Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 26.11.2003, Az.: 7 U 104/03
ausreichende Bestimmtheit; ausschließliche Zuständigkeit; Ausschließlichkeit; Bestimmtheitserfordernis; EG; EU; Gerichtsstandsvereinbarung; hinreichend bestimmter Inhalt; hinreichende Bestimmtheit; internationale Zuständigkeit; objektiver Inhalt; Parteiwille; Prorogation; Zuständigkeitsvereinbarung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 26.11.2003
- Aktenzeichen
- 7 U 104/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48604
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - 16.04.2003 - AZ: 22 O 169/02
Rechtsgrundlagen
- Art 23 Abs 1 EGV 44/2001
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Anforderungen an eine ausreichende Bestimmtheit einer Gerichtsstandsvereinbarung i.S.d. Art. 23 EuGVVO.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. April 2003 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover geändert:
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer für die Klägerin über 20.000 €
Gründe
I.
Die Klägerin, eine in A. (Italien) ansässige, der deutschen GmbH vergleichbare Firma, stellt Tapeten her. Die Beklagte befasst sich ebenfalls mit der Produktion von Tapeten und Tapetenkleister und handelt damit.
Die Parteien schlossen unter dem 16. Juni 2000 einen schriftlichen Vertrag, demzufolge die Beklagte die Produkte der Klägerin im Rahmen einer Exklusivvereinbarung u. a. in den osteuropäischen Staaten wie Tschechien, Slowakei, Rumänien, Bulgarien und den ehemaligen GUS-Staaten vertreiben sollte. In Ziff. 11 des Vertrages vereinbarten die Parteien unter „Streitigkeiten“:
„Gerichtsstand ist Internationales Handelsgericht in Brüssel“.
Im Laufe des Jahres 2001 lieferte die Klägerin der Beklagten ca. 14.000 Tapetenrollen zu einem Gesamtwert von 52.304,85 €, die die Beklagte an ihre Kunden weiterverkaufte. Zahlung leistete sie nicht.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2001 rügte sie gegenüber der Klägerin, diese habe direkten Kontakt mit ihren (der Beklagten) Kunden in Polen und Russland aufgenommen, was dazu geführt habe, dass diese Firmen ihre Bestellungen bei ihr (der Beklagten) gestoppt hätten. Mit Schreiben vom 20. Juli 2001 wiederholte sie diese Rüge und erklärte, aus diesem Grunde die Rechnungen der Klägerin nicht ausgleichen zu wollen.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2001 wandte sich die Beklagte dann erneut an die Klägerin. Sie nahm Bezug auf eine Besprechung der Parteien, die sie dahin bestätigte, man habe sich darauf verständigt, den Rechnungsbetrag auf 60 % auf 60.298,55 DM zu reduzieren. Sie bat die Klägerin um Abzeichnung und Rücksendung dieses Schreibens.
Diese übergab daraufhin die Angelegenheit ihrer Kreditversicherung, der E.- S., die den vollen Rechnungsbetrag mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 gegenüber der Beklagten anmahnte. Dies wiederholte sie mit Schreiben vom 16. Mai 2002, wobei sie jeweils darauf hinwies, die Beklagte könne entweder direkt beim Lieferanten oder bei ihr, der E.- S., zahlen.
Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Mai 2002. Sie verwies auf eine Besprechung der Parteien vom 11. September 2001, bei der es wegen Minderqualität der gelieferten Tapeten zu einer Reduzierung der Verbindlichkeit um 40 % gekommen sei. Außerdem habe die Klägerin die Exklusivvertretungsvereinbarung verletzt.
