Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.07.2009, Az.: 13 Verg 3/09
Beginn der Beschwerdefrist bei Übersendung einer Beschlussabschrift "vorab" per Telefax durch die Vergabekammer; Antragsbefugnis eines Bieters; Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.07.2009
- Aktenzeichen
- 13 Verg 3/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 20253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0717.13VERG3.09.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 10.11.2009 - AZ: X ZB 8/09
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 2 GWB
- § 117 Abs. 1 GWB
- § 118 Abs. 1 GWB
- § 124 Abs. 2 GWB
- § 3a Nr. 1 Abs. 5 VOL/A
Fundstellen
- BauR 2009, 1944
- IBR 2009, 605
- IBR 2009, 606
- NZBau 2010, 68-71
- OLGR Celle 2009, 777-781
- Vergabe-Navigator 2009, 23-24
- Vergabe-News 2009, 101-102
- VergabeR 2009, 898-903
- ZfBR 2009, 700-704
Amtlicher Leitsatz
1. Zur Frage, ob die Beschwerdefrist des § 117 Abs. 1 GWB dadurch in Lauf gesetzt wird, dass die Vergabekammer eine Beschlussabschrift "vorab" per Telefax übersendet.
2. Einem Bieter droht regelmäßig auch dann im Sinne von § 107 Abs. 2 S. 2 GWB ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt.
3. Zur Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens nach § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b VOL/A.
Tenor:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (§ 124 Abs. 2 S. 1 GWB).
Gründe
I.
Die Antragstellerin vertreibt medizinische Produkte aus unterschiedlichen optischen Bereichen. Die Antragsgegnerin ist Betreiberin des Städtischen Klinikums L..
Unter dem 23. Juli 2008 schrieb die Antragsgegnerin die Neubeschaffung von Endoskopiesystemen für Diagnose und Therapie im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Ein bereits vorangegangenes offenes Verfahren hatte sie im Hinblick auf Rügen und ein Nachprüfungsverfahren aufgehoben.
Bereits während der Frist zur Teilnahme am Wettbewerb rügte die Antragstellerin verschiedene Punkte der Ausschreibung. Sie bemängelte insbesondere die Absicht der Antragsgegnerin, den Auftrag im Verhandlungsverfahren zu vergeben.
Die Antragsgegnerin half den Rügen im Wesentlichen nicht ab, sondern informierte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2008 gemäß § 13 VgV, dass die Beigeladene die höchste Punktzahl erhalten habe und ihr der Zuschlag erteilt werden solle. Daraufhin leitete die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren ein.
Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe nicht von vorneherein festlegen können, welche Systemkomponenten die Leistung beinhalten solle, ohne ein Unternehmen zu diskriminieren. Insoweit sei es nicht möglich gewesen, eine feste, unveränderbare Leistungsbeschreibung zu erstellen, die eine vergleichende Wertung der Angebote im Rahmen eines offenen Verfahrens ermöglicht hätte. Sie habe sich daher für ein Verhandlungsverfahren entschieden.
Die Vergabekammer hat in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei, soweit die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auch das von der Beigeladenen angebotene Skonto berücksichtigt hat. Im Übrigen hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Insbesondere sei die Antragstellerin durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens nicht in ihren Rechten verletzt.
Gegen diese Zurückweisung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie rügt weiterhin die Unzulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens und hält auch ihre weiteren Rügen aufrecht, soweit die Vergabekammer ihnen nicht stattgegeben hat. Sie macht in erster Linie geltend, dass das Verfahren aufgehoben werden müsse.
Der Senat hat mit Beschluss vom 8. April 2009 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin antragsgemäß verlängert (Bl. 79 f d. A.).
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 7. April 2009 den Zuschlag an die Beigeladene erteilt. Sie ist der Ansicht, für den Fristbeginn sei die am 9. März 2009 erfolgte Faxübermittlung der Vergabekammer maßgebend und nicht die nachfolgende Zustellung vom 11. März 2009. Die Antragstellerin stellt hilfsweise für den Fall, dass der Senat dem folgen solle, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 114 Abs. 2 S. 2 GWB.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach Auffassung des Senats auch erfolgversprechend, weil der Nachprüfungsantrag zulässig (1.) und in seinem Hauptantrag auch begründet ist (2.). Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ohne von dem Beschluss des OLG Koblenz vom 4. Februar 2009 - 1 Verg 4/08 abzuweichen (3.). Er legt deshalb die Sache gem. § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof vor.
