Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.02.2005, Az.: S 25 AS 17/05 ER

Voraussetzungen der Anrechnung von Einkommen des Partners zur Ermittlung der Hilfebedürftigkeit des Kindes des nicht erwerbsfähigen Antragstellers nach § 9 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
10.02.2005
Aktenzeichen
S 25 AS 17/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 32766
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2005:0210.S25AS17.05ER.0A

Fundstelle

  • info also 2005, 129-130 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg
am 10. Februar 2005
durch
den Richter am Verwaltungsgericht C.
beschlossen:

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 9. Februar 2005 Sozialgeld in gesetzlicher Höhe für ihre D. ohne Anrechnung des Einkommens von Herrn E. zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Der Antragstellerin wird für das Verfahren des ersten Rechtszuges Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F., Hannover, bewilligt. Der Gegenstandswert wird auf 2.389,62 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihrer Tochter Sozialgeld und Kinderzuschlag zu gewähren.

2

Die Antragstellerin lebt zusammen mit G. und ihrer am 9. Juni 1993 geborenen Tochter H., die mit I. nicht verwandt ist.

3

Herr J. erzielt ein monatliches Erwerbseinkommen von netto ca. 1743,25 EUR, während die Antragstellerin selbst arbeitslos ist.

4

Die Antragstellerin beantragte am 22. Dezember 2004 für sich und ihre Tochter, die keinerlei Unterhalt von ihrem leiblichen Vater erhält, Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung eines Kinderzuschlages für die Antragstellerin wegen Überschreitung der Einkommensgrenze ab. Mit Bescheid vom 20. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, da die Antragstellerin und ihre Tochter nicht hilfebedürftig seien. Im beigefügten Berechnungsbogen rechnete die Antragsgegnerin das Einkommen von Herrn J. sowohl auf den Bedarf der Antragstellerin als auch auf den ihrer Tochter an.

5

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin ebenso wie Herr J. Widerspruch ein, da dieser nicht bereit sei, zum Lebensunterhalt ihrer Tochter beizutragen; es werde vielmehr getrennt gewirtschaftet. Herr J. müsse vorrangig gegenüber seiner eigenen Tochter Unterhalt leisten und habe zudem zahlreiche Verbindlichkeiten zu bedienen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2005 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.

6

Am 9. Februar 2005 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt. Sie trägt ergänzend vor, das Einkommen von Herrn K. dürfe nach § 9 SGB II nicht auf den Bedarf ihrer Tochter angerechnet werden. Dieser sei tatsächlich auch nicht leistungsfähig, da er vorrangig seiner leiblichen Tochter unterhalt zahlen müsse. Zudem sei ihm ein Freibetrag in Höhe des doppelten Regelsatzes sowie der doppelten anteiligen Unterkunftskosten nach der maßgeblichen Verordnung zu gewähren. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Antragstellerin nicht mehr wisse, wie sie ihre Tochter ernähren solle. Sie sei bereits gezwungen, an der Verpflegung durch die Celler Tafel teilzunehmen.

7

Das Gericht hat wegen der Eilbedürftigkeit von einer Anhörung der Antragsgegnerin abgesehen, deren Rechtsansicht durch den Widerspruchsbescheid auch hinreichend dargelegt ist.

8

II.

Der Antrag hat Erfolg.

9

Die nach § 38 SGB II durch ihre Mutter vertretene Tochter der Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin ab dem Tag der Antragstellung bei Gericht einen Anspruch auf Sozialgeld ohne Anrechnung von Einkommen des Lebensgefährten der Antragstellerin.

10

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

11

Voraussetzung für den Erlass der hier von der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der sie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

12

Wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens spricht das Gericht keine Leistungen für die Vergangenheit, sondern erst ab Antragstellung bei Gericht zu (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rn 121); der Zeitraum davor kann nur im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden.

13

Ein Anordnungsanspruch ergibt sich hier hinsichtlich des Sozialgeldes aus § 28 Abs. 1 i-V.m. §§ 7, 9 SGB II. Die selbst nicht erwerbsfähige Tochter lebt mit ihrer Mutter in Bedarfsgemeinschaft und ist hilfebedürftig, da sie ihren Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen erhält. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist das Einkommen des Lebensgefährten der Antragstellerin nicht auf den Bedarf ihrer Tochter anzurechnen.

