Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.03.2004, Az.: 11 B 922/04

Abschiebungshindernis; Arbeitsbehörde; Arbeitserlaubnis; Arbeitsgenehmigung; Arbeitsgenehmigungsbehörde; Arbeitsgenehmigungsverfahren; aufenthaltsbeendende Maßnahme; Aufenthaltsgenehmigung; Ausländer; Ausländerbehörde; Ausländerrecht; Aussetzung; Ausweisersatz; Bindungswirkung; Duldung; einstweilige Anordnung; Entscheidung; Feststellungswirkung; Leistung; Mitteilung; Produktionshelfer; Rechtsbehelf; Rechtsschutzbedürfnis; Rechtsschutzinteresse; Sozialgericht; Tatbestandswirkung; Vertretenmüssen; Verwaltungsakt; Vollziehbarkeit; Zusatz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
12.03.2004
Aktenzeichen
11 B 922/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50976
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ob ein Abschiebungshindernis von dem betreffenden Ausländer selbst zu vertreten ist, ist als (anspruchsausschließendes) Tatbestandsmerkmal im Rahmen der von der Arbeitsgenehmigungsbehörde zu treffenden Entscheidung in die Prüfung mit einzubeziehen und unterliegt allein der sozialgerichtlichen Kontrolle, falls sich der Betroffene gegen die Versagung der Arbeitsgenehmigung mit gerichtlichen Rechtsbehelfen zur Wehr setzt.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin, eine russische Staatsangehörige, reiste zusammen mit ihrem Ehemann und zwei Kindern am 6. Juli 2001 als Asylbewerberin in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte ihren Asylantrag mit Bescheid vom 16. August 2002 ab und drohte ihr unter Ausreiseaufforderung und Fristsetzung die Abschiebung in die Russische Föderation an. Hiergegen erhob sie erst nach Ablauf der Klagefrist am 28. Oktober 2002 Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg (1 A 4480/02) und beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Eine Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus. Allerdings hat der zuständige Einzelrichter in seinem Beschluss vom 28. November 2002 (1 B 4816/02) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Familie der Antragstellerin gegen die vom Antragsgegner verfügte Ausweisung und Abschiebungsandrohung die Auffassung vertreten, dass die Klage 1 A 4480/02 aller Voraussicht nach rechtzeitig erhoben ist und aufschiebende Wirkung entfaltet. Die Antragstellerin erhält seit dem 18. November 2002 fortlaufend Duldungen.

2

Anlässlich der Verlängerung der Duldung am 13. November 2003 versah der Antragsgegner den Ausweisersatz der Antragstellerin mit dem Zusatz "Ob die Voraussetzungen des § 1 a AsylBLG vorliegen, kann bei der zuständigen Behörde erfragt werden". Das Arbeitsamt V. versagte der Antragstellerin mit Bescheid vom 19. November 2003 die beantragte Arbeitsgenehmigung für eine Beschäftigung als Produktionshelferin bei einem Feinkostunternehmen unter Hinweis auf § 284 Abs. 5 SGB III i.V.m. § 1 a AsylBLG. Zur Begründung führte es u.a. aus, lt. Mitteilung des Antragsgegners sei in der "Aufenthaltsgenehmigung der Zusatz § 1 a AsylBLG" eingetragen, so dass eine Arbeitsaufnahme nicht gestattet sei. Die Bezirksregierung Weser-Ems wies durch am 26. Januar 2004 zugestellten Bescheid vom 22. Januar 2004 den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Zusatz des Antragsgegners vom 13. November 2003 in dem Ausweisersatz mit dem Hinweis als unzulässig zurück, der Zusatz sei mangels rechtsgestaltender Wirkung kein anfechtbarer Verwaltungsakt.

