Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.09.2004, Az.: 6 A 161/02
Anspruch auf Abschiebungsschutz bei Bestehen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit; Möglichkeit der Beurteilung einer einem Ausländer bescheinigten posttraumatischen Belastungsstörung durch fachärztliche Stellungnahme durch das Gericht als nicht aussagekräftig; Anforderung an das Bestehen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit; Gefährdung der seelischen Gesundheit als erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit; Fehlen einer landesweiten Gefahrenlage; Begriff des zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.09.2004
- Aktenzeichen
- 6 A 161/02
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2004, 35621
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2004:0927.6A161.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG
- § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG
Fundstelle
- ANA-ZAR 2005, 31 (Kurzinformation)
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung
am 27. September 2004
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Baumgarten als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass für die Klägerin zu 1) Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Bezug auf Serbien und Montenegro bestehen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 2002 (Gz. 2 678 130-138) wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger sind nach eigenen Angaben serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Kosovo. Sie tragen vor, der Minderheit der Roma anzugehören, und begehren nach Rücknahme der Klage im Übrigen, der Klägerin zu 1) Abschiebungsschutz zu gewähren.
Die nach eigenen Angaben im Jahre 1957 in B. /Serbien geborene Klägerin zu 1) und ihre in den Jahren 1982 bis 1996 geborenen Kinder - die Kläger zu 2) bis 10) - stellten am 11. Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Asylanträge.
Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 17. Juli 2001 erklärte die Klägerin zu 1) im Wesentlichen, sie hätten zuletzt in Mitrovica gelebt. Nachdem ihr Haus im Krieg in Brand gesetzt worden sei, seien sie nach Mazedonien geflohen, wo sie vom Roten Kreuz verpflegt worden seien und sich ca. eineinhalb bis zwei Jahre aufgehalten hätten. Ab der dritten Nacht hätten sie bei einem Bekannten gewohnt. Ihr Ehemann sei während der Bombardierungen im Kosovo von Soldaten und Polizisten verschleppt worden. Die Klägerin zu 9) trug im Rahmen ihrer Anhörung am selben Tage unter anderem vor, als die NATO in das Kosovo einmarschiert sei, seien Angehörige der UCK zu ihnen ins Haus gekommen und hätten sie vergewaltigen wollen. Die Klägerin zu 10) gab im Rahmen ihrer Anhörung unter anderem an, sie seien aus dem Kosovo geflohen, weil man sie dort habe vergewaltigen wollen.
Mit drei Bescheiden vom 9. April 2002 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte die Kläger unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien zur Ausreise auf. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Angehörigen der Roma drohten in der Heimat der Kläger weder politische Verfolgung noch sonstige Gefahren für Leib oder Leben, die zu einem Anspruch auf Abschiebungsschutz führen könnten.
Am 15. April 2002 haben die Kläger Klage erhoben. Sie machen geltend, der Klägerin zu 1) sei Abschiebungsschutz zu gewähren, weil sie aufgrund der Erlebnisse im Kosovo an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Dazu berufen sie sich auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Psychotraumatologie e.V. in C. vom 28. Juli 2003, das zu dem Ergebnis gelangt, die Erlebnisse der Klägerin im Kosovo hätten bei ihr zu einer Traumatisierung geführt, die sich noch heute in der Form einer posttraumatischen Belastungsstörung manifestiere; bei einer Überführung in ihre Heimat sei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten der gutachterlichen Feststellungen wird auf das Gutachten verwiesen (Bl. 48 ff. der Gerichtsakte). Ihre psychische Erkrankung - so die Klägerin - sei im Kosovo nicht adäquat behandelbar.
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 9. April 2002 (Gz. 2 678 130-138) zu verpflichten festzustellen, dass für die Klägerin zu 1) Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Bezug auf Serbien und Montenegro bestehen.
