Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.08.2009, Az.: 13 K 144/09
Pflicht des Steuerpflichtigen zur fristgerechten Bereitstellung des den das Änderungsbegehren stützenden konkreten Lebenssachverhalts in zumindest groben Zügen; Hinreichend bestimmter Änderungsantrag aufgrund der Vorlage der Steuererklärung, der Gewinnermittlung, der Einkünfteermittlung und der Auflistung der sonstigen Besteuerungsgrundlagen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.08.2009
- Aktenzeichen
- 13 K 144/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 21606
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0828.13K144.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO
Fundstellen
- AO-StB 2010, 78-79
- BB 2009, 2579-2580
- EFG 2009, 1811-1812
- StX 2010, 42-43
Einkommensteuer 2006, Umsatzsteuer 2006
Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO eines Schätzungsbescheides bei Abgabe einer Steuererklärung innerhalb der Klagefrist
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Einkommensteuerbescheid 2006 und der Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 17.04.2008 in der Fassung der Einspruchsbescheide vom 10.12.2008 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO geändert werden müssen.
Die Kläger (Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheides 2006) bzw. der Kläger (Ablehnung der Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2006) gaben trotz Erinnerung keine Steuererklärung für 2006 ab. Der Beklagte schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO mit Bescheiden vom 17.04.2008. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidungen vom 10.12.2008 als unbegründet zurück. Die Einspruchsbescheide wurden mit Empfangsbekenntnis am 11.12.2008 zugestellt.
Am 08.01.2009 beantragten die Kläger die Änderung des Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheides 2006 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO. Ihrem Antragsschreiben fügten sie die vollständig ausgefüllte und unterschriebene Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung 2006 mit einer Einnahmeüberschussrechnung für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Einkünfteermittlung für zwei Grundstücke und eine Zusammenstellung der Sonderausgaben bei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Steuererklärungen und Anlagen Bezug genommen.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Änderung des Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheides 2006 mit Bescheid vom 17.02.2009 mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine schlichte Änderung bei Abgabe einer vollständigen Steuererklärung nicht gegeben seien.
Den Einspruch gegen den ablehnenden Bescheid wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 28.04.2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führt der Beklagte aus, dass eine punktuelle Änderung nach Sinn und Zweck der Regelung nicht mehr gegeben sei, wenn die Überprüfung der gesamten Steuererklärung erforderlich sei. Aus diesem Grund scheide eine Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO aus. Im Übrigen werde das eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass wegen der Vorlage der Steuererklärung erst nach Erlass einer Einspruchsentscheidung eine Änderung nicht erfolge.
Die Kläger beantragen wegen Einkommensteuer 2006 bzw. der Kläger beantragt wegen Umsatzsteuer 2006,
den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2006 und den Umsatzsteuerbescheid jeweils vom 17.04.2008 dahingehend zu ändern, dass der jeweiligen Steuerfestsetzung die erklärten Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage sei unbegründet. Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Ausführungen in den Einspruchsbescheiden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet.
Der Beklagte ist verpflichtet, den Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheid 2006 unter Berücksichtigung der Angaben in der Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung vom 8. Januar 2009 zugunsten der Kläger bzw. des Klägers abzuändern. Der innerhalb der Klagefrist gegen die Einspruchsbescheide vom 10. Dezember 2008 gestellte Antrag auf "schlichte" Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist inhaltlich hinreichend bestimmt.
1.
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit der Steuerpflichtige vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat. Diese Regelung ist gemäß § 172 Abs. 1 S. 2 und 3 AO auch anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist den Antrag stellt.
2.
Ist eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen beabsichtigt, so muss der Steuerpflichtige nach Erlass des Einspruchsbescheides bis zum Ablauf der Klagefrist einen bestimmten Antrag auf Änderung stellen. Dieses Erfordernis folgt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. ausführlich BFH-Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439) aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift und aus dem Gesetzeszweck. Dagegen genügt es nicht, einen allgemein auf Änderung des Steuerbescheides gerichteten Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zu konkretisieren und zu begründen. Ein solcher - zunächst nicht entsprechend konkretisierter - Antrag ist unwirksam und eine auf ihn gestützte Änderung des Steuerbescheides daher unzulässig (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 I R 25/99, BFHE 190, 285, BStBl II 2000, 283).
3.
