Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 21.04.1999, Az.: 9 U 188/98

Einspruch gegen ein Versäumnisurteil; Haftungsbeschränkung bei der GmbH; Voraussetzungen der Durchbrechung der Haftungsbeschränkung; Haftung nach Rechtsscheinsgesichtspunkten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.04.1999
Aktenzeichen
9 U 188/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 30769
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1999:0421.9U188.98.0A

Fundstellen

  • DStR 2000, 84 (amtl. Leitsatz)
  • DStZ 2000, 109-110 (Kurzinformation)
  • GmbHR 1999, 983-984
  • KTS 2000, 266
  • NJW-RR 2000, 39-40 (Volltext mit red. LS)
  • NZG 1999, 1160-1161
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 243-245

In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 1999
für Recht erkannt:

Tenor:

Das Versäumnisurteil des Senats vom 27. Januar 1999 wird aufrechterhalten.

Der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Der zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 27. Januar 1999 hat in der Sache keinen Erfolg. Denn der Beklagte haftet dem Kläger auf Zahlung des im Versäumnisurteil zuerkannten Betrages in Höhe von insgesamt 50.294,58 DM.

3

1.

Allerdings kommt eine Durchgriffshaftung des Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Haftungsbeschränkung oder nach den Grundsätzen der Sphärenvermischung vorliegend nicht in Betracht.

4

a)

Dabei kann offenbleiben, ob der Vortrag des Klägers zu den an und im Geschäftslokal des Beklagten herrschenden Verhältnissen (Firmierung nur unter Einzelfirma, kein Hinweis auf GmbH) zutrifft. Ebenso kann offen bleiben, ob die vom Kläger aufgestellten (pauschalen) Behauptungen zur unzureichenden Trennung der Buchführung und zu den Eigentumsverhältnissen der von den Mitarbeitern genutzten Pkw zutreffend sind.

5

b)

Denn für die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG ist Voraussetzung, dass der Anspruchsteller mit einer GmbH kontrahiert hat, weil er aufgrund einer nicht erkennbaren Vermischung oder Verschleierung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen über den Umfang des ihm haftenden Vermögens ein unzutreffendes Bild gewonnen hatte, oder dass - insbesondere wegen mangelhafter Buchführung - Bestand und Erhaltung des Stammkapitals nicht kontrollierbar sind (vgl. Lutter-Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., § 13 Rdnr. 15). Vorliegend wird dies aber vom Kläger selbst nicht behauptet. Vielmehr stützt er seinen Anspruch darauf, dass er mit der Einzelfirma des Beklagten einen Vertrag schließen wollte und dabei im Unklaren darüber gelassen worden sei, dass der Vertragsschluss mit der GmbH erfolgt ist. Dies ist aber weder ein Fall der Sphärenvermischung (vgl. dazu Lutter-Hommelhoff a.a.O. Rdnr. 16) noch des Missbrauchs der Haftungsbeschränkung.

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2.

Eine Haftung des Beklagten folgt auch nicht aus Rechtscheinsgesichtspunkten.

7

a)

Offenbart der Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen geschäftlicher Verhandlungen nicht, dass Verhandlungs- und Vertragspartner eine GmbH ist, so führt dies - neben der Haftung der GmbH - zu einer persönlichen Haftung des Handelnden, die aus einer entsprechenden Anwendung des § 179 BGB abgeleitet wird (BGH NJW 1991, 2627 f). Hintergrund dieser Rechtscheinshaftung ist der im Handelsrecht geltende Grundsatz der unbeschränkten Haftung. Dieser findet in § 4 GmbH-Gesetz (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses - 15. Mai 1993 - galt noch § 4 Abs. 2 GmbH-Gesetz a.F.) seinen Niederschlag. Erweckt der unter einer Firma ohne Zusatz Handelnde den Eindruck, er selbst sei Inhaber der Firma, muss er sich so behandeln lassen, als entspreche der Schein der Wirklichkeit. Gleiches gilt, wenn beim Vertragspartner der Eindruck erweckt wird, der Inhaber der Firma hafte unbeschränkt.