Am 21. April 2009 ist das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts in Kraft getreten. Nach dem durch dieses Gesetz neu angefügten § 131 Abs. 8 GWB ist für das vorliegende Verfahren das GWB in der bis zum 20. April 2009 geltenden Fassung maßgeblich.
1. Der in der Hauptsache gestellte Nachprüfungsantrag ist zulässig
a) Das Nachprüfungsverfahren nicht durch den der Beigeladenen erteilten Zuschlag erledigt. Dieser Zuschlag ist gem. § 134 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 GWB nichtig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin durch den Beschluss des Senats vom 8. April 2009 bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde verlängert worden (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB).
Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, die Beschwerdefrist sei schon durch die Übersendung der angegriffenen Entscheidung per Telefax am 9. März 2009 in Lauf gesetzt worden, weshalb die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bereits zum Zeitpunkt des Zuschlags und vor Erlass des Senatsbeschlusses vom 8. April 2009 beendet gewesen sei. Zwar kann eine Zustellung gemäß § 114 Abs. 3 GWB i. V. m. § 61 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 1 Abs. 1 NVwZG i. V. m. § 5 Abs. 4 VwZG auch per Telefax erfolgen. Es muss dann allerdings eindeutig sein, dass die Übermittlung per Telefax zum Zwecke der Zustellung erfolgt (Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, VergR, 2. Aufl., § 114 Rz. 70 c). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben:
Ist es bei einer Vergabekammer - wie hier - üblich, dass nach Übersendung der Entscheidung an die Verfahrensbeteiligten eine förmliche Zustellung folgt, kommt der für den Fristbeginn erforderliche Zustellungswille erst mit der förmlichen Zustellung, die vorliegend am 11. März 2009 erfolgte, zum Ausdruck (Hunger, in: Kulartz/Kus/Portz (Hrsg.), GWBVergR § 117 Rz. 4). Diese Zustellungspraxis war der Antragsgegnerin auch aus dem vorangegangenen Nachprüfungsverfahren bekannt.
Darüber hinaus war dem Telefax zwar ein Anschreiben, nicht aber das nach § 5 Abs. 4 VwZG erforderliche Empfangsbekenntnis beigefügt (§ 5 Abs. 4 VwZG: "... kann auch auf andere Weise (...) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden.". vgl. hierzu BayObLG, Beschl. v. 10. Oktober 2000 - Verg 5/00, VergabeR 2001, 55 ff. zit. n. Juris Rz. 24. OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. Juli 2000 - 2 Verg 5/00, NZBau 2000, 462, 463.). Insbesondere war die Bitte um sofortige Bestätigung des Eingangs des Telefax auch nicht als Bitte um Rücksendung eines Empfangsbekenntnisses zu verstehen. Ein solches setzt nicht nur den Eingang einer Sendung, sondern auch die bewusste und gewollte Kenntnisnahme durch den Adressaten voraus. Bei der gewünschten "sofortigen" Bestätigung konnte es daher nur um den Erhalt des Schreibens als solchen gehen. Nicht zuletzt enthielt das Telefax vom 6. März 2009 den ausdrücklichen, fett gedruckten und unterstrichenen Zusatz "vorab". Dieser machte nach dem objektiven Empfängerhorizont nur dann Sinn, wenn der Übermittlung per Fax noch etwas nachfolgen sollte. Dies wiederum konnte ersichtlich nur die formelle Zustellung sein. Etwaige letzte Zweifel wurden dann dadurch beseitigt, dass der Beschluss am 11. März 2009 nochmals übersandt wurde mit dem Zusatz: "Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 2 VwZG - Zustellung an Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte, Körperschaften, Behörden usw. - ".
b) Die Rüge der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe die falsche Verfahrensart gewählt, ist zulässig.
aa) Die Antragstellerin ist antragsbefugt gem. § 107 Abs. 2 BGB.
(1) Sie hat ein Interesse an dem Auftrag. Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie im Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben hat und ihre Rechte als Bieterin im Nachprüfungsverfahren verfolgt.
(2) Mit ihrem Vortrag, die Antragsgegnerin habe keine vergaberechtskonforme Verfahrensart gewählt, macht sie eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend.
(3) Die Antragstellerin hat auch ausreichend dargelegt, dass ihr aus der geltend gemachten Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden zu entstehen droht. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist dies nicht etwa im Hinblick darauf zu verneinen, dass die Antragstellerin an dem Verhandlungsverfahren teilgenommen hat und sie dementsprechend ein Angebot abgeben konnte. Ein (drohender) Schaden im Sinn des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ist bereits dann zu bejahen, wenn durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des antragstellenden Bieters auf den Zuschlag zumindest verschlechtert worden sein können. An die Darlegung sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschl. v. 29. Juli 2004 - 2 BvR 2248/03, zit. n. Juris Rz. 28). Nicht erforderlich ist, dass der behauptete Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften tatsächlich vorliegt und den behaupteten Schaden auslöst oder auszulösen droht (BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004 - X ZB 7/04, zit. n. Juris Rz. 21). Kommt nach der Darstellung der Antragstellerin die Aufhebung des eingeleiteten Vergabeverfahrens in Betracht, so liegt es ohne weitere Darlegung auf der Hand, dass als Folge der anstatt der Aufhebung gewählten Vorgehensweise des Auftraggebers dem Bieter ein Schaden zu entstehen droht (BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06, zit. n. Juris, Rz. 30).
So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin rügt, dass die Antragsgegnerin statt des Verhandlungsverfahrens das offene Verfahren habe wählen müssen. Sie macht geltend, in ihren Rechten dadurch verletzt zu sein, dass die Antragsgegnerin auf ihre Rügen hin das Vergabeverfahren nicht aufgehoben habe. Dieser Vortrag genügt den Anforderungen des § 107 Abs. 2 S. 2 GWB. Das Unterlassen einer zwingend gebotenen Aufhebung des Vergabeverfahrens stellt eine Verletzung der Bieterrechte im Sinn des § 107 Abs. 2 GWB i. V. m. § 97 Abs. 7 GWB dar. Liegen die behaupteten Verstöße vor und besteht der Bedarf bei der Antragsgegnerin fort, so ist die Neuausschreibung Folge der Aufhebung. Die Antragstellerin hätte die Chance, sich an der erneuten Ausschreibung mit einem dieser Ausschreibung entsprechenden Angebot zu beteiligen (vgl. BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06, zit. n. Juris Rz. 30. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. April 2008 - VII Verg 2/08, zit. n. Juris Rz. 31). So ist es zum Beispiel durchaus möglich, dass die Antragstellerin ein erneutes Angebot im offenen Verfahren (nochmals) preislich überarbeitet oder ihr Angebot aus anderen (Preis oder Wertungs)Gründen besser abschneidet als das der Mitbietenden. Daher ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass ihr durch das Absehen von einer Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden zu entstehen droht. Auf die Frage, ob die Antragstellerin den Zuschlag auch bei vergaberechtskonformer Ausschreibung erhalten hätte, kommt es dagegen nicht an.
Der dagegen gerichteten Argumentation der Antragsgegnerin vermag der Senat nicht zu folgen. Die Antragsgegnerin will darauf abstellen, dass die Wahl der falschen Verfahrensart dafür kausal geworden sein müsse, dass sich die Zuschlagschancen der Antragstellerin verschlechtert hätten. Sie meint, dies lasse sich dem Vorbringen der Antragstellerin schon deshalb nicht entnehmen, weil diese sich an dem Verfahren beteiligt habe und nicht erkennbar sei, dass sie bei einem offenen Verfahren besser abgeschnitten hätte. Dies verkennt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen Vergabevorschriften besteht darin, dass die Antragsgegnerin beabsichtigt, der Beigeladenen den Zuschlag auf der Grundlage eines unzulässigen Verhandlungsverfahrens zu erteilen. Würde sie - wie es bei dem gegebenen Sachstand geboten wäre - stattdessen das Verfahren aufheben, hätte die Antragstellerin die Chance, in einem neuen Verfahren den Zuschlag zu erhalten. Es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 107 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerheblich. Vielmehr reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften aus (BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06 - zit. n. Juris, Rz. 31, unter Hinweis auf die soeben angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
bb) Ihrer Rügepflicht nach § 107 Abs. 3 GWB ist die Antragstellerin nachgekommen.
