Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.02.2024, Az.: 1 A 416/19

Rückführungsrichtlinie; Rückführungsverbesserungsgesetz; Aufhebung der Abschiebungsandrohung wegen familiärer Belange aufgrund laufenden Asylverfahrens eines in Deutschland geborenen Kindes

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.02.2024
Aktenzeichen
1 A 416/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 12819
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0228.1A416.19.00

Amtlicher Leitsatz

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG in der infolge des Rückführungsverbesserungsgesetzes ab dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung besteht kein Raum (mehr) für die Überlegung, bei im Entscheidungszeitpunkt voraussichtlich nur kurzfristig einer Abschiebung entgegenstehenden Belangen nach Art. 5 Buchst. a bis c der Rückführungsrichtlinie eine Abschiebungsandrohung gleichwohl zu erlassen und auf die Möglichkeit einer ausländerbehördlichen Aussetzung der Abschiebung zu verweisen (hier: kurz vor dem Verhandlungstermin eingeleitetes Asylverfahren eines in Deutschland nachgeborenen Kindes).

Tenor:

Die unter Nrn. 5 und 6 des Bescheides der Beklagten vom 2. Januar 2019 getroffenen Regelungen werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen 4/5 und die Beklagte trägt 1/5 der Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren eine Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise zur Zuerkennung subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise zur Feststellung von Abschiebungsverboten.

Die 1987 geborene Klägerin zu 1. ist georgische Staatsangehörige georgischer Volkszugehörigkeit und christlicher Religionszugehörigkeit. Der Kläger zu 2. ist ihr 2014 in Tiflis geborener Sohn. Vom Vater des Klägers zu 2. ist die Klägerin seit dem 30. April 2018 geschieden. Die Klägerin zu 1. hat aus einer früheren Beziehung eine 2007 und aus der Ehe mit dem Vater des Klägers zu 2. eine 2017 geborene Tochter. Die Klägerin zu 1. erlernte nach neunjährigem Besuch des Gymnasiums den Beruf der medizinischen Fachangestellten und arbeitete in einem Krankenhaus in Tiflis als Krankenschwester. Die Kläger lebten in Tiflis bis April 2018 in einer Eigentumswohnung. Die Kläger reisten nach ihren Angaben am 15. Juni 2018 mit dem Flugzeug von Kutaissi nach Dortmund in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 2. Juli 2018 formelle Asylanträge. Die beiden weiteren Töchter der Klägerin zu 1. lebten zunächst noch bei der Schwester der Klägerin zu 1. in Georgien. Sie reisten am 26. Oktober 2018 auf dem Luftweg nach und stellten am 31. Oktober 2018 Asylanträge (7687477-430). Die Asylanträge der 2007 und 2017 geborenen weiteren Töchter der Klägerin zu 1. blieben erfolglos; der diesbezügliche Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2019 erwuchs in Bestandskraft. Im Februar 2020 ist in Deutschland ein weiteres Kind der Klägerin zu 1. zur Welt gekommen, dessen Vater ein marokkanischer Staatsangehöriger ist. Dieses Kind besitzt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Aufenthaltsgestattung aufgrund eines anhängigen Asylverfahrens. Nach den Angaben der Klägerin zu 1. lebt die 2017 geborene Tochter derzeit bei der Mutter der Klägerin zu 1. in Georgien. Die 2007 geborene Tochter soll sich in Ausbildung befinden und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein.

Im Rahmen ihres Anhörungstermins am 12. Juli 2018 machte die Klägerin zu 1. geltend, dass sie im April 2018 die Eigentumswohnung hätte räumen müssen, weil ihr Ex-Mann sie als Bürgschaft für Schulden i. H. v. 17.000 US-Dollar hinterlegt habe. Dort habe sie seit 2017 mit ihrem damaligen Mann und ihren Kindern gelebt; zuvor hätten sie im gleichen Stadtteil zur Miete gelebt. Ihren Lebensunterhalt hätten sie durch Aufnahme von Schulden finanziert. Der Ex-Mann habe Fußballwetten abgeschlossen, sei drogenabhängig und habe sie und ihre ältere Tochter sowie den Kläger zu 2. geschlagen. Dies habe etwa vor zwei Jahren angefangen. Auch während der Schwangerschaft habe er sie geschlagen. Dies habe auch Auswirkungen auf den Kläger zu 2. gehabt, der sehr nervös sei und andere Kinder im Kindergarten geschlagen habe. Unter Drogeneinfluss habe den Ex-Mann alles genervt. Als er auch den Kläger zu 2. geschlagen habe, habe sie nicht mehr zusehen können. Anfang Januar 2018 habe sie die Polizei gerufen. Ihr Ex-Mann sei verwarnt und aus der Wohnung geworfen worden. Sie habe blaue Flecken im Gesicht gehabt und dies sei auf der Polizeistation in einem Bericht aufgenommen worden. Der Ex-Mann habe 30 Tage nicht in ihre Nähe kommen dürfen. Ende Januar sei ihr Ex-Mann zurückgekommen und habe wiederum angefangen, sie zu schlagen und zu beschimpfen. Nachbarn hätten die Polizei gerufen, die ihn mitgenommen habe. Soweit sie wisse, habe er eine Strafe bezahlt und sei freigekommen. Sie habe sich dann mit ihren Kindern bei verschiedenen Freunden versteckt und habe sogar zwei Nächte auf der Straße verbracht. Zu ihrer Mutter habe sie nicht gekonnt, weil diese einen sehr schlechten neuen Ehemann habe. Sie hätte zwar zur Miete wohnen und arbeiten können, habe aber ihre Kinder nirgendwo lassen können. Sie habe dann ihren in Deutschland lebenden Cousin kontaktiert. Der Cousin habe empfohlen, nach Deutschland zu kommen. Die Klägerin zu 1. habe gewusst, dass die Kinder es in Deutschland gut haben würden. In Georgien würden sie hingegen vielleicht drogenabhängig oder zu Psychopathen. Der Ex-Mann habe nur mit der Hilfe der Polizei die Scheidungspapiere unterschrieben. Wirtschaftlich sei es ihr sehr schlecht gegangen. Georgien verlassen habe sie aber wegen des Ex-Mannes. Ihre beiden anderen Kinder habe sie eine Woche vor der Ausreise zu ihrer Schwester gebracht, die auf sie habe aufpassen oder sie zur Großmutter habe fahren sollen. Bei einer Rückkehr nach Georgien wüsste sie nicht, wohin sie gehen solle. Wenn sie eine Unterkunft finden würde, habe sie Angst, dass ihr Ex-Mann sie finden würde. Die Kinder würden dann ohne Mutter bleiben. Der Ex-Mann habe keine Bleibe und wolle wieder mit ihnen zusammen sein.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. Januar 2019 - zugestellt am 5. Januar 2019 - die Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Zudem wurde die Abschiebung der Kläger nach Georgien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die Kläger seien keine Flüchtlinge. Die Klägerin zu 1. habe im Zusammenhang mit den den Klägern angeblich drohenden Beeinträchtigungen und Misshandlungen keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass zwischen diesen und ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine Verknüpfung bestehe oder ihnen vom geschiedenen Mann der Klägerin zu 1. ein solches Merkmal zugeschrieben würde. Die Voraussetzungen für subsidiären Schutz seien ebenfalls nicht gegeben. Die Kläger müssten sich auf interne Schutzmöglichkeiten in anderen Teilen Georgiens verweisen lassen. Als medizinische Fachangestellte verfüge die Klägerin zu 1. über genug Bildung und Berufserfahrung, um im Zusammenhang mit staatlicher und familiärer Unterstützung an einem anderen Ort für sich und ihre Kinder das Existenzminimum zu sichern. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die humanitären Bedingungen in Georgien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die Klägerin zu 1. könne für sich und ihre Kinder durch Gelegenheitsarbeiten und familiäre und staatliche Unterstützung das Existenzminimum sicherstellen. Die Schwester der Klägerin zu 1. habe bereits die in Georgien verbliebene Tochter betreut. Es drohe den Klägern auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG.

Die Kläger haben gegen den Bescheid am 16. Januar 2019 Klage erhoben. Die Klägerin sei nach dem herrschenden Staats- und Gesellschaftssystem ihrem drogen- und spielsüchtigen Ehemann schutzlos ausgeliefert gewesen. Der Ehemann habe "Subutex" und Alkohol konsumiert und sei infolgedessen mehrmals die Woche übergriffig geworden. Seine Stelle als Postbote habe er verloren, weil er unter Drogeneinfluss Auto gefahren sei. Auch gegenüber den Kindern sei er übergriffig geworden; so habe er die Tochter mit einem Messer attackiert, wobei diese sich eine Verletzung an der Hand zugezogen habe. Außerdem habe er der Tochter verboten, die Schule zu besuchen. Die Eigentumswohnung habe der Ehemann 2017 verkauft, um seine Drogen- und Spielsucht zu finanzieren. Aufgrund der Anzeigen bei der Polizei im Januar 2018 habe sich der Ehemann noch aggressiver verhalten. Deshalb habe sich die Klägerin zu 1. scheiden lassen. Als geschiedene Frau habe sie sich in einer ausweglosen Lage befunden, der sie sich nur durch Flucht ins Ausland habe entziehen können. Nach der Ausreise habe der Ehemann verstärkt nach ihr und den Kindern gesucht. Er habe mit erheblicher Gewaltanwendung und damit gedroht, die Klägerin zu 1. umzubringen. Die Klägerin zu 1. werde somit wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt. Interne Schutzmöglichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Ihren Beruf als medizinische Fachangestellte könne die Klägerin zu 1. nicht mehr ausüben. Der Arbeitsmarkt biete keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten; sie habe drei Kinder zu versorgen. Eine Unterstützung durch die Familie sei nicht möglich; die Schwester sei vom Ex-Mann eingeschüchtert worden. Bei einer Rückkehr würde es erneut zu körperlichen Übergriffen durch den Ex-Mann kommen. Darüber hinaus litten die Kinder an schweren psychischen Problemen. Der Kläger zu 2. befinde sich in fortlaufender ambulanter Therapie.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,hilfsweis subsidiären Schutz zu gewähren, hilfsweise Abschiebungsverbote festzustellen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage entscheidet nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 29. September 2023 der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG).

Die Klage hat überwiegend keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nur hinsichtlich der unter Nrn. 5 und 6 des Bescheides getroffenen Regelungen zur Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot begründet.

Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch hilfsweise auf Zuerkennung subsidiären Schutzes, noch hilfsweise auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Allerdings stellt sich die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des Bescheides als rechtswidrig dar und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); demzufolge ist auch die unter Nr. 6 des Bescheides getroffene Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben.

1.

Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen nicht vor.

a) Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die - hier nicht in Betracht kommenden - Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK) wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. In den §§ 3a bis 3e AsylG sind in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ("Qualifikationsrichtlinie" - QRL) im Einzelnen die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt.

Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). An einer Verfolgung fehlt es bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen.

Die Befürchtung einer Verfolgung ist grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn dem Ausländer für seine Person bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles solche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Beachtlich im vorgenannten Sinne ist die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung dann, wenn bei zusammenfassender Bewertung des Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 37). Dieser Maßstab entspricht dem für die Verfolgungsprognose unionsrechtlich einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab der "tatsächlichen Gefahr" ("real risk") eines Schadenseintritts, der unabhängig davon Geltung beansprucht, ob der Ausländer verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, juris Rn. 22). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU - QRL 2011 - ist indessen die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Der Vorverfolgungsmaßstab des Art. 4 Abs. 4 QRL 2011 ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie nunmehr unmittelbar anwendbar. Ein Vorverfolgter oder Geschädigter wird mithin nicht durch differenzierte Verfolgungsmaßstäbe, sondern durch eine anderweitige Beweiserleichterung privilegiert (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2011 Anm. 1). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL 2011 setzt einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung und dem Sachverhalt, der bei einer Rückkehr zur Verfolgung führen könnte, voraus (vgl. zu Art. 4 Abs. 4 QRL 2004: BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris; Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 42).

Insbesondere eine geltend gemachte Vorverfolgung muss aber in dem Sinne glaubhaft sein, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Ausländer behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat, aus dem er seine Verfolgungsfurcht herleitet. Es sind in diesem Zusammenhang keine unerfüllbaren Beweisanforderungen zu stellen und es ist keine unumstößliche Gewissheit zu verlangen; das Gericht muss sich vielmehr in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn solche nicht völlig auszuschließen sind (vgl. schon BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 -, juris Rn. 16 f.). Es ist dabei Sache des Asylbewerbers, seine Gründe in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass er bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hatte. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001 - 1 B 24/01 -, juris Rn. 5). Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten müssen überzeugend aufgelöst werden; gesteigertes Vorbringen muss einsehbar erklärt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.05.1996 - 9 B 273/96 -, juris Rn. 2).

Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und in diesen Landesteil sicher und legal reisen kann, dort aufgenommen wird und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Von einem Ausländer, dem in einem Teil seines Herkunftslandes Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, kann in Bezug auf die materiellen Existenzbedingungen vernünftigerweise bereits dann erwartet werden, sich an einem für ihn erreichbaren sicheren Landesteil niederzulassen (Ort des internen Schutzes nach § 3e AsylG), wenn sein wirtschaftliches Existenzminimum dort ohne Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewährleistet ist; weitergehende Anforderungen an die Qualität der Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes (z. B. ein auf Dauer gesichertes Leben zumindest etwas oberhalb des Existenzminimums) sind aus dem System des internationalen Schutzes nicht abzuleiten (BVerwG, Urt. v. 18.02.2021 - 1 C 4/20 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.11.2019 - A 11 S 2376/19 -, juris Rn. 23 ff.).

b) Gemessen an diesen Maßstäben kann eine Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfolgen.

aa) Es kann offenbleiben, ob sich das gewalttätige und übergriffige Verhalten des Ehemanns als geschlechtsspezifische Verfolgung (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) darstellt. Dies ist zweifelhaft, weil nicht ersichtlich ist, dass es speziell an die geschlechtsspezifische Rolle der Klägerin zu 1. als Frau angeknüpft hätte. Auslöser der sich intensivierenden Übergriffe des Ex-Mannes soll nach dem eigenen Vortrag der Klägerin zu 1. insbesondere der Konsum von "Subutex" und Alkohol gewesen sein. Die dadurch offenbar bewirkte Enthemmung ging nicht nur zu Lasten der Klägerin zu 1., sondern auch zu Lasten des Klägers zu 2. und stellt zunächst einmal erlittenes Unrecht dar. Auf die asylrechtliche Einordnung der Übergriffe kommt es aber nicht entscheidend an. Hinsichtlich der Befürchtung, der Ex-Mann werde bei einer Rückkehr nach Georgien erneut gewalttätig, ist die Klägerin zu 1. nämlich darauf zu verweisen, nötigenfalls den Schutz staatlicher georgischer Behörden in Anspruch zu nehmen. In Rechnung zu stellen ist insoweit, dass staatlicher Schutz nicht lückenlos und absolut sicher sein muss, sondern es ausreichend ist, wenn dieser generell gewährleistet ist (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 1/94 -, juris Rn. 9). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der georgische Staat i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylG erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz zu bieten. Nach der Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass der georgische Staat i. S. d. § 3d AsylG durchaus willens und in der Lage ist, Schutz gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu bieten. Im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Stand: 13.07.2020, S. 32 f.) heißt es zum Thema Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt:

