Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.07.2009, Az.: 2 W 188/09
Berücksichtigung von Darlehenszinsen bei der Streitwertbemessung; Zulässigkeit der Abänderung des Streitwerts von Amts wegen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.07.2009
- Aktenzeichen
- 2 W 188/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 22310
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0716.2W188.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 18.03.2009 - AZ: 2 O 352/08
Rechtsgrundlage
- § 43 Abs. 1 GKG
Fundstellen
- AGS 2010, 143-144
- HRA 2009, 12
- JurBüro 2010, 88-89
- OLGR Celle 2009, 974-975
Amtlicher Leitsatz
1. Kapitalisierte Darlehenszinsen sind nur dann streitwerterhöhend zu berücksichtigen, wenn sie einen nicht mehr im Streit befindlichen Hauptanspruch betreffen.
2. Eine Abänderung des Streitwertes von Amts wegen ist auch dann möglich, wenn die sofortige Beschwerde gegen einen Streitwertbeschluss als unzulässig verworfen wird.
Tenor:
Die am 18. Juni 2009 beim Landgericht Stade eingegangene Beschwerde des Klägers vom 17. Juni 2009 gegen den Streitwertbeschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 18. März 2009 wird als unzulässig verworfen.
Von Amts wegen wird der Streitwert für den Rechtsstreit und den Vergleich unter Abänderung der Wertfestsetzung des Landgerichts auf 20.000, EUR festgesetzt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die auf der Grundlage von § 68 Abs. 1 i. V. m. den § 63 Abs. 2 GKG eingelegte Beschwerde ist unzulässig.
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG findet die Beschwerde dann statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200, EUR übersteigt. Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit die Streitwertfestsetzung von den Vorstellungen des Beschwerdeführers abweicht. Die Streitwertfestsetzung kann vielmehr nur dann angegriffen werden, wenn die Festsetzung für ihn nachteilige finanzielle Auswirkungen im Rahmen der Kostenfestsetzung oder bei der Erhebung von Gerichtsgebühren hat (vgl. OLG Karlsruhe OLGR 2005, 562 f., zitiert nach JURIS Rdz. 3).
Der Kläger übersieht insoweit, dass er durch die landgerichtliche Festsetzung des Streitwerts nicht beschwert ist, weil bei einem Streitwert von 22.917,13 EUR und einem Streitwert von 25.000, EUR dieselbe Gebührenstufe vorliegt und im vorliegenden Fall die Festsetzung einer 1,5Einigungsgebühr gem. Nr. 1003 VVRVG für einen Mehrvergleich über nicht rechtshängige Ansprüche nicht in Betracht kam. Der Kläger ist insbesondere nicht deshalb beschwert, weil auf der Grundlage des Streitwertbeschlusses des Landgerichts im Rahmen der Kostenfestsetzung eine Mehrvergleichsgebühr unberücksichtigt geblieben ist. Denn die Prozessbevollmächtigen beider Parteien waren im Hinblick darauf, dass der Streitwert für den Rechtsstreit und den Vergleich einheitlich festzusetzen war, nicht berechtigt, entsprechende Gebühren gem. Nr. 1003 VVRVG in Ansatz zu bringen. Denn der Mehrvergleich betrifft nach dem eigenen Vorbringen eine Nebenforderung in Form von kapitalisierten Darlehens und auch Verzugszinsen, die bei der Streitwertfestsetzung gerade nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen sind.
Zu Recht hat das Landgericht den Streitwert für den Rechtsstreit und den Vergleich einheitlich festgesetzt. Das Landgericht hat indes übersehen, dass der Streitwert zutreffenderweise nur auf einen Wert in Höhe von 20.000, (Hauptforderung) hätte festgesetzt werden dürfen. Denn gem. § 43 Abs. 1 GKG wird der Wert von geltend gemachten Nebenforderungen wie z.B. Zinsen nicht berücksichtigt, wenn außer diesen Nebenforderungen auch der Hauptanspruch betroffen ist. Zu den Zinsen i. S. von § 43 Abs.1 GKG zählt jedes Entgelt für die Überlassung von Kapital einschließlich der Verzugszinsen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, § 43 GKG Rdz. 3). Dies gilt auch dann, wenn die Zinsen kapitalisiert worden sind (vgl. BGH, BGHR ZPO § 4 Abs. 1 Nebenforderung 1, zitiert nach JURIS Rdz. 5. Musielak/Heinrich, ZPO, 6. Auflage, § 4 Rdz. 14). Kapitalisierte Darlehenszinsen sind ausnahmsweise nur dann streitwerterhöhend zu berücksichtigen, wenn diese einen nicht mehr im Streit befindlichen Hauptanspruch betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2004, Az.: III ZR 325/03, zitiert nach JURIS Rdz. 5. BGH WM 1981, 1092 ff., zitiert nach JURIS Rdz. 1). Dieser Ausnahmefall liegt indes nicht vor, so dass der Streitwert auf einen Betrag in Höhe von 20.000, EUR festzusetzen war.
