Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 03.04.2024, Az.: 1 A 4828/21

Abschiebungsandrohung; Abschiebungsverbot; Ausbildungsduldung; Fachkräfteeinwanderungsgesetz; Georgien; Internationaler Schutz; Kostenteilung; offensichtlich unbegründet; Rückführungsrichtlinie; Rückführungsverbesserungsgesetz; sicherer Herkunftsstaat; Williams-Beuren-Syndrom; Ausbildungsduldung eines Familienangehörigen steht Abschiebungsandrohung entgegen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.04.2024
Aktenzeichen
1 A 4828/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 13646
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0403.1A4828.21.00

Amtlicher Leitsatz

Eine Ausbildungsduldung eines Elternteils gem. 60c AufenthG steht mit Blick auf das Kindeswohl und die familiären Belange i.S.v. § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG einer Abschiebungsandrohung gegenüber einer Minderjährigen entgegen. Die Ausbildungsduldung ist ein ausreichend gefestigtes Aufenthaltsrecht, dessen Unterschiede zu einem Aufenthaltstitel immer weiter verschwimmen.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2021 wird zu Ziffer 5. und 6. aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt 3/4 und die Beklagte 1/4 der Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt internationalen Schutz bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Georgiens.

Die Klägerin ist georgische Staatsangehörige. Sie ist 2018 in Tiflis, Georgien, geboren, reiste am 18. September 2020 mit ihren Eltern in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Die Eltern trugen im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übereinstimmend vor, dass sie wegen ihrer Tochter Asyl beantragt hätten. Sie benötige aufgrund ihrer Erkrankung eine spezielle medizinische Behandlung, die in Georgien nicht geleistet werden könne. Sie seien nach Deutschland gekommen, um die Klägerin in einer Spezialklinik für das Williams-Beuren-Syndrom ärztlich versorgen zu lassen. Der Asylantrag der Eltern wurde mit Bescheid vom 29. Juni 2021 als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Mit Bescheid vom 27. Juli 2021 lehnte das Bundesamt auch den Antrag der Klägerin auf Asyl und internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Es drohte unter Ziffer 5. die Abschiebung nach Georgien an und ordnete unter Ziffer 6. ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das es auf 30 Tage befristete.

Dagegen hat die Klägerin am 6. August 2021 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie insbesondere vortragen lassen, dass es in Georgien keine geeignete medizinische Versorgung für ihre Krankheit gebe. Sie hat dazu einen Ambulanzbrief des H. I. vom 18. August 2018 und einen Zusatzbericht vom 20. August 2018 vorlegen lassen. Nach einer Stellungnahme des Geschäftsführers der georgischen Stiftung für genetische und seltene Krankheiten vom 2. August 2021 seien in Georgien keine Kliniken bekannt, in der die Richtlinien zur Steuerung des Williams-Beuren-Syndroms etabliert seien und die Erfahrung in der erfolgreichen Behandlung dieser Krankheit habe.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 3. Juni 2022 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt (Az. 1 B 4830/21). Das Bundesamt habe die Anträge auf internationalen Schutz zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass sich der Zustand der Klägerin bei einer Rückkehr nach Georgien in einer Weise verschlimmern würde, die zu seiner erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führen würde.

Auf die Anfrage nach einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG hat die Klägerin zunächst einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen lassen und anschließend doch auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Die Klägerin hat weitere ärztliche Bericht des sozialpädiatrischen Zentrums J. vom 28. Juni 2022 und vom 16. Oktober 2023 sowie einen ärztlichen Bericht der K. vom 7. Dezember 2023 vorlegen lassen. Zudem hat sie einen Ausbildungsvertrag des Vaters der Klägerin vom 1. Juni 2022 vorlegen lassen, wonach dieser eine Ausbildung als Hotelfachmann absolviert. Der Vater der Klägerin habe deswegen eine Ausbildungsduldung, die bis zum 30. Juni 2025 befristet sei. Die Mutter der Klägerin habe deswegen ebenfalls eine Duldung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen; hilfsweise, ihr subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zuzuerkennen; weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Georgiens vorliegen,