8

b)

Eine derartige Haftung des Beklagten ist vorliegend zu verneinen, ohne dass es einer Aufklärung über die zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umstände der Vertragsanbahnung bedarf. Denn der Kläger geht selbst davon aus, dass es am 15. Mai 1993 zu einem (schriftlichen) Vertragsschluss gekommen ist. Diesen Vertrag hat er aber erkennbar mit der GmbH abgeschlossen. So ist auf dem Schriftstück vom 15. Mai 1993 als Vertragspartner die "... GmbH" aufgeführt. Der Kläger hat selbst in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 2. August 1994 im selbständigen Beweisverfahren (3 OH 10/94 LG Lüneburg) einen Vertragsschluss mit der GmbH bestätigt und demgemäß sowohl im selbständigen Beweisverfahren als auch im anschließenden Hauptsacheverfahren die ... GmbH in Anspruch genommen. Zwar steht bei einer Haftung nach Rechtsscheinsgesichtspunkten dem Gläubiger grundsätzlich ein Wahlrecht zu, gegen welchen Schuldner er seinen Anspruch verfolgen will; doch ist aus den Verfahren 3 OH 10/94 LG Lüneburg und 3 O 324/96 LG Lüneburg auch nicht ansatzweise erkennbar, dass der Kläger die GmbH nur wahlweise in Anspruch genommen hat, er mit dieser aber eigentlich gar keinen Vertrag hatte schließen wollen, sondern den Beklagten für seinen Vertragspartner gehalten hat.

9

3.

Der Beklagte haftet dem Kläger jedoch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz.

10

a)

Nach dieser Vorschrift ist der Geschäftsführer einer GmbH dem Vertragspartner zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, der diesem aus dem Geschäft mit der GmbH entstanden ist, wenn der Vertrag mit der GmbH zu einem Zeitpunkt geschlossen worden ist, in dem die GmbH bereits konkursreif war (vgl. BGHZ 126, 182 ff [BGH 06.06.1994 - II ZR 292/91]). Denn dem Vertragspartner, dem sog. "Neugläubiger", wäre ein aus dem Vertragsschluss resultierender Schaden nicht entstanden, wenn der Geschäftsführer nach Eintritt der Konkursreife rechtzeitig seiner in § 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz normierten Antragspflicht nachgekommen wäre, weil dann die zahlungsunfähige oder überschuldete Gesellschaft nicht mehr am Rechtsverkehr teilgenommen hätte und es zu einem Vertragsschluss mit ihr nicht mehr gekommen wäre.

11

Dies hätte im Streitfall dazu geführt, dass dem Kläger der durch die mangelhafte Ausführung der von der GmbH erbrachten Leistungen bedingte Schaden in Höhe von 35.000 DM nicht entstanden wäre und der Kläger weiter nicht mit den Kosten der Rechtsverfolgung gegen die vermögenslose GmbH in Höhe von 3.650,13 DM und 11.644,45 DM (Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Landgerichts Lüneburg vom 27. Januar 1997 und vom 14. März 1997) belastet worden wäre. Der Beklagte ist zum Ersatz dieser bisher geltend gemachten und entstandenen Schadenspositionen verpflichtet, weil der Kläger ohne den Vertrag vom 15. Mai 1993 diese Schäden nicht erlitten hätte. Dass die GmbH den Betrag von 35.000 DM ersetzen muss, steht rechtskräftig fest; Einwendungen hat der Beklagte im vorliegenden Verfahren insoweit nicht mehr erhoben.

12

b)

Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (15. Mai 1993) war die ... GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, konkursreif. Grundsätzlich hat der Kläger, der als Neugläubiger Schadensersatz verlangt (BGH ZIP 1994, 1103), den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der GmbH darzulegen und zu beweisen. Dabei besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass seit dem Eintritt der rechnerischen Überschuldung auch eine rechtliche Überschuldung vorlag, wenn ein Unternehmen später zahlungsunfähig wird. Hierfür ist Voraussetzung, dass die rechnerische Überschuldung im maßgeblichen Zeitpunkt unstreitig oder bewiesen ist.

