Abschnitt 69 VV-BBauG - Zulässigkeit von Vorhaben auf Grund von Befreiungen (§ 31 Abs. 2)
Bibliographie
- Titel
- Verwaltungsvorschriften zum Bundesbaugesetz (VV-BBauG)
- Amtliche Abkürzung
- VV-BBauG
- Normtyp
- Verwaltungsvorschrift
- Normgeber
- Niedersachsen
- Gliederungs-Nr.
- 21074000000001
69.1
Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2
69.1.1
Die Anwendung des § 31 Abs. 2 kommt in Betracht
- in den Fällen des § 30 (Nr. 67) bei Vorliegen eines qualifizierten Bebauungsplanes,
- in den Fällen des § 34 (Nr. 71) bei Vorliegen eines einfachen Bebauungsplanes oder
- in den Fällen des § 35 (Nrn. 72 und 73) bei Vorliegen eines einfachen Bebauungsplanes.
69.1.2
Auch in den Fällen des § 33 kann eine Befreiung von den künftigen Festsetzungen eines Bebauungsplanes erteilt werden.
69.1.3
Die Befreiung von Festsetzungen nach § 9 Abs. 4 richtet sich nicht nach § 31 Abs. 2, sondern nach dem jeweils maßgebenden Landesrecht, z.B. bei örtlichen Bauvorschriften nach § 86 NBauO.
69.2
Befreiung aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit
Eine Befreiung auf Grund der ersten Alternative des § 31 Abs. 2 ist zulässig, wenn
69.2.1
es sich in bodenrechtlicher Hinsicht um einen atypischen Fall handelt.
Im Regelfall ist eine Planänderung erforderlich, wenn von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes abgewichen werden soll;
69.2.2
Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern.
Dies ist der Fall, wenn ohne die Befreiung im Einzelfall dem Gemeinwesen ein wesentlicher Vorteil entgehen oder ein nicht unerheblicher Nachteil erwachsen würde. Die Gründe brauchen nicht spezifisch bodenrechtlicher Natur zu sein, sondern erfassen alles, was gemeinhin unter den öffentlichen Belangen oder öffentlichen Interessen zu verstehen ist.
Fiskalische Gründe reichen nicht aus.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit "erfordern" die Befreiung, wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen;
69.2.3
die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Dies ist auf Grund der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Zu den öffentlichen Belangen gehört in erster Linie das Schutzgut der Festsetzung, von deren Einhaltung befreit werden soll. Daneben sind alle übrigen öffentlichen Belange mit städtebaulichem Bezug zu berücksichtigen. Eine Kompensation aller betroffenen öffentlichen Belange im Sinne einer Bevorzugung eines öffentlichen Belanges unter Zurücksetzung anderer Belange läßt § 31 Abs. 2 nicht zu; eine derartige gestaltende Abwägung ist nur im Planungsverfahren zulässig.
Die Vorschrift des § 31 Abs. 2 ist keine nachbarschützende Norm mit eigenem materiellem Gehalt. Die Frage, ob ein Nachbar eine rechtlich geschützte Position besitzt, beurteilt sich allein nach der Vorschrift, von der befreit wird. Dient diese Vorschrift nicht zumindest auch dem Schutz des Nachbarn, führt der Umstand, daß von ihr Befreiung gewährt wurde, nicht zu einem Abwehranspruch des Nachbarn.
69.3
Befreiung aus städtebaulichen Gründen
Eine Befreiung auf Grund der zweiten Alternative des § 31 Abs. 2 ist zulässig, wenn
69.3.1
es sich in bodenrechtlicher Hinsicht um einen atypischen Fall handelt (hierzu Nr. 69.2.1);
69.3.2
städtebauliche Gründe die Abweichung rechtfertigen und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.
Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt, wenn das Vorhaben die im Bebauungsplan niedergelegte Konzeption der städtebaulichen Ordnung, die sich aus der Zusammenschau der planerischen Festsetzungen ergibt, in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet läßt.
Liegt diese Voraussetzung vor, ist weiter zu prüfen, ob städtebauliche Gründe eine Abweichung von der Festsetzung des Bebauungsplanes rechtfertigen. Eine derartige Rechtfertigung liegt nicht schon dann vor, wenn die erstrebte Abweichung auch zulässiger Inhalt eines Planes sein könnte. Städtebauliche Gründe rechtfertigen vielmehr erst dann eine Abweichung, wenn auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles die konkrete Festsetzung des Planes gegenüber der erstrebten Abweichung nicht mehr als angemessenes Abwägungsergebnis erscheint;
69.3.3
die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (hierzu Nr. 69.2.3);
69.4
Befreiung zur Vermeidung einer offenbar nicht beabsichtigten Härte
Eine Befreiung auf Grund der dritten Alternative des § 31 Abs. 2 ist zulässig, wenn
69.4.1
es sich in bodenrechtlicher Hinsicht um einen atypischen Fall handelt (hierzu Nr. 69.2.1);
69.4.2
die Durchführung des Bebauungsplanes zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde.
Maßgebend sind die objektiven Verhältnisse des Grundstücks, nicht die persönlichen Umstände oder wirtschaftlichen Bedürfnisse des Grundeigentümers.
Nicht beabsichtigt ist die Härte, wenn die Gemeinde bei der Aufstellung des Bebauungsplanes die konkreten Auswirkungen der Festsetzungen für einen bestimmten Einzelfall nicht bedacht hat und im Falle ihres Erkennens anders geplant hätte. Diese kann darin liegen, daß durch die Festsetzungen des Bebauungsplanes im Einzelfall eine Bebauung unmöglich gemacht oder unverhältnismäßig erschwert ist;
69.4.3
die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (hierzu Nr. 69.2.3).
69.5
Antrag
Die Befreiung darf nur auf Grund eines besonderen Antrags erteilt werden. Dieser kann mit dem Bauantrag verbunden werden.
69.6
Ermessen
Liegen die Voraussetzungen für eine Befreiung vor, liegt die Entscheidung im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. Ein Rechtsanspruch auf Befreiung besteht nicht. Im übrigen wird auf Nr. 75 verwiesen.