Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.08.2009, Az.: 11 K 558/07
Versteuerungspflicht eines Vorteils aus der privaten Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs durch einen Außendienstmitarbeiter im Fall einer erlaubten, aber nicht erfolgten privaten Nutzung des Fahrzeugs
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.08.2009
- Aktenzeichen
- 11 K 558/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 33369
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0829.11K558.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG
- § 8 Abs. 2 S. 2, 4 EStG
- § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Einkommensteuer 2003 - 2005
Private Nutzung eines Dienstfahrzeugs, Widerlegung des Anscheinsbeweises
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger den Vorteil aus der privaten Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs seiner Arbeitgeberin, einer GmbH, nach der 1%-Regel zu versteuern hat.
Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger bezog in den Streitjahren 2003 - 2005 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als Außendienstmitarbeiter. Seine Arbeitgeberin, bei der er seit 2001 angestellt war, stellte ihm für seine Tätigkeit ein betriebliches Kraftfahrzeug, einen VW Passat Variant, zur Verfügung. Ein arbeitsvertragliches Verbot der privaten Mitbenutzung des Fahrzeugs gab es nicht. Vielmehr wurde das Fahrzeug ausdrücklich auch zur privaten Nutzung überlassen. Die Klägerin ist nicht berufstätig. Die Kläger haben drei, in den Streitjahren minderjährige Kinder.
In der ersten Lohnabrechnung rechnet die Arbeitgeberin dem Kläger für die private Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs lohnsteuerpflichtige, nach den 1%-Regelung berechnete Einnahmen zu, obwohl er zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatte, dass er das Fahrzeug nicht privat nutze und auch nicht benutzen wolle. Auf Intervention des Klägers wurde die Lohnabrechnung geändert. In der Folge wurde dem Kläger kein steuerpflichtiger Vorteil aus der Nutzung des Fahrzeugs mehr zugerechnet und versteuert.
In den Vorjahren (2001-2002) wurde die Arbeitgeberin im Wege der Haftung für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer des Klägers für die private Nutzung des Fahrzeugs vom Finanzamt in Anspruch genommen. Sie akzeptierte den entsprechenden Haftungsbescheid. Der Kläger war darüber nicht informiert.
Nach einer Lohnsteueraußenprüfung änderte der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2003-2005 und erhöhte die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit des Klägers um den nach der 1%-Regel berechneten Vorteil aus einer privaten Mitbenutzung des Firmenfahrzeugs, da die Abreitgeberin kein Nutzungsverbot ausgesprochen habe und der Kläger kein Fahrtenbuch geführt habe. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage begehren die Kläger die Aufhebung der Änderungsbescheide. Dazu trägt der Kläger vor, er habe das Firmenfahrzeug ausschließlich betrieblich genutzt. Eine Privatnutzung sei nicht notwendig gewesen. Zu Beginn seines Anstellungsverhältnisses im Jahr 2001 hätten er und seine Ehefrau über einen VW Sharan und eine VW Polo verfügt. Der Polo sei erst nach Beendigung der Probezeit verkauft worden als er sicher sein konnte, die Anstellung zu behalten. Sein Einsatzgebiet sein sehr weitläufig. Er sei arbeitstäglich häufig erst spät abends nach Hause gekommen, so dass für Privatfahrten keine Zeit verblieben sei. Seine Kinder seien teilweise noch auf Kindersitze angewiesen gewesen, diese hätten aus dem Privatfahrzeug bei einer Nutzung des Firmenfahrzeugs erst ausgebaut werden müssen. Das sei umständlich und deshalb auch niemals geschehen. Seiner Arbeitgeberin gegenüber habe er die Reisekosten und Fahrten immer abgerechnet. Dies habe nicht zu Beanstandungen geführt. Aus den vorgelegten Abrechnungen ergebe sich, dass er nur betrieblich gefahren sei.
Das Firmenfahrzeug sei zudem mit Arbeitsmaterialien bepackt gewesen. Urlaubsfahrten habe die Familie immer mit dem Privatwagen unternommen.
Nach der Beanstandung der ersten Lohnabrechnung habe ihm die Arbeitgeberin eine Schriftstück vorgelegt, mit dem er durch seine Unterschrift auf die im arbeitsvertraglich eingeräumte Privatnutzung verzichte habe. Diesen Sachverhalt habe die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Februar 2008, das dem Gericht vorliege, bestätigt. Die Verpflichtungserklärung selbst habe er nicht mehr.
Die Kläger beantragen,
die Änderungsbescheid 2003-2005 vom 21. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2007 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenden Auffassung, dass der Anscheinsbeweis einer privaten Mitbenutzung des Firmenfahrzeugs nicht widerlegt sei. Die Arbeitgeberin des Klägers sei mit einer Privatnutzung einverstandenen gewesen. Arbeitsvertraglich sei kein Ausschluss vereinbart. Eine Überwachung der Verpflichtungserklärung des Klägers habe nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtswidrig. Die Kläger werden dadurch in ihren Rechten verletzt. Die Steuerbescheide waren daher nach § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben.
