Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.08.2009, Az.: 16 K 10313/07
Zurechnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus einer neu aufgenommenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners zu den Masseverbindlichkeiten trotz Unkenntnis des Insolvenzverwalters von der Nutzung eines zur Masse gehörenden Wirtschaftsguts
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.08.2009
- Aktenzeichen
- 16 K 10313/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 36961
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0813.16K10313.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 08.09.2011 - AZ: V R 38/10
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
- § 18 UStG
- § 46 UStDV
- § 47 UStDV
- § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Fundstelle
- EFG 2011, 357-360
Zurechnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus einer neu aufgenommenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners zu den Masseverbindlichkeiten trotz Unkenntnis des Insolvenzverwalters von der Nutzung eines zur Masse gehörenden Wirtschaftsguts
Tatbestand
Streitig ist, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstandenen Umsatzsteuern eine Masseverbindlichkeit darstellen.
Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde im Jahr 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Als Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt. Am 4. Januar 2006 nahm der Insolvenzschuldner eine neue gewerbliche Tätigkeit in den zur Insolvenzmasse gehörenden Büroräumen auf dem Grundstück "X-Straße" in V. auf. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2006 setzt der Beklagte den Kläger über die Gewerbeanmeldung in Kenntnis. Gemäß Vermerk des Klägers vom 22. Februar 2006 erklärte der Insolvenzschuldner diesem am 21. Februar 2006 im Rahmen eines Telefonats, dass er sein Gewerbe nicht mehr auf dem Grundstück "X-Straße" betreiben und dieses auf die Y-Straße ummelden wolle. Ausweislich einer Gewerbeummeldung vom 23. Februar 2006 meldete der Insolvenzschuldner sein Gewerbe in die Y-Straße um. Die gewerbliche Nutzung der Büroräume auf dem Grundstück "X-Straße" durch den Insolvenzschuldner erfolgte jedoch weiterhin. Am 18. Dezember 2006 erklärte der Kläger die vorbehaltlose Freigabe des Objektes. Am 25. September 2007 meldete der Insolvenzschuldner das Gewerbe unter der Hauptniederlassung "X-Straße" ab.
In der Zeit vom 28. Juli - 13. September 2006 führte der Beklagte beim Insolvenzschuldner eine Umsatzsteuersonderprüfung durch. Da der Insolvenzschuldner seine neue gewerbliche Tätigkeit in Räumen ausübte, die nach Auffassung des Beklagten zur Insolvenzmasse gehörten, setzte dieser die Umsatzsteuer 2006 mit Bescheid vom 4. Mai 2007 gegenüber der Insolvenzmasse fest. Der festgesetzte Betrag in Höhe von 33.819,66 EUR setzt sich zusammen aus den eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen der Monate Januar - Oktober 2006 sowie einer Hinzuschätzung des Beklagten für den Zeitraum 1. November - 17. Dezember 2006.
In dem hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren trug der Kläger vor, dass die Nutzung des Objektes durch den Insolvenzschuldner gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei. Werde ein zur Insolvenzmasse gehörender Gegenstand jedoch unberechtigter Weise genutzt, so könne eine Verbindlichkeit der Insolvenzmasse nicht entstehen. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück, da § 55 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung(InsO) zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ausschließlich darauf abstelle, dass diese durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet würden. Ob die Verwendung mit oder ohne Wissen und Zustimmung des Insolvenzverwalters erfolge sei unbeachtlich.
Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass eine Verpflichtung der Insolvenzmasse nicht begründet worden sei, da die Nutzung des der Insolvenzmasse zugehörigen Objektes durch den Insolvenzschuldner gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei. Bereits in den Jahren 2000 und 2005 habe er in seiner Funktion als Insolvenzverwalter erklärt, dass eine Freigabe von Insolvenzmasse für eine vom Insolvenzschuldner angestrebte neue gewerbliche Tätigkeit nicht in Betracht komme. Unterlagen über die Nutzungsuntersagungen aus den Jahren 2000 und 2005 könnten jedoch nicht vorgelegt werden. Ausweislich seines Aktenvermerkes vom 22. Februar 2006 habe der Kläger dem Insolvenzschuldner ausdrücklich die Nutzung der im Streit stehenden Büroräume untersagt. Darauf habe der Insolvenzschuldner sein Gewerbe am 23. Februar 2006 in die Y-Straße umgemeldet. Der Kläger durfte ab 23. Februar 2006 daher davon ausgehen, dass eine Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Büroräume nicht mehr erfolge. Die weitergehende Nutzung der Räume im Objekt "X-Straße" durch den Insolvenzschuldner bis einschließlich 13. September 2006 werde allerdings nicht bestritten. Für die Folgezeit bestreite der Kläger jedoch die Nutzung durch den Insolvenzschuldner mit Nichtwissen. Kontrollen seinerseits seien nicht durchgeführt worden.
Der Kläger beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte geht davon aus, dass das zur Insolvenzmasse gehörende Objekt im gesamten Zeitraum vom 4. Januar 2006 bis zur vorbehaltlosen Freigabe am 18. Dezember 2006 vom Insolvenzschuldner für seine gewerbliche Tätigkeit genutzt wurde. Im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung sei festgestellt worden, dass das Objekt "X-Straße" mit drei Büros und einem Sozialraum durch den Insolvenzschuldner genutzt worden sei. Auch habe sich in dem Haus eine Wohnung des Insolvenzschuldners befunden, die jedoch im Zeitpunkt der Umsatzsteuersonderprüfung von diesem nicht (mehr) genutzt worden sei. Entsprechende Werbetafeln am Haus hätten auf das Baugeschäft des Insolvenzschuldners hingewiesen. Hingegen sei der Betriebssitz laut Gewerbeummeldung in der Y-Straße zum Zeitpunkt der Prüfung eine leer stehende Wohnung ohne Briefkasten gewesen. Auf dem zugehörigen Grundstück habe sich lediglich ein Lagerplatz für Baumaterialien befunden.
Darüber hinaus vertritt der Beklagte weiterhin die im Einspruchsbescheid dargestellte Rechtsauffassung. Hinsichtlich der Zugehörigkeit der Umsatzsteuer zu den Masseschulden sei allein darauf abzustellen, ob der Insolvenzschuldner in seinem neuen Betrieb Gegenstände eingesetzt habe, die zur Insolvenzmasse gehörten. Verwertung im Sinne des § 55 InsO sei allein die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände. Die Frage, ob die Nutzung mit oder gegen den Willen des Insolvenzverwalters geschehe, sei unerheblich.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Der Beklagte hat die streitigen Umsatzsteuerbeträge für den Zeitraum 4. Januar bis 17. Dezember 2006 zu Recht gegenüber der vom Kläger verwalteten Insolvenzmasse festgesetzt.
Der Insolvenzschuldner hat mit seinem (neuen) Bauunternehmen Leistungen gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt. Er schuldet deshalb - was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist - die Umsatzsteuer auf diese Umsätze nach § 18 UStG, §§ 46, 47 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV).
I.
Bei den vom Insolvenzschuldner geschuldeten Umsatzsteuern 2006 handelt es sich nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO um Masseverbindlichkeiten.
Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.
1.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann diese Vorschrift nicht dahin verstanden werden, dass die von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfassten Verbindlichkeiten nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden können.
Anders als (Masse-) Verbindlichkeiten, die im Sinne der 1. Alternative des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden, entstehen Steuern, wie die hier streitigen Umsatzsteuern, durch die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes und sind daher nicht unter die 1. Alternative der Vorschrift zu subsumieren (vgl. Frotscher in Gottwald, Insolvenz-Handbuch § 60 Rz 1), sondern werden "in anderer Weise" gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO begründet (BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, a.a.O).