Die Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgte am 25. Juli 2008. Teilnahmeanträge waren bis zum 1. September 2008 einzureichen. Bereits mit Schreiben vom 8. August 2008 (Anl. Bf 4) rügte die Antragstellerin die gewählte Verfahrensart. Mit Schreiben vom 5. September 2008, bei der Antragstellerin eingegangen am 9. September 2008, übersandte die Antragsgegnerin die Aufforderung zur Angebotsabgabe mit den dazu gehörigen Unterlagen. Nach Prüfung des Leistungsverzeichnisses und der übrigen Vergabeunterlagen wiederholte die Antragstellerin die Rüge in ihrem Schreiben vom 15. September 2008 (Anl. Bf 8), eingegangen bei der Antragsgegnerin am 18. September 2008. Gegen die Rechtzeitigkeit der Rüge bestehen vor diesem Hintergrund keine Bedenken.
2. Die Rüge ist nach Auffassung des Senats auch begründet.
Die Antragstellerin beanstandet zu Recht, dass die Antragsgegnerin bei der Wahl des Verhandlungsverfahrens gegen § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB verstoßen habe.
Diese Vorschrift schreibt öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich das offene Verfahren vor, "es sei denn, aufgrund dieses Gesetzes ist etwas anderes gestattet." Die Wahl zwischen den Verfahrensarten steht gemäß § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB nur Auftraggebern zu, die "unter § 98 Nr. 4 fallen " (Tätigkeit im Bereich der Trinkwasser oder Energieversorgung, des Verkehrs, der Telekommunikation). Zu diesen gehört die Antragsgegnerin nicht. Maßgeblich ist daher der Grundsatz in Satz 1. Die Voraussetzungen, unter denen in den Fällen des Satzes 1 ausnahmsweise das Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zulässig ist, sind in § 3 a Nr. 1 Abs. 5 VOL/A geregelt, worauf § 97 Abs. 6 GWB und § 4 Abs. 1 VGV verweisen.
a) Die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 1 Abs. 5 Buchst. b VOL/A, auf die sich die Antragsgegnerin stützt, liegen nicht vor. Die Vorschrift setzt voraus, dass "es sich um Liefer oder Dienstleistungsaufträge handelt, die ihrer Natur nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige Festlegung eines Gesamtpreises nicht zulassen". Derartiges ist indes bisher in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - nur bei hochkomplexen IT-Leistungen, schwierigen Entsorgungsleistungen, komplizierten Dienstleistungen aus dem Finanzwesen bzw. der Unternehmensberatung angenommen worden, insbesondere in den Fällen, in denen bestimmte Leistungen erst im Laufe des Verfahrens entwickelt werden können/sollen (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 12. Juli 2001, 1 VK 12/01, zit. n. Juris, Rz. 49/50. Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 3 a, Rz. 80 m. w. N.). Ein vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist es im vorliegenden Fall möglich, im offenen Verfahren Angebote mit Preisen abzugeben, die vergleichbar sind. Die Antragsgegnerin hat sich in der Lage gesehen, von vornherein ein differenziertes Leistungsverzeichnis zu erstellen, in dem die nachgefragten Leistungen im einzelnen beschrieben sind. Dabei hat sie - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen erörtert - die Eigenschaften eines jeden ihr bekannten marktgängigen Systems in allen Einzelheiten abgebildet und zusätzlich Raum für gleichwertige Alternativen gelassen. Dadurch ergab sich zwar zwangsläufig bei den einzelnen Positionen eine Vielzahl von unterschiedlichen Eintragungsmöglichkeiten. Deshalb handelte es sich aber noch nicht um Alternativpositionen, die es dem Bieter unmöglich machten, vergleichbare bepreiste Angebote zu machen. Für die mit der Situation des - ohnehin begrenzten - Marktes ebenfalls vertrauten Bieter war vielmehr offensichtlich, was genau die