Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.04.2018, Az.: 4 K 120/17

Vorliegen der Voraussetzungen eines Antrages auf schlichte Änderung eines Schätzungsbescheides; Konkretisierung nach Ablauf der Klagefrist

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.04.2018
Aktenzeichen
4 K 120/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73660
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Antrages auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a der Abgabenordnung (AO).

Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Da sie für das Streitjahr keine Steuererklärung abgegeben hatten, setzte das beklagte Finanzamt die Einkommensteuer mit Bescheid vom 2. September 2016 nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen fest.

Auch in dem gegen diesen Bescheid geführten Einspruchsverfahren reichten die Kläger keine Einkommensteuererklärung ein. Das Finanzamt wies den Einspruch daher mit Einspruchsbescheid vom 14. Dezember 2016 als unbegründet zurück.

Am 19. Januar 2017 stellten die steuerlichen Berater der Kläger per Fax den Antrag "den Bescheid über die Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag des Jahres 2014 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2016 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO" in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer "gemäß der beigefügten DATEV-Berechnung" auf 0,00 € festgesetzt wird. Dem Schreiben beigefügt war eine auf den 19. Januar 2017 datierte "Berechnung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer" mit einer Aufstellung der einzelnen Besteuerungsgrundlagen. Aus dieser ergaben sich die Beträge der Einkünfte aus Kapitalvermögen, der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für zwei Objekte, der sonstigen Einkünfte, der einzelnen Sonderausgaben sowie der anzurechnenden Steuern. Wegen der Einzelheiten wird auf die Heftung "2014" in der Einkommensteuerakte Bezug genommen.

Am 20. Januar 2017 ging die unterschriebene Einkommensteuererklärung der Kläger mit diversen Anlagen und Belegen bei dem beklagten Finanzamt ein.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2017 lehnte das Finanzamt die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Dezember 2006 - X R 30/05 (BFHE 216, 31; BStBl. II 2007, 503) ab.

Am 2. März 2017 legten die Kläger hiergegen Einspruch ein, der mangels Begründung mit Einspruchsbescheid vom 18. April 2017 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Hiergegen richtet sich die Klage, die die Kläger am 22. Mai 2017 erhoben haben.

Sie sind der Auffassung, die Einreichung der Steuererklärung für die Begründung eines Antrags auf schlichte Änderung eines Schätzungsbescheides nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO werde von der Rechtsprechung des BFH nicht verlangt. Vielmehr reiche es aus, dass ein konkreter Antrag gestellt werde, der in groben Umrissen gegenüber dem Finanzamt benenne, was geändert werden solle. Das Finanzamt müsse durch den Antrag in die Lage versetzt werden, mit der eigentlichen Bearbeitung des Änderungsbegehrens zu beginnen.

Diese Voraussetzung werde im Streitfall durch die zusätzliche Einreichung der DATEV-Berechnung erfüllt. Darin würden nicht nur die genaue Höhe der neu festzusetzenden Steuer benannt, sondern auch Angaben zu den einzelnen Besteuerungsgrundlagen gemacht. Diese Daten stammten aus der durch den Steuerberater bereits fertiggestellten Steuererklärung. Deren Vorlage sei nicht vonnöten gewesen, um dem Finanzamt die Bearbeitung des Antrags zu ermöglichen.

Eine Änderungssperre sehe das Gesetz nur in den Fällen einer nach § 364b Abs. 2 AO gesetzten Frist vor, die im Streitfall allerdings nicht einschlägig sei.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 30. Januar 2017 und des Einspruchsbescheides vom 18. April 2017 zu verpflichten, die Einkommensteuer 2014 gemäß dem von ihnen gestellten Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO zu ändern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO seien nicht erfüllt, weil der Antrag innerhalb der Klagefrist nicht hinreichend konkretisiert worden sei. Zwar hätten die Kläger innerhalb dieser Frist einen Antrag gestellt und die Höhe der Einkünfte, Sonderausgaben und weiterer Angaben mitgeteilt. Die entsprechende Steuererklärung sei jedoch erst nach Ablauf der Klagefrist abgegeben worden.

Es genüge nicht, dass der Steuerpflichtige lediglich die betragsmäßige Auswirkung bzw. den Änderungsrahmen beziffere und den Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist hinsichtlich der einzelnen Korrekturpunkte durch Abgabe der Steuererklärung konkretisiere, denn die vom Steuerpflichtigen unterschriebene Steuererklärung sei überhaupt erst Grundlage für eine anderweitige als die im Schätzungswege vorgenommene Steuerfestsetzung.