und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2021 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet, verweist auf die streitgegenständliche Entscheidung und hält auch an der Abschiebungsandrohung fest. Die Rechtsprechung des EuGH's stehe der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen, da keine überwiegend schutzwürdigen kindlichen Belange zu erkennen seien. Die Erteilung einer Duldung an den Vater der Klägerin reiche nicht aus, weil damit kein berechtigter Aufenthalt eines Familienangehörigen bestehe. Die weiter vorgelegten ärztlichen Berichte begründeten auch kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Oktober 2023 gem. § 76 Abs. 1 AsylG übertragen hat und im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Juli 2021 ist überwiegend rechtmäßig. Die Klägerin hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, auf die Gewährung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung und das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind hingegen rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Bewertungen der Beklagten zu den Anträgen der Klägerin auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sind zutreffend. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 77 Abs. 3 AsylG auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Juli 2021 sowie im Eilbeschluss vom 3. Juni 2022 verwiesen, denen sich der Einzelrichter auch nach nochmaliger Prüfung der aktuellen Sach- und Rechtslage anschließt und ergänzt:

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten am 23. Dezember 2023 (BGBl. I, Nr. 382) ist Georgien vom Gesetzgeber als sicherer Herkunftsstaat i. S. v. § 29a Abs. 2, Anlage II AsylG eingeordnet worden. Daraus resultiert die Vermutungsregelung des § 29a Abs. 1 AsylG. Zur Ausräumung der Vermutung ist nur ein Vorbringen zugelassen, welches die Furcht vor Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal gründet, wobei allerdings auch die allgemeinen Verhältnisse zu berücksichtigen sein können. Die Vermutung ist erst ausgeräumt, wenn die Person die Umstände der (politischen) Verfolgung schlüssig und substantiiert vorträgt. Dieser Vortrag muss vor dem Hintergrund der Feststellung des Gesetzgebers, dass in dem jeweiligen Staat im Allgemeinen keine politische Verfolgung stattfindet, der Erkenntnisse der Behörden und Gerichte zu den allgemeinen Verhältnissen des Staates und der Glaubwürdigkeit der Person glaubhaft sein. Zur Substantiierung trägt insoweit bei, wenn die Person die Beweismittel vorlegt oder benennt, die nach den Umständen von ihm erwartet werden können (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1507/93 -, juris). Vor diesem Hintergrund ergibt sich unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin ersichtlich kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG oder des subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG. Die Eltern der Klägerin haben gegenüber dem Bundesamt ausschließlich auf die medizinische Versorgung verwiesen und auch im weiteren Verlauf keine Gefahren im Sinne des Asylgesetzes bei einer Rückkehr nach Georgien vorgebracht. Die Klägerin hat daher im Asylverfahren nur Umstände vorbringen lassen, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Daher war der Asylantrag gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n. F. als offensichtlich unbegründet abzulehnen.

2. Hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten hat die zu diesem Zeitpunkt zuständige Einzelrichterin im Beschluss vom 3. Juni 2022 ausgeführt:

"Dass sich der Zustand der Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Georgien aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern würde, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben im vorstehend beschriebenen Sinne führen würde, ist nicht ersichtlich. Die Symptomatik des Williams-Beuren-Syndroms ist variabel und umfasst neben der typischen kraniofazialen Dysmorphie (Fehlbildungen von Kopf und Gesicht) vor allem kardiovaskuläre und renale (die Niere betreffende) Fehlbildungen, eine statomotorische und mentale Entwicklungsstörung sowie ein charakteristisches Persönlichkeitsprofil und Störungen von Wachstum und Pubertät (vgl. https://link.springer.com/article/10.1007/s00112-005-1100-y?noAccess=true); nicht alle erkrankten Menschen weisen alle möglichen Symptome auf beziehungsweise nicht bei allen Patienten treten die Symptome in gleich starker Ausprägung auf (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Williams-Beuren-Syndrom). Bei der Antragstellerin sind ausweislich des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Ambulanzbriefes der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des L. I. vom 18. August 2021 und des Zusatzberichtes vom 20. August 2021 neben dem molekulargenetisch bereits bestätigten Williams-Beuren-Syndrom bzw. in dessen Folge eine allgemeine Entwicklungsstörung, eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), eine mittelgradige supravalvuläre Aortenstenose und eine leichte periphere Pulmonalstenose rechts ausgeprägter als links diagnostiziert worden. Ein unmittelbarer kardialer Therapiebedarf besteht nach den vorgelegten Berichten nicht. Es wird vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass "derzeit keine Indikation zur Operation oder Intervention" bestehe; die kardiovaskulären Beeinträchtigungen seien "aktuell mäßig". Auch eine antihypertensive Therapie sei "derzeit bei (noch) normalem Blutdruck nicht erforderlich". Ca. halbjährige kinderkardiologische Untersuchungen werden empfohlen, um eine mögliche Verschlechterung frühzeitig zu erkennen. Bei einer Verschlechterung könne "theoretisch eine Operation notwendig werden"; bei unbemerkter Verschlechterung ohne Therapie oder gegebenenfalls Operation könne sich eine Herzinsuffizienz entwickeln. Die wesentliche Beeinträchtigung im Rahmen des Williams-Beuren-Syndroms liege in der statomotorischen und mentalen Entwicklungsstörung, die einer intensiven Förderung bedürfe. Als Fördertherapien ständen insoweit Physiotherapie, Logopädie und/oder Ergotherapie zur Verfügung. Regelmäßige Vorstellungen in einem entsprechenden Zentrum seien notwendig, um den Verlauf der Entwicklung zu kontrollieren und die entsprechenden Therapien anzupassen; im weiteren Verlauf seien ein entwicklungsfördernder Kindergarten und eine Förderschule notwendig. Im Übrigen seien regelmäßige Kontrollen erforderlich, um weitere mögliche mit dem Williams-Beuren-Syndrom assoziierte Erkrankungen an Nieren, Blase, Darm, im Wachstum, der Pubertätsentwicklung, Sinnesorganen oder orthopädischer Natur auszuschließen bzw. zu bestätigen und zu therapieren.

