Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.11.2003, Az.: 16 U 88/03
Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters wegen nicht bezahlbarer Materialbestellungen; Unvorhersehbarkeit des Eintritts der Masseunzulänglichkeit; Vom Insolvenzverwalter zu führender Entlastungsbeweis; Substantiierte Darlegung der konkreten Grundlagen einer positiven Prognose; Hoffnung auf Mehrung der Masse durch fortschreitende Auftragsabwicklung ; Bewertung der Außenstände nach ihrer Einbringlichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.11.2003
- Aktenzeichen
- 16 U 88/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 31015
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:1118.16U88.03.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
- § 61 InsO
Fundstellen
- NZI 2004, 23 (Kurzinformation)
- NZI 2004, 319-320 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2004, 163-164
- ZInsO 2003, 1147-1148 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 61 Satz 2 InsO muss der Insolvenzverwalter substantiiert darlegen und beweisen, dass er ohne den Ausfall der von ihm prognostizierten Einnahmen in der Lage gewesen wäre, die Neuverbindlichkeiten zu tilgen. Hierzu bedarf es der Darlegung, wann welche fälligen Rechnungen in welcher Höhe nicht bezahlt worden sind. Der Entlastungsbeweis kann jedenfalls nicht als geführt angesehen werden, wenn lediglich geringfügige Außenstände nicht eingetrieben werden konnten.
In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2003
durch
den Vorsitzenden Richter ...,
den Richter ... und
die Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- I.
Die Berufung des Beklagten gegen das am 21. Mai 2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.
- II.
Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.
- III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadensersatz wegen ausgebliebener Zahlungen aus der Lieferung von Baumaterialien.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird insofern gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 25.762,30 EUR nebst Zinsen gegen Abtretung der Ansprüche gegen die Insolvenzmasse verurteilt.
Mit seiner Berufung möchte der Beklagte die Klageabweisung erreichen. Er stellt erstmals in Abrede, die den streitgegenständlichen Rechnungen zu Grunde liegenden Bestellungen in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter überhaupt getätigt zu haben.
Darüber hinaus vertritt er die Ansicht, er habe - selbst wenn die Aufträge von ihm stammten - hinreichend dargelegt, dass er bei der Begründung der Verbindlichkeiten nicht habe erkennen können, dass die Masse zur Erfüllung nicht ausreichen werde. So habe er mit den in der Klageerwiderung vorgelegten Planrechnungen für November und Dezember 2001 sowie für Januar 2002 nachvollziehbar ausgeführt, dass aus damaliger Sicht die Kosten für den Einkauf von Waren und Material gedeckt schienen. Hinzugetreten sei die Gewissheit, dass mit der fortschreitenden Abwicklung der Bauaufträge die Masse weiter gemehrt würde. Auch die Einräumung eines Dispositionskredits in Höhe von 30.000,00 DM seitens der Sparkasse Weserbergland sowie der Umstand, dass die fälligen Rechnungen hauptsächlich von öffentlichen Auftraggebern zu begleichen gewesen seien, habe seine Zuversicht gestärkt. Es sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen, dass die Zahlungen nicht wie geplant eingegangen seien. Dies habe sich erst in der zweiten Hälfte des Dezembers 2001 abgezeichnet. Nachdem Ende Dezember 2001/Anfang Januar 2002 bekannt geworden sei, dass gegen den früheren Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin wegen Umweltvergehen ermittelt werde, hätten die öffentlichen Auftraggeber ihre Zahlungen zurückgehalten und zum Teil noch nicht abgewickelte Aufträge gekündigt. Über die gesamte Entwicklung sei der Geschäftsführer der Klägerin - auch als Mitglied des Gläubigerausschusses - informiert gewesen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie hält das Bestreiten der Auftragserteilungen für unzulässig, verspätet und unerheblich, da der Beklagte diese erstinstanzlich sogar zugestanden habe und sie jedenfalls in seinem Wissen und mit seiner Billigung erfolgt seien.
Der Tatbestand des § 61 InsO sei auch subjektiv erfüllt. Bereits die zeitliche Nähe der Bestellungen zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 4. Februar 2002 spreche für die frühzeitige Erkennbarkeit. Die vom Beklagten vorgelegten Planungslisten seien aus sich heraus nicht verständlich, offenbarten jedoch, dass der Beklagte die nahe liegende Erwägung, dass nicht alle Außenstände bezahlt würden, nicht angestellt habe. Da er darüber hinaus selbst eingeräumt hat, nicht über genügend Personal für die Erstellung der Schlussrechnungen verfügt zu haben, hätten ihm auch aus diesem Grund Zweifel an der Eintreibbarkeit aller Forderungen kommen müssen. Die Einräumung des Kredits besage wegen seines geringen Umfanges nichts. Zudem habe der Beklagte auch nach eigenem Vortrag jedenfalls ab Mitte Dezember keine Aufträge mehr erteilen dürfen, ohne die Unsicherheit über die Zahlungsfähigkeit aufzudecken.
Schließlich hafte der Beklagte auch aus Garantieübernahme in seinen Erklärungen vom 1. und 6. November 2001.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Beklagte auf das Fehlen substantiierten Vortrags zum Fälligkeitszeitpunkt und zum Umfang der ausgebliebenen Zahlungen hingewiesen worden.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht zur Zahlung von Schadensersatz in der tenorierten Höhe verurteilt.
1.
Soweit der Beklagte im zweiten Rechtszug erstmals bestreitet, die den streitbefangenen Lieferungen zu Grunde liegenden Bestellungen in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter getätigt zu haben, ist dies - wie die Klägerin zu Recht ausführt - verspätet gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO und zudem unerheblich, weil die Aufträge jedenfalls mit Wissen und Billigung des Beklagten erteilt worden sind. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass er die Lieferungen als solche erstinstanzlich ausdrücklich zugestanden und in keiner Weise dargetan hat, mit ihnen nicht einverstanden gewesen zu sein (vgl. Bl. 41).