Georgien hat seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt überarbeitet, um sie an die Standards des Europarates (Übereinkommen von Istanbul) anzunähern. Anzeigen von Fällen häuslicher Gewalt haben infolge verstärkter Sensibilisierungskampagnen zugenommen [...].

2019 wurden 4.185 Fälle häuslicher Gewalt von den Behörden strafrechtlich verfolgt, verglichen mit 3.232 im Jahr 2018 und 1.986 im Jahr 2017. Im Jahr 2019 wurden 51% der Beschuldigten in Untersuchungshaft genommen. Laut NGOs zeigten sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch die Staatsanwälte in Tiflis eine verbesserte Professionalität bei der Bekämpfung von Verbrechen in Verbindung mit häuslicher Gewalt [...]. Eine deutliche Veränderung der öffentlichen Einstellung und die Einführung einer Abteilung für den Schutz der Menschenrechte durch das Innenministerium im Januar 2018 sind gleichfalls zu vermerken. Die genannte Abteilung arbeitet daran, die Kapazität zur Untersuchung von häuslicher Gewalt und Hassverbrechen zu erhöhen. Dennoch besteht nach wie vor eine hohe Zahl von Fällen zu Gewalttaten gegen Frauen [...].

Im Jahr 2019 wurden 19 Morde an Frauen gemeldet, von denen zehn Anzeichen von häuslicher Gewalt aufwiesen. Darüber hinaus wurden 22 versuchte Morde an Frauen gemeldet, davon 18 aufgrund häuslicher Gewalt [...]. Gesetze über häusliche Gewalt schreiben die Anordnung vorübergehender Schutzmaßnahmen vor, einschließlich einstweilige Verfügungen, die es einem Täter verbieten, sich dem Opfer für sechs Monate zu nähern und Gemeinschaftseigentum, wie beispielsweise einen Wohnsitz oder ein Fahrzeug, zu nutzen. Das Büro der Ombudsperson erklärte, dass die Opfer oft berichteten, dass sie unangemessene Antworten von Strafverfolgungsbeamten auf Verstöße gegen einstweilige Verfügungen erhielten. Seit August 2018 gilt die Verletzung einer einstweiligen Verfügung als Straftat [...].

Lokale NGOs und die Regierung betreiben gemeinsam eine 24-Stunden-Hotline und Unterkünfte für misshandelte Frauen und ihre minderjährigen Kinder. Plätze in Schutzeinrichtungen sind begrenzt und nur vier der zehn Regionen des Landes verfügen über solche Einrichtungen (USDOS 11.3.2020). Häusliche Gewalt wird oft nur mit bedingten Strafen geahndet und es gibt Fälle, in denen die Polizei versucht, zwischen Opfer und Täter zu vermitteln, anstatt eine Anzeige aufzunehmen; insbesondere wenn Täter und Polizist sich kennen [...].

Im neueren Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Stand: 13.12.2022, S. 32 f.) heißt es zu dem Thema:

Die Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt wurde von Georgien im Jahr 2017 ratifiziert und trat im selben Jahr in Kraft [...]. Georgien hat außerdem die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen (CEDAW) - im Jahr 1994 - ratifiziert [...]. Gesetzlich sind Frauen den Männern gleichgestellt und genießen auch im öffentlichen Leben die gleichen Rechte, welche sie aber aufgrund gesellschaftlicher Traditionen und Konventionen, ungeachtet gleich hohen Bildungsstandes, nicht immer ausüben können [...]. Aufgrund der existierenden Geschlechterklischees bleibt die vollwertige Einbindung von Frauen ins öffentliche und politische Leben und in Entscheidungsprozesse problematisch [...]. Mindestens 25 % der Kandidaten auf Parteilisten müssen weiblichen Geschlechts sein [...].

Gewalt gegen Frauen ist weiterhin ein ernstes Problem. Fälle häuslicher Gewalt werden von der Gesellschaft und den Behörden meist als interne Familienangelegenheit betrachtet. Die Bereitschaft, dagegen Maßnahmen zu ergreifen, nimmt jedoch weiterhin zu [...]. Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen ist eine der Prioritäten der Regierung und der Staatsanwaltschaft. Jedoch trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre im Präventionsbereich stellt eine wirksame und umfassende Strafverfolgung nach wie vor eine Herausforderung dar [...].

2019 wurden 4.185 Fälle häuslicher Gewalt von den Behörden strafrechtlich verfolgt, verglichen mit 3.232 im Jahr 2018 und 1.986 im Jahr 2017. Im Jahr 2019 wurden 51 % der Angeklagten in Untersuchungshaft genommen. Laut NGOs zeigen sowohl Vollzugsbehörden als auch Staatsanwälte in Tiflis eine höhere Professionalität bei der Bekämpfung von Straftaten in Verbindung mit häuslicher Gewalt [...]. Gemäß dem Generalstaatsanwalt wurden im Jahr 2021 22 Morde an Frauen gemeldet, wovon 11 Fälle Anzeichen häuslicher Gewalt aufwiesen. Darüber hinaus wurden 31 Mordversuche an Frauen gemeldet, wovon 16 Fälle häusliche Gewalt betrafen [...].

Trotz gesetzlicher Änderungen berichtete die Ombudsstelle in ihrem Jahresbericht 2020, dass den Behörden ein umfassender Ansatz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen fehlt und die Koordinierung zwischen den Regierungsstellen unzureichend ist. Vergewaltigung ist gesetzeswidrig. Ersttäter können mit einer Haftstrafe von bis zu acht Jahren belangt werden. Die Regierung setzt das Gesetz nicht wirksam um [...]. Schutz vor häuslicher Gewalt kann in Frauenhäusern oder Einrichtungen für Mütter und Kinder geboten werden [...]. NGOs und die Regierung haben in den letzten Jahren das Angebot für Überlebende häuslicher Gewalt erweitert. Gemeinsam betreiben sie eine 24-Stunden-Hotline sowie Unterkünfte für misshandelte Frauen und deren minderjährige Kinder. Plätze in Schutzeinrichtungen sind begrenzt, und nur fünf der zehn Regionen des Landes verfügen über solche Einrichtungen [...].

Nach Einschätzung des Einzelrichters stellt sich das Schutzniveau wenn auch als sicherlich verbesserungsfähig, so doch aus asylrechtlicher Perspektive als insgesamt ausreichend dar. Dass - wie die Kläger meinen - das herrschende Staats- und Gesellschaftssystem dazu führen würde, dass die Klägerin zu 1. ihrem Ex-Mann schutzlos ausgeliefert wäre, kann jedenfalls gerade nicht angenommen werden. Dies lässt sich schon daran erkennen, dass die konkret um Hilfe gebetene Polizei keineswegs untätig geblieben ist. Die Klägerin zu 1. berichtete selbst, dass die im Januar 2018 erstmals um Hilfe gebetene Polizei den Ex-Mann mitgenommen und auch für mehrere Wochen aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen hatte. Entsprechende Gefährderansprachen, "Wegweisungen" und Näherungsverbote finden auch in Deutschland statt und entsprechen damit durchaus rechtsstaatlichen Standards. Auch die Verletzungen, die die Klägerin zu 1. davontrug, wurden von der Polizei offenbar dokumentiert. Dass der Ex-Mann nach einer Geldzahlung wieder freigekommen sein soll, kann ebenfalls gerade nicht als Ausdruck fehlender Schutzwilligkeit und -fähigkeit bewertet werden. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der der Klägerin zu 1. kolportierten Geldzahlung - nach welcher der Ex-Mann wieder freigekommen sei - um eine Geldstrafe oder eine Kaution handelte, kommt schlichtweg ein durchaus verhältnismäßiges Vorgehen des georgischen Staates zum Ausdruck. Auch bei der von der Klägerin zu 1. initiierten Scheidung wurde die Polizei nach eigenen Angaben der Klägerin zu 1. unterstützend tätig. Die Klägerin zu 1. kann nicht etwa einen derartigen Umgang der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ex-Mann erwarten, der schon als solcher dafür sorgen würde, dass sie sich in Tiflis nie wieder begegnen könnten. Mit einem verhältnismäßigen Sanktionssystem und adäquaten Präventivmaßnahmen kann letztlich kein Staat absolute Sicherheit vor häuslichen Übergriffen garantieren. Auch in Deutschland, wo es alle drei Tage zu einem vollendeten Femizid kommt (vgl. https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/femizide- und-gewalt-gegen-frauen/), ist dies nicht gewährleistet. Der nachvollziehbare Wunsch nach absoluter Sicherheit ist nicht der Maßstab für die Zuerkennung eines asylrechtlichen Schutzstatus.

