Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.07.2009, Az.: 12 WF 132/09
Bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens i.R.d. Prozesskostenhilfe sind die tatsächlich notwendigen Ausgaben maßgeblich; Abzugsfähigkeit berufsbedingter Fahrtkosten bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.07.2009
- Aktenzeichen
- 12 WF 132/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 38045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0709.12WF132.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Soltau - 13.05.2009 - AZ: 13 F 1107/09
Rechtsgrundlagen
- § 115 Abs. 1 ZPO
- § 82 Abs. 2 SGB XII
Fundstelle
- FamRZ 2010, 54-56
Amtlicher Leitsatz
Zum Abzug von berufsbedingten Fahrtkosten bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens bei der PKH
In der Familiensache
...
hat der 12. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 9. Juli 2009
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Soltau vom 13. Mai 2009 teilweise dahin geändert, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Raten auf die bewilligte Prozesskostenhilfe entfällt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 13. Mai 2009 dem Antragsteller für das Ehescheidungsverfahren und die Folgesache Versorgungsausgleich Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm einen Rechtsanwalt beigeordnet. Zugleich hat es angeordnet, dass der Antragsteller auf die bewilligte Prozesskostenhilfe monatliche Raten in Höhe von 75,00 EUR, beginnend mit dem 1. Juni 2009, zu zahlen habe. Die von dem Antragsteller zu zahlenden Raten sind wie folgt berechnet worden:
durchschnittliches Nettoeinkommen | 1.800,00 EUR |
---|---|
berufsbedingte Aufwendungen 5,20 EUR x 40 km | -208,00 EUR |
angemessener Abschlag für Erwerbstätige | -176,00 EUR |
Kosten Unterkunft und Heizung | -460,00 EUR |
Angemessene Versicherungsbeiträge | -98,61 EUR |
Freibetrag für die PKH beantragende Partei | -386,00 EUR |
gezahlter Barunterhalt | -216,00 EUR |
einzusetzendes Einkommen | 255,39 EUR |
daraus folgt eine Rate von | 75,00 EUR |
Gegen diesen Beschluss, der dem Antragsteller nicht zugestellt worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Er erstrebt den Fortfall der Ratenzahlungsverpflichtung wegen höherer Abzüge. Er fahre arbeitstäglich mit dem Pkw 106 km von seinem Wohnort in S. zu seinem Arbeitsort G. bei W. hin- und zurück, bei monatlich 20 Arbeitstagen mithin 2.120 km. Zudem verfüge er über keinen Pkw, sondern habe das Fahrzeug ab März 2009 von seiner Mutter (richtig: von seinen Eltern) für monatlich 360 EUR gemietet.
Das Familiengericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, weil die im Rahmen der Prozesskostenhilfe abzugsfähigen Beträge für Fahrten zur Arbeit nach § 3 Abs. 6 Nr. 2.a der VO zur Durchführung des § 82 SGB XII auf höchstens monatlich 40 Entfernungskilometer à 5,20 EUR begrenzt und damit sämtliche mit der Anschaffung und Unterhaltung eines Fahrzeuges verbundenen Kosten abgegolten seien.
Der Einzelrichter hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Antragsteller hat keine Raten auf die ihm bewilligte Prozesskostenhilfe zu zahlen.
Die Verpflichtung, Raten auf die bewilligte Prozesskostenhilfe zu zahlen, bestimmt sich nach § 115 Abs. 2 ZPO. Dabei sind zunächst die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nach § 115 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Wenn nach Abzug der in § 115 Abs. 1 ZPO genannten Beträge ein 15,00 EUR übersteigender Betrag verbleibt, hat die Partei Raten auf die bewilligte Prozesskostenhilfe zu zahlen.
Der Antragsteller erzielt monatliche Nettoeinkünfte von 1.800 EUR. Gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 a) ZPO sind von dem Einkommen die § 82 Abs. 2 SGB XII genannten Beträge abzusetzen. Nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzuziehen. Hier macht der Antragsteller geltend, er fahre arbeitstäglich 106 km für die Strecke von seinem Wohnort in S. zu seinem Arbeitsort in G. bei W. und zurück. Er verfüge über keinen eigenen Pkw, sondern habe sich einen Pkw von seiner Mutter für 360 EUR monatlich gemietet.
In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, in welcher Weise berufsbedingte Fahrtkosten bei der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 115 ZPO zu berücksichtigen sind.
a)
Nach einer Auffassung ist bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse gem. § 115 ZPO die Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2170-1-4, veröffentlichen bereinigten Fassung, die zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 21. März 2005 (BGBl. I S. 818) geändert worden ist als zwingendes Recht anzuwenden (OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1962; OLG Bamberg, FamRZ 2008, 1541; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 158; MünchKomm-ZPO/Motzer, 3. Aufl., § 115 Nr. 28; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, Rn 258). Nach § 3 Abs. 6 dieser Verordnung sind die Kosten für die Fahrt zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte mit einem monatlichen Betrag von 5,20 EUR je Entfernungskilometer anzusetzen. Jedoch werden nicht mehr als 40 km berücksichtigt. Das Familiengericht ist dieser Auffassung gefolgt und hat die geltend gemachten Fahrtkosten auf einen Betrag von 208,00 EUR begrenzt (5,20 EUR/km x 40 km). Danach wäre die sofortige Beschwerde unbegründet.
b)
Nach einer vermittelnden Auffassung sind neben der Pauschale von 5,20 EUR je Entfernungskilometer die monatlichen Kosten für Kraftfahrzeughaftpflicht und Kraftfahrzeugsteuer zu berücksichtigen (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.08.2008, Az.: 2 Ta 142/08; OLG Celle, 10. Senat, NdsRpflege 2009, 104; OLG Koblenz, FamRZ 2009, 531). Schätzt man diese Kosten auf 40 EUR monatlich (vgl. OLG Celle a.a.O.), würde sich bei Anwendung dieser Auffassung die von dem Antragsteller zu zahlende Rate auf 60,00 EUR monatlich reduzieren.
c)
Nach anderer Auffassung sind die notwendigen Fahrtkosten in entsprechender Anwendung des Pauschbetrages nach Ziffer 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien mit einem Betrag von 0,30 EUR/km anzusetzen (OLG Celle, 18. Senat, OLGR 2009, 324; OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 69; OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 2288; OLG Nürnberg, FamRZ 2008, 1961; Saarländisches OLG, Beschluss vom 26.05.2009, Az.: 9 WF 55/09; OLG Thüringen, Beschluss vom 11.06.2009, Az.: 1 WF 126/09). Nach dieser Ansicht wären bei dem Antragsteller monatliche Fahrtkosten in Höhe von 583,00 EUR zu berücksichtigen (106 km x 220 Arbeitstage : 12 Monate x 0,30 EUR/km). Würde dieser Betrag hier bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit nach § 115 Abs. 1 ZPO angesetzt, dann hätte der Antragsteller keine Raten auf die bewilligte Prozesskostenhilfe zu zahlen. Der Umstand, dass der Antragsteller das Kraftfahrzeug von seinen Eltern für monatlich 360,00 EUR gemietet hat, und diese Kosten bisher unberücksichtigt geblieben sind, ist danach unerheblich.
Der Senat berücksichtigt in ständiger Rechtsprechung bei der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 115 ZPO notwendige berufsbedingte Fahrtkosten in Höhe von 0,30 EUR/km und lehnt es ab, die Höhe dieser Fahrtkosten zu begrenzen. Ausgangspunkt ist, dass gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben zu berücksichtigen sind.
Die Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buchs ist insoweit nicht anwendbar. § 115 Abs. 1 ZPO nimmt lediglich Bezug auf § 82 SGB XII. Auf § 96 SGB XII, der die Ermächtigung zum Erlass der Verordnung enthält, wird in der ZPO nicht verwiesen (Musielak/Fischer, ZPO, § 115 Rn. 11). Zudem hat der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, die Gerichte an das abweichend strukturierte Sozialhilferecht zu binden (vgl. amtliche Begründung zur Neufassung des § 115 ZPO, BT-Drs. 12/6963 S. 12; Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, 9. Aufl., § 115 Rn 33).
Soweit vertreten wird, dass die Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buchs entsprechend anzuwenden sei (Wyrwa/Cavada, FamRZ 1995, 1040), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Maßgeblich sind die tatsächlich notwendigen Ausgaben. Dabei ist auf die aktuellen Kosten abzustellen. Der in der Verordnung genannte Betrag von 5,20 EUR je Entfernungskilometer entspricht ohnehin nicht mehr den tatsächlichen Kosten (Stein-Jonas/Bock, ZPO, 22. Aufl. § 115 Rn 40). Dies ergibt bereits daraus, dass der Betrag seit Jahren von dem Verordnungsgeber nicht mehr angepasst worden ist. So betrug die Pauschale nach der Verordnung zu § 76 BSHG, die der Verordnung zu § 82 SGB XII vorausging, im Jahr 1995 10,00 DM je Entfernungskilometer pro Monat (Wyrwa/Cavada a.a.O.). Mit der Umstellung auf Euro-Beträge ist die Pauschale geringfügig um 1,76% erhöht worden. 10,00 DM entsprechen 5,11 EUR; die Pauschale beträgt jetzt 5,20 EUR. Tatsächlich sind jedoch seit 1995 die Kosten für Kraftstoff und die sonstigen Kosten für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges in einem wesentlich stärkeren Umfang angestiegen. Zudem vermag der Senat keine Rechtfertigung dafür zu erkennen, dass die abzusetzenden Kosten auf 40 Entfernungskilometer begrenzt werden sollen, und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller - wie hier - in einer strukturschwachen Region oder in einem Ballungsgebiet lebt.
Der Senat ist der Auffassung, dass auch im Rahmen von § 115 ZPO je gefahrenen Kilometer der in Ziffer 10.2.2 der Leitlinien genannte Pauschalbetrag von 0,30 EUR je Kilometer anzusetzen ist. Dabei sind mit dieser Pauschale sämtliche Kosten wie Abschreibung, Steuern, Versicherung etc. abgegolten (BGH, FamRZ 2006, 846). Damit lassen sich in Massenfällen, wie der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die wirtschaftlichen Verhältnisse schnell und einfach feststellen. Diese Pauschale ist angemessen. Bei der Feststellung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit findet sie durchgehend Anwendung. Der Senat verkennt zwar nicht, dass grundsätzlich zwischen dem Sozialrecht und dem Unterhaltsrecht zu differenzieren ist. Wenn es jedoch um den Ansatz tatsächlicher Kosten geht, ist es nicht verständlich, warum z.B. gegenüber dem Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder Fahrtkosten mit dem Pauschalsatz von 0,30 EUR/km berücksichtigt werden, wenn gleichzeitig bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein anderer, niedrigerer Satz zur Anwendung kommt.
Somit sind hier die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nach § 115 Abs. 1 ZPO wie folgt festzustellen (dabei sind die ab 1. Juli 2009 geltenden Freibeträge zu berücksichtigen [Bekanntmachung vom 17.06.2009, BGBl. I S. 1340]):
durchschnittliches Nettoeinkommen | 1.800,00 EUR |
---|---|
berufsbedingte Aufwendungen (Fahrtkosten) | -583,00 EUR |
angemessener Abschlag für Erwerbstätige | -180,00 EUR |
Kosten Unterkunft und Heizung | -460,00 EUR |
Angemessene Versicherungsbeiträge | -98,61 EUR |
Freibetrag für die PKH beantragende Partei | -395,00 EUR |
gezahlter Barunterhalt | -216,00 EUR |
einzusetzendes Einkommen | -132,61 |
Da dem Antragsteller ein anrechenbares Einkommen nicht verbleibt, kann ihm eine Verpflichtung zur Zahlung von Raten nicht aufgegeben werden. Demgemäß ist die Ratenzahlungsanordnung aufzuheben.
III.
Gem. § 574 Abs. 3 ZPO ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Die Frage, in welcher Höhe berufsbedingte Fahrtkosten gem. § 115 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sind, ist - wie dargestellt - umstritten. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Da es sich um eine Frage der persönlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe handelt, ist das Rechtsbeschwerdeverfahren zulässig (BGH, FamRZ 2008, 781; BGH, NJW 2003, 1126 [BGH 21.11.2002 - V ZB 40/02]).