2.
Die Klägerin weist auch zu Recht darauf hin, dass der objektive Tatbestand des § 61 InsO zweifellos erfüllt ist. Dies stellt selbst der Beklagte nicht in Abrede. Schließlich ist es auch eine unbestreitbare Tatsache, dass Neuverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin begründet wurden, die dann wegen Masseunzulänglichkeit nicht befriedigt werden konnten.
3.
Entgegen der Auffassung des Beklagten hat er aber auch nicht hinreichend dargetan und bewiesen, dass er den Eintritt der Masseunzulänglichkeit bei der Begründung der Neuverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin und bei der Entgegennahme ihrer Lieferungen nicht vorhersehen konnte.
So lässt er sich im Wesentlichen dahingehend ein, er habe sich auf die Ende Oktober/Anfang November 2001 erstellten Planrechnungen stützen dürfen, eine Aktualisierung während des streitbefangenen Zeitraums bis circa Mitte Dezember 2001 sei mangels planwidriger Vorkommnisse nicht notwendig gewesen. Die sich erst Mitte/Ende Dezember 2001 langsam abzeichnenden Zahlungsausfälle seien für ihn zuvor nicht absehbar gewesen.
Dieses Vorbringen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch und nicht hinreichend im Sinne des gemäß § 61 Satz 2 InsO erforderlichen Entlastungsbeweises.
Dabei kann dahinstehen, ob dem Beklagten eine Pflichtverletzung im Hinblick auf die unterlassene Aktualisierung der Planrechnungen vorzuwerfen ist und ob er darüber hinaus die Außenstände nach ihrer Einbringlichkeit hätte bewerten müssen, sie mithin nicht als zu 100 % werthaltig in seine Planrechnungen hätte einstellen dürfen (so OLG Karlsruhe, Urt. v. 21. November 2002, 12 U 112/02, ZIP 2003, 267 ff., zitiert nach Juris).
Ebenso wenig kommt es im Ergebnis darauf an, dass der Beklagte selbst einräumt, es habe ihm an Personal für die Erstellung der Schlussrechnungen gefehlt, auch wenn dies ein Umstand ist, der ihm von Anbeginn seiner Verwaltertätigkeit an bekannt gewesen sein muss und der ihn somit eher be- als entlastet.
Jedenfalls nämlich hat es der Beklagte versäumt, substantiiert darzulegen und Beweis dafür anzutreten, dass er ohne die im Januar 2002 zu verzeichnenden Einnahmeausfälle in der Lage gewesen wäre, die streitbefangenen Rechnungen der Klägerin zu bezahlen. Denn nur dann, wenn er im Einzelnen vorgetragen hätte, welche der eingeplanten Außenstände nicht erwartungsgemäß eingegangen sind, wäre eine Überprüfung möglich gewesen, ob und in welchem Umfang seine Planrechnungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für seine Prognose bildeten und ob und in welchem Umfang die ausgebliebenen Zahlungen der Grund dafür waren, dass die Forderungen der Klägerin nicht mehr befriedigt werden konnten. Es liegt nämlich auf der Hand, dass der Entlastungsbeweis dann nicht geführt sein kann, wenn lediglich geringfügige Summen zurückgehalten worden wären, zumal der Beklagte selbst vorgetragen hat, in seinen Planungen sei "noch Luft" gewesen. Für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit ist es daher von grundlegender Bedeutung, wann welche fälligen Rechnungen in welcher Höhe nicht bezahlt worden sind (vgl. hierzu auch OLG Hamm, Urt. v. 16. Januar 2003, 27 U 45/02, NZI 2003, 263 ff., zitiert nach Juris).
Dieser Aspekt ist in der mündlichen Verhandlung seitens des Senats angesprochen und ausführlich erörtert worden, ohne dass indes die erforderliche Substantiierung seitens des Beklagten erfolgt oder ein Antrag auf Schriftsatznachlass gestellt worden ist. Im Übrigen hatte bereits das Landgericht im angefochtenen Urteil bemängelt, dass der Beklagte nicht hinreichend dargetan habe, warum innerhalb der zwischen Anfang/Mitte Dezember 2001 bis Anfang Januar 2002 laufenden Zahlungsfristen der Klägerin ein Ausgleich jedenfalls der ersten Rechnungen nicht zeitnah erfolgt ist (vgl. S. 5 des Urteils, Bl. 75). Ob der Senat im Falle eines dennoch bis zum Verkündungstermin eingegangenen substantiierenden Schriftsatzes die mündliche Verhandlung wiedereröffnet hätte, kann dahinstehen, erscheint - insbesondere im Hinblick auf § 139 Abs. 5 ZPO - allerdings fraglich.
4.
Soweit der Beklagte - im Übrigen neu (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO) - vorträgt, er habe auch die Gewissheit gehabt, dass mit der fortschreitenden Abwicklung der Bauaufträge die Masse weiter gemehrt würde, ist dieses Vorbringen ohne die Angabe konkreter Aufträge und Zahlen ebenfalls unsubstantiiert.
5.
Entsprechendes gilt für die ebenfalls erst in zweiter Instanz erhobene Behauptung, der Geschäftsführer der Klägerin sei ständig über die Entwicklung informiert gewesen. Der Beklagte gibt nicht einmal an, wann und in welcher Weise der Geschäftsführer von ihr über die sich ändernde Liquiditätsentwicklung unterrichtet worden sein soll.
6.
Auf die Frage, ob der Beklagte aus Garantiezusage haftet, kommt es nach dem Vorstehenden nicht mehr an.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO).