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  • ab 19.04.1983 (aktuelle Fassung)

Abschnitt 72 VV-BBauG - Zulässigkeit privilegierter Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 1)

Bibliographie

Titel
Verwaltungsvorschriften zum Bundesbaugesetz (VV-BBauG)
Amtliche Abkürzung
VV-BBauG
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21074000000001

72.1
Außenbereich

Der Außenbereich umfaßt nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 die Gebiete außerhalb

  • des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplanes im Sinne des § 30,
  • der im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinne von § 34 Abs. 1, 2 und 2a (hierzu Nrn. 71.2, 71.4 und 71.5).

Die Zuordnung einer Fläche zum Außenbereich ändert sich nicht, wenn

  • sie im Flächennutzungsplan als Baufläche oder Baugebiet dargestellt ist oder
  • die Gemeinde beschlossen hat, einen Bebauungsplan i. S. des § 30 aufzustellen.

72.2
Privilegierte Vorhaben

72.2.1
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1

Landwirtschaft ist nach § 146 insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft, der Erwerbsgartenbau, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei. Auf die Begriffsbestimmungen in anderen Gesetzen (z.B. Grundstücksverkehrsgesetz, Bewertungs- und Ertragssteuerrecht) kommt es nicht an.

Die in § 146 enthaltene Aufzählung ist nicht abschließend. In den nicht in § 146 genannten Fällen setzt der Begriff der Landwirtschaft voraus, daß es sich um unmittelbare Bodenertragsnutzung handelt. Hinzukommen muß, daß der Boden zum Zwecke der Nutzung seines Ertrages planmäßig eigenverantwortlich bewirtschaftet wird.

Ein landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 liegt vor, wenn der Betrieb auf die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte nicht unerheblichen Ausmaßes gerichtet ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist es nicht ausschlaggebend, ob der Betrieb hauptberuflich oder nebenberuflich bewirtschaftet wird.

Landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen sind grundsätzlich nach § 35 Abs. 2 zu beurteilen.

Betriebsfläche ist die Summe der Grundflächen, die vom Betrieb bewirtschaftet werden. Dabei braucht es sich nicht um eine zusammenhängende Fläche zu handeln.

Das Vorhaben muß dem Betrieb dienen. Erforderlich ist deshalb, daß

  • das jeweilige Vorhaben der Sache, der es dient, zu- und untergeordnet ist,
  • die Zuordnung auf Dauer angelegt ist,
  • das Vorhaben durch Zuordnung zu dem konkreten Betrieb - auch äußerlich erkennbar - geprägt wird,
  • ein Mindestmaß an Unmittelbarkeit der Beziehung zu dem privilegierten Zweck vorhanden ist.

Zu den dem Betrieb dienenden Vorhaben gehören auch Altenteilwohnungen und betriebseigene Wohnungen für Arbeitskräfte, wenn sie in räumlichem Zusammenhang mit der Hofstelle stehen.

Die vorstehenden Ausführungen gelten sinngemäß auch für die Forstwirtschaft.

72.2.2
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2

Voraussetzung ist, daß

  • das Vorhaben einem Landwirt zu Wohnzwecken dient. Vorhaben, die zur Vermietung oder Veräußerung errichtet werden, genießen nicht die Privilegierung des § 35 Abs. 1;
  • dieser Landwirt an Ort und Stelle einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 146, der die Errichtung eines Altenteilerhauses rechtfertigen würde, geführt haben muß;
  • der landwirtschaftliche Betrieb bereits im Wege vorweggenommener Erbfolge übergeben sein muß;
  • der Hofübernehmer den Betrieb nach Hofübergabe aufgegeben haben muß, d.h., daß er nicht mehr als landwirtschaftlicher Unternehmer angesehen werden kann;
  • vor der Übergabe des Betriebes im Wege vorweggenommener Erbfolge die Errichtung eines Altenteilerhauses nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 zulässig sein muß. Es darf also z.B. kein Altenteilerhaus nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 bereits bestehen;
  • im Übergabevertrag die Errichtung eines Altenteilerhauses vereinbart worden sein muß.
    Diese Vereinbarung muß in einem Vertrag enthalten sein, der zeitlich vor der Übergabe zum Zwecke der Vorwegnahme der Erbfolge und ebenfalls vor der späteren Aufgabe des Betriebes geschlossen ist;
  • das Vorhaben in unmittelbarer Nähe zu der Hofstelle des aufgegebenen Betriebes errichtet wird.
    Als Hofstelle ist das Areal anzusehen, auf dem sich die Gebäude (Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude) des früheren Betriebes befinden.

Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 2 müssen sämtlich vorliegen.

Zur rechtlichen Sicherung siehe Nr. 72.7.

72.2.3
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 3

Eine Landarbeiterstelle ist ein im Eigentum eines Landarbeiters stehendes Grundstück mit einem Eigenheim, einer Kleinsiedlung oder einer Landarbeitersiedlung. Landarbeiter ist, wer hauptberuflich und nicht nur vorübergehend in einem landwirtschaftlichen Betrieb als Arbeitskraft tätig ist.