Der Senat war an einer entsprechenden Abänderung des Streitwerts auch nicht mit Rücksicht auf das Verbot der "reformatio in peius" gehindert. Der Kläger als Beschwerdeführer wird durch diese Streitwertfestsetzung wegen der geringeren Gebühren deutlich besser gestellt und ist daher nicht beschwert. Beschwert sein könnte allenfalls sein Prozessbevollmächtigter, der jedoch nicht aus eigenem Recht Beschwerde eingelegt hat. Ungeachtet dessen gilt im Rahmen einer Streitwertbeschwerde wegen der Möglichkeit, den Streitwert von Amts wegen abzuändern, auch kein Verschlechterungsverbot (vgl. OLG Rostock, OLGR 2009, 223 ff., zitiert nach JURIS Rdz. 13. Brandenburgisches OLG JurBüro 1997, 196).
Einer Abänderung des Streitwerts von Amts wegen steht auch nicht entgegen, dass die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen war. Die in der Rechtsprechung und Literatur vertretene Gegenauffassung, wonach bei unzulässigen Beschwerden eine Abänderung ausscheidet (vgl. dazu Hartmann, Kostengesetze, 38. Auflage, § 63 Rdz. 49), ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Nach dem Wortlauf von § 63 Abs. 3 GKG kann das Rechtsmittelgericht die Festsetzung von Amts wegen ändern, wenn das Verfahren wegen der Entscheidung über den Streitwert in der Rechtsmittelinstanz "schwebt". Das allgemeine Sprachverständnis zu Grunde gelegt, ist eine Abänderung möglich, sobald das Rechtsmittelgericht mit der Sache befasst ist, was mit Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht der Fall ist. Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 63 GKG bzw. das den Vorläufernormen oder vergleichbaren Regelungen zu Grunde liegende Verständnis.
§ 25 des Preußischen Gerichtskostengesetzes vom 18. Oktober 1922 sah vor, dass die Entscheidung über die Wertfestsetzung von dem Gerichte der höheren Instanz von Amts wegen geändert werden konnte. Diese Vorschrift wurde vom Kammergericht in ständiger Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass auch bei unzulässigen Beschwerden eine Abänderung des Streitwertes von Amts wegen - auch zu Ungunsten des Beschwerdeführers - möglich war (vgl. Bartscher/Drinnenberg/Wenz, Preußisches Gerichtskostengesetz, 6. Auflage, (1926), § 25 Anm. 2).
§ 16 des Deutschen Gerichtskostengesetzes bzw. § 18 des Deutschen Gerichtskostengesetzes in der Fassung vom 5. Juli 1927 sahen demgegenüber eine Abänderungsbefugnis des Gerichts der höheren Instanz "im Laufe des Verfahrens" vor. Maßgeblich war insoweit, ob der Rechtsstreit durch Einlegung eines Rechtsmittels an das Gericht höherer Instanz gelangt war (vgl. Friedlaender/Friedlaender, Kommentar zum Deutschen Gerichtskostengesetz (1928), § 18 Rdz. 23. Rittmann/Wenz. Gerichtskostengesetz, 19. Auflage (1943), § 18 Anm. 4), was mit Anhängigkeit der Fall war (Rittmann/Wenz, a. a. O.).
Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des "Schwebens" i. S. von § 63 Abs. 3 GKG mit dem Begriff der Anhängigkeit gleichzusetzen. Dies gilt umso mehr, als sich dem Gesetzeswortlaut gerade keine Einschränkung dahingehend entnehmen lässt, dass das Rechtsmittelgericht die Wertfestsetzung der unteren Instanz nur aufgrund eines zulässigen Rechtsmittels ändern dürfe (so zutreffend Sächsisches Oberverwaltungsgericht DÖV 2008, 735, zitiert nach JURIS Rdz. 3).
Dieser Bewertung steht auch nicht das Urteil des Reichsgerichts vom 24. Januar 1902 (JW 1902, 133) entgegen, wonach ein Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerde, die auf Herabsetzung des Wertes gerichtet war, nicht befugt sei, von Amts wegen den Wert zu erhöhen, weil das Abänderungsverfahren gem. § 16 GKG nur dann eröffnet sei, wenn ein anderes als ein Beschwerdeverfahren über die Wertfestsetzung vorliegen würde. Diese Rechtsprechung erklärt sich allein vor dem Hintergrund, dass mit Rücksicht auf die Motive zum Gerichtskostengesetz umstritten war, ob eine Abänderung nur bei Anhängigkeit der Hauptsache möglich war oder nicht. So hieß es in den Motiven, dass die Möglichkeit der Festsetzung von Amts wegen dem Interesse der beteiligten Staatskasse dienen sollte, "insbesondere auch für den Fall, daß das mit der Hauptsache befaßte Beschwerdegericht den Wert vollständiger zu übersehen imstande ist." (zitiert nach Rittmann, Das Deutsche Gerichtskostengesetz, 3. Auflage (1906), § 16 (S. 74 f.). Mit der Fassung des § 63 GKG stellt sich dieses Problem nicht mehr, weil die Abänderungsbefugnis kraft Gesetzes auch dann besteht, wenn das Verfahren wegen der Entscheidung über den Streitwert beim Rechtsmittelgericht schwebt.
Wegen der Abänderung des Streitwerts ist für beide Parteien die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung zu stellen, § 107 Abs. 1 ZPO.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.