicht nur der Behandlung von Wunden als deren Symptom dient. Salben etc "zur Wundbehandlung" iSv Abschnitt 5 der Anl 1 zur SSBV 2005 können demgegenüber nur solche Präparate sein, deren Bestimmung gerade die symptomatische Wundbehandlung ist und die zB im 85. Kapitel der "Roten Liste" 2007 aufgeführt sind (vgl etwa Polysept, Traumasept oä). Dies entspricht der Zielsetzung des Sprechstundenbedarfs, den Vertragsärzten solche Arzneimittel außerhalb des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges über die Apotheken zur Verfügung zu stellen, die sie in ihrer Praxis zur Erstversorgung häufig auftretender Krankheitserscheinungen benötigen.

Die weitere Rezepturkomponente Betagelen kann erst recht nicht als Sprechstundenbedarf zur Wundbehandlung verordnet werden. Dieses Kortikoid dient ausweislich der "Roten Liste" (Nr 32 124) der Behandlung entzündlicher Hauterkrankungen, die auf eine äußerliche Behandlung mit Kortikosteroiden ansprechen und einer Therapie mit stark wirksamen Kortikosteroiden bedürfen. Hinweise auf eine Indikation zur Wundbehandlung finden sich dort nicht. Vielmehr ist als Nebenwirkung eine "Verzögerung der Wundheilung" angegeben, was eher auf eine Kontraindikation hindeuten könnte. Das Präparat Triamgalen ist ausweislich der "Roten Liste" (Nr 32 113) zwar zur Behandlung von Symptomen allergischer bzw entzündlicher Hauterkrankungen indiziert, die auf eine äußerliche Behandlung mit Kortikosteroiden ansprechen und bei denen die Anwendung eines relativ stark wirksamen Kortikoids angezeigt ist. Offene Wunden werden dort aber nicht angeführt. Vielmehr wird auch hier eine "Beeinträchtigung der Wundheilung" als Nebenwirkung angegeben.

Die Verordnung von Rezepturen aus Gentamycinsulfat und Betagalen bzw Triamgalen als Sprechstundenbedarf steht nach alledem nicht mit der Anl 2 zur SSBV 2005 in Übereinstimmung, weil sich schon die einzelnen Wirkstoffe dieser Kombinationen dort nicht finden. Auf die Frage, ob es entsprechende Fertigarzneimittel gibt, die preisgünstiger als Rezepturen sind, kommt es dementsprechend nicht mehr an.

2. In Hinblick auf die Verordnung der strittigen Präparate als Sprechstundenbedarf kann sich die Klägerin auch nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen.

Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-2500 § 106 Nr 24) können Vertragsärzte gegenüber Regressen wegen fehlerhafter Sprechstundenbedarfsverordnungen Vertrauensschutz geltend machen, wenn die für die Verordnung und Prüfung von Sprechstundenbedarf zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit die von ihnen praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt haben und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft der zuständigen Behörde ihre (erst nachträglich als fehlerhaft erkannte) Verordnungsweise aufgenommen bzw fortgesetzt haben. Dem können entsprechende ausdrückliche Auskünfte der Krankenkassen als Kostenträger der verordneten Arzneimittel gleichstehen (BSG aaO; vgl auch SozR 4-2500 § 106 Nr 40).

Hier hat die Beigeladene zu 1., die bis 31. Dezember 2009 für die Prüfung der Zulässigkeit von Sprechstundenbedarf zuständig gewesen ist, dem Widerspruch der Klägerin gegen die Regressierung von Gentamycinsulfat als Sprechstundenbedarf zwar erstmals mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2007 stattgegeben. Dieser Bescheid regelte jedoch eindeutig nur die Verordnung dieses Antibiotikums als Einzelpräparat. Schon nach seinem Inhalt konnten ihn die Ärztinnen der Klägerin deshalb nicht als Grundlage dafür ansehen, Gentamycin auch als kombinierte Rezeptur mit Betagelen oder Triamgalen als Sprechstundenbedarf zu verordnen. Denn Rezepturen, die sich aus unterschiedlichen Wirkstoffen zusammensetzen, können nur als Sprechstundenbedarf verordnet werden, wenn alle Einzelwirkstoffe die Voraussetzungen hierfür erfüllen.

Andernfalls könnte der Wille der Vertragspartner der SSBV, nur bestimmte Arzneimittel (ausnahmsweise) außerhalb des normalen Beschaffungsweges über die Apotheken beziehbar zu machen, von Vertragsärzten umgangen werden.

Im Übrigen weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Widerspruchsbescheid vom 19. November 2007 für die Quartale I bis III/2007 ohne Bedeutung war. Denn die entsprechenden Verordnungen - vom 13. und 28. März, 4. Mai, 4. und 20. Juli, 21. August und 26. September 2007 - sind schon vor Erlass dieses Bescheids ausgestellt worden. Dessen Inhalt konnte die Verordnungsentscheidungen der Ärztinnen deshalb überhaupt nicht beeinflussen.

Für spätere Verordnungen fehlt es außerdem an einem schützenswerten Vertrauen, weil die auch in nachfolgenden Widerspruchsbescheiden enthaltene Auskunft der Beigeladenen zu 1., Gentamyocinsulfat könne zur Wundbehandlung als Sprechstundenbedarf verordnet werden, dadurch wieder entwertet worden ist, dass der G. Nord für die Krankenkassen hiergegen Klagen erhoben hat (erstmals im Verfahren S 61 KA 666/07). Solange die beiden Körperschaften, deren Auskünfte über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln als Sprechstundenbedarfeinen Vertrauenstatbestand begründen können - hier: die KÄV und die Krankenkassen -, ersichtlich unterschiedliche Auffassungen hierzu vertreten, bleibt die Rechtslage insoweit ungeklärt. Angesichts dessen können die betroffenen Vertragsärzte sich nicht auf die ihnen jeweils günstigere Auffassung stützen und erwarten, dass ihr Vertrauen hierauf geschützt ist. Dies gilt allerdings erst von dem Zeitpunkt an, in dem die Klägerin durch ihre Beiladung zum Gerichtsverfahren von der Klageerhebung erfahren hat. Da ihr der Beiladungsbeschluss im Verfahren S 61 KA 666/07 am 7. Mai 2008 zugestellt worden ist, war einem schutzwürdigen Vertrauen bei Ausstellung der nachfolgenden Verordnungen der Quartale II/2008 (vom 20. Juni 2008) und III/2008 (vom 29. September 2008) bereits die Grundlage entzogen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm §§ 154 Abs 1 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 und 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).