Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 06.11.2003, Az.: 14 U 119/03

Grundsätze zur Bemessung eines Schmerzensgeldes; Geeignetheit eines Augenblickversagens als Grund zur Minderung der Höhe des Schmerzensgeldes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.11.2003
Aktenzeichen
14 U 119/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33661
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:1106.14U119.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 23.05.2003 - AZ: 13 O 14/03

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2004, 271-272

In dem Rechtsstreit ...
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2003
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht .......,
des Richters am Oberlandesgericht ....... und
der Richterin am Landgericht .......
fürRecht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. Mai 2003 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000 EUR nebst Zinsen in

Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 8. November 2002 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für die Beklagte: 12.000 EUR.

Gründe

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Die Berufung ist begründet.

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I.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 30. November 2000 ein weiterer Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 12.000 EUR gemäß §§ 847 BGB, 3 Ziffer 1 PflVG zu. Unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 33.233,97 EUR errechnet sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 45.233,97 EUR, der zum Ausgleich der dauerhaften und schwer wiegenden unfallbedingten Verletzungen angemessen ist. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes sind teilweise unzutreffend bzw. lassen sie folgende Gesichtspunkte außer Acht:

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Der Kläger wurde ohne jedes Verschulden Opfer des Unfalls, an den ihn die mit chronischen Schmerzen verbundenen Dauerschäden tagtäglich erinnern. Dabei kann sich ein etwaiges "Augenblicksversagen" des Versicherten der Beklagten keinesfalls schmerzensgeldmindernd auswirken. Er ist zwar im Strafverfahren vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden, weil sich ein Verschulden nicht feststellen ließ. Zum einen spricht jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung beim Abkommen eines Kraftfahrzeugs von der Fahrbahn der Anscheinsbeweis für ein unfallursächliches Verschulden des Fahrers (BGH VersR 1966, S. 693 f.). Zum anderen ist die Berufung auf ein "Augenblicksversagen" kein Grund, ein Verschulden zu verneinen (BGH VersR 2003, S. 364 f.).

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Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist ferner der drohende Einsatz eines künstlichen Kiefergelenks zu berücksichtigen. In der Berufungsinstanz steht außer Streit, dass die Operation nur noch eine Frage der Zeit ist. Maßgeblich für die

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Höhe des Schmerzensgeldes sind nicht nur Schäden, die sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits realisiert haben, sondern alle Verletzungsfolgen, die bei Erlass der Entscheidung vorhersehbar sind (BGH NJW 1976, S. 1149 f.). Lediglich solche Folgen, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines unfallursächlichen Körperschadens des Verletzten beauftragter Sachverständiger nicht zu denken braucht, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eintreten, sind vom Streitgegenstand eines Schmerzensgeldprozesses nicht erfasst (BGH, VersR 1980, S. 975 f.). Danach hätte das Landgericht der in erster Instanz streitigen Behauptung des Klägers, möglicherweise zukünftig ein künstliches Kiefergelenk zu bekommen, nachgehen müssen. Unabhängig davon ist der Berufung auch darin zuzustimmen, dass bereits die Sorge, sich einer derartigen Operation unterziehen zu müssen, eine schmerzensgeldrelevante psychische Belastung darstellt.

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Weiterhin hat das Landgericht die durch Gutachten belegten und unstreitigen Verletzungen nicht umfassend in die Bewertung eingestellt: So geht schon aus dem kieferchirurgischen Gutachten von Prof. Dr. Dr. G ....... vom 31. Mai 2002 hervor, dass der Kläger unfallbedingt den Zahn 35 verloren hat, der durch ein Implantat zu ersetzen ist (Bl. 9, Bl. 27 d. A.). Unbestritten trägt die Berufungsbegründung vor, die - schmerzhafte - Implantatbehandlung habe im Dezember 2002 begonnen. Dieser Vortrag ist nicht verspätet, weil der Zahnverlust und die Implantatbehandlung schon aufgrund des kieferchirurgischen Gutachtens hätte berücksichtigt werden müssen.

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Schmerzensgelderhöhend fällt ferner ins Gewicht, dass der Kläger unter dauerhaften Schmerzen im Kiefergelenk leidet (Bl. 2 und 8 des Gutachtens G ......., Bl. 20 und 27 d. A.). Nach dem fachchirurgischen Gutachten von Prof. Dr. D ....... vom 12. März 2002 (Bl. 10 ff. d. A.) hat der Kläger außerdem chronische Schmerzen in den unteren Sprunggelenken und Mittelfußwurzelgelenken rechts. Zudem besteht eine chronische behandlungsbedürftige Fistelbildung an der rechten Ferse (Bl. 7, Bl. 16 d. A.).

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Ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 45.000 EUR bewegt sich auch im Rahmen der Vergleichsrechtsprechung. So hat das Oberlandesgericht Schleswig durch Urteil vom 11. November 1992 45.000 EUR und einen immateriellen Vorbehalt bei einem Schädelhirntrauma, schweren Mittelgesichts- und Kieferfrakturen mit Verlust von fünf Zähnen, einer Hüftpfannen- und Beckenfraktur links sowie einer Nervenschädigung am linken Bein zugesprochen (Nr. 2663 der Schmerzensgeldtabelle Hacks/Ring/Böhm, 21. Aufl.). Diese Verletzungen sind mit denen des Klägers vergleichbar.

9

Demgegenüber können die von der Beklagten zitierten Urteile aus der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, 21. Aufl., zu Nr. 2010 (Landgericht

10

München vom 26. Januar 1993: 12.500 EUR für eine Fersenbein-, Unterkiefer- und Nasenbeinfraktur, die Beschädigung zweier und den Verlust von weiteren Zähnen), Nr. 2112 (Landgericht Hechingen vom 23. Juli 1993: 15.000 EUR für ein Schädelhirntrauma mit Gehirnerschütterung, Jochbogenabriss-, Kieferhöhlen- und Orbitabodenfraktur sowie Fraktur des oberen Sprunggelenks), Nr. 2124 (Landgericht Münster vom 1. September 1994: 15.000 EUR für eine offene Unterschenkelfraktur mit Weichteildefekt, Schädelprellung und Schädigung der Zähne) und Nr. 2260 (Oberlandesgericht Hamm vom 21. September 1994: 17.500 EUR für eine Vielzahl von Frakturen und den Verlust mehrerer Zähne) auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Für die letztgenannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gilt dies bereits deshalb, weil den Geschädigten dort 1/3 Mitverschulden traf. Zudem liegen die Entscheidungen 9 bzw. 10 Jahre zurück und können daher keine Obergrenze für ein heute auszuurteilendes Schmerzensgeld sein. Da es Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes ist, einen angemessenen Ausgleich in Geld für erlittene Schmerzen zu schaffen, muss in die Bemessung vielmehr auch die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten einfließen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Senat in ständiger Rechtsprechung der Empfehlung des Deutschen Verkehrsgerichtstags folgt, die bisher zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge angemessen zu erhöhen.

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II.

Die zugesprochenen Zinsen auf das Schmerzensgeld stehen dem Kläger aus §§ 286, 288 BGB zu.

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III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 ZPO (Kosten) und 708 Ziffer 10, 713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).

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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor,§ 543 ZPO.