Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.09.2004, Az.: 6 A 303/03

Beurteilungsspielraum; Chancengleichheit; Erkrankung; erste Staatsprüfung; Krankheit; Lebensmittelchemie; Mitwirkungspflicht; oberste Landesbehörde; Obliegenheit; Prüfung; Prüfungsausschuss; Prüfungsfähigkeit; Prüfungsunfähigkeit; Rücktritt; verwaltungsinternes Kontrollverfahren; Vorverfahren; Widerspruchsverfahren; Widerspruchsverfahren; Überdenken

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.09.2004
Aktenzeichen
6 A 303/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50717
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei berufsbezogenen Prüfungen ist abweichend von § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich auch dann ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren (Vorverfahren)durchzuführen, wenn der Prüfungsausschuss eine oberste Landesbehörde ist (Prüfungsausschuss für Lebensmittelchemiker). Betreffen die Einwendungen des Prüflings jedoch nicht die Bewertungen der Prüfer, sondern die ordnungsgemäße Durchführung des Prüfungsverfahrens (Rücktritt), bedarf es vor Klageerhebung eines Widerspruchsverfahrens nicht.

2. Ein Prüfling, der in Kenntnis von Hinweisen auf eine Erkrankung und eine sich daraus möglicherweise ergebende Prüfungsunfähigkeit an der Prüfung teilgenommen hat, kann seinen Rücktritt von der Prüfung nachträglich nicht mehr wirksam erklären, es sei denn, dem Prüfungsausschuss war offensichtlich und zweifelsfrei erkennbar, dass eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit vorliegt (BVerwG, Urt. vom 24.02.2003, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 403; Urt. vom 12.11.1997, BVerwGE 105, 328).

Tatbestand:

1

Die im Jahre 1960 geborene Klägerin studierte von 1988 bis 1994 an der Universität Hamburg im Studiengang Lebensmittelchemie. Nach dem Erreichen des Vordiploms und einer Studienunterbrechung setzte sie im Jahre 1998 die Ausbildung an der Technischen Universität Braunschweig fort und wurde im März 2001 zur Ersten Staatsprüfung für Lebensmittelchemiker zugelassen.

2

In der praktischen Prüfung erreichte sie in dem Fach Lebensmittelchemie die Note „gut (2,0)“ und in den Fächern Chemisch-toxikologische Analytik sowie Mikroskopie jeweils ein „ausreichend (4,0)“. In der mündlichen Prüfung erhielt sie am 19. November 2001 im Fach Grundzüge des Lebensmittelrechts ein „ausreichend (4,0)“. Wegen einer Erkrankung kam es erst im Mai 2002 zu einer mündlichen Prüfung im Fach Biologie/Ökologie, die mit der Note „ausreichend (4,0)“ endete. Im Fach Chemie der Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetischen Mitteln, Bedarfsgegenstände und des Wassers wurde am 28. Mai 2002 die mündliche Prüfung mit „mangelhaft (5,0)“ bewertet. Am 6. Juni 2002 erhielt sie im Fach Mikrobiologie ein „ausreichend (4,0)“. Mit Bescheid des Prüfungsausschusses für die Erste Staatsprüfung der Lebensmittelchemiker bei der Technischen Universität Braunschweig wurde daraufhin die Erste Staatsprüfung für nicht bestanden erklärt.

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Am 16. Juli 2002 unterzog sich die Klägerin einer Wiederholung des mit „mangelhaft“ benoteten Prüfungsfachs und erhielt wiederum die Note „mangelhaft (5,0)“. Mit Bescheid des Prüfungsausschusses vom 6. August 2002 wurde die Erste Staatsprüfung für Lebensmittelchemiker erneut für nicht bestanden erklärt und die Klägerin auf die Möglichkeit zu einer nach der Prüfungsordnung zulässigen zweiten Wiederholungsprüfung hingewiesen.

