Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.09.2004, Az.: 6 A 258/04

Ersatzfahrzeug; Fahrerfeststellung; Fahrtenbuch; Fahrzeughalter; fehlende Mitwirkung; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Mitwirkung; Unmöglichkeit; Verkehrsverstoß

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.09.2004
Aktenzeichen
6 A 258/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine unzureichende Mitwirkung des Fahrzeughalters, die regelmäßig weitere behördliche Ermittlungen überflüssig macht und die Fahrtenbuchauflage auch bei Überschreitung der zweiwöchigen Anhörungsfrist rechtfertigt, liegt bereits dann vor, wenn er auf dem Anhörungsbogen zum Verkehrsverstoß lediglich erklärt, das Fahrzeug habe nicht er selbst gesteuert, es könne ein Bekannter gewesen sein, er wisse aber nicht, wer gefahren sei.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung des Beklagten, für ihren Pkw ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Die Klägerin ist Halterin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B.. Mit diesem Fahrzeug wurde am 5. November 2003 auf der L 320, C., in Edemissen-Wipshausen die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nach Abzug eines Toleranzwertes um 23 km/h überschritten. Die Ordnungswidrigkeit wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und Fotos dokumentiert.

3

Unter dem 24. November 2003 übersandte der Landkreis Peine als Bußgeldbehörde der Klägerin einen Anhörungsbogen, auf dem die Klägerin am 27. November 2003 angab, sie habe das Fahrzeug an dem fraglichen Tag nicht gefahren; außerdem erklärte sie wörtlich: „Ich … weiß leider nicht, wer an dem Tag mein Fahrzeug steuerte, ich kann nicht auf dem Foto genau erkennen, wer am Steuer saß. Evtl. könnte es ein Bekannter aus Griechenland sein, der zu Besuch hier in Gifhorn war. Wie gesagt kann ich es nicht genau sagen, weil ich das Foto nicht genau erkennen kann.“

4

Der vom Landkreis Peine um Nachermittlung gebetene Ermittlungsdienst des Beklagten teilte unter dem 23. Januar 2004 mit, die Klägerin habe erklärt, aufgrund des Fotos könne sie nicht sagen, wer das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt gefahren habe; das Fahrzeug sei auch von Bekannten genutzt worden.

5

Der Landkreis Peine stellte das Ordnungswidrigkeitenverfahren daraufhin ein, weil der Fahrer nicht habe ermittelt werden können.

6

Mit Bescheid vom 10. Februar 2004, der der Klägerin am 12. Februar 2004 zugestellt wurde, gab der Beklagte der Klägerin auf, für die Dauer von sechs Monaten für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen B. ein Fahrtenbuch zu führen; sofern ersatzweise ein anderes Fahrzeug für sie zugelassen werde, gelte die Anordnung auch für dieses Fahrzeug. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, mit dem Fahrzeug der Klägerin sei ein grober Verkehrsverstoß begangen worden, der die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs erforderlich mache.

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Mit Schreiben vom 12. März 2004, das am selben Tag beim Beklagten einging, erhob die Klägerin Widerspruch. Diesen wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2004 mit dem Hinweis zurück, die Klägerin habe im Ordnungswidrigkeitenverfahren die erforderliche Mitwirkung verweigert, sodass schon deswegen davon ausgegangen werden müsse, dass die Fahrerfeststellung unmöglich gewesen ist.

8

Am 21. Mai 2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen Folgendes geltend: Sie habe die Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers nicht verweigert, weil sie Angaben auf dem Anhörungsbogen gemacht habe. Dass der Fahrer nicht festgestellt werden konnte, beruhe darauf, dass ihr der Anhörungsbogen nicht innerhalb der anerkannten Frist von zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß zugesandt worden sei und sie sich deswegen nicht habe erinnern können. Die Person auf dem Lichtbild kenne sie nicht. Das Fahrzeug müsse dieser Person aus ihrem Bekanntenkreis weitergegeben worden sein.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 29. April 2004 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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Er ist der Auffassung, die Klägerin habe anhand der vorliegenden Fotos erkennen müssen, wer der Fahrer sei. Im Übrigen seien die Ausführungen der Klägerin widersprüchlich. Auf die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist könne sie sich nicht berufen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin damit nicht in ihren Rechten.