Von einer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr nach Georgien drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung kann danach nicht ausgegangen werden. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin in Deutschland möglicherweise eine bessere Förderung und gegebenenfalls - soweit eine solche erforderlich werden sollte - medizinische Behandlung erlangen kann, reicht zur Begründung eines Abschiebungsverbots nicht aus - so menschlich nachvollziehbar wie der Wunsch der Eltern der Antragstellerin, möglichst optimale Förder- und Versorgungsbedingungen für ihr Kind schaffen zu wollen, auch ist. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bietet gerade keine Anspruchsgrundlage dafür, im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, wenn im hiesigen Gesundheitssystem eine wesentlich bessere medizinische und/oder therapeutische Behandlung und/oder Förderung des betroffenen Ausländers möglich ist als im Heimatland (vgl. dazu etwa VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.02.2016 - 17 L 276/16.A -, juris Rn. 13 m. w. N.). Dies gilt auch bei festgestellten Behinderungen (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 28.01.2011 - 11 A 977/10 -, juris). Darauf, dass es - wie die Antragstellerseite unter Vorlage einer Auskunft der Georgischen Stiftung für Genetische und Seltene Krankheiten vorgetragen hat - in Georgien keine Klinik gibt, in der die von der US-Akademie für Pädiatrie erarbeiteten "Richtlinien zur Steuerung des Williams-Syndroms" etabliert sind, kommt es demnach nicht an.

Nach der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der XXX GmbH vom 7. September 2020 geht die Einzelrichterin im Übrigen davon aus, dass die empfohlenen halbjährlichen kinderkardiologischen Kontrolluntersuchungen ebenso wie die weiteren empfohlenen Kontrolluntersuchungen durchaus auch in Georgien durchgeführt werden können. So wurden ausweislich der Bescheinigung der XXX GmbH bei der Antragstellerin bereits in Georgien mittels einer diagnostischen Katheteruntersuchung und einer echokardiographischen Untersuchung u.a. eine supravalvuläre Aortenstenose sowie eine leichtgradige rechte Pulmonalarterienstenose diagnostiziert; eine halbjährliche kardiologische Überwachung durch regelmäßige Echokardiographie und EKG wurde auch in Georgien schon empfohlen. Die bestehende Hypothyreose wurde in Georgien ebenfalls bereits diagnostiziert und medikamentös behandelt; auch die von den Eltern der Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt als wichtig hervorgehobene regelmäßige Bestimmung des Kalziumspiegels konnte ausweislich der vorgelegten Bescheinigung bereits in Georgien erfolgen.