3

Am 26. Februar 2004 hat die Antragstellerin Klage (11 A 921/04) erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Zusatz in ihrem Ausweisersatz sei rechtswidrig, weil sie ungeachtet des schwebenden Klageverfahrens (1 A 4480/02) und der Einschätzung des zuständigen Einzelrichters im vorläufigen Rechtsschutz als ausreisepflichtig bezeichnet werde. Er führe zur Versagung einer sonst möglichen Arbeitserlaubnis und zum Verlust der ihr angebotenen Tätigkeit bei dem Feinkostunternehmen sowie zu spürbaren Einschränkungen der Leistungen nach dem AsylBLG.

4

Die Antragstellerin beantragt,

5

die Feststellung vom 13. November 2003 bezüglich der Tatsache, dass sie ausreisepflichtig ist und daher ein Vermerk nach § 1 a AsylBLG zu erteilen ist, aufzuheben, da der wesentliche Nachteil der Nichterteilung einer Arbeitserlaubnis abzuwenden ist.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

8

Er erwidert, sein Zusatz im Ausweisersatz der Antragstellerin sei mangels rechtsgestaltender Wirkung kein anfechtbarer Verwaltungsakt.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

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Der Antragstellerin kann vorläufiger Rechtsschutz im Zusammenhang mit der von ihr beklagten Versagung einer Arbeitsgenehmigung in einem Feinkostunternehmen weder nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nach § 123 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Im sogenannten Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt sie erfolglos, weil der beanstandete Zusatz anlässlich der Verlängerung ihrer Duldung vom 13. November 2003 mangels rechtsgestaltender Wirkung kein anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 Nds. VwVfG ist. Eine allenfalls statthafte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO - etwa gerichtet auf Widerruf bzw. Rücknahme der Mitteilung des Antragsgegners an das Arbeitsamt V. - ist unzulässig, da es hierfür an einem entsprechenden Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin fehlt. Die Antragstellerin, die letztlich die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung zur Fortsetzung ihrer Beschäftigung als Produktionshelferin bei einem Feinkostunternehmen in L. anstrebt, kann ihr hierzu konkret ins Auge gefasstes Rechtsschutzziel, nämlich die gerichtliche Überprüfung und Beseitigung der dem entgegenstehenden Mitteilung, auf direkterem und einfacherem Weg erreichen. Denn ihr steht ein Widerspruch (ggf. verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand) gegen die Versagung der Arbeitsgenehmigung durch das Arbeitsamt V. vom 19. November 2003 und später ggf. der Klageweg zu den Sozialgerichten, also zu Verfahren offen, in dessen Rahmen (allein) auch über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 1 a AsylBLG zu befinden ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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Im Rahmen des Arbeitsgenehmigungsverfahrens hat die Arbeitsgenehmigungsbehörde bis auf das Vorliegen einer Duldung, sämtliche Voraussetzungen eigenständig zu überprüfen. Dies gilt auch für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen bzw. das Vertretenmüssen für solche Abschiebungshindernisse. Sämtliche Fragen sind der Sozialgerichtskontrolle unterworfen.

13

Die Letztentscheidungskompetenz über die Frage im Arbeitsgenehmigungsverfahren, ob ein vom Ausländer zu vertretender Grund für die Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Sinne von § 1 a Nr. 2 AsylBLG gegeben ist, obliegt der Arbeitsgenehmigungsbehörde (vgl. auch VG Saarland, Urteil vom 18. Februar 2002 - 4 F 11/02 - Juris). Sie muss - unabhängig davon, ob und wie ein Zusatz im Ausweisersatz des Ausländers formuliert ist und ohne Bindungswirkung an mitgeteilte Einschätzungen der Ausländerbehörde - das genannte (anspruchsausschließende) Tatbestandsmerkmal in seine Prüfung einbeziehen und unterliegt ggf. insoweit inzident auch der richterlichen Kontrolle. Da die Antragstellerin derzeit nur über eine Duldung im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG verfügt, steht der von ihr begehrten Arbeitsgenehmigung bereits grundsätzlich die Vorschrift des § 284 Abs. 5 SGB III entgegen, wonach diese Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG besitzt, soweit durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist, und wenn die Ausübung der Beschäftigung nicht durch eine ausländerrechtliche Auflage ausgeschlossen ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz findet sich allerdings in § 5 Nr. 5 der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV vom 17. September 1989, BGBl. I 2899). Dieser besagt, dass die Arbeitsgenehmigung abweichend von § 284 Abs. 5 SGB III auch Ausländern erteilt werden kann, die eine Duldung (§ 55 AuslG) besitzen, es sei denn, diese Ausländer haben sich in das Inland begeben, um Leistungen nach dem AsylBLG zu erlangen oder bei diesen Ausländern können aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden (§ 1 a AsylBLG). Ob die letztgenannte Einschränkung greift, d.h. das gegenwärtig gegebene Abschiebungshindernis von dem betreffenden Ausländer zu vertreten ist, obliegt nicht der Bewertung und Feststellung der Ausländerbehörde, sondern ist von der für die Erteilung der Arbeitsgenehmigung zuständigen Behörde eigenständig zu prüfen. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift, die lediglich den Besitz der Duldung als vorgegebenes, unüberprüfbares Tatbestandsmerkmal anführt, es im Übrigen aber bei der Wiederholung der anspruchsausschließenden Merkmale des § 1 a AsylBLG belässt. Für die Annahme einer auch insoweit bestehenden Feststellungs- und Bindungswirkung der von der zuständigen Ausländerbehörde zuvor vorgenommene Bewertung findet sich weder in arbeits- noch in ausländerrechtlichen Vorschriften eine gesetzliche Grundlage. § 284 Abs. 5 SGB III spricht lediglich die Verbindlichkeit einer - hier nicht in Rede stehenden - ausländerrechtlichen Auflage aus. Auch soweit das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Urteil vom 9. Juni 1999 - BSGE 67, 176 ff. [BSG 09.08.1990 - 7 RAr 120/89]) die sich aus ihrer Tatbestandswirkung ergebende Beachtlichkeit ausländerrechtlicher Entscheidungen im Arbeitserlaubnisrecht betont, betrifft dies nur den statusrechtlichen Kernbereich ("soweit das Arbeitserlaubnisrecht Arbeitserlaubnis, Duldung oder Sichtvermerk voraussetzt"), nicht aber sonstige Feststellungen und Aussagen von Ausländerbehörden. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit der wohl herrschenden Meinung in Rechtsprechung (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 27. Januar 1997 - 12 M 267/97 -¨NVwZ 1997, Beilage Nr. 4, 28 im Anschluss an VGH BW, Beschluss vom 22. November 1995 - 6 S 1347/95 - FEVS 46, 410; ebenso OVG Schleswig, Beschluss vom 20. September 1999 - 4 M 69/99 - InfAuslR 2000, 78) und Literatur (vgl. GK-AsylBlG, Stand Dezember 2003, Rdnr. 102 zu § 1 a) zu dem parallel gelagerten Fall einer entsprechenden Mitteilung der Ausländerbehörde gegenüber der Sozial- bzw. der für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Behörde.

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Die Kammer verkennt nicht, dass die geforderte Verfahrensweise einen erhöhten Aufwand für die Arbeitsbehörden bedeutet. Sie entspricht aber der Gesetzlage, die für Behörden und Gerichte verbindlich ist. Immerhin können die Arbeitsbehörden im Wege der Amtshilfe Stellungnahmen der Ausländerbehörden einholen und sich durch Beiziehung der Ausländerakten sachkundig machen. In diesem Zusammenhang werden die Arbeitsbehörden ggf. die sie überprüfenden Gerichte auch die Einschätzung des Einzelrichters im schwebenden Asylverfahren zu würdigen haben, der die Asylklage (1 A 4480/02) aller Voraussicht nach für rechtzeitig erhoben erachtet (vgl. Beschluss des Gerichts vom 28. November 2002 - 1 B 4816/02 - S. 3).