bb) Abgesehen von diesen Erwägungen besteht für die Kläger auch die Möglichkeit internen Schutzes i. S. d. § 3e AsylG an einem anderen Ort in Georgien, wenn sich die Klägerin zu 1. in Tiflis nicht hinreichend sicher fühlen sollte. Dass der Ex-Mann seine Übergriffe überhaupt hätte fortsetzen können, wenn sich die Kläger - anstatt auszureisen - an einem anderen Ort in Georgien niedergelassen hätte, erscheint schon unwahrscheinlich. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt - fast sechs Jahre nach den Vorfällen - gilt dies umso mehr. Die Kläger können auch sicher und legal in einen anderen Landesteil reisen, werden dort aufgenommen und es kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich dort niederlassen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums an einem von der Klägerin zu 1. gewählten Ort internen Schutzes wird voraussichtlich schon unter Einsatz ihrer Arbeitskraft ohne Verletzung des sich aus Art. 3 EMRK ergebenden Schutzniveaus gewährleistet sein. Die Klägerin zu 1. ist gesund und arbeitsfähig und ging in Georgien einer Erwerbstätigkeit als ausgebildete Krankenschwester in einem Krankenhaus nach. Dies wird sie auch nach einer Rückkehr nach Georgien tun können, um den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen. Warum sie in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten könne, wie zur Begründung der Klage geltend gemacht wird, erschließt sich dem Einzelrichter nicht. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin insoweit erklärt, dass sie durchaus arbeitsfähig sei es sich um ein Missverständnis mit der Prozessbevollmächtigten gehandelt haben müsse. Zudem können die Kläger nötigenfalls auch auf familiäre Unterstützungsleistungen zurückgreifen, denn es bestehen entsprechende familiäre Verbindungen in Georgien. Die Schwester der Klägerin zu 1. hatte in der Vergangenheit bereits geholfen. Es ist zu erwarten, dass sie auch erneut hilft, auch wenn sie vom Ex-Mann der Klägerin zu 1. eingeschüchtert worden sein mag. Zudem lebt die Mutter bzw. Großmutter der Kläger nach wie vor im Herkunftsort. Nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung lebt ihre 2017 geborene Tochter aktuell bei der Mutter bzw. Großmutter in Georgien, weil es in Deutschland Missverständnisse mit dem Jugendamt und auch eine Inobhutnahme gegeben habe, so dass die sechsjährige Tochter "entschieden" habe, lieber in Georgien leben zu wollen. Auch wenn die Familie es möglicherweise lieber sehen würde, wenn die Kläger weiterhin in Deutschland leben würden, kann aus dem Verhalten der nahen Verwandten gerade nicht der Schluss gezogen, dass ihnen im Falle einer Rückkehr Unterstützung versagt bliebe. Vielmehr ist offenkundig vom Gegenteil auszugehen. Im Übrigen können Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, eine staatliche Unterstützung ("Barunterhaltsbeihilfe") erhalten (IOM Länderinformationsblatt Georgien 2022, S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Stand: 13.12.2022), S. 42 f.). Die staatliche Sozialhilfe liegt bei bis zu 220 Lari im Monat (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26.05.2023 (Stand: April 2023), S. 16). Es zeigt sich, dass der georgische Staat der Bedürftigkeit einer (zurückkehrenden) mehrköpfigen Familie nicht etwa gleichgültig gegenübersteht. Die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG dienen nicht dazu, einem schutzsuchenden Ausländer im Vergleich zum Herkunftsland verbesserte Lebensbedingungen zu ermöglichen oder eine soziale Absicherung nach hiesigen Standards zu gewährleisten.

2.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus liegen nicht vor.

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach Satz 2 der Bestimmung gelten als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist Schutz zu gewähren. Ein solcher Schaden droht den Klägern aus den bereits unter 1. dargestellten Erwägungen nicht, weil von einer Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des georgischen Staates auszugehen ist. Andere Anknüpfungspunkte für die Annahme eines drohenden ernsthaften Schadens i. S. v. § 4 Abs. 1 AsylG, als diejenigen, die schon unter 1. erörtert wurden, bestehen nicht.

3.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

a) Es kann aufgrund der schon unter 1. dargestellten Erwägungen kein (nationales) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen individueller Gefahren angenommen werden. Es kann aufgrund der dortigen Ausführungen nicht davon ausgegangen werden, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Georgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (landesweit) die in Art. 3 EMRK bezeichnete Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden.

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Aspekt allgemeiner Gefahren scheidet ebenfalls aus. Dass die Kläger aufgrund solcher landesweit drohenden Gefahren "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würden, wie es für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.2010 - 10 C 10/09 -, BVerwGE 137, 226, juris Rn. 12 ff. m. w. N.), ist schon im Ansatz nicht erkennbar. Die sich für § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ergebenden Anforderungen bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen sind zwar nicht mit dem strengen Maßstab der für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Fehlen einer Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen existenziellen Notlage identisch. Nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s können aber schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, Beschl. v. 08.08.2018 - 1 B 25/18 -, juris Rn. 9 f.; Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 23-25, jeweils m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird die für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung maßgebliche Schwelle der Erheblichkeit erst in einer Situation extremer materieller Not erreicht (EuGH, Urt. v. 19. März 2019 - C-163/17 ("Jawo") -, juris Rn. 92). Maßstab für die insoweit anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Es bedarf bei wertender Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls eines engen zeitlichen Zurechnungszusammenhangs zwischen der Rückführung des Ausländers in den Zielstaat und einer ihm dort drohenden Verelendung (BVerwG, Urt. v. 21.04.2022 - 1 C 10/21 -, juris Rn. 25).

