Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.08.2009, Az.: 12 K 460/08
Anspruch auf Änderung eines Einkommensteuerbescheids trotz grob fahrlässigen Unterlassens einer Angabe der Pflichtversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Steuererklärung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.08.2009
- Aktenzeichen
- 12 K 460/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 31919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0826.12K460.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 10.12.2009 - AZ: X B 199/09
- BFH - 09.11.2011 - AZ: X R 53/09
Rechtsgrundlage
- § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Fundstellen
- AO-StB 2010, 139
- DStR 2010, 10-11
- DStRE 2010, 827-828
- StBW 2010, 259
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 2005 und 2006
Grobes Verschulden bei unvollständigem Ausfüllen der Steuererklärungsvordrucke (Nichtangabe von Rentenversicherungsbeiträgen)
Tatbestand
Die Kläger begehren die Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide.
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war in den Streitjahren als Diplom-Kaufmann nichtselbstständig tätig; er unterlag der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Klägerin war mit dem Handel von ... und als ... gewerblich tätig. Neben anderen Vorsorgeaufwendungen gaben die Kläger in ihren Einkommensteuererklärungen an, der Kläger leiste Beiträge zu der gesetzlichen Rentenversicherung, die Klägerin leiste Beträge zu einer Rentenversicherung ohne Kapitalwahlrecht in Höhe von 1.200 EUR (2005) bzw. 1.271 EUR (2006). Die Steuerbescheide beruhten insoweit auf den Angaben in den Steuererklärungen, wobei nach einem Einspruch gegen den Steuerbescheid für 2006 nachträglich geltende gemachte Altersvorsorgebeträge gem. § 10a EStG für beide Kläger berücksichtigt wurden. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig.
Mit einem am 15. September 2008 bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) eingegangenen Schriftsatz beantragten die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2005 und 2006 unter Befügung der Beitragsbescheinigungen der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 3. Februar 2006 über von der Klägerin ab 10. März 2005 geleistete Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 759,20 EUR in 2005 und vom 17. Februar 2007 über Pflichtbeiträge in Höhe von 936 EUR in 2006. Erst im Einspruchsverfahren betreffend 2007 sei festgestellt worden, dass die Klägerin als Selbstständige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichte. An dem nachträglichen Bekanntwerden der Beitragszahlung treffe die Kläger kein Verschulden, weil sich diese Vorsorgeaufwendungen in den Vorjahren steuerlich nicht ausgewirkt hätten. Erst ab 2005 sei die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu der gesetzlichen Rentenversicherung neu geregelt worden, was den Klägern nicht bekannt gewesen sei. Mit Bescheid vom 19. September 2008 lehnte das FA die beantragte Änderung mit der Begründung ab, die vorgetragene Begründung hinsichtlich der steuerlichen Auswirkungen der Vorsorgeaufwendungen sei keine neue Tatsache.
Mit ihrem Einspruch machten die Kläger geltend, eine die Änderung der Steuerbescheide rechtfertigende neue Tatsache sei die Beitragszahlung. Weil sie, die Kläger, die Gesetzesänderung nicht gekannt und sich bis 2005 derartige Vorsorgeaufwendungen bei ihnen steuerlich nicht ausgewirkt hätten, träfe sie an dem nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden. Das FA wies den Einspruch mit Bescheid vom 3. November 2008 mit der Begründung zurück, die Kläger treffe an dem nachträglichen Bekanntwerden ein grobes Verschulden, zumal sie seit 2004 durch einen Steuerberater vertreten gewesen seien.
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie persönlich treffe an der nachträglichen Geltendmachung der Anerkennung von Rentenversicherungsbeiträgen der Klägerin kein grobes Verschulden, da sie die steuerliche Relevanz nach der Gesetzesänderung nicht gekannt hätten. Der Kläger habe zudem nicht gewusst, dass die Klägerin als Selbstständige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung leiste. Ihren steuerlichen Berater habe sich ebenfalls nicht grob fahrlässig verhalten, weil ihm die Zahlungen der Klägerin für eine gesetzliche Rentenversicherung nicht mitgeteilt und die Bescheinigung aus Unkenntnis der Mandanten nicht vorgelegt worden seien. Allein der Kläger habe mit dem steuerlichen Berater Kontakt gehabt. Die Klägerin habe zwar die Steuererklärung unterschrieben, sie habe aber kaum Kenntnisse des Steuerrechts.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Bescheids vom 19. September 2008 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 3. November 2008 die Bescheide über Einkommensteuer für 2005 vom 4. Dezember 2006 und für 2006 vom 17. Juli 2008 zu ändern und die Steuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn weitere Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 760 EUR für 2005 und 936 EUR für 2006 berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA hält an seiner Auffassung fest.
Entscheidungsgründe
Das Gericht darf mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin entscheiden.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Das FA hat zu Recht die begehrte Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2005 und 2006 abgelehnt. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Änderung. Die Voraussetzungen der hier allein für die Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide in Betracht kommenden Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden. Der Steuerpflichtige hat ebenfalls das Verschulden seines zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten beauftragten Steuerberaters zu vertreten (ständige Rechtsprechung; vgl. Pahlke/Koenig AO § 173 Rz. 125 mit weiteren Nachweisen).
Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist im Streitfall die Zahlung von Beiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung durch die Klägerin. Das nachträgliche Bekanntwerden ist aus Sicht des FA zu beurteilen. So ist nicht von Bedeutung, ob der Steuerpflichtige oder sein Steuerberater die Tatsache nach abschließender Bearbeitung des Steuerfalls bekannt wurde. Aus Sicht des FA ist die Tatsache der Beitragszahlung nachträglich bekannt geworden, denn es erfuhr davon erst mit dem am 15. September 2008 eingegangen Änderungsantrag. Zu diesem Zeitpunkt war seine Willensbildung betreffend der Steuerveranlagungen 2005 und 2006 abgeschlossen. Es lagen sogar bereits bestandskräftige Steuerbescheide vor. Die neuen Tatsachen würden auch zu einer niedrigeren Steuer führen. Allerdings trifft die Kläger an dem nachträglichen Bekanntwerden der Beitragszahlungen ein grobes Verschulden, das die Änderung ausschließt.
Grobes Verschulden bedeutet Vorsatz, der im Streitfall ausgeschlossen werden kann, und grobe Fahrlässigkeit; leichte Fahrlässigkeit reicht für ein grobes Verschulden nicht aus. Grob fahrlässig handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Ein solches Handeln liegt vor, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Bezugspunkt für das grobe Verschulden ist die Verletzung der Mitwirkungs- und Erklärungspflichten. So muss der Steuerpflichtige die Steuererklärung wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen. Gibt er eine unvollständige oder unzutreffende Steuererklärung ab, muss gerade diese Pflichtverletzung grob schuldhaft erfolgt sein. Allerdings kann von dem Steuerpflichtigen eine umfassende Kenntnis der steuerrechtlichen Vorschriften nicht erwartet werden, sodass ein auf mangelnde Kenntnis des Steuerrechts beruhender Erklärungsfehler nicht als grob verschuldet angesehen werden kann. Der Steuerpflichtige hat indes die Pflicht, das Steuererklärungsformular sorgfältig zu lesen und auszufüllen, die entsprechenden Merkblätter zu lesen und bei Zweifeln sich beim FA zu erkundigen (ständige Rechtsprechung; vgl. umfassend Pahlke/Koenig AO § 173 Rz. 110 bis 212 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Bedient er sich zur Anfertigung der Steuererklärung eines steuerlichen Beraters, muss er diesen umfassend zu seinen steuerlichen Angelegenheiten informieren und bei Unterzeichnung des ausgefüllten Erklärungsvordrucks prüfen, ob die Angaben richtig und vollständig sind.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe, denen das Gericht folgt, haben die Kläger grob fahrlässig die Angaben zur gesetzlichen Rentenversicherung der Klägerin in der Steuererklärung unterlassen.
In Zeile 63 des Steuererklärungsformulars 2005 ist ausdrücklich nach Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung gefragt. Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass hier nur ein Arbeitnehmeranteil der nichtselbstständig Tätigen einzutragen ist. In den folgenden Zeilen werden Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen und freiwillige Leistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung abgefragt. Zwar könnte das Formular für 2005 hier den Eindruck erwecken, Pflichtbeiträge Selbstständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung seien steuerlich nicht relevant und daher nicht anzugeben Aus den geforderten Angaben ist aber ohne weiteres zu schließen, dass auch Pflichtbeiträge Selbstständiger steuerbegünstigt sind oder zumindest sein könnten. Den Klägern musste sich aus dem Gesamtzusammenhang der abgefragten Daten aufdrängen, dass auch Pflichtbeiträge der Selbstständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen steuerlich von Relevanz waren.
Im Steuererklärungsformular 2006 finden sich die Erklärungen in Zeilen 61 ff. Zeile 62 im Formular fragt ausdrücklich unter anderem nach Pflichtbeiträgen von Nichtarbeitnehmern zu den gesetzlichen Rentenversicherungen. Das Formular für 2006 ist insoweit gegenüber dem für 2005 eindeutig. Die Kläger hätten hier die Angaben machen können.
Es hätte sich den Klägern aufdrängen müssen, dass auch die Pflichtversicherungsbeiträge der Klägerin zur gesetzlichen Rentenversicherung anzugeben waren. Dass den Klägern die steuerliche Bedeutung von Beiträgen zur Rentenversicherung und allgemein zur Altersvorsorge bekannt war, zeigen die Angaben zu den Sozialversicherungsbeiträgen des Klägers, zur Rentenversicherung ohne Kapitalwahlrecht der Klägerin und zu den Altersvorsorgebeiträgen nach § 10a EStG beider Kläger. Den Klägern lagen zudem in den jeweiligen Zeitpunkten der Erstellung der Steuererklärungen die Bescheinigungen der Deutschen Rentenversicherung Bund über die geleisteten Zahlungen vor. Die Kläger haben es unterlassen, ihrem steuerlichen Berater die Beitragsbescheinigungen vorzulegen, damit dieser die Steuererklärungen entsprechend erstellen kann. Die Kläger haben mit ihrer Unterschrift die Vollständigkeit und Richtigkeit der Steuererklärungen bestätigt. Sie hätten bei aufmerksamer Durchsicht der Steuererklärungen erkennen können, dass die Angaben zu den Rentenversicherungsbeiträgen der Klägerin nicht angegeben waren. Die Kläger können sich nicht darauf berufen, den steuerlichen Berater treffe kein Verschulden, weil er die Beitragszahlungen nicht gekannt habe, und die Kläger treffe kein Verschulden, weil sie die Erklärungsvordrucke nicht gelesen oder verstanden haben. Letztlich haben die Kläger durch ihr Verhalten grob schuldhaft dazu beigetragen, dass die Pflichtversicherungsbeiträge der Klägerin nicht angegeben worden waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.