Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 22.02.2005, Az.: S 23 SO 29/05 ER
Erstattung der Kosten für in Anspruch genommenes Essen auf Rädern; Abweichende Bemessung der Regelsätze; Unfähigkeit zur Verrichtung von einzelnen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 22.02.2005
- Aktenzeichen
- S 23 SO 29/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 32807
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2005:0222.S23SO29.05ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 SGG
- § 27 Abs. 3 SGB XII
- § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII
- § 41 Abs. 1 SGB XII
- § 42 S. 1 Nr. 1 SGB XII
Fundstelle
- info also 2005, 135-136 (Volltext mit amtl. LS)
Die 23. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg hat
am 22. Februar 2005
durch
den Richter am Verwaltungsgericht C.
beschlossen:
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2005 weiterhin die Kosten für das von ihm in Anspruch genommene Essen auf Rädern bis auf den Eigenanteil von 2 EUR pro Mahlzeit zu erstatten. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, weiterhin die Kosten seiner Versorgung mit "Essen auf Rädern" bis auf einen Eigenanteil zu übernehmen. Der 1925 geborene Antragsteller erhielt von der Antragsgegnerin bis zum 31. Dezember 2004 ergänzend zu einer Altersrente Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz; daneben erstattete die Antragsgegnerin ihm die Kosten für das von ihm in Anspruch genommene "Essen auf Rädern" von etwa 150 EUR monatlich bis auf einen Eigenanteil von 2 EUR pro Mahlzeit.
Zuletzt wurde ihm diese Leistung mit Bescheid vom 19. Januar 2005 für Dezember 2004 gewährt.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2005 gewährte die Antragsgegnerin ihm Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII in Höhe von 301,65 EUR ab dem 1. Januar 2005. Mit "Einstellungsbescheid" vom 2. Februar 2005 teilte die Antragsgegnerin ihm mit, dass eine weitere Kostenübernahme ab dem 1. Januar 2005 nicht mehr möglich sei, da sich auf Grund der Regelsatzerhöhung auch die darin enthaltenen Anteile für Ernährung und die Bedürfnisse des täglichen Lebens erhöht hätten.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, die Erhöhung des Regelsatzes sei zur Pauschalierung der weggefallenen einmaligen Beihilfen gedacht und könne die ihm entstehenden Kosten nicht ausgleichen. Am 10. Februar 2005 hat er sich an das Gericht gewandt. Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen.
Sie bestreitet sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch und trägt vor, bei ihr sei kein konkreter Antrag gestellt worden. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werde der gesamte Bedarf nach Regelsätzen erbracht. Ein Sonderbedarf nach §§ 30 - 34 SGB XII liege nicht vor.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Zulässigkeit des Antrages steht nicht entgegen, dass der Antragsteller es bisher versäumt hat, unter Vorlage der Rechnungen einen konkreten Leistungsantrag bei der Antragsgegnerin zu stellen. Die Antragsgegnerin hat durch ihren "Einstellungsbescheid" bereits verbindlich entschieden, dass sie keine Leistungen mehr für die Versorgung des Antragstellers mit "Essen auf Räder" erbringen will.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsgrund ergibt sich hier daraus, dass der Antragsteller laufende Leistungen zur Deckung seines Lebensunterhaltes begehrt, ohne die sein Einkommen unter das Existenzminimum absinken würde. Auch wenn er der Antragsgegnerin noch keine Essensabrechnungen für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2005 vorgelegt hat, liegt es auf der Hand, dass er selbst die Kosten begleichen muss, um weiterhin mit Essen beliefert zu werden. Nach dem bisher entstandenen Verwaltungsvorgang werden die Leistungen stets nachträglich abgerechnet, so dass die Rechnung für Januar 2005 mittlerweile fällig sein müsste.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist die ihm im Jahr 2004 noch gewährte Hilfe für seine Versorgung mit "Essen auf Rädern" auch nach dem nunmehr geltenden SGB XII weiter zu gewähren.
Nach § 42 SGB XII umfassen die Leistungen der Grundsicherung, auf die der Antragsteller nach § 41 Abs. 1 SGB XII einen Anspruch hat,
- 1.
den für den Antragsberechtigten maßgeblichen Regelsatz nach § 28 ,die angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung entsprechend § 29,
- 2.
die Mehrbedarfe entsprechend § 30 sowie die einmaligen Bedarfe entsprechend § 31,
- 3.
die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend § 32,
- 4.
Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen nach § 34.
Reichen die Leistungen nach Satz 1 nicht aus, um diesen Bedarf des Antragsberechtigten zu decken, können weitere Leistungen als Darlehen entsprechend § 37 erbracht werden.
Der Antragsteller begehrt monatlich wiederkehrende Leistungen, so dass Anknüpfungspunkt für die Leistungsgewährung allein § 42 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 SGB XII sein kann. Nach § 28 Abs. 1 SGB XII wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe nach den §§ 30 bis 34 nach Regelsätzen erbracht. Die Bedarfe werden abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Mit § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII erhält die Vorschrift wie die Vorgängervorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG eine Öffnungsklausel und entspricht nach Einschätzung des Gesetzgebers im Wesentlichen dieser Regelung, konkretisiert jedoch das Merkmal der abweichenden Bemessung der Regelsätze (so die amtliche Begründung, BT- Drucks. 15/1514, abgedruckt bei Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II, § 28 ). Das Individualisierungsprinzip, das auf Grund des Regelsatzprinzips zurücktreten muss, erhält durch diese Ausnahmevorschrift wieder Geltung. Eine Besonderheit des Einzelfalles liegt dann vor, wenn der Hilfesuchende einen laufenden, nicht einmaligen Bedarf geltend macht, der bei der generalisierenden Bemessung der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nicht berücksichtigt worden ist und, weil einzelfallabhängig, auch nicht berücksichtigt werden konnte (vgl. Grube/Wahrendorf, Komm, zum SGB XII, 2005, § 28 Rn. 11). Ein nachweisbar seiner Höhe nach von einem durchschnittlichen Bedarf abweichender Bedarf liegt beispielsweise vor, wenn der Leistungsberechtigte teurere Unter- oder Übergrößen tragen muss ( so die amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs, a.a.O.). Bei Beziehern von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherungsleistungen, denen die Verrichtung von einzelnen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten in Sinne von § 27 Abs. 3 SGB XII nicht möglich ist, ist nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII eine Erhöhung der Regelsatzleistungen vorzunehmen (so Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 27 Rn. 7; offen gelassen für § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG von OVG Münster, Urt. v. 20.3.1991 - 8 A 2093/88 -, FEVS 42, 13). Auch unter der Geltung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG ist angenommen worden, dass bei Personen, die auf eventuell erforderliche Dienste im Haushalt und "Essen auf Rädern" angewiesen sind, eine Ergänzung des Regelsatzes vorzunehmen ist (so für AIDS-Kranke LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 22 Rn. 19m.w.N.).
Bei dem Antragsteller ist daher eine Besonderheit des Einzelfalles anzunehmen, die eine abweichende Bemessung der Regelsätze in der Form gebietet, dass die ihm entstehenden Kosten für "Essen auf Rädern" nach Abzug einer Eigenbeteiligung von 2 EUR weiterhin von der Antragsgegnerin zu übernehmen sind.
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er selbst auf diese Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen angewiesen ist und ihm insoweit ein abweichender Bedarf entsteht. Dies ist von der Antragsgegnerin auch nicht in Abrede gestellt worden. Angesichts der entstehenden Kosten von etwa 150 EUR monatlich kann der Antragsteller auch nicht auf die zum 1. Januar 2005 erhöhten Regelsätze verwiesen werden, zumal diese Erhöhung ihren Grund - wie der Antragsteller zutreffend vorträgt - in der Neukonzeption der Regelsätze hat, die über den bisherigen Umfang hinaus nun auch den wesentlichen Teil der einmaligen Beihilfen umfassen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.