16

Rechtsgrundlage für die gegenüber der Klägerin als Halterin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B. angeordnete Fahrtenbuchauflage ist die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

17

Die Feststellung der Person, die bei dem Verkehrsverstoß am 5. November 2003 das Fahrzeug gefahren hat, ist dem Landkreis Peine als zuständiger Ordnungsbehörde nicht möglich gewesen. Nicht möglich i. S. des § 31a StVZO ist die Fahrerfeststellung dann gewesen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Angemessen sind die Maßnahmen, die die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987, Buchholz, aaO., Nr. 18 m.w.N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00 - ; Beschl. vom 04.12.2003 - 12 LA 442/03 -). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Bußgeldbehörde hier die angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers getroffen. Die Klägerin hat an der Feststellung, wer das Fahrzeug am Tag des Vorfalls gefahren hat, nicht hinreichend mitgewirkt.

18

An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters fehlt es bereits dann, wenn dieser keine weiteren Angaben zu dem Personenkreis macht, der das Tatfahrzeug benutzt (Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 04.12.2003 - 12 LA 442/03 -). So ist es hier gewesen.

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Die Klägerin hat auf dem ihr übersandten Anhörungsbogen zum Verkehrsverstoß keine näheren Angaben zum Fahrzeugführer gemacht. Stattdessen hat sie lediglich erklärt, sie wisse nicht, wer ihr Fahrzeug gesteuert habe, es könne auch ein Bekannter aus Griechenland gewesen sein; auf dem übersandten Foto könne sie den Fahrer nicht erkennen. Schon nach diesen Angaben hätte die Bußgeldbehörde davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin an der Fahrerfeststellung nicht hinreichend mitgewirkt hat. Auch wenn ihr der Fahrzeugführer tatsächlich nicht bekannt gewesen sein sollte, hätte sich die Klägerin auf diese Äußerungen nicht beschränken dürfen, sondern von sich aus alle möglicherweise weiterführenden Hinweise zu dem in Betracht kommenden Personenkreis geben müssen: Sie hätte jedenfalls den Kreis der das Fahrzeug benutzenden Personen eingrenzen und diese konkret benennen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.1995 - 11 B 30.95 -; VG Braunschweig, Urt. vom 10.08.2000 - 6 A 296/99 -; Urt. vom 16.08.2004 - 6 A 477/03 -). Dies gilt auch für den Fall, dass das Fahrzeug aus dem Bekanntenkreis der Klägerin an ihr unbekannte Personen weitergereicht worden ist. Hinweise der Klägerin auf den Bekanntenkreis, dem das Fahrzeug zur Benutzung überlassen worden ist, hätten es der Bußgeldbehörde ermöglicht, von den benannten Personen weitere Auskünfte über den Fahrer einzuholen. Die unterbliebenen Angaben der Klägerin hätten die Ermittlungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren jedenfalls entscheidend voranbringen können. Dass sie zu derart weiterführenden Angaben nicht in der Lage gewesen ist, ist nicht ersichtlich.

20

Dass die Bußgeldbehörde nach der schriftlichen Anhörung der Klägerin den Ermittlungsdienst beauftragt hat, die Klägerin persönlich zu befragen, wäre wegen der unzureichenden Angaben der Klägerin auf dem Anhörungsbogen rechtlich nicht zwingend erforderlich gewesen. Auch die Angaben der Klägerin gegenüber dem Ermittlungsdienst genügen im Übrigen nicht den Anforderungen an eine hinreichende Mitwirkung. Die Klägerin hat im Rahmen der Befragung wiederum nur erklärt, aufgrund des Fotos könne sie nicht sagen, wer das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes gefahren habe; das Fahrzeug sei auch von Bekannten benutzt worden.

