Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.04.1999, Az.: 4 W 48/99
Zweckgebundenheit der Mietnebenkostenforderung; Unpfändbarkeit von Mietnebenkostenforderungen des Vermieters gegenüber dem Mieter; Schutz des Mieters vor Pfändungsmaßnahmen Dritter
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.04.1999
- Aktenzeichen
- 4 W 48/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 19637
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1999:0413.4W48.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Tostedt - 08.12.1998 - AZ: 9 a M 4027/98
- LG Stade - 21.01.1999 - AZ: 7 T 279/98
Rechtsgrundlagen
- § 851 Abs. 1 ZPO
- § 399 BGB
- § 851b ZPO
Fundstellen
- InVo 1999, 358-359
- NJW-RR 2000, 460-461 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1999, 276-278
- RdW 2000, 127-128
- ZMR 1999, 697-699
Verfahrensgegenstand
Zwangsvollstreckungsverfahren
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die vom Mieter auf die vom Vermieter geltend gemachten Ansprüche auf Tragung bzw. Erstattung der Nebenkosten zu erbringenden Zahlungen sind in der Weise zweckgebunden, dass sie nur zur Abgeltung der ausdrücklich vereinbarten Nebenkosten bestimmt sind.
- 2.
Die Schutzbedürftigkeit des Mieters gebietet es, Mietnebenkostenforderungen des Vermieters als zweckgebundene unpfändbare Forderungen anzusehen, die allenfalls im Rahmen ihrer Zweckbestimmung pfändbar sind.
In dem Rechtsstreitverfharen
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die weitere sofortige Beschwerde des Schuldners vom 11. Februar 1999
gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Stade - 7 T 279/98 - vom 21.
Januar 1999
durch
den Vorsitzenden Richter ...
sowie die Richter ... und ...
am 13. April 1999
beschlossen:
Tenor:
Auf die weitere sofortige Beschwerde des Schuldners wird der angefochtene Beschluss wie folgt abgeändert:
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 11. Dezember 1998 gegen den Beschluss des Amtsgerichts ... - Rechtspfleger - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde sowie des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde trägt die Gläubigerin.
Der Beschwerdewert beträgt 2.745,73 DM.
Gründe
Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20. Juli 1998 hat das Vollstreckungsgericht des Amtsgerichts ... aufgrund des zugunsten der Gläubigerin ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts ... vom 10. Juni 1998 - 22 O 345/98 - die Forderungen des Schuldners auf Mietzahlungen inklusive Mietnebenkosten und Mietkautionen für Wohnungen in der ... und für Wohn- und/oder Geschäftsräume in der ... in ... gegen die im Rubrum näher aufgeführten Drittschuldner gepfändet.
Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Vollstreckungsgericht des Amtsgerichts ... durch Beschluss vom 8. Dezember 1998 die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ... vom 10. Juli 1998 - 22 O 345/98 - hinsichtlich der durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts ... vom 20. Juli 1998 erfolgten Pfändung in die Mietnebenkosten aufgehoben.
Gegen diese Entscheidung hat die Gläubigerin durch Schriftsatz vom 11. Dezember 1998 sofortige Beschwerde einlegen lassen mit der Begründung, auch die Mietnebenkosten seien pfändbar, gleichgültig, ob sie im Wege der Vorauszahlung geleistet würden oder als Zahlung auf die ergangene Nebenkostenabrechnung.
Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin durch die angefochtene Entscheidung vom 21. Januar 1999 den Beschluss des Amtsgerichts ... vom 8. Dezember mit der Begründung aufgehoben, die mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20. Juli 1998 erfolgte Pfändung in die Mietnebenkosten sei nicht zu beanstanden und verstoße insbesondere nicht gegen § 851 Abs. 1 ZPO. Nach § 851 Abs. 1 ZPO seien Forderungen nur dann unpfändbar, wenn sie infolge ihrer Zweckbindung nicht übertragen werden könnten, weil die zweckwidrige Verwendung eine Veränderung des Leistungsinhaltes im Sinne des § 399 BGB darstellen würde. Voraussetzung sei damit, dass der Verwendungszweck einer Forderung zum Inhalt der zu erbringenden Leistung gehöre, was jedenfalls auf die nachträgliche Begleichung der angefallenen Nebenkosten - wie in § 4 des Mietvertrages vereinbart - nicht zutreffe. Bei der nachträglichen Begleichung der angefallenen Nebenkosten würde die Zahlung nicht dafür verwandt, den Lieferanten von Strom, Wasser und Heizmaterial zu bezahlen. Die Fälligkeit der Nebenkosten sei nur von einer ordnungsgemäßen Abrechnung, jedoch nicht davon abhängig, dass der Schuldner die Lieferanten seinerseits bezahlt habe. Im Falle nicht ausreichender Versorgung der Mietsache seien die Drittschuldner durch Gewährleistungsansprüche hinreichend geschützt, eines besonderen Pfändungsschutzes bedürfe es deswegen nicht.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete weitere sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß § 793, § 568 Abs. 2 ZPO zulässig, nachdem das Landgericht durch die angefochtene Entscheidung den amtsgerichtlichen Beschluss abgeändert hat, sie ist auch begründet.
I.
Soweit der Schuldner im anwaltlichen Schriftsatz vom 11. Februar 1999, mit dem er die weitere sofortige Beschwerde hat einlegen lassen, ein unzutreffendes Aktenzeichen des Landgerichtes angegeben hat, handelt es sich um ein unbeachtliches Versehen des Schuldners. Der Begründung der weiteren sofortigen Beschwerde läßt sich zwanglos entnehmen, dass sich diese gegen den Beschluss des Landgerichts ... vom 21. Januar 1999 - 7 T 279/98 - richten sollte. Einer Wiedereinsetzung bedarf es daher nicht.
II.
Die angefochtene Entscheidung wird weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht dem zur Entscheidung vorliegenden Sachverhalt gerecht.
1.
Das Landgericht hat seine Entscheidung nur damit begründet, eine Pfändung der Forderung des Vermieters gegen die Mieter auf Zahlung von Bewirtschaftungskosten (Mietnebenkosten) sei jedenfalls dann zulässig, wenn die angefallenen Nebenkosten nicht im Wege der Vorauszahlungen beglichen würden, sondern nachträglich aufgrund der vom Vermieter zu erstellenden Jahresabrechnung, wobei sich das Landgericht auf § 4 des von der Drittschuldnerin zu 1 zu den Akten gereichten Mietvertrages bezieht. Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung übersehen, dass der von der Drittschuldnerin zu 1 überreichte Mietvertrag sich nur auf das Rechtsverhältnis der Drittschuldnerin zu 6 mit dem Rechtsvorgänger des Schuldners bezieht, sodass die vom Landgericht diesem Vertrag entnommene Argumentation nicht auch auf die Rechtsverhältnisse zwischen dem Schuldner und den übrigen Drittschuldnerin übertragen werden kann. Zwischen der unter Nr. 1 als Drittschuldnerin auf geführten ... GmbH & Co. KG bestehen ohnehin unmittelbare mietvertragliche Beziehungen zum Schuldner nicht, da die ... GmbH & Co. KG ihrerseits nur einen Mietvertrag mit der Drittschuldnerin zu 6 hat. Hinsichtlich der Drittschuldner zu 2 bis 5 sowie 7 und 8 sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass auch diese aufgrund der mit dem Schuldner bestehenden Mietverträge die Mietnebenkosten nicht im Wege der Vorauszahlung erbringen, sondern erst nachträglich nach Erstellung der Jahresabrechnung.
Die vom Landgericht für seine Entscheidung gegebene Begründung trifft damit auf die Drittschuldner zu 2 - 5, 7 und 8 nicht zu.
2.
Die vom Landgericht vertretene Ansicht ist auch aus Rechtsgründen zu beanstanden.
Die mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20. Juli 1998 erfolgte Pfändung in die Mietnebenkosten verstößt gegen § 851 Abs. 1 ZPO. Danach ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Unübertragbar und damit unpfändbar ist eine Forderung, wenn ein Gläubigerwechsel den Inhalt der Leistung ändern würde (§ 399 BGB 1. Alternative). Dazu gehört auch eine mit Rücksicht auf ihren Entstehungsgrund höchstpersönliche Forderung sowie eine zweckgebundene Forderung, bei der die zweckwidrige Verwendung eine Veränderung des Leistungsinhaltes im Sinne des § 399 BGB darstellen würde.
In der Literatur ist streitig, ob es sich bei den Mietnebenkosten um pfändbare Forderungen handelt (dafür: Sternel, Mietrecht, 10. Auflage, Rn. 88) oder einen als zweckgebunden unpfändbaren Anspruch (Stöber, Forderungspfändung, 12. Auflage, Rn. 221; Zöller-Stöber, ZPO, 21. Auflage, § 851 Rn. 5; § 829 Rn. 33 Stichwort "Mietzins", Baumbach-Hartmann, ZPO, 57. Auflage, § 851 Rn. 10; wohl auch Bub/Treier/Belz, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., VII, Rdn. 9, 10; LG Frankfurt Rechtspfleger 1989, 294).
Der Senat schließt sich der Ansicht an, dass es sich bei den Mietnebenkosten um zweckgebundene unpfändbare Forderungen handelt, die allenfalls im Rahmen ihrer Zweckbestimmung - was hier jedoch nicht der Fall ist - pfändbar sind. Die Zweckgebundenheit und damit die Unpfändbarkeit ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck der Zahlung von Nebenkosten an den Vermieter. Zahlungen auf Nebenkosten sind in der Regel nicht Bestandteil des Mietzinses sondern werden in den Mietverträgen als gesonderte Zahlung vereinbart. Die Zahlungen auf Mietnebenkosten werden regelmäßig für bestimmte Ausgabenarten vereinbart, die in den Mietverträgen im Einzelnen aufgeführt werden müssen, um eine Zahlungspflicht des Mieters begründen zu können. Die vom Mieter auf die vom Vermieter geltend gemachten Ansprüche auf Tragung bzw. Erstattung der Nebenkosten zu erbringenden Zahlungen sind in der Weise zweckgebunden, dass sie nur zur Abgeltung der ausdrücklich vereinbarten Nebenkosten bestimmt sind. Der Vermieter ist nur berechtigt, sie diesen Zwecken zuzuführen. Die Einordnung der Mietnebenkosten als zweckgebundene unpfändbare Forderung gebietet auch zwingend der Schutz des Mieters. Dieser muss davor geschützt werden, einerseits aufgrund seiner mietvertraglichen Bindung diese Mietnebenkosten an den Vermieter zu zahlen, andererseits aber der Gefahr ausgesetzt zu werden, dass der Vermieter aufgrund einer Gläubigerpfändung diese Beträge nicht an die Versorgungsunternehmen weiterleiten kann und diese aufgrund von Zahlungsrückständen des Vermieters die Versorgung des Hausgrundstückes einstellen. In diesem Fall würde der Mieter Gefahr laufen, einerseits die Mietnebenkosten aufgrund mietvertraglicher Vereinbarung an den Vermieter zahlen und andererseits die Versorgungsunternehmen direkt bezahlen zu müssen, um eine weitere Versorgung seiner Wohnung sicherzustellen. Die Ansicht der Gläubigerin, die mietvertraglichen Gewährleistungsrechte des Mieters gegen den Vermieter stellten einen ausreichenden Schutz des Mieters dar, wenn der Vermieter seine mietvertraglichen Verpflichtungen nicht erfülle, ist im Hinblick auf die zweckgebundene Verwendung von Leistungen auf Nebenkostenforderungen unzutreffend. Es bedarf einer rechtlichen Sicherstellung der zweckgebundenen Verwendung von Leistungen auf Mietnebenkosten durch den Vermieter zur Erfüllung der mietvertraglichen Pflichten, insbesondere im Hinblick auf Strom, Wasser und Heizung, da der Mieter andererseits zwar Ansprüche gegen den Vermieter hat, aber keine Versorgung mit Strom, Wasser und Heizung. Hierbei ist auch die in § 399 BGB zum Ausdruck gekommene gesetzliche Wertung zu beachten, die Interessen eines Schuldners gegenüber der Abtretung einer gegen ihn gerichteten Forderung entgegen dem in § 137 BGB enthaltenen Grundsatz durch Zuerkennen der dinglichen Wirkung einer Abrede des Abtretungsausschlusses besonders zu berücksichtigen.
Auch die in § 851 b ZPO enthaltene Regelung spricht dafür, Mietnebenkostenforderungen als zweckgebundene unpfändbare Forderungen anzusehen. Nach § 851 b ZPO ist die Pfändung von Miet- und Pachtzinsen insoweit aufzuheben, als diese Einkünfte für den Schuldner zur laufenden Unterhaltung des Grundstücks und zur Vornahme notwendiger Instandsetzungsarbeiten unentbehrlich sind. Für den Fall, dass die Zahlungen auf Mietnebenkosten nicht gesondert ausgeworfen sind, ordnet § 851 b ZPO ausdrücklich die Herausrechnung des für die Grundstücksunterhaltung erforderlichen Teiles der Miete an. Wenn aber - wie hier - die Bewirtschaftungskosten sogar gesondert ausgeworfen werden, so kann diese Besonderheit nicht zu einer anderen Bewertung des Rechtscharakters der Mietnebenkostenforderung führen, da auch im Fall der gesondert ausgeworfenen Mietnebenkosten diese zur Unterhaltung des Grundstückes erforderlich sind und nicht der Pfändung unterworfen sein sollen, wie dieses in § 851 b ZPO ausdrücklich gesetzlich für den Fall vorgesehen ist, dass gesonderte Mietnebenkosten nicht vereinbart sind.
Ausgehend von der Zweckgebundenheit der Mietnebenkostenforderung sowie den Bedürfnissen des Schuldnerschutzes macht es keinen Unterschied, ob die Mietnebenkosten im Wege der Vorauszahlung entrichtet werden oder aber erst nachträglich nach Vorlage der Jahresabrechnung. Auch im letzteren Fall sind die Zahlungen auf Mietnebenkosten dergestalt zweckgebunden, dass sie der Abgeltung der Forderungen der Versorgungsunternehmen dienen sollen. Auch wenn der Vermieter im abgelaufenen Wirtschaftsjahr diese Forderungen der Versorgungsunternehmen zunächst aus eigenen Mitteln abgedeckt hat, so dienen die nachträglichen Zahlungen des Mieters dazu, dem Vermieter wieder die Liquidität zu verschaffen, für das Folgejahr ebenfalls aus eigenen Mitteln die Versorgung des Grundstückes sicherzustellen.
Eine andere rechtliche Einstufung der Forderung auf Zahlung von Mietnebenkosten würde zu einem untragbaren Ergebnis führen, das insbesondere bei größeren Objekten mit einer Mehrzahl von Mieteinheiten deutlich wird. Da die Nebenkosten bei diesen Objekten in der Regel erheblich sind, würde die Zulassung der Pfändung der Mietnebenkostenforderungen in kürzester Zeit dazu führen, dass der Vermieter seinen Verpflichtungen gegenüber den Versorgungsunternehmen nicht mehr nachkommen könnte und diese die Versorgung des Grundstückes einstellen würden, was mit dem anzuerkennenden Schutz der Mieter nicht vereinbar wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert beträgt 2.745,73 DM.