Für die Einzelrichterin ergibt sich danach das Bild, dass das Williams-Beuren Syndrom als solches in Georgien zwar noch relativ unbekannt sein mag. Die typischen bzw. möglichen Symptome und organischen Beeinträchtigungen können in Georgien aber offenbar durchaus diagnostiziert, überwacht und erforderlichenfalls auch behandelt werden. Mit diesen in Georgien bestehenden Möglichkeiten werden sich die Antragstellerin und ihre Eltern zufriedengeben müssen. Die Antragstellerin hatte in Georgien vor ihrer Ausreise auch tatsächlich Zugang zu einer entsprechenden medizinischen Versorgung. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass dies auch nach einer Rückkehr der Fall sein wird. Soweit die Eltern der Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt angegeben haben, dass sie die in Georgien angefallenen Behandlungskosten nur mit der zusätzlichen Unterstützung durch Verwandte hätten aufbringen können, kann realistischerweise erwartet werden, dass sie diese familiäre Unterstützung auch in Zukunft erhalten und in Anspruch nehmen werden."

Dieser Einschätzung schließt sich der nunmehr im Hauptsacheverfahren zuständige Einzelrichter nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage und unter Berücksichtigung der weiteren ärztlichen Stellungnahmen an. Es ergibt sich auch weiterhin kein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 7 AufenthG. Auch aus den weiteren ärztlichen Stellungnahmen ergibt sich eine deutliche Entwicklungsretardierung der Klägerin im Rahmen eines molekulargenetisch bestätigten Williams-Beuren-Syndroms. Die Entwicklung sei langsam, aber stetig. Laut Entlassungsbericht vom 7. Dezember 2023 wurde die Klägerin zwar zur kardiochirurgischen Korrektur-Operation bei hochgradiger supravalvulärer Aortenstenose stationär aufgenommen. Die Operation verlief jedoch ohne Besonderheiten, sodass die Klägerin nach einer Woche in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden konnte. Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlechterung der Gesundheit der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Georgien ergeben sich aus den ärztlichen Stellungnahmen nicht.

Auch unter Berücksichtigung der § 60 Abs. 5 AufenthG zugrundeliegenden Aspekte ergibt sich kein Abschiebungsverbot aufgrund der zu erwartenden Lebensumstände der Klägerin in Georgien. Von existenziellen Gefährdungen ist angesichts der gegenwärtigen humanitären Bedingungen in Georgien nicht auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist nicht erkennbar, dass der Klägerin eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohen würde. Die Eltern der Klägerin hatten angegeben, dass sie zuvor im Staatsdienst bzw. Bankensektor gearbeitet und Unterstützung von ihrer Familie erhalten hatten. Daher ist davon auszugehen, dass die Familie auch bei einer Rückkehr nach Georgien den Lebensunterhalt wird sichern können.

3. Die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des angefochtenen Bescheides vom 27. Juli 2021 stellt sich hingegen als rechtswidrige Rückkehrentscheidung dar und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG in der nunmehr geltenden Fassung (vgl. Gesetz zur Verbesserung der Rückführung - Rückführungsverbesserungsgesetz - BGBl. 2024 I Nr. 54 v. 26.02.2024) ist Voraussetzung für den Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt, dass der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Diese Regelung entspricht vom Wortlaut der Änderung des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als unmittelbar maßgeblicher Vorschrift für den Erlass einer Abschiebungsandrohung durch die Ausländerbehörde und ist Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die gemeinsamen Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98 ff.) - Rückführungsrichtlinie -. Der Europäische Gerichtshof hatte beschlossen, dass Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG dahingehend auszulegen ist, dass er verlangt, das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen (bereits) im Rahmen eines zum Erlass einer gegen einen Minderjährigen ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen sind und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen (erst) im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug der Rückkehrentscheidung geltend machen kann, um gegebenenfalls eine Aussetzung des Vollzugs zu erwirken (vgl. EuGH, Beschluss vom 15.2.2023 - C-484/22 -, Rn. 28).

Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum sog. Rückführungsverbesserungsgesetz lässt sich entnehmen, dass davon ausgegangen wurde, dass bei Vorliegen der in Art. 5 Buchst. a) bis c) der Rückführungsrichtlinie aufgeführten Gründe für ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis - Kindeswohl, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand - keine Rückkehrentscheidung und somit keine Abschiebungsandrohung erlassen werden darf (vgl. BR-Drs. 563/23, S. 20, 46, 63). Hinsichtlich der Bedenken des Bundesrates zum Entwurf des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG hat die Bundesregierung bekräftigt, dass die Pflicht zur Prüfung von Artikel 5 der Rückführungsrichtlinie vor Erlass einer Rückkehrentscheidung eine zwingende Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei (vgl. BT-Drs. 20/9642, S. 11). Es besteht nach Auffassung des Einzelrichters in Anbetracht dessen kein Raum für die Überlegung, bei im Entscheidungszeitpunkt voraussichtlich nur kurzfristig einer Abschiebung entgegenstehenden Gründen nach Art. 5 Buchst. a) bis c) der Rückführungsrichtlinie eine Abschiebungsandrohung gleichwohl zu erlassen und auf die Möglichkeit einer ausländerbehördlichen Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu verweisen. Folglich kann auch nicht danach differenziert werden, ob ein den entgegenstehenden Grund i. S. v. Art. 5 Buchst. a) oder b) vermittelndes Aufenthaltsrecht eines Familienmitglieds ein dauerhaftes rechtmäßiges Aufenthaltsrecht darstellt oder nur einen vorübergehenden Aufenthalt zulässt. Daher gilt schon die Aufenthaltsgestattung (vgl. ausführlich VG Hannover, Urt. v. 28.2.2024 - 1 A 416/19 -, wird veröffentlicht) und erst Recht die Ausbildungsduldung i. S. v. § 60c AufenthG als Aufenthaltsrecht, das einer Abschiebungsandrohung entgegensteht.

Anders als die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch eine Duldung gem. § 60a AufenthG wird die qualifizierte Duldung in Form einer Ausbildungsduldung gem. § 60c AufenthG für die gesamte Dauer der Ausbildung erteilt - in diesem Fall drei Jahre, vgl. § 60 Abs. 3 Satz 4 AufenthG -, kann anschließend ggf. verlängert werden und bietet die Möglichkeit des Spurwechsels in einen Aufenthaltstitel nach § 19d AufenthG. Auch eine Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 7 AufenthG befristet erteilt. Die Ausbildungsduldung ist faktisch ein "Aufenthaltsrecht im Duldungsgewand", mit dem zahlreiche Ungereimtheiten systematischer wie auch praktischer Art einhergehen (vgl. Breidenbach in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.1.2024, § 60c, Rn. 3). Durch die Neueinführung einer Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung für ausreisepflichtige Ausländer in § 16g AufentG zum 1. März 2024 durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (Art. 2 Nr. 9a, BGBl. 2023 I Nr. 217, v. 28.8.2023) mit im Wesentlichen identischen Voraussetzungen (vgl. BT-Drs. 20/7394, S. 26) und die nunmehr doch beschlossene parallele Fortführung der Ausbildungsduldung als Alternative zur Aufenthaltserlaubnis (Art. 7 Nr. 4 des Rückführungsverbesserungsgesetzes, BGBl. 2024 I Nr. 54, v. 26.02.2024, mit der Aufhebung von Art. 19a des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, BGBl. 2023 I Nr. 217, v. 28.8.2023, mit dem § 60c AufenthG aufgehoben werden sollte), verschwimmen die Unterschiede zu einem Aufenthaltstitel weiter. Der Innenausschuss des Bundestags hat entsprechend festgehalten (BT-Drs. 20/10090, S. 25): "Für ausreisepflichtige Ausländer besteht künftig die Möglichkeit, wie bislang eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG zu erhalten oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16g AufenthG. Entscheidendes Element für die Erteilung der Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG beziehungsweise der Aufenthaltserlaubnis nach § 16g AufenthG ist die Lebensunterhaltssicherung, im Übrigen bestehen parallele Voraussetzungen." Daher ist die Ausbildungsduldung als ausreichend verfestigter Aufenthaltsstatus anzusehen (vgl. auch Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage, 2022, § 60c, Rn. 2 ff., 6) und steht angesichts der besonders gewichtigen Belange des Kindeswohls und der Familieneinheit i. S. v. Art. 6 GG gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 und 2 AsylG der Abschiebungsandrohung entgegen. Insofern tritt das staatliche Interesse des Staates an einer Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung gegenüber der Klägerin - anders als die Beklagte im Schreiben vom 27. Dezember 2023 annimmt - in den Hintergrund.

Die unter Nr. 6 des angegriffenen Bescheides vom 27. Juli 2021 getroffene Regelung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, erweist sich damit ebenfalls als rechtsfehlerhaft. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie muss immer mit einer Rückkehrentscheidung einhergehen, kann also nicht ohne Rückkehrentscheidung bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 54).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Einzelrichter bemisst dabei die Anträge auf internationalen Schutz und auf die Feststellung von Abschiebungsverboten mit jeweils 1/4 und die unter Nrn. 5 und 6 getroffenen Regelungen mit 1/4. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.