Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 04.03.2024, Az.: 5 A 5272/23

Aufschub nach § 24 Abs. 5 AsylG (verneint); Nichtaussetzungsbeschluss; subsidiärer Schutz; Sudan; Untätigkeitsklage; Aufschub nach § 24 Abs. 5 AsylG im Hinblick auf die Lage im Sudan

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.03.2024
Aktenzeichen
5 A 5272/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 12724
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0403.5A5272.23.00

Amtlicher Leitsatz

Die Voraussetzungen eines Aufschubs nach § 24 Abs. 5 AsylG liegen im Hinblick auf die Lage im Sudan nicht (mehr) vor.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, das Klageverfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung zu bestimmen, wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten,

das Klageverfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung zu bestimmen,

hat keinen Erfolg.

Nach § 75 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen wurde. Voraussetzung für eine Entscheidung über die Aussetzung ist jedoch, dass die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen und die Klage nicht offensichtlich unzulässig ist. In diesen Fällen entscheidet das Gericht nicht über die Aussetzung, sondern setzt das Verfahren fort und weist die Klage ab (Porsch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 44. EL, Rn. 7 zu § 75 VwGO).

Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Nachdem die Klage fast neun Monate nach Stellung des Asylantrags des Klägers vom 31. Januar 2023 am 30. Oktober 2023 erhoben worden ist, ist die Frist von drei Monaten nach § 75 Satz 2 VwGO, die im Allgemeinen als angemessene Frist für die Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts anzusehen ist, verstrichen. Eine Modifizierung der Drei-Monats-Frist in § 75 Satz 2 VwGO erfolgt nicht durch die Fristenregelungen in § 24 Abs. 4 bis 8 des Asylgesetzes (AsylG), ob das C. (Bundesamt) für eine verspätete Entscheidung einen zureichenden Grund hatte, ist eine Frage der Spruchreife als Teil der Begründetheit der Klage (Dickten in: BeckOK AuslR, 39. Ed., Rn. 14 zu § 24 AsylG). Darüber hinaus ist die Klage als sog. "Untätigkeitsbescheidungsklage" unter dem Gesichtspunkt der Besonderheiten des behördlichen Asylverfahrens und seinen spezifischen Verfahrensgarantien, insbesondere mit Blick auf die besondere Bedeutung der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.7.2018 - 1 C 18/17 -, beck online).

Die Klage ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Dem Kläger dürfte nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. bspw. Urteil vom 7. November 2023, Az. 5 A 1228/23) aufgrund eines anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sudan subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein.

Das Verfahren war auch nicht gemäß § 75 Satz 3 VwGO unter Bestimmung einer angemessenen Frist auszusetzen, weil ein zureichender Grund dafür, dass über den bereits am 31. Januar 2023 gestellten Asylantrag des Klägers noch nicht entschieden wurde, jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) vorliegt. Ausweislich § 24 Abs. 4 Satz 1 AsylG ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag binnen sechs Monaten. Die Frist kann unter den Voraussetzungen des zweiten Satzes auf höchstens 15 Monate verlängert werden. Nach Absatz 5 der Norm, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden, wenn aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage besteht, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann. In diesen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat und unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen. Nach Abs. 7 entscheidet das Bundesamt jedoch spätestens 21 Monate nach der Stellung des Asylantrags.

Die Beklagte beruft sich vorliegend auf einen Aufschub der Entscheidung nach § 24 Abs. 5 AsylG, über welchen das Bundesamt die Kommission am 23. Oktober 2023 unterrichtet hat. Dieses Vorgehen begründet das Bundesamt damit, dass im Sudan aufgrund der anhaltenden und sich ausdehnenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Sudanese Armed Forces (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) in dem Bundesstaat al-Khartum und den Dafurregionen eine vorübergehende ungewisse Lage bestehe.

Die Voraussetzungen eines Aufschubs nach § 24 Abs. 5 AsylG liegen nicht (mehr) vor. Wie das Bundesamt offenbar selbst annimmt, handelt es sich bei den Konflikten im Sudan um eine anhaltende und damit nicht bloß vorübergehende Situation. Die Kampfhandlungen haben bereits vor über zehn Monaten begonnen und sind nach Einschätzung landeskundlicher Experten aufgrund ihrer ethnischen Dimension und zyklischen Gewaltmuster nicht schnell zu lösen. Insgesamt sind weder die SAF noch die RSF an der Niederlegung der Waffen interessiert. Beide Gruppen streben eine strategisch-militärische Eroberung des jeweils anderen an (C., Briefing Notes vom 17.7.23 https://www.ecoi.net/de/dokument/2095217.html; Zugriff am 16.8.23, S.13). Ernsthafte Gespräche über einen Waffenstillstand zwischen Machthaber Al Burhan und RSF-Führer Hemeti gibt es bereits seit Monaten nicht mehr, obwohl Nachbarländer wie Kenia, Ägypten oder Äthiopien immer wieder Verhandlungen angekündigt hatten. Stattdessen war zuletzt eine Intensivierung der Kämpfe zu beobachten, die in den vergangenen Jahren hochgerüsteten Truppen der beiden Generäle bekriegen sich immer kompromissloser (Tagesspiegel, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet (tagesspiegel.de); Zugriff am 29.2.2024). Die Aussetzung der Entscheidung wegen vorübergehender ungewisser Lage im Herkunftsstaat darf nicht dazu führen, dass - wie für den Sudan der Fall - eindeutig bestehende Anerkennungsansprüche nicht realisiert werden können (vgl. Fränkel in: NK-AuslR, 3. Auflage 2023, Rn. 33 zu § 24 AsylG).

Vor diesem Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesamts in der Sache nunmehr zwingend geboten.