Die Klägerin hat behauptet, die von ihr gelieferte Ware sei mangelfrei gewesen. Im Übrigen komme es darauf aber auch nicht an, da die Beklagte angebliche Mängel nicht rechtzeitig gerügt habe. Sie habe nicht gegen die Exklusivvertretungsvereinbarung mit der Beklagten verstoßen. Sie habe lediglich wegen der schleppenden Entwicklung der Bestellungen der Beklagten für den osteuropäischen Markt dort eine Markterhebung durchführen lassen und dabei in der Tat Kontakt zu einigen Kunden der Beklagten aufgenommen, die zu diesen Zeitpunkten jedoch bereits keine Bestellungen mehr bei der Beklagten getätigt hätten.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Gerichtsstandvereinbarung in Ziff. 11 des Vertrages der Parteien vom 16. Juni 2000 die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes gerügt. Sie hat ferner eingewandt, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, denn deren Versicherung habe den Rechnungsbetrag ausgeglichen, wodurch es zu einem Forderungsübergang gekommen sei. Sie hat behauptet, die von der Klägerin gelieferten Tapeten hätten nicht der Qualität der Musterbücher der Klägerin entsprochen und hat hierzu das Privatgutachten D. vom 11. März 2003 (hintere Aktenhülle) vorgelegt, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Eine sofortige Prüfung nach der Lieferung der Waren seitens der Klägerin an sie sei ihr nicht zumutbar. Die einzelnen Lieferungen seien nämlich kundenspezifisch bereits kommissioniert und mit Schutzfolien verpackt gewesen. Von den Mängeln habe sie daher erst durch die Rügen ihrer eigenen Kunden erfahren.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, die Parteien hätten sich bei einer Besprechung am 11. September 2001 verbindlich darauf geeinigt, wegen der vorhandenen Mängel den Kaufpreis auf 60 % des Rechnungsbetrages zu kürzen. Sie selbst habe ihren Lieferanten Nachlässe bis zu 70 % gewähren müssen.
Sie hat zudem hilfsweise die Aufrechnung erklärt mit einem Schadensersatzanspruch, den sie damit begründet hat, ihr seien durch die Verletzung der Exklusivliefervereinbarungen mit der Klägerin in der Folgezeit Geschäfte entgangen, die zu einem Gewinnverlust von 205.913,16 € geführt hätten.
Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung seine Zuständigkeit bejaht. Es hat die Gerichtsstandvereinbarung der Parteien für nicht hinreichend bestimmt erachtet. Die Klägerin sei aktivlegitimiert. Bei dem Treffen vom 11. September 2001 sei es schon nach dem Vorbringen der Beklagten nicht zu einer endgültigen Einigung der Parteien gekommen. Das Schreiben vom 5. Oktober 2001 stelle dementsprechend lediglich ein Angebot an die Klägerin dar, das diese nicht angenommen habe. Weitergehende Rechte aus der gerügten Mangelhaftigkeit der Waren habe die Beklagte verloren, da sie nicht rechtzeitig gerügt habe. Eine Hilfsaufrechnung sei nach italienischem Recht unzulässig.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft, insbesondere ihre Zuständigkeitsrüge sowie die Rüge fehlender Aktivlegitimation der Klägerin aufrechterhält.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage - vorrangig als unzulässig - abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Sie verweist darauf, ein internationales Handelsgericht in Brüssel existiere nicht. Dort gebe es vielmehr lediglich einen Schiedsgerichtshof, der - unstreitig - lediglich für die Prüfung gesetzeskräftiger Rechtsnormen im Rahmen von Nichtigkeitsklagen bzw. präjudiziellen Fragen zuständig sei. Das weiter vorhandene Tribunal de Commerce sei - was ebenfalls unstreitig ist - kein internationales, sondern ein nationales belgisches Handelsgericht.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen Ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Landgericht hat zu Unrecht seine Zuständigkeit für die Entscheidung des Rechtsstreites bejaht.
1. Die an sich gegebene internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 2 und 60 EuGVVO greift nicht, weil die Parteien eine wirksame Gerichtsstandvereinbarung getroffen haben, Art. 23 EuGVVO (diese neue Vorschrift gilt nach Art. 66, 76 EuGVVO - Stichtag 1. März 2002 - bereits für die vorliegende Klage).
Eine derartige Gerichtsstandvereinbarung zwischen den Parteien ist grundsätzlich zulässig. Beide Parteien haben ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates. Sie haben die Zuständigkeit eines Gerichtes eines Mitgliedsstaates für künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis, nämlich dem Vertrag vom 16. Juni 2000, entspringende Rechtsstreitigkeit schriftlich vereinbart.
Gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO ist das vereinbarte Gericht ausschließlich zuständig. Anders als im nationalen deutschen Recht besteht die Vermutung der Ausschließlichkeit (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 23. Aufl., Art. 23 EuGVVO Rn. 42). Innerhalb seines Anwendungsbereiches verdrängt Art. 23 das nationale Recht vollkommen (Zöller a. a. O., Rn. 32).