Die Möglichkeit, die Einkommensteuererklärung auch noch außerhalb der Klagefrist einreichen zu können, würde der Verzögerung Tür und Tor öffnen und auch dem gesetzgeberischen Zweck der Regelung entgegenlaufen, die Abgabe der Steuererklärung nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, aber innerhalb der Klagefrist zu ermöglichen und dadurch das Verfahren zu vereinfachen und die Finanzgerichte zu entlasten.

Die Beteiligten haben einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das beklagte Finanzamt hat den Antrag der Kläger auf schlichte Änderung des Schätzungsbescheides zu Unrecht abgelehnt.

1. a) Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn er andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Verbrauchsteuern betrifft, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO ist ebenfalls anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat. Erklärungen und Beweismittel, die nach § 364b Abs. 2 AO in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigt wurden, dürfen hierbei nicht berücksichtigt werden.

Um feststellen zu können, ob "seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird", muss der Steuerpflichtige bei dem Finanzamt bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist einen bestimmten Antrag auf Änderung stellen. Anders als im Einspruchsverfahren hat das Finanzamt die Sache in dem Antragsverfahren nicht "in vollem Umfang erneut zu prüfen". Es kann nur eine punktuelle Korrektur des Steuerbescheides erreicht werden. Aus diesem Grund muss sich das von dem Steuerpflichtigen verfolgte Änderungsbegehren seinem sachlichen Gehalt nach "zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag auf schlichte Änderung selbst ergeben. Die bloße Nennung eines betragsmäßigen Änderungsrahmens genügt dafür nicht. Der Steuerpflichtige hat vielmehr "einzelne sachverhaltsbezogene Korrekturpunkte" kenntlich zu machen (BFH, Urteil vom 20. Dezember 2006 - X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl. II 2007, 503).

Es ist nicht zulässig, einen allgemein auf Änderung des Steuerbescheides gerichteten Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zu konkretisieren und zu begründen. Dementsprechend sieht der BFH einen auf schlichte Änderung gerichteten Antrag als unwirksam an, der lediglich auf die Herabsetzung der Steuer auf "Null" - oder auf einen beliebigen anderen, näher bezeichneten Betrag gerichtet ist - und hinsichtlich der Korrekturpunkte im Einzelnen auf eine zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb der Rechtsbehelfsfrist nachzureichende Steuererklärung verweist (BFH, Urteil vom 20. Dezember 2006 - X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl. II 2007, 503).

Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist darf das Änderungsbegehren auch nicht mehr erweitert werden (BFH, Urteil vom 27. Oktober 1993 - XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl. II 1994, 439). Der Antragsteller kann allenfalls Argumente oder Nachweise zur Begründung eines rechtzeitig gestellten, hinreichend konkreten Änderungsantrags nachreichen oder ergänzen, soweit hierdurch der durch den ursprünglichen Änderungsantrag festgelegte Änderungsrahmen nicht überschritten wird (AEAO Nr. 2 zu § 172 AO; v. Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, Kommentar, § 172 AO Rn. 156).

Die Zahl der beantragten punktuellen Änderungen ist nicht durch das Gesetz beschränkt. Ebenso wenig ergibt sich aus der Vorschrift, dass sie auf Steuerbescheide mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen nicht anzuwenden ist. Daher kommt bei Vorliegen eines fristgerecht gestellten, hinreichend bestimmten Antrags auch bei Schätzungsbescheiden eine Änderung hinsichtlich jeder einzelnen Besteuerungsgrundlage in Betracht (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28. August 2009 - 13 K 144/09, EFG 2009, 1811). In diesem Fall kann die Konkretisierung jedenfalls auch durch eine nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung und innerhalb der Klagefrist eingereichte Steuererklärung erfolgen (s. ausdrücklich BT-Drs. 14/1514, S. 47; offen gelassen durch das FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Februar 2017 - 3 K 3197/16, EFG 2017, 608: "nicht abschließend geklärt").

b) Im Streitfall erfüllt der von den Klägern gestellte Antrag auf schlichte Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO.

