Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.04.2018, Az.: L 3 KA 82/15

Regress wegen der Verordnung von Sprechstundenbedarf; Medizinprodukt Histofreezer medium Dos.-Spray; Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten als SSB

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.04.2018
Aktenzeichen
L 3 KA 82/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 50276
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 01.07.2015 - AZ: S 61 KA 224/12

Amtlicher Leitsatz

Medizinprodukte - hier: Mittel zur Kryotherapie - können auch dann als Sprechstundenbedarf verordnet werden, wenn sie mangels entsprechender Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht in die Arzneimittelversorgung einbezogen worden sind.

Redaktioneller Leitsatz

1. Die allgemeinen Vorgaben in den SSB-Vereinbarungen stehen einer Verordnung des Medizinprodukts Histofreezer medium Dos.-Spray als SSB nicht entgegen.

2. Für die Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten als SSB sprechen auch praktische Erwägungen; die korrekte Anwendung der in den Anlagen zu den SSB-Vereinbarungen aufgeführten Medizinprodukte setzen regelmäßig besondere medizinische Kenntnisse und Erfahrung voraus.

Tenor:

Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 1. Juli 2015 geändert und die Bescheide des Beklagten vom 22. Dezember 2011, 12. Januar 2012, 1. März 2012 und 29. März 2012 aufgehoben, soweit dort ein Sprechstundenbedarfsregress für das Quartal IV/2008 von mehr als 660,96 Euro, für das Quartal I/2009 von mehr als 272,16 Euro, für das Quartal II/2009 von mehr als 570,81 Euro, für das Quartal III/2009 von mehr als 505,44 Euro und für das Quartal IV/2009 von mehr als 904,20 Euro festgesetzt worden ist.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens tragen der Beklagte zu 9/10 und der Kläger zu 1/10 mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert der ursprünglich selbstständigen Berufungsverfahren wird auf 5.488 Euro (L 3 KA 82/15), 5.540 Euro (L 3 KA 83/15), 7.180 Euro (L 3 KA 90/15), 7.844 Euro (L 3 KA 91/15) und 6.737 Euro (L 3 KA 92/15) festgesetzt. Der Streitwert des verbundenen Berufungsverfahrens wird auf 32.790 Euro (L 3 KA 82/15) festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung von Sprechstundenbedarf (SSB).

Der Kläger nimmt als Facharzt für Dermatologie und Allergologie an der vertragsärztlichen Versorgung in E. teil.

In den Quartalen IV/2008 bis IV/2009 verordnete der Kläger zu Lasten der Rezeptprüfstelle Duderstadt (RPD) die Arzneimittel/Medizinprodukte Sulmycin Creme mit Celastan V, Triam Injekt 40 Kristallsuspension, Elidel Creme 1% und Protopic Salbe 0,03% bzw Histofreezer medium Dos.-Spray als SSB zum Nettopreis von insgesamt 32.790,82 Euro. Auf Hinweis der RPD (in den Schreiben vom 24. September 2009, 23. Dezember 2009, 25. März 2010, 20. Mai 2010 und 11. August 2010) setzten die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (für die Quartale IV/2008 und I/2009) und die Prüfungsstelle Niedersachsen (für die Quartale II/2009 bis IV/2009) insoweit quartalsbezogene Einzelregresse fest (Bescheide vom 12. Oktober 2009, 6. Januar 2010, 23. Juni 2011, 15. September 2011 und 24. November 2011). Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies der Beklagte zurück (Bescheide vom 22. Dezember 2011, 12. Januar 2012, 1. März 2012 und 29. März 2012).

Der Kläger hat am 23. Januar 2012, 13. Februar 2012, 3. April 2012 und 30. April 2012 jeweils Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und dort zusammengefasst geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von SSB-Regressen nicht vorlägen. Zum einen könnten die verordneten Arzneimittel/Medizinprodukte schon nach dem Wortlaut der SSB-Vereinbarung als SSB verordnet werden; zum anderen dienten sie der Überwindung lebensbedrohlicher Zustände (zB bei Wespenstichen, uU auf das Gehirn übergreifende Hautinfektionen, Krebserkrankungen). Der Beklagte sei daher nicht berechtigt, die Verordnungen zu regressieren.

Das SG hat die Klagen mit den Urteilen vom 1. Juli 2015 abgewiesen. Die Einzelregresse seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Die streitbefangenen Verordnungen könnten aus unterschiedlichen Gründen nicht als SSB angesehen werden. Sulmycin Creme mit Celastan V, Elidel Creme 1% und Protopic Salbe 0,03% dienten - anders als der Kläger behauptet habe - nicht der Behandlung von Wunden, stumpfen Traumata oder Feigwarzen. Nur insoweit aber sei nach den Anlagen zur SSB-Vereinbarung die Verordnung von Salben als SSB möglich. Die Triam Injekt 40 Kristallsuspension sei nicht für die Behandlung von Notfällen zugelassen. Das sei nach den Anlagen zur SSB-Vereinbarung aber eine von mehreren Voraussetzungen dafür, Suspensionen als SSB verordnen zu können. Das Histofreezer medium Dos.-Spray sei in dem hier maßgeblichen Zeitraum kein nach der Arzneimittelrichtlinie (AMR) verordnungsfähiges Medizinprodukt gewesen; nach § 1 Abs 6 der SSB-Vereinbarung sei dann eine Verordnung als SSB ausgeschlossen.

Gegen diese Urteile (zugestellt jeweils am 9. Juli 2015) wendet sich der Kläger mit den am 10. August 2015 (einem Montag) eingelegten Berufungen, die der Senat durch Beschluss vom 9. November 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden hat.

Im Berufungsverfahren stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und macht ergänzend geltend, dass das SG Hannover die SSB-Vereinbarung falsch ausgelegt habe. Nach dem Wortlaut der Vereinbarung könne jedes Arzneimittel bzw jedes Medizinprodukt als SSB verordnet werden, das zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustands erforderlich sei. Das gelte auch für Präparate, die nicht ausdrücklich in die Anlagen der Vereinbarung aufgenommen worden seien. Deutlich werde das ua daran, dass die Anlagen nur Beispielcharakter hätten. Es sei auch keine zulässige Alternative, die zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustands erforderlichen Arzneimittel oder Medizinprodukte ggf patientenbezogen zu verordnen. Die betroffenen Patienten seien teilweise multimorbid und inoperabel erkrankt; eine Versorgung außerhalb der Arztpraxis sei ihnen regelmäßig nicht zuzumuten.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 1. Juli 2015 und die Bescheide des Beklagten vom 22. Dezember 2011, 12. Januar 2012, 1. März 2012 und 29. März 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen des Klägers sind zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Im Wesentlichen hat das SG seine Klagen zu Unrecht abgewiesen.

1. Die statthaften und auch im Übrigen zulässigen Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Klägers haben überwiegend Erfolg. So hat der Beklagte in den Quartalen IV/2008 bis IV/2009 nur wegen der vom Kläger als SSB verordneten Arzneimittel (Sulmycin Creme mit Celastan V, Triam Injekt 40 Kristallsuspension, Elidel Creme 1% und Protopic Salbe 0,03%) einen Regress festsetzen können, nicht aber wegen des ebenfalls als SSB verordneten Medizinprodukts (Histofreezer medium Dos.-Spray).

2. Rechtsgrundlage für den hier maßgeblichen Regressanspruch ist die Regelung in § 33a der niedersächsischen Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2010 (PrüfV). Danach hat die Prüfungsstelle (Abs 1) und auf Widerspruch der am Prüfverfahren Beteiligten der beklagte Beschwerdeausschuss (Abs 5 S 2) Verstöße gegen die jeweils geltende SSB-Vereinbarung und einen entsprechenden Regress festzustellen (Abs 4 S 4). Ab dem 1. Januar 2010 bezieht sich diese Zuständigkeit des Beklagten nach der Übergangsregelung in § 36 Abs 2 Buchst b der PrüfV auf alle zu diesem Zeitpunkt anhängigen Widerspruchsverfahren, auch die ab dem 1. Oktober 2009 gültige SSB-Vereinbarung enthält in § 8 Abs 4 Buchst c eine entsprechende Übergangsregelung.

Der nach § 33a Abs 1 der PrüfV für die Durchführung eines SSB-Regresses erforderliche Prüfantrag der Krankenkassen bzw ihrer Verbände liegt hier in den Schreiben der RPD vom September und Dezember 2009 bzw vom März, Mai und August 2010, in denen zunächst die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (Quartale IV/2008 und I/2009) und später die Prüfungsstelle Niedersachsen (Quartale II/2009 bis IV/2009) um die Erstattung von insgesamt 32.790,82 Euro gebeten werden und mit denen jeweils die neunmonatige Antragsfrist nach Ablauf des Verordnungsquartals eingehalten worden ist. Hierzu ist in § 33a Abs 6 S 1 der PrüfV geregelt, dass die Krankenkassen oder ihre Verbände einen Dienstleister bevollmächtigen können, entsprechende Anträge nach Abs 1 zu stellen. Als bevollmächtigter Dienstleister ist gemäß § 33a Abs 6 S 2 iVm Anl 7 der PrüfV die RPD auch benannt worden.

3. In den Quartalen IV/2008 bis IV/2009 hat der Kläger mit der Verordnung der Arzneimittel (Sulmycin Creme mit Celastan V, Triam Injekt 40 Kristallsuspension, Elidel Creme 1% und Protopic Salbe 0,03%) auch gegen die Vorgaben der gültigen SSB-Vereinbarung verstoßen. Die Arzneimittelverordnungen lassen sich nicht mit dem für die Auslegung von SSB-Vereinbarungen maßgeblichen Wortlaut (vgl zu dessen Bedeutung das Senatsurteil vom 17. Oktober 2012 - L 3 KA 52/10 - mwN) in Übereinstimmung bringen.

a) Nach § 1 Abs 2 der hier einschlägigen SSB-Vereinbarungen (in den Quartalen IV/2008 bis III/2009 anzuwenden idF vom 1. November 2004 und im Quartal IV/2009 anzuwenden idF vom 1. Oktober 2009) können von den Ärzten nur "die in den Anlagen 1 und 2 aufgeführten Mittel" als SSB verordnet werden. Zwar unterscheiden sich die Anlagen zu den einzelnen SSB-Vereinbarungen im Detail; die vom Kläger verordneten Cremes und Salben können aber auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Vorgaben in den Anlagen nicht als SSB angesehen werden. Nach der bis zum Quartal III/2009 gültigen Anl 1 zur SSB-Vereinbarung vom 1. November 2004 sind nur Salben "zur Wundbehandlung, Behandlung stumpfer Traumata (...) und zur Behandlung von Condylomata acuminata" im SSB verordnungsfähig gewesen. Demgegenüber hat sich die Anl 1 zur SSB-Vereinbarung vom 1. Oktober 2009 ua auf "kortikoidhaltige oder antibiotikahaltige Salben in geringen Mengen" bezogen, ausdrücklich jedoch nicht auf "Kombinationspräparate". Die Präparate Sulmycin Creme mit Celastan V, Elidel Creme 1% und Protopic Salbe 0,03% sind aber - darauf haben bereits der Beklagte und das SG Hannover zutreffend hingewiesen - nach den in den Verwaltungsunterlagen befindlichen Angaben aus der Lauer-Taxe nicht für die Behandlung von Wunden oder Wundrändern zugelassen gewesen, sondern für die Behandlung von Ekzemen, fettiger Haut oä. Zudem handelt es sich bei der Sulmycin Creme mit Celastan V (die ua im Quartal IV/2009 regressiert worden ist) um ein Kombinationspräparat, das ausdrücklich nicht (auch nicht zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands) als Sprechstundenbedarf verordnet werden kann.