Soweit sie ursprünglich auch die Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG sowie die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG für alle Kläger beantragt haben, ist die Klage zurückgenommen worden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht im Wesentlichen geltend, posttraumatische Belastungsstörungen seien inzwischen sowohl im Kosovo als auch in den übrigen Landesteilen Serbien und Montenegros hinreichend behandelbar. Im Übrigen sei angesichts der großen Zahl von Personen aus dem Kosovo mit behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen allenfalls von einer allgemeinen Gefahrenlage auszugehen, die nur dann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG begründen könne, wenn jeder Einzelne der Bevölkerungsgruppe im Fall seiner Abschiebung sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall wegen der Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo nicht erfüllt. Die Klägerin sei auch nicht gezwungen, sich an den Ort der erlittenen Traumatisierung zu begeben, sondern könne sich in einem anderen Ort des Kosovo niederlassen. Das Gutachten vom 28. Juli 2003 genüge nicht den wissenschaftlichen Anforderungen.
Das Gericht hat die Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2004 informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (Bl. 162 ff. der Gerichtsakte). Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin ein von der Fachärztin für Neurologie D. erstelltes Gutachten des Nds. Landeskrankenhauses Königslutter vom 7. September 2004 vorgelegt, in dem die Gutachterin die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bestätigt und außerdem zu dem Ergebnis gelangt, der Klägerin drohe bei einer Rückkehr in die Heimat eine Retraumatisierung. Wegen der weiteren Feststellungen wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 182 ff. der Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist das Gericht auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
I.
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
II.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Soweit der Bescheid der Beklagten dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt er die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Einer solchen Gefahrenlage wäre die Klägerin zu 1) zur Überzeugung des Gerichts in Serbien und Montenegro ausgesetzt, weil sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, auf deren Grundlage sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.
1.
Das von der Fachärztin für Neurologie E. erstellte Gutachten des Nds. Landeskrankenhauses Königslutter vom 7. September 2004 kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zu 1) unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die auf traumatisierende Erlebnisse im Kosovo - insbesondere einen Überfall durch Soldaten, die Verschleppung des Ehemannes der Klägerin, die versuchte Vergewaltigung einer Tochter, Misshandlungen einer anderen Tochter und die Inbrandsetzung des Wohnhauses - zurückzuführen sei. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe der Klägerin eine Retraumatisierung. Sie bedürfe einer engmaschigen psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung, die aus psychiatrischer Sicht gegenwärtig in ihrer Heimat nicht erfolgversprechend durchgeführt werden könne, weil die Klägerin sowohl die albanischen Volkszugehörigen als auch die Serben als Bedrohung empfinde und derzeit somit keine Aussicht bestehe, dass sie in ihrer Heimat ein "therapeutisches Bündnis" schließen könne. Das Gericht ist auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den es in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, von der Richtigkeit der fachärztlichen Feststellungen zum Krankheitsbild und den daraus resultierenden Folgen überzeugt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Liegt eine fachärztliche Stellungnahme vor, die dem Ausländer eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt, so kann das Gericht regelmäßig mangels hinreichender eigener Sachkunde die Bescheinigung nicht von sich aus als nicht aussagekräftig ansehen (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 14.09.2000 - 11 M 2486/00 -). Anders ist es nur dann, wenn die ärztliche Stellungnahme nicht nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere keine den anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen genügende Begründung enthält, weil sie von anderen, nicht offensichtlich unzureichenden ärztlichen Bescheinigungen abweicht oder weil sie nicht erkennen lässt, dass objektiv bestehende, diagnoserelevante Zweifel berücksichtigt wurden (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 19.03.2004 - 6 A 66/03 -). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.
Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Den Feststellungen liegen die international anerkannten Diagnoseschemata zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen zu Grunde; auch im Übrigen entspricht die Begründung der Gutachterin, an deren Fachkunde keine Zweifel bestehen, den anerkannten wissenschaftlichen Erfordernissen (vgl. z.B. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Leitlinien Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik - Posttraumatische Belastungsstörung, www.uni-duesseldorf.de/AWMF; Projektgruppe "Standards zur Begutachtung psychotraumatisierter Menschen": Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen; Lindstedt in: Asylpraxis, Band 7, S. 97 ff.). Darüber hinaus decken sich die Feststellungen der Gutachterin zum Krankheitsbild und seinen Ursachen jedenfalls in den wesentlichen Punkten mit den Ergebnissen des von den Klägern vorgelegten und vom Deutschen Institut für Psychotraumatologie e.V. erstellten Gutachtens vom 28. Juli 2003. Dass in diesem Gutachten noch nicht ausdrücklich festgestellt worden ist, der Klägerin drohe im Fall ihrer Rückkehr die Gefahr einer Retraumatisierung, steht den entsprechenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 7. September 2004 nicht entgegen. Das Gutachten vom 28. Juli 2003 beschränkt sich auf die Beantwortung konkreter, vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin gestellter Fragen, nach denen kein Anlass bestand, zur Gefahr einer Retraumatisierung Stellung zu nehmen.