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An dem zunächst für die Wiederholungsprüfung vorgesehenen Termin vom November 2002 nahm die Klägerin wegen von ihr geltend gemachter gesundheitlicher Beschwerden (Migräne) und familiärer Probleme (Ehescheidung) nicht teil. Ein erneuter Termin vom 13. Mai 2003 wurde wegen des am selben Tage stattfindenden Gerichtstermins zur Ehescheidung verlegt. Zu dem für die Wiederholungsprüfung in Aussicht genommenen Termin vom 28. Mai 2003 meldete sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 2003 an. In der mündlichen Fachprüfung wurden die Leistungen der Klägerin wiederum mit „mangelhaft (5,0)“ bewertet und die Erste Staatsprüfung für Lebensmittelchemiker von dem Beklagten mit Bescheid vom 23. Juni 2003 für endgültig nicht bestanden erklärt.

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Am 22. Juli 2003 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie (im November 2003) vor:

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Sie sei in der Prüfung vom 28. Mai 2003 prüfungsunfähig gewesen und erkläre nunmehr nachträglich den Rücktritt von dieser Prüfung. Sie habe im Juni 2001 die Ehescheidung beantragt und sei den Belastungen des zeitgleich begonnenen Ersten Staatsexamens nicht gewachsen gewesen. In der ersten Wiederholung der mündlichen Fachprüfung vom 16. Juli 2002 sei sie derart blockiert gewesen, dass der Prüfer {D.} ihr eine psychologische Beratung empfohlen und einen Kontakt zur Psychotherapeutischen Beratungsstelle beim Studentenwerk der Technischen Universität Braunschweig vermittelt habe. Während der Prüfer massive Prüfungsängste vermutet habe, hätten bei der Beratungsstelle die familiären Probleme im Vordergrund gestanden. Entgegen dem Rat ihrer Ärztin habe sie an der Prüfung teilgenommen. Ihre Ärztin habe ihr unter dem 4. November 2003 bescheinigt, dass sie auf Grund ihrer schweren psychischen Belastung durch die Scheidung und die Trennung von ihrem jüngsten Sohn psychisch nicht stabil gewesen sei und hierdurch Konzentrationsschwierigkeiten gehabt habe. Auch die Psychotherapeutische Beratungsstelle habe vor der Prüfung interveniert, weil sie einen prüfungsunfähigen Eindruck gemacht habe. Gleichwohl habe sie den Termin nicht verschieben wollen, weil sie sich ausreichend vorbereitet gefühlt habe und den Termin hinter sich habe bringen wollen. Nach dem vorausgegangenen Prüfungstermin hätten sich ihre finanzielle Lage sowie ihre seelische Situation erheblich verschlechtert. Obwohl im Mai 2003 ein Ehescheidungstermin anberaumt und die Ehe am 23. Mai 2003 geschieden worden sei, habe sie dennoch den Prüfungstermin vom 28. Mai 2003 wahrnehmen wollen. In der mündlichen Prüfung sei sie allerdings nicht in der Lage gewesen, ihr Wissen zu zeigen. Die Bewertung der Prüfungskommission werde nicht angezweifelt. Der Prüfungsausschuss hätte jedoch unschwer erkennen können, dass sie nicht prüfungsfähig gewesen sei. Unabhängig von einer Mitwirkung des Prüflings sei ein Prüfer gehalten, von sich aus die Frage der Prüfungsfähigkeit anzusprechen und die Prüfung abzubrechen, wenn ein Prüfling offensichtlich krankheitsbedingt in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Dies sei auch bei ihr der Fall gewesen. Darauf, dass sie selbst den Rücktritt nicht unverzüglich erklärt habe, komme es nicht an.

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Die Klägerin beantragt,

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die Prüfungsentscheidung vom 28. Mai 2003 i.d.F. des Prüfungsbescheides des Beklagten vom 23. Juni 2003 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Die mündliche Wiederholungsprüfung vom 28. Mai 2003 habe in den Räumen des Nds. Ministeriums für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stattgefunden. Der Prüfungsausschuss habe sich zusammengesetzt aus Prof. {E.}(Prüfer), Ministerialrat {F.} und Chemieoberrätin {G.} (Beisitzerin). Vor Beginn der Prüfung sei die Klägerin vom Prüfungsausschuss befragt worden, ob sie in der Lage sei, die Prüfung abzulegen. Die Klägerin habe daraufhin erklärt, dass sie sich hierzu in der Lage fühle. Das dann gezeigte Verhalten der Klägerin habe dem Prüfungsausschuss keine Veranlassung gegeben, ihre Erklärung in Zweifel zu ziehen. Auch nachträglich habe die Klägerin ihre Prüfungsunfähigkeit nicht durch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung in Frage gestellt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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Die Entscheidung des Beklagten vom 28. Mai 2003 über das Nichtbestehen der mündlichen Wiederholungsprüfung der Klägerin im Fach Chemie der Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetischen Mittel, Bedarfsgegenstände und des Wassers sowie der Prüfungsbescheid vom 23. Juni 2003 sind nicht zu beanstanden.

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Widerspruchsverfahren vor der Klageerhebung nicht durchgeführt worden ist. Weder das Gesetz zum Schutz der Berufsbezeichnung „Lebensmittelchemiker“ vom 27. Juni 1977 (Nds. GVBl 1977, 203) noch die hier maßgebliche Verordnung über die Ausbildung und Prüfung der Lebensmittelchemiker vom 22. März 1983 - PrüfVO - (Nds. GVBl 1983, 85) sehen die Durchführung eines Vorverfahrens vor. Dies entspricht den Regelungen der §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. VwVfG i.V.m. § 79 VwVfG, die hinsichtlich der förmlichen Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte, wie sie Bescheide über das Bestehen oder Nichtbestehen von Prüfungen darstellen, auf die Verwaltungsgerichtsordnung verweisen. Nach § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO bedarf es eines Vorverfahrens grundsätzlich nicht, wenn der Verwaltungsakt - wie es hier der Fall ist - von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist.

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Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht bei berufsbezogenen Prüfungen unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechts der Berufsfreiheit durch eine entsprechende Gestaltung des Prüfungsverfahrens hergeleitet. Danach muss der Prüfling die Möglichkeit haben, Einwände gegen die Bewertung der Prüfungsleistungen bei der Prüfungsbehörde rechtzeitig und wirkungsvoll vorzubringen, um derart ein Überdenken dieser Bewertungen unter Berücksichtigung seiner Einwände zu erreichen. Damit das Verfahren des Überdenkens der Prüfungsentscheidung seinen Zweck, das Grundrecht der Berufsfreiheit des Prüflings effektiv zu schützen, erfüllen kann, muss gewährleistet sein, dass die vom Prüfling substanziiert erhobenen Einwände den beteiligten Prüfern zugeleitet werden, sodass diese sich mit den gegen die Bewertung der Prüfungsleistung erhobenen Rügen auseinandersetzen und erforderlichenfalls erneut über das Ergebnis der Prüfung entscheiden können. Diese verfahrensrechtlichen Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 1 GG sind grundsätzlich nur in einem eigenständigen verwaltungsinternen Kontrollverfahren unter maßgeblicher Beteiligung der betroffenen Prüfer zu erfüllen (BVerfG, Beschl. vom 17.04.1991, BVerfGE 84, 34; BVerwG, Urt. vom 24.02.1993, BVerwGE 92, 132 m.w.N.).

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Dieser Anspruch des Prüflings auf ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren zum Zweck des Überdenkens der Prüfungsentscheidung besteht indessen nicht voraussetzungslos und greift insbesondere dann nicht, wenn es an substanziierten Einwänden gegen die Prüferbewertung fehlt (BVerwG, Urt. vom 24.02.1993, aaO.) oder der Prüfling sich - wie es hier der Fall ist - nicht gegen die prüfungsspezifischen Wertungen als Grundlage der Prüfungsentscheidung wendet, sondern wegen einer behaupteten Prüfungsunfähigkeit von der Prüfung nachträglich zurücktritt und unter dem Gesichtspunkt eines fehlerfreien Ablaufs des Prüfungsverfahrens einen Anspruch auf die Wiederholung der Prüfung herleitet. Eine Entscheidung über die Berechtigung zum Rücktritt, durch die eine Fachprüfung als nicht unternommen gilt, obliegt unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 PrüfVO dem Vorsitzenden der Prüfungsausschusses und ist nicht von den prüfungsspezifischen Unwägbarkeiten und fachlichen Kompetenzen geprägt, die eine Beteiligung der Prüfer unerlässlich machen. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedurfte es deshalb nicht.

19

Der von der Klägerin im November 2003 erklärte Rücktritt von der am 28. Mai 2003 durchgeführten Fachprüfung führt nicht zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung und des Bescheides des Beklagten vom 23. Juni 2003.

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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 PrüfVO bedarf es im Falle des Rücktritts eines Prüflings von der Prüfung unverzüglich des schriftlichen Nachweises eines wichtigen Grundes gegenüber dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses. Dieser kann, wenn als wichtiger Grund eine Krankheit des Prüflings angegeben wird, die Vorlage eines amtsärztlichen Attestes fordern (§ 7 Abs. 1 Satz 2 PrüfVO). Erkennt der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Gründe an, gilt die Fachprüfung als nicht unternommen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 PrüfVO).

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Soweit die Klägerin unter Hinweis auf eine Prüfungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der mündlichen Fachprüfung vom 28. Mai 2003 die Prüfungsentscheidung beanstandet und eine Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2003 begehrt, kann sie mit diesem Vorbringen nicht durchdringen. Prüfungsentscheidungen sind wegen des den Prüfern oder der Prüfungsbehörde im Bereich fachlich-wissenschaftlicher Bewertungen von Prüfungsleistungen zustehenden Beurteilungsspielraums einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur beschränkt zugänglich. Derartige Entscheidungen sind u.a. lediglich dahingehend gerichtlich überprüfbar, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., Rn 399 f.; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rn 353 m.w.N.). Hinsichtlich eines verfahrensmäßig einwandfreien Prüfungsverlaufs kommt dem durch Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Gleichbehandlungsgebot im Prüfungsrecht besondere Bedeutung zu. Dieser Grundsatz verbietet es, die Prüflinge vor unterschiedliche Prüfungsbedingungen zu stellen, soweit diese Unterschiede nicht durch die Sache selbst geboten sind. Dies rechtfertigt sich aus der Erwägung, dass nur dann das erzielte Prüfungsergebnis eine hinreichend sichere Aussage über die individuellen Leistungen und Fähigkeiten eines jeden Prüflings gewährleistet, wenn die Kandidaten die Prüfung unter gleichen Voraussetzungen ablegen. War dagegen für den Prüfling der Leistungsnachweis durch irreguläre Umstände erschwert, so ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, dass wegen dieser ungleichen Bedingungen die erbrachten Leistungen hinter den wahren Fähigkeiten des Prüflings zurückgeblieben sind. Als solche besonderen Umstände, die die Chancengleichheit aufheben könnten, gelten u.a. erhebliche gesundheitliche Mängel, sofern sie nachweisbar bestanden haben. Der Klägerin ist indessen aus Rechtsgründen eine Berufung auf eine Prüfungsunfähigkeit verwehrt, weil sie der sich aus dem Prüfungsverhältnis für sie ergebenden Mitwirkungsverpflichtung an einer fehlerfreien Durchführung des Prüfungsverfahrens nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.

22

Nach den von der Rechtsprechung zur Mitwirkungspflicht des Prüflings im Prüfungsverfahren und zum Verlust des Rügerechts entwickelten Rechtsgrundsätzen (BVerwG, Urt. vom 13.05.1998, BVerwGE 106, 369 m.w.N.) kann der vor oder während des Prüfungsablaufs in seinem Leistungsvermögen beeinträchtigte Prüfling sich auf den grundgesetzlich verbürgten Grundsatz der Chancengleichheit mit Erfolg nur berufen, wenn er einen von ihm als Hinderungsgrund für den ordnungsgemäßen Ablauf der Prüfung erkannten Umstand unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, gegenüber den Prüfern geltend macht, weil es sonst in seiner Hand läge, im Falle eines für ihn ungünstigen Prüfungsergebnisses durch einen nachträglich geführten Nachweis über einen Prüfungsmangel das Prüfungsrisiko auszuschließen oder wesentlich zu verringern. Er wäre damit seinerseits gegenüber anderen Prüflingen bevorteilt. Diese Mitwirkungslast dient vor allem der Ermöglichung einer unverzüglichen Beweissicherung über den Grad der Beeinträchtigung, weil aus der Rückschau sich Feststellungen über die Art und den Umfang einer etwaigen Beeinträchtigung, insbesondere, wenn sich diese Kriterien einem Dritten nicht ohne weiteres erschließen, nur schwer mit der gebotenen Sicherheit treffen lassen.

23

Einer derartigen Verpflichtung zur rechtzeitigen Geltendmachung von Mängeln kommt der Kandidat bei ihm vor Prüfungsbeginn bekannten Umständen in rechtlich einwandfreier Weise regelmäßig nur nach, wenn er dem Prüfungsausschuss vor Prüfungsbeginn Gelegenheit gibt, den Nachteil abzuwenden. Tritt die Beeinträchtigung erst während des Prüfungsverlaufs ein, so ist eine Beanstandung noch nach der Mitteilung des Prüfungsergebnisses zulässig, sofern es dem Prüfling nicht zuzumuten war, sich während des Prüfungsvorgangs über die Art und Weise der Geltendmachung seiner Rechte schlüssig zu werden. Denn eine Verletzung der Mitwirkungspflicht an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Prüfungsverfahrens kann nur sanktioniert werden, soweit dem Prüfling die Entscheidung über einen Eintritt in die Prüfung oder eine Prüfungsfortsetzung in Ansehung der den Ablauf möglicherweise beeinträchtigenden Umstände und damit das Risiko des Prüfungsgelingens zur Disposition steht. Konnte der Prüfling schließlich eine bei der Abnahme der Prüfungsleistung bestehende Prüfungsunfähigkeit - krankheitsbedingt - nicht erkennen, so ist ausnahmsweise ein Rücktritt von der Prüfung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt statthaft (BVerwG, Urt. vom 13.05.1998, aaO., m.w.N.). Der Prüfling ist in einem solchen Fall allerdings gehalten, sogleich nach dem Bekanntwerden der sein Leistungsvermögen beeinträchtigenden Ursachen gegenüber der Prüfungsbehörde auf diese Umstände hinzuweisen.

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In diesem Sinne ist die in § 7 Abs. 1 Satz 1 PrüfVO getroffene Regelung über einen Rücktritt von der Prüfung zu begreifen, nach der die einen Rücktritt rechtfertigenden Gründe unverzüglich dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses angezeigt werden müssen, was die Erklärung des Rücktritts einschließt (BVerwG, Urt. vom 06.09.1995, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 355; Beschl. vom 15.10.1984, Buchholz, aaO., Nr. 206). Diesen Rechtsregeln hat die Klägerin nicht in dem gebotenen Maße entsprochen.

25

Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass sie von ihrer Ärztin den Rat erhalten hatte, wegen einer „psychisch nicht stabilen Lage“ und in Anbetracht bestehender „Konzentrationsschwierigkeiten“ nicht an der Prüfung teilzunehmen. Auch die Psychotherapeutische Beratungsstelle, auf die die Klägerin prüfungsunfähig gewirkt haben soll, hatte „kritisch interveniert“. Gleichwohl hat die Klägerin sich der Prüfung unterzogen, weil sie sich ausreichend vorbereitet gefühlt habe und sie den Termin nicht habe erneut verschieben wollen (Äußerung gegenüber der Psychotherapeutischen Beratungsstelle / Bescheinigung vom 07.11.2003). Wer in Kenntnis eingeschränkter Leistungsfähigkeit das Risiko eines krankheitsbedingten Misserfolgs der Prüfung in Kauf nimmt, kann sich nachher nicht mehr auf seine Krankheit berufen (BVerwG, Beschl. vom 28.04.1997, Buchholz 421.0, aaO., Nr. 380; Urt. vom 07.10.1988, BVerwGE 80, 282). Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der Prüfling das Ausmaß und die Auswirkungen seiner Erkrankungen auf die Leistungsfähigkeit im Einzelnen gekannt hat. Es genügt vielmehr, dass der Prüfling den Zusammenhang mit seiner Prüfungsfähigkeit erfassen konnte, ohne seinen Gesundheitszustand begrifflich als einen solchen der Prüfungsunfähigkeit erkannt haben zu müssen. Hieraus folgt für die Klägerin, dass sie sich nicht ohne weiteres über das Anraten ihrer medizinischen Betreuer hätte hinwegsetzen dürfen, sondern sich bei ihr noch verbliebenen Zweifeln um eine unverzügliche Klärung der Prüfungsfähigkeit hätte bemühen müssen, da sie für die Feststellung der Prüfungsunfähigkeit in erste Linie selbst verantwortlich war. Auch nach der Prüfung hat die Klägerin einen zeitnahen Rücktritt nicht erklärt und hierzu die erforderlichen schriftlichen Nachweise ebenfalls nicht beigebracht, obgleich sie sich, wie sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, in Anbetracht ihres Leistungsversagens in der mündlichen Prüfung veranlasst gesehen hatte, sich deswegen sogleich an ihre Ärztin zu wenden.