Antragsgegnerin beschaffen wollte, nämlich eines der beschriebenen auf dem Markt befindlichen Systeme. Die unterschiedlichen Funktionsparameter in den Einzelpositionen dienten lediglich der produktneutralen Beschreibung und gleichzeitig der Vorbereitung einer ausdifferenzierten Bewertungsmatrix. Dass die verschiedenen Bieter - insbesondere die Antragstellerin und die Beigeladene - unterschiedliche Endoskopiesysteme vertreiben, kann die Antragsgegnerin nicht dazu verpflichten, sich vor einer Ausschreibung bereits für ein System zu entscheiden. Dieser Umstand kann auch nicht ausreichen, um ein Verhandlungsverfahren zuzulassen. Denn anderenfalls könnte wegen der Produktvielfalt in den meisten Bereichen nahezu in jeder Ausschreibung von Lieferungen vom Grundsatz des offenen Verfahrens abgewichen werden und würde die Ausnahme zur Regel. Hier ist auch nicht ersichtlich, dass es der Antragsgegnerin in irgendeiner Weise auf die Entwicklung einer Leistung im Laufe des Verfahrens angekommen wäre. Sie wusste vielmehr sehr genau, welche Anforderungen die Endoskopiesysteme erfüllen sollten und war daher auch in der Lage, die gewünschte Leistung von Beginn des Verfahrens an konkret zu beschreiben. Dementsprechend ist den Ausschreibungsunterlagen der Antragsgegnerin genauso wie den Angebotsunterlagen der Antragstellerin zu entnehmen, dass Einzel und Gesamtpreise angeboten wurden. Keiner der Beteiligten hat im Übrigen erklärt, dass dies nicht möglich sei. Die Antragsgegnerin hat sich sogar in der Lage gesehen, auf der Basis des von ihr erstellten Leistungsverzeichnisses eine für alle Angebote gültige Bewertungsmatrix zu erstellen, was sachlich vergleichbare und preislich eindeutig zu bewertende Angebote voraussetzt.
Unbestritten haben auch keine Verhandlungen über die Leistung im Sinne einer "Entwicklung" stattgefunden, sondern nur Nachbesserungen im Preis - auch dies ein Indiz für das Vorliegen einer beschreibbaren Leistung und der Möglichkeit einer vorherigen Festlegung des Gesamtpreises.
Nicht zuletzt folgt die Möglichkeit der Wahl des offenen Verfahrens auch daraus, dass die Antragsgegnerin die Neubeschaffung der streitgegenständlichen Endoskopiesysteme bereits ein Jahr zuvor im offenen Verfahren ausgeschrieben hatte und sie dieses Verfahren nicht etwa wegen der Unmöglichkeit der Bildung eines Gesamtpreises, der Komplexität der Produkte oder wegen des Eingangs ausschließlich unwertbarer Angebote aufgehoben hat, sondern nur wegen eines erfolgreich gerügten anderweitigen Vergaberechtsverstoßes.
b) Lediglich vorsorglich ist festzustellen, dass auch die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 1 Abs. 5 Buchst. c VOL/A nicht vorliegen, wonach das Verhandlungsverfahren zulässig ist, wenn im Rahmen der Vorschriften über das offene (und nicht offene) Verfahren "vertragliche Spezifikationen nicht hinreichend genau festgelegt werden können". Das von der Antragsgegnerin erstellte Leistungsverzeichnis zeigt im Gegenteil, dass eine solche Festlegung hier ohne Weiteres möglich ist. Das zieht auch die Antragsgegnerin nicht in Zweifel.
c) Da die zulässige Beschwerde begründet ist, müssten die Entscheidung der Vergabekammer (§ 123 Satz 1 GWB) und die Ausschreibung aufgehoben werden. Denn die vergaberechtswidrige Verfahrenswahl stellt einen schwerwiegenden Verstoß dar, der nur auf diese Weise beseitigt werden kann. Das Ermessen der Antragsgegnerin wäre bei der gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. d VOL/A zu treffenden Entscheidung über die Aufhebung der Ausschreibung vorliegend auf Null reduziert (vgl. Prieß in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 8 Rz. 143. Lischka, in Müller/Wrede, VOL/A, 2. Aufl., § 26 Rz. 84).