Nach diesen Maßstäben muss sich das vom Steuerpflichtigen verfolgte Änderungsbegehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag auf "schlichte" Änderung selbst ergeben. Rein betragsmäßige Angaben über die Auswirkung der Änderung auf die Steuerfestsetzung sind für sich genommen für die Bestimmtheit des Antrags nicht ausreichend (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.2006 XR 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503).
a)
Der Steuerpflichtige muss der Finanzbehörde den konkreten Lebenssachverhalt, auf den er das Änderungsbegehren zu seinen Gunsten stützt, zudem bis zum Ablauf der in § 172 Abs. 1 S. 2 und 3 AO bestimmten Frist zumindest in seinen groben Zügen zu erkennen geben. Auch das folgt aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
b)
Entgegen der Ansicht des Beklagten folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung nicht, dass die Einreichung einer Steuererklärung nicht zur Bestimmung des konkreten Lebenssachverhalts geeignet ist und einer Änderung entgegen steht.
Der Steuerpflichtige hat nach der gesetzlichen Regelung der Finanzbehörde innerhalb der durch § 172 Abs. 1 S. 2 und 3 AO bestimmten Frist einen dem Steuerbetrag nach konkretisierten Änderungsrahmen vorzugeben, indem er die steuerlichen Tatsachen zumindest in groben Umrissen benennt, aus denen sich die errechnete Steuer bei der beantragten geänderten Festsetzung ergibt. Dabei lässt sich aus der gesetzlichen Regelung weder entnehmen, dass sie auf Steuerbescheide mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen nicht anzuwenden, noch dass die Anzahl der beantragten punktuellen Änderungen beschränkt ist. Aus der systematischen Stellung des § 172 AO im Rahmen der Änderungsvorschriften, dem Wortlaut der Regelung und der getroffenen Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers ausdifferenzierte Änderungsnormen für Steuerbescheide zum Ausgleich des Widerstreits zwischen Bestandskraft und materieller Richtigkeit zu schaffen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 10. August 2006, II R 24/05, BFHE 214, 105, BStBl II 2007, 87), folgt vielmehr, dass bei Vorliegen eines fristgerecht gestellten, hinreichend bestimmten Änderungsantrages auch bei Schätzungsbescheiden eine Änderung hinsichtlich jeder einzelnen Besteuerungsgrundlage grundsätzlich in Betracht kommt.
4.
Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass ein Antrag auf "schlichte" Änderung nicht hinreichend bestimmt ist, wenn er lediglich auf die Herabsetzung der Steuer auf "Null" oder auf einen beliebigen anderen, näher bezeichneten Betrag gerichtet ist. Das gilt auch dann, wenn der Antrag hinsichtlich der Korrekturpunkte im Einzelnen auf eine zu einem späteren Zeitpunkt (außerhalb der Klagefrist) nachzureichende Steuererklärung verweist (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.2006 XR 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503 m.w.N). Anders verhält es sich jedoch, wenn - wie im Streitfall - der Antrag auf "schlichte" Änderung zugleich durch Einreichung der vollständig ausgefüllten Steuererklärung nebst Anlagen und Erläuterungen konkretisiert wird. Mit Vorlage der Steuererklärung, der Gewinnermittlung, der Einkünfteermittlung und der Auflistung der sonstigen Besteuerungsgrundlagen wird der Lebenssachverhalt, der nach Ansicht des Steuerpflichtigen in dem ursprünglichen Steuerbescheid nicht zutreffend gewürdigt worden ist und daher nunmehr bei der beantragten Änderung abweichend berücksichtigt werden soll, im Einzelnen hinsichtlich jeder Besteuerungsgrundlage dargelegt. So lässt sich dem Antrag unter Heranziehung der mitgereichten Steuererklärung und Erläuterungen klar entnehmen, dass z.B. die Vorsorgeaufwendungen nicht nur mit einem geschätzten Betrag von 4.500 EUR angesetzt werden sollen, sondern zugunsten der Kläger die tatsächlich geleisteten, einzeln benannten Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 10.649 EUR im Rahmen der Höchstbeträge Berücksichtigung finden sollen.
Desgleichen sind die Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung im Einzelnen durch Auflistung der Einnahmen und Ausgaben konkret bezeichnet. Insoweit begehren die Kläger indes eine Änderung zu ihren Ungunsten, was nach dem eindeutigen Wortlaut des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO jedoch zulässig ist. Die Einhaltung der Frist des § 172 Abs. 1 S. 2 und 3 AO war insoweit nicht erforderlich.
Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Antrages auf Änderung des Umsatzsteuerbescheides. Durch die Abgabe der Umsatzsteuererklärung unter Beifügung der Gewinnermittlung hat der Kläger konkret dargelegt, dass entgegen den Annahmen im Schätzungsbescheid die steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen einschließlich unentgeltlicher Wertabgaben nicht 53.000 EUR betragen haben, sondern er lediglich 49.969 EUR Umsätze zum allgemeinen Steuersatz einschließlich unentgeltlicher Wertabgaben in Höhe von 840 EUR ausgeführt hat und die Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern nicht 3.000 EUR, sondern 3.375,92 EUR betragen. Beide Besteuerungsgrundlagen sind aufgrund der eingereichten Anlage EÜR ohne weiteres nachvollziehbar und hinreichend konkretisiert.
5.
Aufgrund der hinreichend bestimmten, fristgerecht gestellten Änderungsanträge ist der Beklagte verpflichtet, dem Änderungsbegehren der Kläger bzw. des Klägers zu entsprechen und ihn erklärungsgemäß zu veranlagen. Nach Ansicht des Senats ist § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO, zwar entgegen der h. M. (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458; Klein, AO, § 172 Rz. 30; Beermann/Gosch, AO, § 172 Rz. 52), nicht als Ermessensvorschrift anzusehen (vgl. im Einzelnen Heinke, DStZ 1988, 406; Unvericht, DStR 1987, 279; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 172 Rz. 56f.; Pahlke/Koenig, AO, § 172 Rz. 41; FG Köln vom 02.09.1994, EFG 1995, 238). Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an, da auch im Falle einer Ermessensvorschrift eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten wäre.
Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Zweck der Änderungsvorschriften und damit auch des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO ist der Ausgleich zwischen den gleichwertigen verfassungsrechtlichen Prinzipien der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dem Prinzip der Rechtssicherheit wird einfachgesetzlich durch die formelle Bestandskraft und die befristete Anfechtbarkeit von Verwaltungsentscheidungen Rechnung getragen. Mit Ablauf der Rechtsmittelfrist tritt die Bestandskraft und damit die Unabänderbarkeit des Verwaltungsaktes in den Vordergrund und lässt das Prinzip der Gesetzmäßig der Verwaltung nur noch in Ausnahmefällen zum Zuge kommen (vgl. BFH-Urteil vom 07.11.2006 VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236). Vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gebührt indes der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes der Vorrang, soweit der Steuerpflichtige seine Rechte wahrnimmt. Dieser Interessenausgleich lässt sich anhand der Regelung des § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO nachvollziehen, indem eine Änderung des Verwaltungsaktes zugunsten des Steuerpflichtigen nur dann zugelassen wird, wenn ein hinreichend konkreter Antrag vor Eintritt der formellen Bestandskraft gestellt wird, also zu einem Zeitpunkt zu dem auch der Eintritt der Bestandskraft durch ein Rechtsmittel verhindert werden könnte.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist weder der Umfang eines hinreichend konkretisierten Antrags, also die Anzahl der begehrten Änderungspunkte, noch der Umfang der steuerlichen Auswirkung ein geeignetes Ermessenskriterium, da die gesetzliche Regelung entsprechend ihrem Zweck insofern keine Begrenzungen enthält. Ebenso wenig ist die verspätete Erfüllung der Steuererklärungspflicht ein geeigneter Maßstab, da die Verspätung keinen Einfluss auf die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes hat. Der Nichterfüllung der Steuererklärungspflicht kann die Finanzbehörde vielmehr durch die Mittel der Zwangsgeldfestsetzung und Festsetzung eines Verspätungszuschlages begegnen. Angesichts der einfachen und eindeutigen rechtlichen Beurteilung des klaren Sachverhaltes bestehen keine hinreichenden Gründe eine Änderung der Schätzungsbescheide zu versagen. Ermessen wird der Finanzbehörde immer dann eröffnet, wenn aufgrund des dargelegten konkreten Sachverhaltes umfangreiche weitere Ermittlungen erforderlich werden, schwierige, ungeklärte Rechtsfragen oder ungewisse Rechtsfolgen zu beurteilen sind, folglich die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nicht offenbar und eindeutig beantwortet werden kann. In diesen Fällen ist zu entscheiden, welchem verfassungsrechtlichen Prinzip der Vorrang einzuräumen ist. Im Streitfall ist aufgrund des einfachen und klaren Sachverhaltes und der eindeutigen Rechtslage hingegen eine Änderungsverpflichtung gegeben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.