Zwar beruht ihre Entstehung in der Regel auf Handlungen des Insolvenzverwalters im Rahmen der Verwaltung und Verwertung der Masse (vgl. Hefermehl in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung § 55 Rn 70), die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes kann jedoch auch "in anderer Weise", mithin auch durch (erneutes) Tätigwerden des Insolvenzschuldners, der gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 UStG auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin als Schuldner der Umsatzsteuer einzustufen ist, erfolgen. Dieses gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes zunächst unabhängig davon, ob eine Verwendung der Insolvenzmasse mit oder ohne Kenntnis und Zustimmung des Insolvenzverwalters erfolgt ist.
Der Bundesfinanzhof ist in ständiger Rechtsprechung, zuletzt im Urteil vom 7. April 2005 (V R 5/04, BStBl II 2005, 884) unter Hinweis auf die bereits zu § 58 Nr. 2 Konkursordnung (KO) ergangenen Entscheidungen, davon ausgegangen, dass Massekosten für die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse nicht nur solche Ausgaben sind, die durch die Amtstätigkeit des Konkursverwalters ausgelöst werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. August 2001 V R 59/99, BStBl II 2003, 208, unter 3. c). Als Verwertung der Masse ist vielmehr auch die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände anzusehen (so bereits zur Konkursmasse BFH-Urteil vom 15.03.1995 I R 82/93, DB 1995, 1642-1644). Eine Zugehörigkeit der Steuerverbindlichkeiten zur Masse scheidet dann aus, wenn im Rahmen der (neuen) gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners, neben der eigenen geistigen und körperlichen Arbeit, lediglich Gegenstände eingesetzt werden, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, der getätigte Umsatz damit der insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners zuzuordnen ist, aus der keine Steuerverbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet werden können.
2.
Für seine (neue) unternehmerische Tätigkeit als Bauträger, die vorrangig auf dem Einsatz persönlicher Arbeitskraft basierte, setzte der Insolvenzschuldner auch das in der "X-Straße" befindliche Grundstück ein. Bei dem streitigen Grundstück handelt es sich (weiterhin) um einen Gegenstand der Insolvenzmasse.
Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Ebenso verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter von der Möglichkeit zur Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse keinen Gebrauch macht und die Fortführung oder Neugründung eines Unternehmens des Schuldners duldet. Insoweit werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aufgrund einer Verwaltungshandlung zu Insolvenzverbindlichkeiten. Nicht zur Insolvenzmasse gehören dagegen nach § 36 InsO unpfändbare (vgl. § 811 Zivilprozessordnung - ZPO -) und wirksam freigegebene Gegenstände (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, NZI 2003, 389 und BGH-Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, DB 2007, 1189).
Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, unterliegen die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung (§ 811 Nr. 5 ZPO), sie fallen deshalb auch nicht in die Insolvenzmasse. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.
a)
Der Insolvenzschuldner gehörte im Streitfall dem nach § 811 Nr. 5 ZPO geschützten Personenkreis an.
Da die Regelung des § 811 Nr. 5 ZPO den Erwerb durch persönliche Arbeit schützt, ist sie nur anwendbar, wenn die persönliche Leistung des Schuldners gegenüber der Ausnutzung von Sach- und Kapitalmittel überwiegt. Der Anwendung dieser Vorschrift steht der Einsatz fremder Arbeitskraft grundsätzlich nicht entgegen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 64. Aufl., München 2006, § 811 Rn. 35). Voraussetzung ist dabei jedoch stets, dass sich der Arbeitseinsatz des Schuldners selbst als vorrangig und entscheidend für den Neuerwerb darstellt. Auch bei der Mitarbeit von Gehilfen muss die eigene Arbeit des Schuldners ausschlaggebend bleiben. Seine persönliche Tätigkeit muss sich im Gegensatz zur Leistung anderer wie zur Ausnutzung sachlicher Betriebsmittel als das wirtschaftlich Wesentliche darstellen (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2002, § 811 Rdn. 43 f).