3. Der danach begründeten Beschwerde kann der Senat nicht stattgeben, weil er damit jedenfalls von der Entscheidung des OLG Koblenz vom 4. Februar 2009 1 Verg 4/08 - abwiche. Die Sache ist deshalb gem. § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.
a) Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 GWB liegen vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht als tragende Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zu Grunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgericht tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (BGHZ 154, 32, 35) [BGH 18.02.2003 - X ZB 43/02].
In der genannten Entscheidung hatte das OLG Koblenz darüber zu befinden, ob die dortige Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt worden war, dass die Auftraggeberin anstatt in einem offenen Verfahrens mit europaweiter Bekanntmachung nur national öffentlich ausgeschrieben hatte. Das OLG Koblenz hat die Beschwerde auch deshalb zurückgewiesen, weil der Nachprüfungsantrag unzulässig gewesen sei. Dazu führt es aus: "Es ist aber nicht ersichtlich und schon gar nicht vorgetragen, dass dieser - für die Zulässigkeitsprüfung als gegeben unterstellte - Vergaberechtsverstoß irgendeine nachteilige Folge für sie (Anm. des Senats: die seinerzeitige Antragstellerin) gehabt haben könnte. ... Die Weigerung der Vergabestelle, die Ausschreibung aufzuheben, ist kein selbständiger Vergabeverstoß, der zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht werden könnte (zit. nach Juris Rn 39, 44).
Würde der Senat dem folgen, könnte er der Beschwerde nicht stattgeben, sondern müsste sie zurückweisen, weil der Nachprüfungsantrag entgegen den Ausführungen zu 1. b) aa) (3) unzulässig wäre. Denn auch im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin, die sich als Bieterin an dem Verfahren beteiligt hat, in diesem Verfahren allein dadurch Nachteile erlitten hat, dass anstelle des Offenen Verfahrens das Verhandlungsverfahren gewählt wurde.
b) Die weiteren von der Antragstellerin erhobenen und im Beschwerdeverfahren noch geltend gemachten Rügen können nicht in Frage stellen, dass ein entscheidungserheblicher Dissens in tragenden Gründen vorliegt. Das mit dem Hauptantrag verfolgte weitestgehende Ziel der Antragstellerin lässt sich nämlich nur durchsetzen, wenn die Rüge der falschen Verfahrensart durchgreift. Soweit die Rügen einzelne Wertungen betreffen, wäre die Ausschreibung nicht aufzuheben, sondern ggf. nur neu zu werten. Soweit die übrigen Rügen dazu führen können, dass die Ausschreibung aufzuheben ist, bliebe für ein erneutes Vergabeverfahren offen, ob ein Verhandlungsverfahren oder ein Offenes Verfahren durchzuführen ist. Nur wenn der Senat über diese Frage entscheidet, steht mit Bindungswirkung auch für eine erneute Vergabe fest, dass diese im Offenen Verfahren durchzuführen ist. Dementsprechend ist es auch die nach § 114 Abs. 1 S. 1 GWB "geeignete Maßnahme", vorrangig über die Verfahrensart zu entscheiden.
c) Mit seiner beabsichtigten Entscheidung setzt sich der Senat auch in Widerspruch zu den Beschlüssen des OLG Düsseldorf vom 16. Februar 2006 - Verg 6/06 - und des Thüringer OLG vom 8. Mai 2008 - 9 Verg 2/08. Ob auch deswegen nach § 124 Abs. 2 GWB vorzulegen wäre, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist gem. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ergangen und deshalb gem. § 124 Abs. 2 S. 3 GWB möglicherweise ungeeignet, eine Vorlagepflicht auszulösen. Der Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts ist ein Vorlagebeschluss an den EuGH und damit möglicherweise keine "Entscheidung" im Sinne von § 124 Abs. 2 S. 1 GWB. Das alles kann indessen dahin stehen, weil nach der hier maßgeblichen Fassung des GWB (s. o. II a. A.) der Bundesgerichtshof auch dann vollständig in der Sache entscheidet, wenn ihm die Sache nur wegen der Differenz zur Entscheidung des OLG Koblenz vorgelegt wird.