Die Landarbeiterstelle darf nicht mehr als zwei Wohnungen haben. Die in dem Wohngebäude enthaltene zweite Wohnung kann eine gleichwertige Wohnung oder eine Einliegerwohnung sein (vgl. § 9 Abs. 3 des II. WoBauG).

72.2.4
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4

Die Ortsgebundenheit ist Voraussetzung für alle in § 35 Abs. 1 Nr. 4 genannten Vorhaben. Auch bei Vorhaben, die dem Fernmeldewesen, der Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme oder Wasser bzw. der Abwasserbeseitigung dienen, ist erforderlich, daß sie zu dem vorgegebenen Standort eine der Ortsgebundenheit gewerblicher Betriebe vergleichbare Beziehung haben. Derartige Vorhaben sind nur dann privilegiert, wenn sich auf die Frage, weshalb das Vorhaben gerade hier ausgeführt werden soll, eine die fragliche Stelle gleichsam individualisierende Antwort geben läßt. Daran fehlt es, wenn der gewählte Standort lediglich gewisse Vorzüge der Verkehrslage aufweist.

Die Ortsgebundenheit eines Betriebes ist gegeben, wenn er auf die geographische oder geologische Eigenart dieser Stelle angewiesen ist.

Ein Unternehmen mit einem ortsgebundenen Betriebszweig ist dann insgesamt ein ortsgebundener "Betrieb", wenn und soweit er als Folge nicht nur wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit, sondern technischer Erfordernisse dem typischen Erscheinungsbild eines Betriebes dieser Art entspricht und wenn der ortsgebundene Betriebszweig den gesamten Betrieb prägt.

Ein Vorhaben dient einem ortsgebundenen Betrieb, wenn es dem Betrieb zu- und untergeordnet ist und darüber hinaus angenommen werden kann, daß ein vernünftiger Unternehmer - auch und gerade unter Berücksichtigung größtmöglicher Schonung des Außenbereichs - das Vorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb verwirklichen würde.

72.2.5
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5

Ob ein Vorhaben "nur im Außenbereich" ausgeführt werden soll, hängt davon ab, ob es nicht auch im Innenbereich (§ 34) oder im Geltungsbereich eines bestehenden, qualifizierten Bebauungsplanes (§ 30) ausgeführt werden kann. Dies entscheidet sich nicht nach der Beschaffenheit von Innenbereichen "im allgemeinen", sondern nach der Beschaffenheit des Innenbereichs der jeweiligen Gemeinde.

Für die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 unerheblich ist, ob sich ein Vorhaben auch im Wege der Bebauungsplanung ermöglichen ließe. Der Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 Nr. 5 ist nicht auf solche Vorhaben beschränkt, die ihrer Natur nach nicht in einem der nach den Vorschriften der Baunutzungsverordnung in Betracht kommenden Baugebiete verwirklicht werden können.

Besonders zu prüfen ist, ob das Vorhaben nur im Außenbereich ausgeführt werden "soll". Es muß nach Lage der Dinge geboten sein, daß das betreffende Vorhaben im Außenbereich ausgeführt wird; das Vorhaben muß eine besondere Beziehung zum Außenbereich aufweisen. Läßt sich z.B. ein Vorhaben sowohl mit mehr als auch mit weniger Emissionen betreiben und schließt die Tatsache, daß es der Betreiber in der mit mehr Emissionen verbundenen Art betreiben will, die Unterbringung im Innenbereich dieser Gemeinde aus, so ist dennoch eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 nicht gegeben, weil sich der Betreiber zumuten lassen muß, die weniger stark emittierende Verfahrensweise zu wählen. Nicht im Außenbereich ausgeführt werden "sollen" z.B. auch Wochenendhäuser.

Betriebe, die lediglich mit einem Betriebsteil die Voraussetzungen einer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 erfüllen, sind nur dann insgesamt privilegiert, wenn sie als Folge nicht nur wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit, sondern technischer Erfordernisse dem typischen Erscheinungsbild eines Betriebes dieser Art entsprechen und der privilegierte Betriebszweig den gesamten Betrieb prägt.

72.3
Entgegenstehen öffentlicher Belange

Ein privilegiertes Vorhaben ist nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen.

Bei der Anwendung des § 35 Abs. 1 bedarf es jeweils der Ermittlung des Gewichts des privilegierten Vorhabens und der berührten öffentlichen Belange. Diese Ermittlung muß in Rechnung stellen, daß der Gesetzgeber die Vorhaben nach § 35 Abs. 1 in planähnlicher Weise dem Außenbereich zugewiesen und ihnen damit einen Vorrang eingeräumt hat. Auf Grund des Gewichtsvergleichs ("nachvollziehende Abwägung") entscheidet sich die Zulässigkeit des Vorhabens. So ist etwa bei privilegierten landwirtschaftlichen Vorhaben in Betracht zu ziehen, daß von ihnen ausgehende Störungen (Gerüche, Geräusche usw.) im Außenbereich in größerem Umfange hingenommen werden müssen als im Innenbereich.