2.
Auf der Grundlage des Gutachtens vom 7. September 2004 muss davon ausgegangen werden, dass der Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland konkrete und erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen.
Erkrankten droht bei einer Rückkehr in die Heimat eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben, wenn ihr Gesundheitszustand sich dort wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Die Regelung in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG schützt dabei auch vor Gefährdungen der seelischen Gesundheit (VG Braunschweig, Beschl. vom 28.03.2003 - 6 B 79/03 -; Treiber in: Asylpraxis, Band 7, S. 15, 27). Eine konkrete Gefahr besteht, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383, 387) [BVerwG 25.11.1997 - 9 C 58/96]. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Der Klägerin zu 1) droht bei einer Rückkehr in die Heimat nach den überzeugenden Ausführungen im fachärztlichen Gutachten vom 7. September 2004 eine Retraumatisierung (S. 16 des Gutachtens). Die mit der Retraumatisierung einhergehende Reaktualisierung der traumatischen Erlebnisse führt nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu, dass sich das Symptombild der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene voll oder gesteigert entfaltet (s. nur XENION - Psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte -, Psychische Reaktionen nach Extrembelastungen bei traumatisierten Kriegsflüchtlingen, Stellungnahme vom 13.07.1999). Durch Retraumatisierung entstehen also jedenfalls schwer wiegende neue seelische Verletzungen, sodass der Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr in die Heimat schon aus diesem Grund eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht (vgl. Treiber, a.a.O.., S. 31 m.w.N.). Darüber hinaus kommt es bei der Klägerin nach den Feststellungen im Gutachten vom 7. September 2004 bereits bei der Konfrontation mit inneren oder äußeren Hinweisreizen, die nur an einen Aspekt des traumatischen Ereignisses erinnern, zu massiven körperlichen Reaktionen (S. 15 des Gutachtens). Bei wiederkehrenden Erinnerungen ohne Entwicklung einer Zukunftsperspektive seien Suizidhandlungen sehr wahrscheinlich (S. 16 des Gutachtens).
Die dargelegten Gefahren drohen auch alsbald nach einer Rückkehr der Klägerin in die Heimat. Da das Gutachten die Gefahr einer Retraumatisierung im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Klägerin in ihrer Heimat aufgrund der traumatischen Erlebnisse einer ständigen Bedrohung ausgesetzt sieht, ist davon auszugehen, dass sich die Gefahr in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Wiedereinreise verwirklichen würde.
Das Gericht kann daher offen lassen, ob posttraumatische Belastungsstörungen von Angehörigen der ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo dort nach aktuellem Stand adäquat behandelbar und von den Patienten insbesondere finanzierbar sind (vgl. dazu z.B. VG Oldenburg, Urt. vom 27.01.2004 - 12 A 550/03 -). Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die individuell erforderliche Behandlung der Klägerin in ihrem Heimatland nach dem Gutachten vom 7. September 2004 nicht sichergestellt werden könnte. Die Klägerin bedürfe einer engmaschigen psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung; diese könne gegenwärtig in ihrem Heimatland nicht erfolgversprechend durchgeführt werden, weil sie dort aus psychiatrischer Sicht wegen der individuellen Erkrankung das für eine effektive Behandlung notwendige "therapeutische Bündnis" nicht schließen könne (S. 14 f. des Gutachtens).
3.
Die Beklagte kann auch nicht erfolgreich geltend machen, die Klägerin sei nicht gezwungen, sich an den Ort der erlittenen Traumatisierung zu begeben, sie könne sich vielmehr in einem anderen Ort des Kosovo niederlassen. Es trifft zwar zu, dass Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur gewährt werden kann, wenn die geltend gemachten Gefahren landesweit drohen. Dies ist hier jedoch der Fall.
An einer landesweiten Gefahrenlage fehlt es nur dann, wenn sich der Ausländer der Gefahr durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324, 330 [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95]; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - <juris>). Für das Erlangen von "Sicherheiten" in diesem Sinne gelten nicht die gleichen Anforderungen wie für das stärker von humanitären Zumutbarkeitsgesichtspunkten bestimmte und daher großzügigere Asylrecht: Ein Ausländer kann schon dann auf einen anderen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort keine individuellen konkreten Gefahren i. S. des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG drohen und nicht damit zu rechnen ist, dass er dort Opfer einer allgemeinen extremen Gefahrenlage wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O..; VG Braunschweig, Urt. vom 23.02.2004 - 6 A 781/02 -). Eine solche Sachlage ist hier jedoch nicht gegeben. Nach den fachärztlichen Feststellungen im Gutachten vom 7. September 2004 lässt sich die Gefahr einer Retraumatisierung nicht auf den Ort eingrenzen, an dem sich die das Trauma auslösenden Vorfälle ereignet haben: Die Gutachterin geht von einer Retraumatisierungsgefahr aus, weil die Klägerin nicht wisse, welche der Volksgruppen letztlich für den Überfall auf ihre Familie verantwortlich sei, und sich daher in ihrer Heimat einer ständigen Bedrohung insbesondere durch albanische und serbische Volkszugehörige ausgesetzt sehe (S. 16 des Gutachtens). Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Klägerin auch in den anderen Landesteilen Retraumatisierungen und damit Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG drohen. Bezogen auf die übrigen Landesteile Serbien und Montenegros (außerhalb des Kosovo) ist außerdem nicht ersichtlich, dass die Klägerin die erforderlichen Leistungen des Gesundheitssystems ohne erhebliche Verzögerungen und für sie finanzierbar in Anspruch nehmen könnte. Kostenlos können Bürger aus dem Kosovo in den übrigen Landesteilen Serbien und Montenegros nur dann behandelt werden, wenn sie dort als Ausgesiedelte, Flüchtlinge oder Vertriebene anerkannt sind; anderenfalls müssen sie die Kosten der medizinischen Versorgung selbst tragen (Deutsche Botschaft Belgrad, Auskunft vom 12.08.2003 an das VG Aachen und vom 22.05.2003 an den Hessischen VGH). Es gibt jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin einen solchen Status derart zeitnah erreichen könnte, dass die im Gutachten vom 7. September 2004 für erforderlich gehaltene engmaschige Behandlung und Medikation sichergestellt wäre. Nach den bisherigen Erfahrungen sind die Behörden Serbien und Montenegros grundsätzlich nicht bereit, aus dem Kosovo stammende mittellose Personen zu registrieren (VG Oldenburg, a.a.O..; VG Cottbus, Urt. vom 26.05.2004 - 1 K 915/02.A -).
4.
Der Gewährung von Abschiebungsschutz steht auch nicht die Regelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG entgegen, wonach Gefahren, denen eine Bevölkerungsgruppe in der Heimat des Ausländers ausgesetzt ist, grundsätzlich keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG begründen, sondern nur von den obersten Landesbehörden bei einer Entscheidung nach § 54 AuslG berücksichtigt werden können. Die traumatisierten Flüchtlinge aus dem Kosovo können nicht als eine "Bevölkerungsgruppe" im Sinne dieser Regelung angesehen werden. Das Beispiel der Kläger zeigt, dass auch kriegsbedingte Traumatisierungen auf individuelle Erlebnisse zurückgehen. Die Gefahren, die aus der Erkrankung sowie den Defiziten des Gesundheitssystems in der Behandlung Traumatisierter resultieren, sind wegen der verschiedenen, auch von der jeweiligen psychischen Konstitution abhängigen Ausprägungen der Erkrankung und unterschiedlicher Therapieerfordernisse daher nur individuell nach den besonderen Umständen des Einzelfalles bestimmbar. Die Gruppe der Traumatisierten ist somit durch derart viele Einzelheiten gekennzeichnet, dass kein Anlass und nach Sinn und Zweck des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch kein Grund für eine politische Leitentscheidung besteht (im Ergebnis ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 16.02.2004 - 14 A 548/04.A - und vom 19.11.1999 - 19 B 1599/98 -; VG Oldenburg, a.a.O..; anderer Ansicht OVG Saarland, Beschl. vom 20.09.1999 - 9 Q 286/98 - und VG Frankfurt a.M., Urt. vom 27.09.2001, NVwZ-Beilage 2003, 13, 14). Das Gericht kann daher offen lassen, ob überhaupt hinreichende Erkenntnisse über die Anzahl fachwissenschaftlich diagnostizierter Traumatisierungen bei Personen aus dem Kosovo vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, es handele sich bei diesem Personenkreis zahlenmäßig um eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG.