Von einer solchen landesweit drohenden und alsbald eintretenden Situation extremer materieller Not kann für die Kläger bei einer Rückkehr nach Georgien aus den schon unter 1. bb) zur Möglichkeit internen Schutzes skizzierten Gründen ersichtlich nicht ausgegangen werden.

b) Auch die Voraussetzungen für ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot liegen nicht vor. Die für ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geforderte erhebliche konkrete Gefahr liegt aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach der auch im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anwendbaren Bestimmung des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der seit dem 21.08.2019 geltenden Fassung, vgl. zu der zuvor geltenden Rechtslage schon OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 28.09.2017 - 2 L 85/17 -, juris Rn. 7) muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG regelt zudem nunmehr ausdrücklich, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Für die Bestimmung der "Gefahr" i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutsverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Eine Gefahr ist "erheblich", wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Eine solche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird. Da es sich um eine individuelle Gefahr handelt, kann diese auch durch die jeweilige Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt sein (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 10.11.2011 - 8 LB 108/10 -, juris Rn. 27, 28 m. w. N.; nachgehend BVerwG, Beschl. v. 06.02.2012 - 10 B 3/12 u. a. -, juris). § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bietet aber keine Anspruchsgrundlage dafür, im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, wenn im hiesigen Gesundheitssystem eine wesentlich bessere medizinische und/oder therapeutische Behandlung und/oder Förderung des betroffenen Ausländers möglich ist als im Heimatland. Dies gilt auch bei festgestellten Behinderungen (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 28.01.2011 - 11 A 977/10 -, juris).

Nach diesen Maßstäben ist ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot für den Kläger zu 2. nicht erkennbar. In Anbetracht der vorgelegten (älteren) Atteste erscheint der Schluss auf eine aktuell bestehende lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG), als fernliegend. Zwar wird im Bericht des I. -Therapeutikums vom 21. November 2019 eine posttraumatischen Belastungsstörung, eine sonstige emotionale Störung des Kindesalters und eine Enuresis nocturna diagnostiziert. Es ist aber schon nicht der Schluss möglich, dass dem Kläger zu 2. in Georgien überhaupt eine Retraumatisierung drohen würde. Auch der Schweregrad der psychischen Probleme des Klägers zu 2. reicht für ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot nicht aus. Mit der Neufassung des § 60 Abs. 7 AufenthG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390) hat der der Gesetzgeber die in der Rechtsprechung entwickelten strengen Anforderungen für eine krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nachgezeichnet und teils verschärft (vgl. dazu: Hager, Abschiebung trotz schwerer Krankheit?, Asylmagazin 6/2016, S. 160) und zudem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht hat, dass in Fällen einer posttraumatischen Belastungsstörung die Abschiebung regelmäßig möglich sein soll, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Darum geht es bei dem Kläger zu 2. ersichtlich nicht, sondern bei Lichte betrachtet lediglich um eine optimale Förderung der psychischen Störungen. Ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht aber nicht dazu, eine Behandlung nach den Standards des hiesigen Gesundheitssystems zu sichern. Die Kläger werden sich mit dem Versorgungsstandard in Georgien zufriedengeben müssen. Der Einzelrichter geht insoweit davon aus, dass die psychischen Störungen auch in Georgien hinreichend adäquat behandelbar wären. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD der Schweizerischen Eidgenossenschaft weist in seiner Analyse vom 21. März 2018 mit dem Titel "Focus Georgien, Reform im Gesundheitswesen: Staatliche Gesundheitsprogramme und Krankenversicherung" darauf hin, dass es ein allen georgischen Bürgern offenstehendes staatliches Programm für psychische Erkrankungen gibt, welches sowohl ambulante Behandlungen durch einen Psychiater, Therapeuten oder Neurologen als auch stationäre Kurz- und Langzeitbehandlung in den psychiatrischen Institutionen von Tbilisi, Rustawi und Kutaisi umfasst, wobei der Staat die Kosten für alle psychischen Erkrankungen, die als Psychose bezeichnet werden, vollständig übernimmt.

4.

Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des angegriffenen Bescheides stellt sich als derzeit rechtswidrige Rückkehrentscheidung dar und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Demzufolge unterliegt auch die unter Nr. 6 des Bescheides getroffene Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot der Aufhebung.

a) Aufgrund des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Es ist mithin zu fragen, ob die Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung so ergehen dürfte. Das ist bereits im Hinblick auf das aktuell laufende Asylverfahren des 2020 in Deutschland geborenen Kindes der Klägerin zu 1. nicht der Fall. Das von der - in der mündlichen Verhandlung vorgelegten - Aufenthaltsgestattung für dieses Kind vermittelte Aufenthaltsrecht stellt einen derzeit der Abschiebung der Kläger nach Georgien entgegenstehenden familiären Belang dar.

Nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG in der einen Tag vor dem Verhandlungstermin in Kraft getretenen Fassung (vgl. Art. 11 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung v. 21.02.2024, BGBl. 2024 I Nr. 54 v. 26.02.2024) ist Voraussetzung für den Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt, dass der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Diese Regelung entspricht vom Wortlaut der Änderung des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als unmittelbar maßgeblicher Vorschrift für den Erlass einer Abschiebungsandrohung durch die Ausländerbehörde und beinhaltet mithin ein identisches Prüfprogramm. Aus den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich entnehmen, dass diese gesetzlichen Änderungen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 5 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG (vgl. insbesondere Beschl. v. 15.02.2023 - C-484/22) zurückgehen und dabei davon ausgegangen wurde, dass bei Vorliegen der in Art. 5 Buchst. a bis c der Rückführungsrichtlinie aufgeführten Gründe für ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis - Kindeswohl, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand - keine Rückkehrentscheidung und somit keine Abschiebungsandrohung erlassen werden darf (vgl. BR-Drs. 563/23, S. 20, 46, 63). Auch wenn diese Annahme des nationalen Gesetzgebers unionsrechtlich möglicherweise nicht in jeder Hinsicht zwingend war (vgl. dazu Beschl. des Einzelrichters v. 17.10.2023 - 1 B 3700/22 -, Beschl. v. 25.10.2023 - 1 B 3578/23 -, Beschl. v. 25.10.2023 - 1 B 4022/23 -; jeweils zit. nach juris), ist sie doch so den gesetzlichen Änderungen zugrunde gelegt worden. Hinsichtlich der Bedenken des Bundesrates zum Entwurf des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG hat die Bundesregierung bekräftigt, dass die Pflicht zur Prüfung von Artikel 5 der Rückführungsrichtlinie vor Erlass einer Rückkehrentscheidung eine zwingende Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei (vgl. BT-Drs. 20/9642, S. 11). Es besteht nach Auffassung des Einzelrichters in Anbetracht dessen kein Raum (mehr) für die Überlegung, bei im Entscheidungszeitpunkt voraussichtlich nur kurzfristig einer Abschiebung entgegenstehenden Gründen nach Art. 5 Buchst. a bis c der Rückführungsrichtlinie eine Abschiebungsandrohung gleichwohl zu erlassen und auf die Möglichkeit einer ausländerbehördlichen Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu verweisen. Folglich kann auch nicht danach differenziert werden, ob ein den entgegenstehenden Grund i. S. v. Art. 5 Buchst. a oder b vermittelndes Aufenthaltsrecht eines Familienmitglieds ein dauerhaftes rechtmäßiges Aufenthaltsrecht darstellt oder - wie es bei einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG der Fall ist - nur einen vorübergehenden Aufenthalt zulässt. Dieser Befund wird durch § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in der seit dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung bestätigt, wonach dem (ausländerbehördlichen) Erlass der Abschiebungsandrohung Abschiebungsverbote und die in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (nur dann) nicht entgegenstehen, wenn der Ausländer auf Grund oder infolge einer strafrechtlichen Verurteilung ausreisepflichtig ist oder gegen ihn ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt es dazu, dass von der in der Rückführungsrichtlinie geregelten Möglichkeit umfassend Gebrauch gemacht werden sollte, die Rückführungsrichtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist (vgl. BR-Drs. 563/23, S. 47). Die Möglichkeit, bei lediglich vorübergehenden Gründen für eine Aussetzung der Abschiebung i. S. v. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen und auf eine Duldung zu verweisen, will der Gesetzgeber mithin nur noch bei Straftätern eröffnet sehen. Wenn noch nicht einmal Ausländerbehörden eine Abschiebungsandrohung erlassen dürfen, wenn im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorübergehende Gründe i. S. v. Art. 5 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG einer Abschiebung entgegenstehen, lässt sich nicht rechtfertigen, dass dies dem Bundesamt bei der Entscheidung über Asylanträge gleichwohl möglich sein sollte. Die trotz der weitreichenden am 27. Februar 2024 im Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen unveränderte Fortgeltung des § 43 Abs. 1 AsylG, wonach dann, wenn Familienangehörige im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG gleichzeitig oder jeweils unverzüglich nach ihrer Einreise einen Asylantrag gestellt haben, die Ausländerbehörde die Abschiebung vorübergehend aussetzen darf, um die gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen, vermag an dem skizzierten Befund nach Auffassung des Einzelrichters nichts zu ändern.

Hinzu kommt, dass sich die weitere 2007 geborene Tochter der Klägerin zu 1. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis befinden soll.

b) Die unter Nr. 6 des angegriffenen Bescheides getroffene Regelung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s soll zwar in einer behördlichen Befristungsentscheidung regelmäßig der konstitutive Erlass eines befristeten Einreiseverbots gesehen werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2018 - 1 C 21/17 -, juris Rn. 25). Die so verstandene Regelung unter Nr. 6 des angegriffenen Bescheides kann dann allerdings nur Bestand haben, wenn sich auch die zugrundeliegende Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung als rechtmäßig darstellt. Ein Einreiseverbot im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie muss nämlich immer mit einer Rückkehrentscheidung einhergehen, kann also nicht ohne Rückkehrentscheidung bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 54).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Einzelrichter bemisst dabei die Flüchtlingseigenschaft mit 4/10, den subsidiären Schutz und die Abschiebungsverbote mit jeweils 2/10 und die unter Nrn. 5 und 6 getroffenen Regelungen mit 2/10 (Anlehnung an BVerwG, Beschl. v. 29.06.2009 - 10 B 60/08 -, juris Rn. 9). Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.