72.4
Öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 1

Der für § 35 Abs. 2 maßgebende Begriff des öffentlichen Belanges gilt weitgehend auch für die Anwendung des § 35 Abs. 1. Auf Nr. 73.4 wird verwiesen. Der Unterschied zwischen der Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben und der sonstigen Vorhaben nach § 35 Abs. 2 besteht nicht in der Andersartigkeit der zu berücksichtigenden öffentlichen Belange, sondern darin, daß privilegierte Vorhaben im Gegensatz zu sonstigen Vorhaben ein höheres Gewicht besitzen (Nr. 72.3).

Die Darstellungen des Flächennutzungsplanes kommen z.B. gegenüber privilegierten Vorhaben nicht zur Geltung.

72.5
Ausreichende Erschließung

Die "ausreichende Erschließung" ist Zulässigkeitsvoraussetzung für privilegierte Vorhaben. Die Erschließungsanforderungen richten sich nach den Auswirkungen und Bedürfnissen des jeweiligen Vorhabens. Es genügt, wenn die Mindesterfordernisse zur Befriedigung des durch das Einzelvorhaben ausgelösten Erschließungsbedürfnisses erfüllt sind. Wenn - wie im Regelfall - eine besondere Erschließung im Sinne der §§ 123 ff. von der Gemeinde oder einem sonstigen Erschließungsträger im Außenbereich nicht durchgeführt wird, sind die bauaufsichtlichen Mindestanforderungen an die Abwasserbeseitigung und an die Wasserversorgung (§ 42 NBauO) sowie an den verkehrsmäßigen Anschluß (§ 5 NBauO) zu verlangen.

Im einzelnen gilt folgendes:

72.5.1
Die vorgesehene Art der Abwasserbeseitigung muß im Einklang mit den wasserrechtlichen Vorschriften stehen. Jedes Einleiten von Stoffen in oberirdische Gewässer und in das Grundwasser bedarf einer behördlichen Erlaubnis (§§ 3, 4 Abs. 1 Nrn. 4 und 6, §§ 10, 13 Abs. 2 Satz 2 NWG). Besonders zu beachten ist, daß es nach § 34 Abs. 1 WHG verboten ist, Stoffe in das Grundwasser einzuleiten, wenn eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften zu besorgen ist.

Die abwassertechnischen Probleme erfordern im Regelfall eine Zusammenarbeit mit den Fachbehörden. Eine Baugenehmigung darf nur ausgesprochen werden, wenn das wasserrechtliche Verfahren abgeschlossen ist oder wenn es wenigstens eingeleitet ist und bereits abgesehen werden kann, daß dem Bau wasserwirtschaftliche Gründe nicht entgegenstehen.

72.5.2
Weitere zwingende Erschließungsvoraussetzung ist eine gesicherte Trink- und Betriebswasserversorgung.

72.5.3
Das Grundstück muß eine ausreichende Zufahrtsmöglichkeit aufweisen.

72.6
Rechtsanspruch auf Zulassung

Bei der Entscheidung nach § 35 Abs. 1 steht der Behörde kein Ermessen zu. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Zulassung, wenn öffentliche Belange dem privilegierten Vorhaben nicht entgegenstehen und die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind.

72.7
Sicherung vor Zweckentfremdung (§ 35 Abs. 6)

72.7.1
Die Sicherstellung der vorgesehenen Nutzungsart kann sich nach dem Sinn des Gesetzes nur auf die Fälle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 beziehen, in denen eine bestimmte Person oder ein bestimmter Personenkreis das Vorhaben in bestimmter Weise nutzen muß. Diese Nutzung soll rechtlich gesichert werden. Die Sicherung kann durch eine entsprechende Baulast (§§ 92, 93 NBauO) erfolgen.

72.7.2
Die Sicherung der nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d geforderten Voraussetzung, daß die Fläche, auf der das "Altenteilerhaus" errichtet werden soll, nicht ohne das Hofgrundstück veräußert wird, kann gemäß § 35 Abs. 6 Satz 2 und 3 durch eine Grundbucheintragung erfolgen, daß die Veräußerung des Grundstücks nur mit Zustimmung der Genehmigungsbehörde zulässig ist. Hier handelt es sich um ein behördliches Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB. Die Sicherung soll in diesem Fall nur in dieser Form erfolgen.

72.7.3
Die Nutzungsbindung bzw. der funktionale Zusammenhang können ihrer Natur nach nicht auf unbegrenzte Dauer aufrechterhalten werden. Die Bindung des § 35 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d wird sinnlos, wenn der Landwirt verstorben ist.

Es sind Fälle denkbar, in denen aus sozialen Gründen ein vorzeitiger Verzicht auf die Bindung erforderlich ist (z.B. Umzug des Beteiligten in ein Altersheim, Auswanderung).