Selbst wenn die Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG hier anwendbar wäre, würde sie der Gewährung von Abschiebungsschutz durch das Bundesamt jedenfalls dann nicht entgegenstehen, wenn für die Klägerin eine extreme Gefahrenlage bestünde, die sie im Falle ihrer Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324, 328) [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95]. Eine solche Gefahrenlage liegt hier vor. Das Gutachten vom 7. September 2004 enthält hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine weitere Verschlimmerung des Krankheitsbildes die Teilnahme der Klägerin zu 1) am Leben praktisch ausschließen würde, sodass eine tiefgreifende Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit droht. Darüber hinaus kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, bei wiederkehrenden Erinnerungen ohne Entwicklung einer Zukunftsperspektive seien Suizidhandlungen sehr wahrscheinlich (S. 16 des Gutachtens). Dies ist eine Situation, die im Falle einer Rückkehr in das Kosovo konkret droht.
5.
Es gibt auch keine Zweifel daran, dass sich aus den diagnostizierten Erkrankungen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 AuslG ergibt. Krankheitsbedingte Gefahren begründen nur dann kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern ein allein im Verfahren vor der Ausländerbehörde zu berücksichtigendes Vollstreckungshindernis, wenn sie nur durch die Abschiebung als solche entstehen und nicht wegen der besonderen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung (BVerwG, Urt. vom 21.09.1999, AuAS 2000, 14, 15). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Gutachten vom 7. September 2004 macht hinreichend deutlich, dass die diagnostizierte Erkrankung in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Kriegserlebnissen der Kläger steht. Da die befürchtete Verschlimmerung der Leiden als Folge der im Heimatland der Kläger drohenden Retraumatisierung und damit im Zielland der Abschiebung eintritt, liegt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor.
6.
Das dem Bundesamt nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für den Fall einer konkreten Gefahrenlage eingeräumte Ermessen ist hier derart gebunden, dass eine Abschiebung nicht erfolgen darf. Der Klägerin zu 1) drohen in ihrem Heimatland so erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit, dass die Abschiebung unter Würdigung des in ihrem Fall verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes nicht verantwortet werden kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 08.04.1997, BVerwGE 104, 210, 214) [BVerwG 08.04.1997 - 1 C 12/94].
7.
Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 2002 ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit in ihm festgestellt wird, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für die Klägerin zu 1) in Bezug auf Serbien und Montenegro nicht besteht. Die Abschiebungsandrohung bleibt rechtmäßig (vgl. § 50 Abs. 3 AuslG); dass dort noch die "Bundesrepublik Jugoslawien" als Zielstaat der Abschiebung bezeichnet ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 14.02.2003 - 6 A 419/02 -).
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO und des § 83b Abs. 1 AsylVfG a.F.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden den Klägern in vollem Umfang auferlegt. Soweit sie die Klage zurückgenommen haben, ergibt sich diese Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO. Soweit die Klage Erfolg hat, handelt es sich nur um einen geringen Teil des Verfahrens. Das Gericht sieht daher in Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO davon ab, die Kosten verhältnismäßig zu teilen.
Dabei geht das Gericht von der in § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (= § 30 RVG) zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Wertung der mit den Klageanträgen einer mehrköpfigen Familie in einem Asylverfahren verbundenen Interessen aus. Berücksichtigt man, dass für alle Kläger ursprünglich nicht nur die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG, sondern auch die Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beantragt worden war, und bewertet man das Interesse der Klägerin zu 1) an der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG im Verhältnis zu ihren übrigen, ursprünglich gestellten Anträgen mit einem Drittel, so hat der für erledigt erklärte Verfahrensteil bezogen auf das gesamte Verfahren aller Kläger einen Wert von weniger als einem Zehntel. Bei einem solchen Kostenverhältnis ist nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte eine einheitliche Kostenentscheidung gerechtfertigt (vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 14.03.2003 - 6 A 316/02 -).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.