Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 26.01.2005, Az.: S 24 AS 4/05 ER
Voraussetzung der Gewährung von Leistungen für Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 26.01.2005
- Aktenzeichen
- S 24 AS 4/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 31796
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2005:0126.S24AS4.05ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 SGG
- § 23 Abs. 1 SGB II
- § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II
Fundstelle
- ZfF 2006, 254-255
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Jahrgangsfahrt seiner Tochter E. einen Betrag von 250,- Euro zu zahlen. Davon sind 205,- Euro als Zuschuss und der Restbetrag als Darlehen zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. bewilligt.
Der Gegenstandswert wird auf 250,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Beihilfe für ein schulisches "Skiprojekt" seiner Tochter G zu gewähren.
Der Antragsteller bezieht für sich und seine Familienangehörigen, unter anderem seine am ... geborene Tochter E., laufende Leistungen nach dem SGB II, die ihm durch Bescheid der Agentur für Arbeit I. vom 8. Dezember 2004 für den Zeitraum bis zum 31. Mai 2005 bewilligt wurden.
Am 5. Januar 2005 beantragte der Antragsteller eine Beihilfe von 275 EUR für eine Klassenfahrt seiner Tochter E.; diese solle an einem Skiprojekt des Gymnasiums Lüchow teilnehmen, das in der Zeit vom 6. bis zum 12. Februar 2005 in Berchtesgaden stattfinde. Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab, da die Reise in Form einer Projektwoche und somit freiwillig erfolge.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2005 legte der Antragsteller gegen diesen Bescheid Widerspruch ein mit der Begründung, die Schule habe eine Alternativveranstaltung abgelehnt und betont, dass alle Schüler und Schülerinnen teilnehmen sollten; eine weitere Klassenfahrt finde nicht mehr statt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2005 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und führte zur Begründung ergänzend aus, schon dem Informationsschreiben des Projektleiters vom 26. Oktober 2004 lasse sich entnehmen, dass es sich nicht um eine Klassenfahrt im Rahmen eines geschlossenen Klassenverbandes handele, denn das Projekt sei nicht auf die Schüler einer einzelnen Klasse beschränkt, sondern werde für die 11. Klassenstufe und möglicherweise sogar zusammen mit der 12. Klassenstufe angeboten. Auch auf die Freiwilligkeit der Teilnahme sei vom Projektleiter ausdrücklich hingewiesen worden.
Am 19. Januar 2005 hat sich der Antragsteller an das Gericht gewandt. Er trägt vor, es sei am Gymnasium I. Tradition, dass jeweils die komplette 11. Jahrgangsstufe im Winter eine ca. 1-wöchige Klassenfahrt im Form eines Skiurlaubs in Berchtesgaden absolviere. Dies sei die einzige von der Schule angebotene Klassenfahrt. Von den Gesamtkosten in Höhe von 275 EUR habe er bereits 25 EUR angezahlt, könne aber mehr nicht aufbringen. Wenn seine Tochter nicht mitfahren könne, würde sie in der 12. Jahrgangsstufe am Unterricht teilnehmen müssen. Bis auf 2 Mitschüler nähmen alle Schüler der Klassenstufe teil. Der projektleitende Lehrer habe ihm zugesichert, dass sein Tochter noch teilnehmen dürfe, wenn er das Geld bis zum 5. Februar einzahle.
Der Antragsteller beantragt,
wegen der Eilbedürftigkeit ohne mündliche Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner aufzugeben, bis zur Entscheidung in der Hauptsache dem Antragsteller einen Betrag von 250 EUR zur Begleichung der Kosten der Klassenfahrt der Schülerin J. zur Verfügung zu stellen, und ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt ergänzend vor, in der Jahrgangsstufe 11 gebe es keine Klassen im herkömmlichen Sinne, sondern das Kurssystem, durch das die bis zur 10. Klasse existierenden Klassenverbände ohnehin auseinander gerissen würden. Die "Integration" sei in einem Jahrgangsverband auf Grund der erheblich größeren Schülerzahl nicht mehr in gleichem Maße gegeben und möglich. Deshalb sei dem Gedanken der Freiwilligkeit ein besonderes Augenmerk zu schenken. Zudem seien die Kosten unangemessen hoch; als Grenze seien 205 EUR anzusetzen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Im vorliegenden Verfahren ist der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gesondert erbracht. Dies soll auch für Fahrten ins Ausland und nach Ende der allgemeinen Schulpflicht gelten (vgl. Hofmann in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rn. 31). Entgegen der Ansicht des Antragsgegners stellt auch die Fahrt einer ganzen Jahrgangsstufe eine Klassenfahrt in diesem Sinne dar. Nach der Nr. 2.1.1 des Erlasses des MK vom 30.6.1997 -306-82 021 - treten in der Kursstufe der gymnasialen Oberstufe Kurs- und Jahrgangsfahrten an die Stelle der Klassenfahrten. Die Frage, ob die Fahrt sinnvoll und notwendig ist, ist pädagogischer Natur und nicht vom Leistungsträger zu beurteilen (Kallhorn in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2005, K § 23 Rdnr. 24). Zutreffend geht der Antragsgegner allerdings davon aus, dass eine Beihilfe nur bis zur Höchstgrenze von 205,-Euro zu bewilligen ist (vgl. dazu: Beschluss des VG Lüneburg vom 19.6.2003 - 6 B 114/03 -; Hinweise zur Sozialhilfe, § 12 BSHG, 12.1.63). Der darüber hinausgehende Restbetrag war deshalb nur als Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II zu bewilligen und ist von dem Antragsteller in den Folgemonaten durch Aufrechnung zu tilgen. Der Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit der Entscheidung, ergibt sich hier aus dem unmittelbaren Bevorstehen der Reise.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §114 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S. 1, 193 Abs. 1 SGG.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert wird auf 250,- Euro festgesetzt.