Zu den Personen im Sinne dieser Vorschrift gehört auch der Bauunternehmer, soweit seine persönliche Arbeit die Hauptsache ist (so BFH in BStBl II 2005, 848 [BFH 07.04.2005 - V R 5/04]). Nichts anderes kann für die vom Insolvenzschuldner ausgeübte Tätigkeit als Bauträger gelten, bei der Bauvorhaben als Bauherr im eigenen Namen für eigene oder fremde Rechnung vorbereitet oder durchführt und dazu Vermögenswerte von Erwerbern, Mietern, Pächtern oder sonstigen Nutzungsberechtigten verwendet werden. Als Bauträger organisierte und überwachte der Insolvenzschuldner die Errichtung der Bauobjekte. Er stellte Kontakte zu Kaufinteressenten und Subunternehmern her. Auch wurden im Streitfall keine eigenen Bauarbeiter beschäftigt. Der Insolvenzschuldner beschränkte sich vielmehr auf die Überwachung beauftragter Subunternehmern und die Organisation von Materialien.
b)
Bei dem vom Insolvenzschuldner für seine (neue) unternehmerische Tätigkeit verwendeten Grundstück handelt es sich nicht um einen zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstand im Sinne des § 811 Nr. 5 ZPO.
Je nach Art der Tätigkeit zählen im Hinblick auf wirtschaftliche und betriebstechnische Umstände dazu die Gegenstände, die vom Schuldner persönlich oder von seinen Hilfskräften benötigt werden. Erforderlich im Sinne der Vorschrift sind dabei Sachen, die für die Erhaltung der Erwerbsquelle unentbehrlich sind und deren Pfändung die Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen zum Erliegen bringen oder auch ihre grundlegende Änderung bewirken würde. Einschränkungen oder auch Unbequemlichkeiten, die mit einer Pfändung der Sache zusammen hängen muss der Schuldner hingegen hinnehmen. Die Pfändung von Betriebsmitteln darf jedoch nicht die Wettbewerbsunfähigkeit des Unternehmens hervorrufen.
Die (neue) unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners beruhte vorrangig auf seiner eigenen geistigen und körperlichen Arbeit. Eigene Bauarbeiter beschäftigte der Insolvenzschuldner nicht. Auf dem streitgegenständlichen Grundstück befanden sich die Büroräume und der Sitz des Unternehmens. Die Räumlichkeiten waren für den Betrieb des Unternehmens jedoch nicht dahingehend unverzichtbar, als die dort verrichteten Arbeiten, ohne Auswirkungen auf den eigentlichen Geschäftsbetrieb auch von jedem anderen Ort aus hätten vorgenommen werden können. So wurde der Betriebssitz auf Veranlassung des Klägers unverzüglich von der X-Straße in die Y-Straße umgemeldet. Entsprechend geht auch die Klägerseite, wie vom Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt, nicht davon aus, dass es sich bei dem streitbefangenen Grundstück um einen unpfändbaren Gegenstand im Sinne des § 811 Nr. 5 ZPO gehandelt hat.
Weitere Betriebsmittel auf die die streitigen Umsätze entscheidend zurückzuführen sind, würden vom Insolvenzschuldner im Rahmen seiner (neuen) Tätigkeit nicht eingesetzt.
3.
Der Insolvenzverwalter vermag sich auch nicht darauf berufen, dass die Verwendung des der Masse zugehörigen Grundstücks durch den Insolvenzschuldner ohne seine Kenntnis und gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgte und die hieraus entstehenden Verbindlichkeiten bereits deshalb nicht der Insolvenzmasse zuzurechnen seien.
Wie bereits ausgeführt stellt § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei der Beurteilung von Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten nicht darauf ab, ob deren Begründung "in anderer Weise" gegen oder mit dem Willen und der Kenntnis des über die Masse verfügungsberechtigten Insolvenzverwalters erfolgt sind.
Allerdings beruht die Entstehung von Steuerverbindlichkeiten zu Lasten der Insolvenzmasse in der Regel auf Handlungen des Insolvenzverwalters. Ein aktives Handeln des Klägers, auf welches die streitigen Umsätze zurück zuführen wären, ist im Streitfall jedoch nicht gegeben. Gleichwohl wurden auch vorliegend die Bedingungen für die Entstehung der Masseverbindlichkeiten durch den Kläger in seiner Funktion als Insolvenzverwalter gesetzt. Die Zurechnung der Umsatzsteuerverbindlichkeiten zur Insolvenzmasse führt damit auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis.
a)
Als vom Insolvenzgericht bestellter Insolvenzverwalter war der Kläger verpflichtet die Masse zu sichern und zu erhalten. Diese Pflicht umfasste auch den Schutz der Masse gegen unbefugte Zugriffe. Dieser Verpflichtung ist der Kläger im Streitfall nur unzulänglich nachgekommen. So hätte es nach Auffassung des erkennenden Senats zumindest regelmäßiger Kontrollen der zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände bedurft. Dieses gilt insbesondere, als das Grundstück in der X-Straße nach einem vom Kläger im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners am 15. Dezember 2000 erstellten Gutachten zu den wesentlichen Vermögensgegenständen der Masse gehörte und eine Sicherung durch in Besitznahme in Form der vollständigen Absperrung bereits deshalb nicht möglich war, als die Wohnung in dem auf dem Grundstück befindlichen Wohn- und Bürohaus dem Insolvenzschuldner zu privaten Wohnzwecken diente und, nach Auskunft des Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung, nicht vom Insolvenzverfahren betroffen war.
Darüber hinaus war dem Kläger bereits seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die fehlende Kooperationsbereitschaft des Insolvenzschuldners bekannt. Das Gutachten vom 15. Dezember 2000 enthält hierzu unter "3. Sicherungsmaßnahmen" den Hinweis, dass "Aufgrund der nach wie vor unzureichenden Kooperationsbereitschaft und der offensichtlichen Verschleierungsversuche des Schuldners die Verhängung einer Postsperre für sinnvoll und erforderlich (gehalten werde).". Eine Verbesserung dieses Verhältnisses ist im Laufe der Zeit nicht eingetreten. Wie der Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigte, könne aufgrund der Persönlichkeit des Insolvenzschuldners nicht ausgeschlossen werden, dass dieser eigenmächtig die Schlösser zu den Büroräumen aufgebrochen habe. Zudem soll der Insolvenzschuldner bereits in den Jahren 2000 und 2005 gegenüber dem Kläger die Absicht geäußert haben, seine gewerbliche Tätigkeit erneut aufzunehmen. Selbst wenn der Kläger dem Insolvenzschuldner die Nutzung des Grundstücks in der X-Straße für gewerbliche Zwecke ausdrücklich untersagt haben will, musste er aufgrund der Gesamtumstände und der Persönlichkeit des Schuldners jederzeit damit rechnen, dass es zu einer Wiederaufnahme der gewerblichen Tätigkeit unter Inbesitznahme von Gegenständen der Insolvenzmasse kommt, so dass es (zumindest) regelmäßiger Kontrollen der Gegenständen der Masse bedurft hätte, bei denen die Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit auf dem der Insolvenzmasse zugehörigen Grundstück frühzeitig hätte festgestellt werden können. Nach unbestrittener Feststellung des Beklagten war die Inbesitznahme des Betriebsgrundstücks aufgrund der Anbringung von Werbeschildern durch einfache Nachschau erkennbar. Entsprechende Maßnahmen sind vom Kläger jedoch nicht durchgeführt worden, so dass er einer Zurechnung der Umsatzsteuern zur Insolvenzmasse nicht seine fehlende Kenntnis bezüglich der Nutzung durch den Insolvenzschuldner entgegenhalten kann.
b)
Entgegen der Auffassung des Klägers, erachtet das Gericht auch die vom Kläger nach (tatsächlicher) Kenntniserlangung der Wiederaufnahme der gewerblichen Tätigkeit auf dem der Insolvenzmasse zugehörigen Grundstück vorgenommenen Handlungen zur Unterbindung der Inbesitznahme des Grundstücks als unzureichend.