Das Landgericht hat die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien zu Unrecht als nicht hinreichend bestimmt angesehen. Das Bestimmtheitserfordernis darf nicht zu streng ausgelegt werden ( Zöller a.a.O. Rn. 37). Das als zuständig vereinbarte Gericht muss sich nicht schon aus dem Wortlautes der Gerichtsstandsvereinbarung bestimmen lassen. Das Gericht muss in der Klausel nicht einmal ausdrücklich genannt, es muss lediglich bestimmbar sein. Nach der Entscheidung des EuGH vom 9. November 2000 (NJW 2001, 501 ff) genügt es, wenn die Klausel die objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien bei der Bestimmung des Gerichtes, das entscheiden soll, geeinigt haben. Die Kriterien müssen allerdings so genau sein, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist. Sie können durch die besonderen Umstände des jeweiligen Falles konkretisiert werden.
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist das von den Parteien als für die Entscheidung als zuständig gewollte Gericht bestimmbar.
Die Parteien wollten eindeutig weder die Zuständigkeit nationaler italienischer oder deutscher Gerichte vereinbaren, sondern die eines EU-Drittstaates, hier Belgien. Dabei haben sie sich hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit auf das Handelsgericht und in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit auf Brüssel verständigt. Tatsächlich gibt es auch ein Handelsgericht in Brüssel, nämlich das Tribunal de Commerce. Dieses Gericht ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites zuständig.
Dem steht nicht entgegen der Zusatz „Internationales“. Das Tribunal de Commerce ist zwar 'lediglich' ein nationales Handelsgericht, ohne eine spezielle, insbesondere ausschließliche Zuständigkeitszuweisung für internationale Streitigkeiten. Es ist nach dem internationalen Privatrecht aber auch für internationale Streitigkeiten zuständig und erfüllt damit alle objektiv in der Formulierung des § 11 des Vertrages vom 16. Juni 2000 zu Tage getretenen Kriterien, die die Parteien an das als zuständig vereinbarte Gericht stellen wollten.
Unschädlich ist die jedenfalls auf Seiten der Beklagten nach der Erklärung ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorhandene Fehlvorstellung, es handele sich bei den Tribunal des Commerce um eine Art Europäischen Gerichtshof für Handelssachen. Zwar ist nach der Entscheidung des EuGH vom 24. Juni 1996 zur Auslegung von Gerichtsstandvereinbarungen gemäß Art. 17 VollstrZustÜbk (Az. 22/85), der von Art. 23 EuGVVO abgelöst worden ist, auch der Parteiwille zu beachten. Auch dies führt jedoch zur Feststellung der ausschließlichen Zuständigkeit des Tribunal de Commerce in Brüssel.
Die Parteien wollten die Zuständigkeit der Gerichte ihrer beiden Heimatstaaten derogieren, um dem jeweils anderen Vertragspartner keinen 'Heimvorteil' zukommen zu lassen. Sie haben statt dessen die Zuständigkeit des Gerichtes eines EU-Drittstaates vereinbart, das für Handelssachen zuständig, deshalb besonders sachkundig ist, und das eine internationale Zuständigkeit hat. All diese Voraussetzungen erfüllt das Tribunal de Commerce in Brüssel.
Dieses Gericht hat zudem auch über das Übliche hinausgehende Bezüge zum internationalen Handel. So ist z.B. die „Europäische Wirtschaftskammer für Handel, Gewerbe und Industrie“, eine international tätige regierungsunabhängige Organisation dort registriert.
Die Parteien konnten im übrigen die erstinstanzliche Zuständigkeit eines dem EuGH vergleichbaren Gerichtes - unabhängig von der Frage, ob es überhaupt existiert - gar nicht zulässig vereinbaren. Soll gleichwohl dem Parteiwillen Rechnung getragen werden, so ist im Rahmen der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung aller vorstehend aufgeführten objektiven Anforderungen, die die Parteien an das für die Entscheidung des Rechtsstreites als zuständig gewollte Gericht stellen und die das Handelsgericht in Brüssel erfüllt, ohne Zweifel festzustellen, die Parteien hätten bei Kenntnis aller Umstände die Zuständigkeit eben dieses Gerichts vereinbart. Die Klägerin hat bislang Entgegenstehendes nicht vorgetragen und insbesondere nicht dargetan, welches andere Gericht als das Handelsgericht Brüssel sie habe vereinbaren wollen.
Nach alledem sind deutsche Gerichte unzuständig. Gemäß Art. 23 Abs. 3 EuGVVO dürfen sie damit nicht entscheiden. Gemäß Art 25, 26 EuGVVO hat sich das angerufene Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Eine Verweisung kommt bei internationaler Unzuständigkeit nicht in Betracht (Zöller a. a. O. Art. 26 EuGVVO Rn. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 543 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls.