Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 23.02.2005, Az.: S 14 RA 56/03
Streit um die Verrechnung einer Altersrente mit einer Forderung aus Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gegenüber dem Rentenberechtigten; Beachtung der Pfändungsgrenzen bei der Verrechnung eines Beitragsanspruchs gegen eine Rentenleistung
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 23.02.2005
- Aktenzeichen
- S 14 RA 56/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 45469
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2005:0223.S14RA56.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 SGB I
- § 52 SGB I
- § 54 Abs. 4 SGB I
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 7.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.2.2003 wird insoweit aufgehoben als der verrechnete Betrag die Pfändungsgrenze nach § 54 Abs. 4 SGB Iübersteigt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beigeladene trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Streitig ist eine von der Beklagten durchgeführte Verrechnung zu Gunsten der Beigeladenen.
Mit Bescheid vom 30. April 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Schwerbehinderung.
Mit Schreiben vom 7. August 2002 wandte sich die Beigeladene an die Beklagte und teilte mit, dass sie gegenüber dem Kläger eine Forderung aus Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 14.372,77 EUR habe. Sie ermächtigte die Beklagte, diese Forderung gegen die Rentenleistung zu verrechnen.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 21. August 2002 mit, dass sie von der Beigeladenen ermächtigt worden sei, eine Forderung von 14.372,77 EUR gegen die laufende Rente zu verrechnen. Sie verwies darauf, dass laufende Geldleistungen nach § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bis zu deren Hälfte verrechnet werden könnten, soweit es sich bei den Ansprüchen gegen den Berechtigten um zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen oder Beitragsansprüche handele. Durch die Verrechnung dürfe keine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzesüber die Hilfe zum Lebensunterhalt eintreten. Sie teilte ihre Absicht mit, für die Verrechnung von der laufenden Rentenleistung monatlich die Hälfte von derzeit 550,94 EUR einzubehalten. Sie räumte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungsnahme insbesondere dazu ein, ob er durch die angekündigte Verrechnung sozialhilfebedürftig werde.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2002 setzte die Beklagte den monatlich zu verrechnenden Betrag auf 555,31 EUR ab 1. November 2002 fest. Zur Begründung führte sie aus, die Auf- bzw. Verrechnung werde nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten. Der Kläger habe im Anhörungsverfahren gegen die Verrechnung keine Bedenken vorgetragen. Durch die Verrechnung trete keine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzesüber die Hilfe zum Lebensunterhalt ein.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und verwies darauf, dass durch die Verrechnung die Pfändungsgrenzen verletzt würden. Er reichte eine Zahlungsvereinbarung mit der Beigeladenen ein, in der die Forderung auf 9.000,- EUR reduziert und eine Ratenzahlung in Höhe von 250,- EUR monatlich beginnend ab 15. Januar 2003 vereinbart wurde. Eine Restzahlung sollte am 15. Dezember 2003 in Höhe von 6.250,- EUR erfolgen. Auf Nachfrage teilte die Beigeladene der Beklagten mit, dass diese Vergleichsvereinbarung nicht zu Stande gekommen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In ihrer Begründung führte sie aus, laufende Geldleistungen der Beklagten, z.B. Renten, könnten nach § 51 Abs. 2 SGB I bis zu deren Hälfte verrechnet werden, soweit es sich bei den Ansprüchen gegen den Berechtigten um zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen oder Beitragsansprüche handele und der Leistungsberechtigte aufgrund der Aufrechnung nicht sozialhilfebedürftig werde. Die Pfändungsgrenzen des § 580 c der Zivilprozessordnung (ZPO) seien daher insoweit unbeachtlich. Gegen die Rente würden ab 1. März 2003 monatlich 555,31 EUR verrechnet. Er erhalte deshalb von diesem Zeitpunkt an nur noch 722,95 EUR monatlich.
Am 24. März 2003 hat der Kläger Klage erhoben.
Er vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Anspruch der Beigeladenen nicht um einen für eine Verrechnung geeigneten Beitragsanspruch handele. Es handele sich hier um einen Schadensersatzanspruch und nicht um einen Beitragsanspruch. Die Voraussetzungen für eine Durchgriffshaftung sei nicht gegeben. Er sei zudem nicht in der Lage, den von der Beigeladenen geforderten Betrag zu zahlen. Auch die Vereinbarung mit der Beigeladenen könne er jetzt nicht mehr umsetzen, da sich seine finanziellen Verhältnisse seit Abschluss der Vereinbarungen geändert hätten. Er lebe mittlerweile von seiner Ehefrau getrennt und müsse mit monatlichen Unterhaltsansprüchen rechnen, sobald seine Ehefrau, was absehbar sei, arbeitslos werde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass der Kläger durch die vorgenommene Verrechnung nicht sozialhilfebedürftig werde. Zwar könnten grundsätzlich die Sozialversicherungsbeiträge nicht mit den Leistungsansprüchen des Geschäftsführers einer GmbH aufgerechnet werden, da die GmbH selbst der Beitragsschuldner sei. Der Geschäftsführer hafte jedoch neben der Gesellschaft für die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge und werde damit Beitragsschuldner, wenn sich seine Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH als Rechtsmissbrauch darstelle. Nach dem Schriftsatz der Beigeladenen habe der Kläger es schuldhaft und unter Verletzung der Strafvorschriften unterlassen, die fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beigeladene abzuführen. Aufgrund dieses Rechtsmissbrauchs komme es zur "Durchgriffshaftung" auf die Leistungsansprüche des Klägers, d.h. die Beitragsschulden gingen auf den Geschäftsführer über. Von einer Verrechnung nach §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I könne daher nicht abgesehen werden. Eine Verrechnung im Rahmen des § 51 Abs. 1 SGB I komme nur in Frage, wenn die "Durchgriffshaftung" nicht vorliege.
Die Beigeladene hat mitgeteilt, dass es sich bei der von ihr geltend gemachten Forderung um eine Schadensersatzforderung auf der Grundlage des § 223 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 a StGB handele. Der Kläger habe als verantwortlicher Geschäftsführer seiner GmbH die Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beigeladene oblegen. Da er diese Beiträge der Beigeladenen als der zuständigen Einzugsstelle vorenthalten habe, sei er vom Amtsgericht I. gemäß § 266 a StGB bestraft worden. Die Beigeladene habe sodann die hinterzogenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch Mahnbescheid des Amtsgerichts J. geltend gemacht. Nach Widerspruch gegen den genannten Mahnbescheid sei die Durchführung des streitigen Verfahrens bei dem Landgericht K. beantragt worden. Es sei dann ein Versäumnisurteil gegen den Kläger ergangen. Über die Forderung, die auch mit dem Versäumnisurteil zivilrechtlich geltend gemacht worden sei, sei mit dem Kläger eine Zahlungsvereinbarung getroffen worden. Diese Zahlungsvereinbarung werden nunmehr als gültig anerkannt und die Beigeladene sei damit einverstanden, wenn die Beklagte zu ihren Gunsten monatlich 250,- EUR verrechne. Im übrigen sei sie damit einverstanden, dass die monatliche Verrechnung so lange ruhe, bis ein etwaiger zu viel verrechneter Betrag ausgeglichen sei.
Die Beklagte hat darauf hin erklärt, sie sei bereit, die Verrechnung mit monatlich 250,- EUR durchzuführen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Die Beklagte ist berechtigt, die der Beigeladenen zustehende Forderung nach § 52 SGB I zu verrechnen. Hierbei hat sie jedoch gemäß § 51 Abs. 1 SGB I die Pfändungsgrenzen nach § 54 Abs. 4 SGB I zu beachten.
Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüche gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind.
Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem SGB kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes bzw. - so die Fassung ab 1. Januar 2005 - wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.
Die Verrechnung hat nach § 51 Abs. 1 SGB I zu erfolgen, denn bei der von der Beigeladenen geltend gemachten Forderung handelt es sich nicht um Beitragsansprüche im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I.
Nach dem insoweit eindeutigen Vortrag der Beigeladenen, der durch die beigebrachten Unterlagen bestätigt wird, handelt es sich bei der Forderung in Höhe von 14.372,77 EUR um eine Schadensersatzforderung, für die ein zivilrechtlicher Titel vorliegt. Den Schadensersatz hat der Kläger zu leisten, weil er als Geschäftsführer der GmbH die von der GmbH zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten hat. Schuldner der Beiträge war jedoch, wie auch die Beklagte einräumt, die GmbH und nicht der Kläger selbst. Der ihm gegenüber geltend gemachte Anspruch ist nicht öffentlich-rechtlicher sondern zivilrechtlicher Natur. Privilegiert nach § 51 Abs. 2 SGB I sind jedoch nur Beitragsansprüche nach dem SGB und damit öffentlich-rechtliche Ansprüche, die nach dem SGB und demnach mit entsprechenden Bescheiden geltend zu machen sind.
Ob die Voraussetzungen einer sog. "Durchgriffshaftung" hier vorliegen, kann dahingestellt sein. Im Falle einer "Durchgriffshaftung" haftet der GmbH-Geschäftsführer unmittelbar für die gegenüber der GmbH bestehenden Beitragsansprüche. Bei Ansprüchen im Rahmen einer "Durchgriffshaftung" handelt es sich wie bei den gegenüber der GmbH bestehenden Ansprüchen um öffentlich-rechtliche Beitragsansprüche, die mit einem Bescheid geltend zu machen sind. Die Beigeladene hat gegenüber dem Kläger jedoch einen solchen Beitragsbescheid nicht erlassen und insoweit einen solchen Beitragsanspruch nicht tituliert und zur Verrechnung gestellt. Gegenstand der Forderung, den die Beigeladene mit Hilfe der Beklagten durchsetzen möchte, ist eindeutig der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch.
Dieser Schadensersatzanspruch wird auch dadurch nicht zu einem öffentlich-rechtlichen Beitragsanspruch, dass die Beigeladene mit dem Kläger darüber eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung getroffen hat. Gegenstand dieser Vereinbarung war unstreitig der im Zivilverfahren erstrittene Schadensersatzanspruch, über den eine Abwicklungsvereinbarung getroffen worden ist. Durch diese Vereinbarung verliert der zu Grunde liegende Anspruch jedoch nicht seinen zivilrechtlichen Charakter.
Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Beklagte berechtigt ist, den von der Beigeladenen geltend gemachten Anspruch gegen die Rentenleistung des Klägers zu verrechnen. Da es sich jedoch nicht um einen Beitragsanspruch nach § 51 Abs. 2 SGB I handelt, ist eine Verrechnung nur möglich, soweit der Anspruch nach § 54 SGB I pfändbar ist. Insoweit hatte die Beklagte für die Vergangenheit und hat für die Zukunft bei der zulässigen Verrechnung die Pfändungsgrenzen zu beachten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei ihr hat das Gericht berücksichtigt, dass die Beklagte lediglich im Auftrag der Beigeladenen und in deren Interesse tätig geworden ist.