26

Die Klägerin war von ihrer prüfungsrechtlichen Obliegenheit, an der ordnungsgemäßen Durchführung des Prüfungsverfahrens mitzuwirken (BVerwG, Urt. vom 15.12.1993, NVwZ-RR 1994, 651 m.w.N.), auch nicht etwa deshalb entbunden, weil dem Prüfungsausschuss die maßgeblichen Umstände bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 24.02.2003, Buchholz 421.0, aaO., Nr. 403; Urt. vom 12.11.1997, BVerwGE 105, 328, VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 09.08.2002, NVwZ-RR 2003, 37; OVG Berlin, Urt. vom 02.07.2002, 4 B 11.00). Dies wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn das Verhalten der Klägerin in der Prüfung offensichtlich und zweifelsfrei dem Prüfungsausschuss den Eindruck einer psychischen Erkrankung vermittelt hätte. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Die Klägerin war zu Beginn der Wiederholungsprüfung vom Prüfungsausschuss ausdrücklich nach ihrer Prüfungsfähigkeit befragt worden. Die Klägerin, die um die Möglichkeit des Rücktritts von der Prüfung bei einer gesundheitlichen Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit wusste und deshalb bereits einen früheren Wiederholungstermin nicht wahrgenommen hatte, hat ausweislich des Prüfungsprotokolls ihre Prüfungsfähigkeit bejaht und sich der mündlichen Wiederholungsprüfung unterzogen. Die umfangreichen Aufzeichnungen über das Prüfungsgespräch machen deutlich, dass Anzeichen für eine psychisch bedingte Prüfungsunfähigkeit nicht mit einer Offensichtlichkeit und Zweifelsfreiheit vorgelegen haben können, durch die der Prüfungsausschuss gehalten gewesen wäre, von sich aus unter dem Gesichtspunkt der prüfungsrechtlichen Fürsorgepflicht die Prüfung abzubrechen. Selbst das Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Phillips vom 4. November 2003 weist als Grund für den ärztlichen Ratschlag, an der Prüfung nicht teilzunehmen, lediglich aus, dass die Klägerin psychisch nicht stabil gewesen sei und deshalb Konzentrationsschwächen gezeigt habe. Solche Symptome eindeutig von einer unbeachtlichen Examenspsychose abzugrenzen, kann dem Prüfungsausschuss nicht abverlangt werden. Aus der von der Klägerin zu ihrer Rücktrittserklärung beigebrachten Bescheinigung der Psychotherapeutischen Beratungsstelle vom 7. November 2003 wird deutlich, dass der Prüfer {H.} auf Grund ihres in der ersten Wiederholungsprüfung gezeigten Verhaltens bei der Klägerin eine „massive Prüfungsangst“ vermutet und sie deshalb an die Beratungsstelle verwiesen hatte. Von der anschließenden Behandlung und über die psychischen Auswirkungen der familiären Probleme der Klägerin sind dem Prüfungsausschuss in der Folgezeit offenkundig keine näheren Einzelheiten bekannt geworden. Das in der mündlichen Prüfung von der Klägerin gezeigte Prüfungsversagen konnte deshalb aus der Sicht des Prüfungsausschusses sowohl auf lückenhaftes Wissen als auch auf eine Prüfungsangst zurückzuführen sein, die nicht als Krankheit zu bewerten ist, die einen Prüfungsabbruch erlaubt hätte.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 71 Abs. 1, 72 Nr. 1 GKG n.F., 13 Abs. 1 GKG a.F. und beläuft sich auf den festgesetzten Wert, wenn es um eine Prüfungsentscheidung der im Streit befindlichen Art geht (eine das Studium abschließende Staatsprüfung). Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.