14

Eine gemeinsame Bedarfsgemeinschaft der Tochter mit dem Lebensgefährten wäre nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nur dann anzunehmen, wenn die Tochter dem Haushalt des Lebensgefährten angehören würde, was voraussetzt, dass beide in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben (vgl. Brühl in LPK-SGB II, a.a.O., § 7 Rn. 49). Nach dem Vortrag der Antragstellerin wirtschaftet sie mit ihrer Tochter getrennt von ihrem Lebensgefährten, so dass es bereits an einer Wirtschaftsgemeinschaft und damit an einer Bedarfsgemeinschaft zwischen Tochter und Lebensgefährten fehlt.

15

Auch wenn man diesen Angaben wegen des engen Zusammenlebens der Beteiligten und den geringen Kontrollmöglichkeiten für die Antragsgegnerin nicht folgt und von einer einzigen Bedarfsgemeinschaft ausgeht, ist das Einkommen des Lebenspartners der Antragstellerin nicht auf den Bedarf ihrer Tochter anrechenbar.

16

Die Anrechenbarkeit von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft richtet sich nach § 9 SGB II. Angerechnet werden kann nach § 9 Abs. 2 SGB II nur das Einkommens des Partners (Satz 1) und bei minderjährigen unverheirateten Kindern das Einkommen der leiblichen Eltern (Satz 2). Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin in ihrem Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2005 folgt aus diesen Vorschriften gerade nicht, dass das Einkommen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft automatisch anzurechnen wäre; die Anrechnung ist vielmehr auf die ausdrücklich geregelten Fälle beschränkt.

17

Auch die Vermutung der Leistungsgewährung nach § 9 Abs. 5 SGB II setzt nach ihrem Wortlaut eine Verwandtschaft oder Verschwägerung voraus; beides besteht zwischen der Tochter der Antragstellerin und deren Lebensgefährten jedoch nicht. Selbst wenn man zwischen beiden eine Bedarfsgemeinschaft annehmen würde, wäre eine Mittelberücksichtigung nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht möglich (so auch Brühl, a.a.O., § 9 Rn. 47). Auch wenn man die Vorschrift des § 9 Abs.5 SGB II - entgegen ihrem ausdrücklichen Wortlaut - erweiternd anwendet auf alle Personen der Bedarfgemeinschaft, deren Einkommen und Vermögen nicht gemäß § 9 Abs. 2 zu berücksichtigen ist (so vertreten von Brühl, a.a.O., § 9 Rn. 47), so führt dies hier nicht zur Einkommensanrechnung. Nach § 9 Abs. 5 SGB II wird nur dann vermutet, dass Angehörige der Haushaltsgemeinschaft Leistungen erhalten, wenn dies nach Einkommen und Vermögen des anderen Haushaltsangehörigen erwartet werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von Verwandten A erschwägerten (und erst recht von sonstigen Haushaltsangehörigen) ein Einsatz des zu berücksichtigenden Einkommens nur erwartet werden kann, wenn diese Mittel deutlich über ihrem SGB Il-Bedarf liegen; insoweit ist eine Berechnung nach § 1 Abs. 2 der Alg ll-VO vom 20. Oktober 2004 (BGBl S. 2622) vorzunehmen, wie sie die Bevollmächtigte der Antragstellerin auf Seite 6 der Antragsschrift zutreffend vornimmt.

18

Bereits nach dieser Berechnung verbleibt dem Lebensgefährten der Antragstellerin kein überschießendes Einkommen mehr, dass bei der Tochter angerechnet werden könnte. Im Übrigen wäre die Vermutung der Leistungsgewährung auch durch die insoweit eindeutige Erklärung des Lebensgefährten als widerlegt anzusehen (vgl. dazu Brühl, a.a.O., § 9 Rn. 53).

19

Ein Anspruch der Antragstellerin auf Kinderzuschlag besteht nach § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKKG voraussichtlich nicht, da durch den Zuschlag von 140 EUR die Hilfebedürftigkeit nicht vermieden wird; der errechnete Bedarf von 398,27 EUR kann durch Kindergeld und Kinderzuschlag nämlich nicht vollständig gedeckt werden.

20

Ein Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart begehrt und ihr ein weiteres Abwarten angesichts der Notlage nicht zuzumuten ist.

21

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

22

Der Antragstellerin ist nach § 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren.

23

Die Antragstellerin ist darauf hinzuweisen, dass dieses Verfahren nicht die in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides bezeichnete Klage ersetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Gegenstandswert wird auf 2.389,62 EUR festgesetzt.

Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus dem Halbjahresbetrag der streitigen Leistung, nämlich monatlich 398,27 EUR, wie sie im Bescheid vom 20. Januar 2005 errechnet ist.