Erst rund 10 Tage nachdem er vom Beklagten über die Gewerbeanmeldung unterrichtet worden war, führte der Kläger ein fernmündliches Gespräch mit dem Insolvenzschuldner, indem er sich mit der Zusage zufrieden gab, dieser werde sein Gewerbe nicht weiter auf dem Grundstück betreiben und es am nächsten Tag ummelden. Obwohl der Kläger den Insolvenzschuldner als nicht kooperativ kennengelernt hatte und zudem als nicht gesetzestreu einschätzte, verzichtete er auf eine Überprüfung der Zusage und die Inaugenscheinnahme des Massegegenstandes. Nach den Gesamtumständen des Sachverhalts wäre eine solche jedoch erforderlich und auch zumutbar gewesen. Denn die schlichte Ummeldung des Gewerbes ist jederzeit möglich und gewährleistet nicht die tatsächliche Verlegung des Betriebssitzes und die Einstellung der Nutzung des Grundstücks; zumal der Kläger aufgrund der Art der gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nicht damit rechnen konnte, dass dieser in der Lage sein würde, seine Tätigkeit von einem Tag auf den anderen umzustellen.
Dieses pflichtwidrige Unterlassen des Klägers einhergehend mit einer bestehenden Garantenstellung gegenüber der Insolvenzmasse rechtfertigt im Streitfall die Zurechnung der vom Insolvenzschuldner in der Zeit von Januar 2006 bis zur Freigabe des Grundstücks erbrachten Leistungen und der darauf beruhenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten zur Insolvenzmasse.
c)
Schließlich kann dahinstehen, ob in dem Verhalten des Klägers bereits eine konkludente Genehmigung oder auch eine Duldung der Nutzung des Grundstücks für die neue betriebliche Tätigkeit des Insolvenzschuldners zu sehen ist.
So ist es dem Kläger auch nicht gelungen die ausdrückliche Untersagung der Nutzung anhand geeigneter Unterlagen nachzuweisen. Die in diesem Zusammenhang erstellte Telefonnotiz von 22. Februar 2006 ist hierzu nicht geeignet, dokumentiert sie doch lediglich die Durchführung eines Telefonats und die damit geäußerte Absichtserklärung des Insolvenzschuldners sein Gewerbe nicht mehr auf dem Grundstück "X-Straße" betreiben zu wollen und die Gewerbeanschrift umzumelden. Die vom Kläger vorgetragene ausdrückliche Untersagung der Nutzung wird hierin nicht festgehalten.
II.
Hinsichtlich der Höhe der gegenüber der Insolvenzmasse festgesetzten Umsatzsteuern 2006 bestehen keine Bedenken.
Mangels Abgabe einer Steuererklärung war der Beklagte berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) zu schätzen. Die Schätzung basiert auf den vom Insolvenzschuldner eingereichten Voranmeldungen für die Monate Januar bis Oktober 2006. Die für den Zeitraum vom 1. November bis 17. Dezember 2006 vorgenommenen Hinzuschätzungen orientieren sich an den Umsätzen der Vormonate. Mangels andere Erkenntnisse und Unterlagen sieht der erkennende Senat keine Veranlassung von der Schätzung des Beklagten abzuweichen. Das Gericht geht dabei mit dem Beklagten davon aus, dass das Grundstück auch nach dem Abschluss der Umsatzsteuersonderprüfung weiter vom Insolvenzschuldner für seine gewerbliche Tätigkeit genutzt wurde. Anhaltspunkte, dass die Nutzung für den Zeitraum von Mitte September bis zur Freigabe Mitte Dezember 2006 eingestellt wurde, liegen nicht vor. Hiergegen spricht zum einen die im Vergleich zu den Örtlichkeiten in der Y-Straße bedarfgerechte Einrichtung der Räume, zum anderen das offensichtlich fehlende Unrechtsbewusstsein des Insolvenzschuldners der trotz Kenntnis der Problematik und Ummeldung des Betriebssitzes im Februar 2006 seine betrieblichen Aktivitäten auf dem Grundstück nicht eingestellt hatte. Welche Veranlassung sollte für ihn daher bestehen, seine Aktivitäten nach Abschluss der Umsatzsteuersonderprüfung einzustellen; zumal er eine Nutzung - wie die spätere Freigabe zeigt - weiterhin begehrte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.