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Vorliegend rechtfertigt sich indessen ausnahmesweise eine Darlegungs- und Beweiserleichterung zugunsten des Klägers daraus, dass die später zahlungsunfähig gewordene GmbH unstreitig bereits 1989 überschuldet war und nach dem ebenfalls unstreitigen Sachverhalt eine Beseitigung der Überschuldung in der Zeit bis Mai 1993 offenbar versäumt worden ist. Denn im Dezember 1989 ist - zur Behebung der Überschuldung - zwar das Stammkapital von 50.000 DM auf 150.000 DM erhöht worden. Eine Einzahlung dieser neuen Stammeinlage ist von dem Beklagten jedoch weder mit Substanz behauptet worden noch in sonstiger Weise ersichtlich. Gegen die Einzahlung der Stammeinlage spricht vor allem die Angabe des Beklagten im Konkursverfahren 7 N 59/96 (Bl. 12 d.A.), die er dort am 15. Oktober 1996 gemacht hat. Dort äußerte der Beklagten: "Ob diese Beträge tatsächlich eingezahlt wurden, kann ich nicht sagen. M. E. sind sie nicht eingezahlt worden." Dies belegt den Vortrag des Klägers zur Nichteinzahlung der Stammeinlage.

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Wenn der Beklagte nunmehr gleichwohl die Zahlung der Stammeinlage darlegen will, dann wäre hierzu erforderlich, dass er dies nach Zahlungszeit und Zahlungsweise konkretisiert. Dieser Vortrag wäre dem Beklagten - weil es sich zum einen um eine von ihm selbst zu bewirkende Leistung handelt, zum anderen wegen der Höhe des Betrages ein derartiger Vorgang nicht nur auch nach mehreren Jahren noch erinnerlich, sondern durch Unterlagen (Bankauszüge etc.) unschwer zu belegen ist - ohne weiteres zuzumuten.

15

Ebenso ist es dem Beklagten ohne weiters zumutbar, darzulegen und unter Beweis zu stellen, warum jedenfalls - bei Nichtleistung der Stammeinlage - die Forderung der Gesellschaft auf Zahlung der Stammeinlage werthaltig gewesen ist, sodass durch ihre Aktivierung die Überschuldung abgewendet werden konnte, oder warum aus sonstigen Gründen eine Konkursreife der Gesellschaft am 15. Mai 1993 nicht vorlag. Der Beklagte, der als Geschäftsführer der GmbH jederzeit die Möglichkeit des Zugriffs auf Unterlagen der Gesellschaft gehabt hat und der als Geschäftsführer und Alleingesellschafter über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft bestens informiert gewesen sein musste, hätte zur Vermögens Situation der Gesellschaft im fraglichen Zeitraum - vor allem zu etwa nachhaltig erzielten Gewinnen, die die Konkursreife beseitigten - vortragen und Unterlagen (z.B. Jahresbilanzen etc.) vorlegen können. Ebenso musste er in der Lage sein zu erläutern, mit welchen Mitteln er die Kapitalerhöhung bestreiten wollte, und warum er sie - obwohl er ursprünglich dazu objektiv in der Lage war - schließlich über Jahre hindurch doch nicht durchgeführt hat. Trotz gerichtlicher Verfügung vom 15. Februar 1999 ist diesbezüglicher Vortrag insbesondere zu dem letzteren Punkt nicht erfolgt. Die pauschale Behauptung des Beklagten in der Berufungserwiderung, zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses am 15. Mai 1993 sei keine Konkursreife der GmbH gegeben gewesen, genügt unter den besonderen Umständen des Streitfalls den Anforderungen an die Darlegungslast nicht, sodass diese unsubstantiierte Behauptung auch einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist.

16

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1; 708 Nr. 10, 713; 546 Abs. 2 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer für den Beklagten:50.294,58 DM.