Durch die innerhalb der Klagefrist erfolgte Angabe der ihrer Ansicht nach der Steuerfestsetzung zugrunde zu legenden Besteuerungsgrundlagen haben die Kläger ihren Antrag in ausreichendem Maße konkretisiert. Mit der Bezifferung der einzelnen Einkünfte, der Sonderausgaben und der anzurechnenden Steuerbeträge haben sie die "einzelnen sachverhaltsbezogenen Korrekturpunkte" kenntlich und damit das von ihnen verfolgte Änderungsbegehren seinem sachlichen Gehalt nach "in groben Zügen" erkennbar gemacht. Hierfür war es nicht erforderlich, innerhalb dieser Frist auch schon die Steuererklärung einzureichen. Diese diente lediglich - in zulässiger Weise - der Begründung und dem Nachweis der zuvor bezifferten Angaben in der DATEV-Berechnung. Das Finanzamt konnte bereits aus den im Antrag gemachten Angaben der Kläger eindeutig ersehen, in welchen konkreten Punkten diese mit der bisherigen Steuerfestsetzung nicht einverstanden waren, und sich auf die Überprüfung dieser Punkte beschränken. Eine Gesamtaufrollung des Falles zur Bearbeitung des Begehrens der Kläger war damit nicht notwendig.

Entgegen der Auffassung des Finanzamts widerspricht es nicht dem Gesetzeszweck, wenn die Einreichung der Steuererklärung nach der Klagefrist möglich ist. Vielmehr wird die von dem Gesetzgeber bezweckte Entlastung der Finanzgerichte gerade auch dadurch erreicht, dass die Steuerpflichtigen in diesen Fällen keine Klage erheben müssen, sondern das Verfahren bei dem Finanzamt verbleibt. Der Gesetzgeber sah die mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 (vom 29. Dezember 1999, BGBl. I 1999, 2601) auf die Klagefrist verlängerte Frist für den Antrag auf schlichte Änderung "insbesondere" bei Schätzungsfällen als bedeutsam an, "wenn die Steuererklärung erst nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, aber innerhalb der Klagefrist eingereicht wird" (BT-Drs. 14/1514, S. 47). Anders als vom beklagten Finanzamt angeführt, sollte damit aber nicht eine Ausschlussfrist für die Abgabe der Steuererklärung beim Finanzamt eingeführt werden, sondern die Zahl der Veranlagungen von Steuerklärungen im Klageverfahren verringert werden.

Auch vor diesem Hintergrund kann für die Konkretisierung des Antrags in § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO insoweit nichts Anderes als für die Bezeichnung des Klagebegehrens in § 65 Abs. 1 FGO gelten (ebenso Weinschütz, EFG 2017, 608). Der Gegenstand des Klagebegehrens ist bei einer Klage gegen einen Schätzungsbescheid hinreichend bezeichnet, wenn ein Kläger innerhalb einer gesetzten Ausschlussfrist zwar keine Steuererklärung, wohl aber betragsmäßig eindeutige Einkünfteermittlungen einreicht und aus seinem Vorbringen hervorgeht, dass er keine weiteren Änderungen des Schätzungsbescheids begehrt (BFH, Beschluss vom 23. Juni 2017 - X B 11/17, BFH/NV 2017, 1440; Urteil vom 17. April 1996 - I R 91/95, BFH/NV 1996, 900). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

2. a) Im Streitfall kann der Senat trotz der nunmehr vollständig vorliegenden Steuererklärung der Kläger keine Verpflichtung des Finanzamts zur antragsgemäßen Veranlagung aussprechen. Dies ist nach § 101 Satz 1 Satz der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur möglich, wenn die Sache spruchreif ist. Ist das nicht der Fall, spricht das Gericht nach § 101 Satz 2 FGO die Verpflichtung aus, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO steht grundsätzlich im Ermessen des Finanzamts. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Steuer reduziert sich das Ermessen des Finanzamts zwar auf Null mit der Folge, dass eine Änderung zwingend zu erfolgen hat, wenn der Steuerpflichtige alle für eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO erforderlichen Tatsachen nachweist (BFH, Urteil vom 11. Oktober 2017 - IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322). Doch auch wenn sämtliche Angaben der Kläger in ihrer Steuererklärung durch Belege nachgewiesen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt einzelne Positionen noch einmal näher untersuchen und erklärt haben möchte. Diese Entscheidungsmöglichkeit darf das Gericht dem Finanzamt nicht entziehen (vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 7. Juli 1976 - I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680).

Das Finanzamt wird deshalb lediglich verpflichtet, sein Ermessen neu auszuüben, dabei die nach Ablauf der Klagefrist von den Klägern eingereichte Steuererklärung zu berücksichtigen und auf ihrer Grundlage eine - ggf. von ihr abweichende - Veranlagung durchzuführen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Die Kläger sind mit ihrem Begehren nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen: Statt der in erster Linie erstrebten Verpflichtung des beklagten Finanzamts zur antragsgemäßen Veranlagung haben sie nur ein Bescheidungsurteil erstritten (§ 101 Satz 2 FGO). In solchen Fällen ist regelmäßig Kostenteilung angebracht (BFH, Urteil vom 26. Januar 1988 - VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.