Die fehlende Verordnungsfähigkeit der Triam Injekt 40 Kristallsuspension als SSB ergibt sich ebenfalls aus der Regelung in § 1 Abs 2 der hier maßgeblichen SSB-Vereinbarungen. So haben im Quartal IV/2009 nach der Anl 1 zu den im SSB verordnungsfähigen Arzneimitteln ua nur systemische Kortikoide als Lösungen und Suspensionen gehört, die zur Anwendung in Notfällen zugelassen gewesen sind. Für die Kristallsuspension hat eine derartige Zulassung aber nicht bestanden.

b) Die hier regressierten Arzneimittel hat der Kläger auch nicht deshalb als SSB verordnen können, weil sie iSv § 1 Abs 2 der SSB-Vereinbarungen zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands erforderlich gewesen wären.

Dabei vermag sich der Senat der Auffassung des Klägers - in einem lebensbedrohlichen Notfall könne jedes Präparat als SSB verordnet werden - nicht anzuschließen. So folgt schon aus einer Gesamtschau der in den Anlagen 1 der SSB-Vereinbarungen als verordnungsfähig angesehen Mittel, dass es sich hierbei um eine abschließende Auflistung handelt. Besonders deutlich wird das in der Anl 1 zur SSB-Vereinbarung vom 1. November 2004, in der unter Ziffer 6 sowohl die im SSB verordnungsfähigen als auch die im SSB nicht verordnungsfähigen Mittel zur sofortigen Anwendung bzw zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands ausdrücklich aufgeführt sind. Dabei enthält nur die Aufzählung der insoweit nicht im SSB verordnungsfähigen Mittel den Hinweis, dass die Auflistung "keinen Anspruch auf Vollständigkeit" erhebt. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es sich bei der Auflistung der insoweit im SSB verordnungsfähigen Mittel um eine vollständige (und damit abschließende) Regelung handeln muss. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der inhaltlichen Umgestaltung der Anl 1 in der SSB-Vereinbarung vom 1. Oktober 2009. Zwar enthält die Anlage seitdem keine eigenständige Ziffer mehr, in der die verordnungsfähigen Mittel zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands gesondert gelistet werden. Dafür haben die Vertragspartner der SSB-Vereinbarung aber die einzelnen Produktgruppen mit entsprechenden Zusätzen ("Normal-Insuline und Glucagon zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustands", "Arzneimittel für den kardialen Notfall", Arzneimittel für den pulmonalen Notfall", "Lösungen und Suspensionen mit Zulassung zur Anwendung in Notfällen" etc) versehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die von den Vertragspartnern der SSB-Vereinbarungen erstrebte zügige und praxistaugliche Umsetzung der vertraglichen Vorgaben aus den Vereinbarungen nur dann dauerhaft gewährleisten, wenn man mit dem Wortlaut in § 1 Abs 2 der SSB-Vereinbarung ("Als Sprechstundenbedarf gelten die in den Anlagen 1 und 2 aufgeführten Mittel") von einer abschließenden Auflistung ausgeht.

Da demnach keines der hier regressierten Arzneimittel zu denen zählt, die in der Anl 1 als SSB zur Überwindung eines lebensbedrohenden Zustands gelistet sind, ist insoweit gegenüber dem Kläger der SSB-Regress sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt worden.

4. Hingegen hat der Kläger in den Quartalen IV/2008 bis IV/2009 mit der Verordnung von Medizinprodukten (Histofreezer medium Dos.-Spray) nicht gegen die SSB-Vereinbarungen verstoßen. Insoweit können die Regressentscheidungen des Beklagten keinen Bestand haben.

a) Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit bereits aus dem Wortlaut der hier einschlägigen SSB-Vereinbarungen. Danach werden in den Anlagen 1 zu den Vereinbarungen "Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, Stickstoff o.ä.)" ausdrücklich als im SSB verordnungsfähig bezeichnet - und der vom Beklagten in den Verwaltungsunterlagen beigezogenen Lauer-Taxe folgend handelt es sich bei dem Medizinprodukt Histofreezer medium Dos.-Spray auch um ein "kryotherapeutisches Warzenentfernungsmittel". Hieraus haben die die Vereinbarungen anwendenden Ärzte (und der Kläger) nur den Schluss ziehen können, dass in Niedersachsen die Verordnung von Medizinprodukten zur Kryotherapie der Haut als SSB möglich und zulässig ist.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen die allgemeinen Vorgaben in den SSB-Vereinbarungen einer Verordnung des Medizinprodukts Histofreezer medium Dos.-Spray als SSB nicht entgegen. Zwar folgt aus der Regelung in § 1 Abs 6 der hier einschlägigen und insoweit auch gleichlautenden SSB-Vereinbarungen, dass die Ärzte bei der Verordnung von SSB alle gesetzlichen Regelungen, Verordnungen und Vereinbarungen sowie die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Verordnung von Arzneimitteln sowie über die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arznei-, Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien) in der jeweils gültigen Fassung zu beachten haben. Ferner trifft es zu, dass Medizinprodukte seit dem zum 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften ((MPÄndG); BGBl I 1066) nur dann im Rahmen der Arzneimittelversorgung verordnungsfähig sind, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das entsprechende Produkt in der Anl 12 bzw V zur AMR gelistet hat (Nr 30.8. bzw § 27 Abs 8 der AMR) und dass für das Histofreezer medium Dos.-Spray eine derartige Listung bislang nicht erfolgt ist. Die Berechtigung der Gesamtvertragspartner der SSB-Vereinbarungen, für nicht in diesem Sinne gelistete Medizinprodukte eine Verordnungsfähigkeit als SSB zu vereinbaren, wird dadurch aber nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Regelung in § 31 Abs 1 S 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach über die Auflistung von Medizinprodukten in der Anl 30.8. bzw V zur AMR lediglich festzulegen ist, in welchen Fällen derartige Produkte "ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden". Damit ist die Versorgung mit Arzneimitteln gemeint, die sich die Versicherten auf Verordnung des Vertragsarztes in der Apotheke verschaffen und selbst anwenden. Dass damit gleichzeitig Verordnungsformen außerhalb der Arzneimittelversorgung der Versicherten (zB als SSB der behandelnden Vertragsärzte) ausgeschlossen werden, lässt sich der Regelung hingegen nicht entnehmen. Deshalb haben die Gesamtvertragspartner der SSB-Vereinbarungen in den Anlagen auch weiterhin eine Vielzahl von Medizinprodukten aufnehmen können, die nicht in der Anl V zur AMR gelistet werden und die dennoch als SSB verordnungsfähig sind (zB Katheter, Mundspatel, Biopsienadeln, Harnröhrengleitmittel, Paukenröhrchen etc).

Für die Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten als SSB sprechen zudem nicht nur rechtliche, sondern auch praktische Erwägungen. So setzt die korrekte Anwendung der in den Anlagen zu den SSB-Vereinbarungen aufgeführten Medizinprodukte regelmäßig besondere medizinische Kenntnisse und Erfahrung voraus. Das gilt ausdrücklich auch für das Histofreezer medium Dos.-Spray, bei dem laut Herstellerangaben ein sprühbares Gasgemisch durch eine Änderung des Aggregatzustands innerhalb weniger Sekunden auf minus 55 Grad Celsius abkühlt. Um zu vermeiden, dass es bei der kältebedingten Entfernung von Warzen oder anderen Hautirritationen zu einer Schädigung des umliegenden Gewebes kommt, ist aus Sicht des Senats eine Verwendung des Medizinprodukts als SSB durch den behandelnden Arzt zwingend geboten.

Vor diesem Hintergrund zählt das hier regressierte Medizinprodukt zu denen, die nach den Anlagen 1 als SSB verordnet werden können; insoweit ist gegenüber dem Kläger der SSB-Regress zu Unrecht festgesetzt worden.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm den §§ 154 Abs 1 bis 3, 155 Abs 1, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der gegenüber dem Kläger festgesetzte Regressbetrag nur in geringem Umfang Bestand hat.

Gründe, die Revision zuzulassen (§160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm § 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).