Sozialgericht Lüneburg
v. 20.06.2005, Az.: S 21 RA 11/04
Sozialrechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer vorgenommenen Rentenanpassung; Ausgestaltung der Anpassung einer Regelaltersrente
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 20.06.2005
- Aktenzeichen
- S 21 RA 11/04
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2005, 37210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2005:0620.S21RA11.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 64 SGB VI
- § 65 SGB VI
In dem Rechtsstreit
...
hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg
am 20. Juni 2005
durch den Richter am Sozialgericht ... - Vorsitzender -
gemäß §105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.)
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anpassung der Regelaltersrente.
Dem am 22. November 1931 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 1997 eine Altersrente für langjährig Versicherte gewährt (Bl. 112 der Akte der Beklagten <= RA>). In der Folgezeit wurden jeweils die jährlichen Rentenanpassungen durchgeführt. Mit Schreiben vom 16. Juli 2000 legte er zunächst gegen den Rentenanpassungsbescheid zum 1. Juli 2000 Widerspruch ein. Hierüber hat die Beklagte noch nicht entschieden. Das Verfahren wurde mit dem Schreiben der Beklagten vom 18. August 2000 ruhend gestellt (Bl. 123 RA).
Darüber hinaus erhob der Kläger auch gegen den Rentenanpassungsbescheid zum 1. Juli 2003 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, daß die unterschiedliche Erhöhung der Versorgungsbezüge im öffentlichen Dienst (um 2,4 %) einerseits und der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung (um 1,04 %) andererseits gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen würde. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 zurückgewiesen (Bl. 147 RA).
Hiergegen hat der Kläger am 14. Januar 2004 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben und sich zur Begründung u.a. auf eine im März 2004 erschienene Studie von ... vom ... und eine Presseinformation des ... vom 31. Oktober 2002 gestützt. Er beantragt, Beweis darüber zu erheben, daß die Angaben in den Studien den Tatsachen entsprechen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
- 1.
die Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 aufzuheben,
- 2.
die Rente ab dem 1. Juli 2003 entsprechend der Anpassung der Pensionen der Versorgungsempfänger mit einem erhöhten Steigerungssatz anzupassen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit auszusetzen und gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (= GG) dem Bundesverfassungsgericht (= BVerfG) zur Entscheidung über die Frage vorzulegen, ob die Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung über die jährliche Anpassung von Renten insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, als daß die Pensionen der Versorgungsempfänger mit einem höheren Steigerungssatz angepaßt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da die Rentenanpassung zum 1. Juli 2003 entsprechend den gesetzlichen Regelungen vorgenommen wurde und ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht erkennbar ist.
Gem. §64 SGB VI ergibt sich der Monatbetrag der Rente, wenn
- 1.
die unter Berücksichtung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
- 2.
der Rentenartfaktor und
- 3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander, vervielfältigt werden.
Hinsichtlich der Rentenanpassung bestimmt §65 SGB VI, daß zum 1. Juli eines jeden Jahres der bisherige aktuelle Rentenwert durch den neuen aktuellen Rentenwert ersetzt wird. Der aktuelle Rentenwert wird anhand des §68 SGB VI ermittelt. Durch das Gesetz vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403 f.) wurde diese Vorschrift neu formuliert, wobei auch die neuen Fassungen der §§255 a-f SGB VI ergänzend zu beachten sind. In §68 Abs. 1 S. 2 SGB VI wurde zunächst gesetzlich festgelegt, daß der aktuelle Rentenwert für den 30. Juni 2001 "48,58 DM" beträgt. Die für die Folgezeit geltenden aktuellen Rentenwerte - für die alten Bundesländer - betragen sodann für den
01.07.2001: 49,51 DM
01.01.2002: 25,31406 ? (§255 fSGB VI)
01.07.2002: 25,86 ?
01.07.2003: 26,13 ?.
Diese Werte wurden entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ermittelt und in den Rentenanpassungsverordnungen für die Jahre 2001 bis 2003 festgelegt. Diese Werte lagen daher auch der hier streitgegenständlichen Rentenanpassung des Klägers zum 1. Juli 2003 zugrunde, woraus sich eine Steigerungsrate von 1,04 % ergibt.