Der Kläger hat den Anscheinsbeweis der Privatnutzung des Firmenfahrzeugs zur Überzeugung des Gerichts widerlegt. Das FA durfte deshalb keine Erhöhung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit vornehmen.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit neben Gehältern, Löhnen, Gratifikationen und Tantiemen auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentliche oder privaten Dienst gewährt werden. Darunter fallen auch geldwerte Vorteile, die mit der Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Zwecken verbunden sind. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG sind diese in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kalendermonat mit 1 v. H. des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer anzusetzen. Statt dieses Betrages kann nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG der auf die private Nutzung entfallende Teil der gesamten Kraftfahrzeugaufwendungen angesetzt werden, wenn die durch das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.
Im Bereich der Nutzung eines betrieblichen Pkw durch einen Arbeitnehmer hat der Bundesfinanzhof die Ansicht vertreten, dass ein Anscheinsbeweis für eine private Mitbenutzung des überlassenen Fahrzeugs sprechen könne (BFH, Beschluss vom 14. Mai 1999 VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330). Diese Bestimmungen kommen aber dann nicht zur Anwendung, wenn eine Privatnutzung ausscheidet (BFH-Beschluss vom 13. April 2005 VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300). Dabei spricht allerdings nach der Rechtsprechung aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private Nutzung des Dienstwagens. Der Anscheinsbeweis kann durch den Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu bedarf es allerdings nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt (BFH-Beschlüsse vom 4. Juni 2004 VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416, m.w.N.; vom 27. Oktober 2005 VI B 43/05, BFH/NV 2006, 292; vom 14. Mai 1999 VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330; in BFH/NV 2005, 1300; vom 11. Juli 2005 X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801, zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).
Nach diesen Grundsätzen, denen das Gericht folgt, ist die Entscheidung des FA zu beanstanden. Der Kläger hat von der Möglichkeit, ein Fahrtenbuch zu führen (§ 8 Abs. 2 Satz 4 EStG), keinen Gebrauch gemacht. Die Reisekostennachweise genügen den Anforderungen an ein Fahrtenbuch nicht. Die 1%-Regel kommt nur dann nicht zur Anwendung, wenn der Kläger den ihm überlassenen Firmenwagen ausschließlich für berufliche Fahrten genutzt hat. Diese Frage ist aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung zu beantworten. Auch die damit im Zusammenhang stehende Frage, ob der erwähnte Anscheinsbeweis als erschüttert bzw. entkräftet angesehen werden kann, ist dem Bereich der Beweiswürdigung zuzuordnen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 1416, und in BFH/NV 2005, 1801).
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und widerspruchsfrei dargelegt, warum und wie er das Firmenfahrzeug ausschließlich betrieblich genutzt hat und dass aufgrund seiner familiären Situation kein Anlass bestand, dass Fahrzeug für Privatfahrten zu nutzen.
Dem Kläger und seiner Familie standen zunächst zwei ausreichende, private Fahrzeuge zur Verfügung, die er beibehalten hatte bis seine Probezeit beendet war. Die Tatsache, dass er nach Beendigung der Probezeit das kleinere Fahrzeug, den VW Polo, abgeschafft hatte, spricht nicht für eine Privatnutzung des Dienstfahrzeugs, denn der Familie stand mit dem VW Sharan ein nach wie vor ausreichendes Fahrzeug zur Verfügung. Neben dem Kläger und der Klägerin waren in der Familie keine weiteren Führerscheininhaber vorhanden. Nach der Schilderung seines Aufgabengebietes und seines Arbeitstages, der Ausstattung des neben dem VW Sharan nicht repräsentativeren Dienstfahrzeugs (VW Passat Variant) und der Urlaubsgewohnheiten der klägerischen Familie ist das Gericht davon überzeugt, dass das streitige Fahrzeug - zumindest nahezu - ausschließlich - beruflich genutzt wurde. Dies reicht hin, dem Kläger keinen Nutzungsvorteil zuzurechnen.
Auch der unstreitige Ablauf bei Einstellung des Klägers, die Korrektur der Gehaltsabrechnung und die vom Gericht als wahr unterstellte Selbstverpflichtung, keine private Nutzung vorzunehmen, sprechen für den Kläger. Dem steht das Verhalten der Arbeitgeberin, die offensichtlich zunächst mit einer Privatnutzung einverstanden war und dem Kläger deshalb den Nutzungsvorteil zugerechnet hatte, nicht entgegen. Sie hielt die Selbstverpflichtung des Klägers für ausreichend, hat diese akzeptiert und sie im Rahmen der betrieblichen Gegebenheiten durch das Verlangen von Reisekostenabrechnungen und stichprobenartiger Kontrollen überprüft.
Die Zurechnung eines steuerlichen Vorteils in den geänderten Steuerbescheiden war deshalb durch Aufhebung der Bescheide rückgängig zu machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.