21

Unerheblich ist, dass die Bußgeldbehörde der Klägerin den Anhörungsbogen zu einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht binnen zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß vom 5. November 2003, sondern erst unter dem 24. November 2003 zugeleitet hat. Zwar kann grundsätzlich von einem hinreichenden Ermittlungsaufwand der Bußgeldbehörde nur dann ausgegangen werden, wenn der Halter unverzüglich (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls regelmäßig innerhalb von zwei Wochen) von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verzögerte Anhörung steht der Fahrtenbuchauflage jedoch nicht entgegen, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die Erfolglosigkeit der Täterermittlung nicht ursächlich gewesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 17; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Beschl. vom 14.05.1997 - 3 B 28/97 -). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs, mit dem der Verkehrsverstoß begangen worden ist, nicht hinreichend daran mitwirkt, den Fahrzeugführer festzustellen. So ist es aus den dargelegten Gründen hier gewesen. Die Klägerin hat keine ausreichenden Angaben zum Kreis der Fahrzeugnutzer gemacht, sodass davon auszugehen ist, dass auch ein rechtzeitiger Hinweis auf die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht zur Fahrerfeststellung geführt hätte.

22

Dass die Klägerin nach eigenen Angaben die Person auf dem ihr vorgelegten und beim Verkehrsverstoß angefertigten Foto nicht hat erkennen können, ist nach allem unerheblich. Das Gericht kann daher auch offen lassen, ob die Behauptung der Klägerin angesichts der Qualität der vorliegenden Fotoaufnahmen glaubhaft ist.

23

Die Fahrtenbuchanordnung lässt auch keine Ermessensfehler erkennen (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Sie verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

24

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass eine Androhung nicht ausreicht, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage geboten ist; dies gilt selbst dann, wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 m.w.N.; Beschl. v. 12.07.1995, NJW 1995, 3402; Beschl. vom 09.09.1999, NZV 2000, 386 [BVerwG 18.10.1999 - BVerwG 3 B 105.99]; Niedersächsisches OVG, Urt. vom 08.05.1995 - 12 L 7501/94 -; Beschl. vom 20.04.1998 - 12 L 1886/98 -; Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00 -; VG Braunschweig, Urt. vom 10.10.2000 - 6 A 322/99 - und 19.12.2003 - 6 A 738/02 -).

25

Auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Um die Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Ein Zeitraum von sechs Monaten übersteigt das Maß der gebotenen effektiven Kontrolle bei einem Geschwindigkeitsverstoß der hier gegebenen Größenordnung nicht und stellt deshalb keine übermäßige Belastung dar. (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 25.06.2003 - 6 A 111/03 - , vom 19.12.2003 - 6 A 738/02 - und vom 21.01.2004 - 6 A 309/03 -; Hentschel, aaO., Rn 8 m.w.N.).

26

Frei von Ermessensfehlern ist die Fahrtenbuchanordnung auch, soweit sie sich auf ein Ersatzfahrzeug für das Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen B. erstreckt. Die Anordnung eines Fahrtenbuchs für ein Ersatzfahrzeug, die ihre Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO findet, ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel vereinbar. Nur so kann angesichts der mitunter beträchtlichen Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Regelungen in § 31a StVZO nicht leer laufen und der Halter sich nicht durch den Verkauf des von der Fahrtenbuchanordnung unmittelbar erfassten Fahrzeugs der bestehenden Verpflichtung entzieht. Anhaltspunkte, die für den vorliegenden Fall eine Ausnahme rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus der Anwendung der §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.

28

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. i. V. m. § 71 Abs. 1 und § 72 Nr. 1 GKG und entspricht in dieser Höhe der ständigen Rechtsprechung der Kammer, des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (250 Euro je Monat der getroffenen Fahrtenbuchanordnung).

29

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 VwGO sind nicht ersichtlich.