Da die Anpassung der Rente den gesetzlichen Vorschriften entspricht, bleibt nur zu prüfen, ob die Vorschriften über die Rentenanpassung gegen höherrangiges Recht verstoßen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere kann in der unterschiedlichen Anpassung der Versorgungsbezüge und Renten kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erblickt werden. Diese Norm verbietet, wesentlich Gleiches ohne zureichende sachliche Gründe ungleich und wesentlich Ungleiches ohne solche Gründe gleich zu behandeln. Welche Elemente des zu regelnden Sachverhaltes dabei so bedeutsam sind, daß ihrer Gleichheit oder Verschiedenheit bei der Ausgestaltung einer Regelung Rechnung getragen werden muß, hat allerdings grundsätzlich der entsprechende Normgeber (d.h. der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber) zu entscheiden, sofern nicht schon die Verfassung selbst Wertungen enthält, die den Normgeber binden. Im übrigen kann nur die Einhaltung bestimmteräußerster Grenzen überprüft und ihre Überschreitung beanstandet werden. Der Gesetzgeber hat danach weitestgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 49, 260, 271 [BVerfG 10.10.1978 - 2 BvL 10/77], 61, 138, 147, BSG SozR 3-2500 §44 Nr. 4, S. 7, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann bereits ein "gleicher Sachverhalt" nicht festgestellt werden, weil die Strukturen der beamtenrechtlichen Versorgung einerseits und der Sozialversicherung andererseits völlig unterschiedlich und damit nicht vergleichbar sind. Dies hat das BVerfG immer wieder herausgestellt (z.B.: BVerfG, Beschluß vom 11. April 1967 - 2 BvL 3/62 = NJW 1867, 1851, 1854; Beschluß vom 18. Juni 1975 - 1 Bvl 4/74 = SozR 2400 §44 Nr. 1). Solange nicht feststeht, daß eine Bestimmung innerhalb ihres eigenen Sachbereichs nicht oder nicht mehr sachgerecht ist, kann sie vom BVerfG grundsätzlich nicht mit Hilfe des Gleichheitssatzes im Hinblick auf andere Bestimmungen eliminiert werden, die anderen Ordnungsbereichen angehören und in anderen systematischen und sozial-geschichtlichen Zusammengängen stehen (BVerfG, Beschluß vom 18. Juni 1975 - 1 Bvl 4/74 = SozR 2400§44 Nr. 1, S. 7; BVerfGE 11, 283, 293). Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten. Auch dort wurden die Unterschiede in den Systemen eindrucksvoll dargestellt (BVerfG, Urt. v. 6. März 2002 - 2 BvL 17/99 = NZS 2002, 252, 255 ff.). Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung konnte das BVerfG in dieser Entscheidung nur deshalb feststellen, weil das Steuerrecht einen - externen - einheitlichen Anknüpfungstatbestand gebildet hat. Es hat aber ausdrücklich ausgeführt, daß es für die verfassungsrechtliche Würdigung der dort angefochtenen Normen des Einkommensteuerrechts ausschließlich auf die einkommensteuerrechtliche Belastung ankommt, den diese Normen bei verschiedenen Steuerpflichtigen bewirken. Außerhalb der verfassungsrechtlich maßgeblichen Vergleichsperspektive liegen demgegenüber Be- und Entlastungswirkungen, die sich jenseits der einkommenssteuerlichen Belastung erst aus dem Zusammenspiel mit den Normen des Besoldungs-, Versorgungs- und Sozialversicherungsrechts ergeben.
Schließlich ist auch in den von dem Kläger vorgelegten Expertisen ein Verfassungsverstoß nicht schlüssig dargetan. Es wird darin vielmehr ausschließlich auf Versorgungsdiskrepanzen hingewiesen, welche nach Meinung der Verfasser den Gesetzgeber künftig zu weiteren Kürzungen im Bereich der Beamtenversorgung veranlassen sollten. Die Expertisen enthalten daher nur eine gesellschafts-politische, aber keine verfassungsrechtliche Wertung. Aus diesem Grund kann es auch dahinstehen, ob die Angaben in den Studien den Tatsachen entsprechen. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte dies zu keiner für den Kläger günstigeren Beurteilung führen. Der Streitgegenstand dieses Verfahrens betraf vielmehr nur eine Rechtsfrage, die auch ohne die beantragte Beweiserhebung beantwortet werden konnte. Auch der Hilfsantrag des Klägers, den Rechtsstreit auszusetzen und gem. Art. 100 GG dem BVerfG vorzulegen, konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Einscheidung konnte durch Gerichtsbescheid ergehen, nachdem der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten dazu gehört wurden (§105 SGG). Die Beteiligten habe sich auch mit dieser Entscheidungsform einverstanden erklärt.
Der Rechtsstreit betrifft in finanzieller Hinsicht nur den Differenzbetrag zwischen der Erhöhung der Versorgungsbezüge/Pensionen (= 2,40 %) und der Erhöhung der Renten (1,04 %), d.h. also 1,36 % vom Rentenzahlbetrag. Da dieser Wert offensichtlich unter dem Betrag von 500,00 ? liegt und der Streitgegenstand aufgrund der singulären Anfechtung der Rentenanpassung zum 1. Juli 2003 auch nicht wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. §65 SGB VI), bedarf die Möglichkeit, gegen diesen Gerichtsbescheid das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, der ausdrücklichen Zulassung (§144 Abs. 1 SGG). Gründe, die Berufung zuzulassen, sind jedoch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.