Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.11.2015, Az.: 6 A 225/14

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
03.11.2015
Aktenzeichen
6 A 225/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 32354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2015:1103.6A225.14.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2016, 74-76

In der Verwaltungsrechtssache
XXX
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg, - E. -
Beklagte,
Streitgegenstand: Abschiebungsanordnung
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 3. November 2015 durch die Richterin am Verwaltungsgericht Drinhaus als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Die Bescheide der Beklagten vom 16.07.2014 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtkosten werden nicht erhoben

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Kläger sind mazedonische Staatsangehörige und Volkszugehörige der Roma. Nach ihren Angaben reisten sie im März 2011 nach Frankreich und hielten sich dort bis zum 18.05.2014 auf. Im Juli 2012 wurden die gestellten Asylanträge abgelehnt. Am 18.05.2014 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge. Dazu gab der Kläger zu 1. bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 30.06.2014 Folgendes an: Sie hätten Mazedonien verlassen, weil sie dort als Roma diskriminiert worden seien und keine Lebensgrundlage gehabt hätten. Außerdem sei seine Frau, die Klägerin zu 2. krank. Sie nehme drei Medikamente zur Beruhigung, weil sie sehr viel weine. Sie habe im Jahr 2013 in Frankreich ein Kind verloren. Im März 2014 sei sie dann erneut schwanger gewesen und habe dieses Kind im 7. Monat bekommen. Es sei jedoch 18 Stunden nach der Geburt gestorben. Seitdem sei seine Frau psychisch angeschlagen und habe nur noch geweint. Sie habe dann einfach nur noch weg aus Frankreich gewollt. Da sie auch nicht nach Mazedonien zurück konnten, hätten sie sich entschlossen, nach Deutschland zu kommen.

Die Klägerin zu 2. hat bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt Folgendes vorgetragen: Sie habe in Frankreich zwei Kinder verloren. Am 17.03.2014 sei sie bei der letzten ärztlichen Kontrolle im 7. Monat gewesen. Die Ärzte hätten ihr gesagt, dass alles in Ordnung sei. Als sie zu Hause gewesen sei, habe sie dann Blutungen bekommen und das Kind sei zur Welt gekommen. Es habe lediglich 18 Stunden gelebt. Sie sei sehr enttäuscht von den Ärzten und sehr wütend gewesen, da sie ihr nicht die Wahrheit gesagt hätten. Sie hätten gesehen, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sei, es ihr aber nicht gesagt. Sie habe dann dort einfach weggewollt. Sie werde nie nach Frankreich zurückgehen, nach alldem, was dort passiert sei, gehe das nicht. Seit dem Verlust ihres Kindes müsse sie jeden Tag Tabletten nehmen, sonst könne sie überhaupt nicht mehr schlafen. In Frankreich sei sie bei einem Psychiater gewesen, der ihr jedoch nur Medikamente gegeben habe. In Deutschland habe sie noch nicht zu einem Psychiater gehen können.

Auf Ersuchen der Beklagten erklärten die französischen Behörden mit Schreiben vom 16.07.2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger. Daraufhin wurden die Asylanträge der Kläger mit zwei Bescheiden vom 16.07.2014 als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Frankreich angeordnet.

Dagegen haben die Kläger am 21.07.2014 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Gerichts vom 06.08.2014 abgelehnt (6 B 226/14). In der Folgezeit legte die Klägerin zu 2. einen ärztlichen Bericht des Krankenhauses F. vom 04.09.2014 vor. Danach litt sie an einer depressiven Symptomatik mit innerer Unruhe aufgrund des Todes ihres neugeborenen Babys vier Monate zuvor. Außerdem wurde eine Überweisung zur stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Diagnose "Depressive Störung und posttraumatische Belastungsstörung" vom 08.09.2014 vorgelegt. Daraufhin hat die erkennende Einzelrichterin mit Beschluss vom 10.09.2014 auf einen Antrag der Kläger gemäß § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die mit den Bescheiden vom 16.07.2014 verfügten Abschiebungsanordnungen unter Aufhebung des Beschlusses vom 06.08.2014 angeordnet (6 B 298/14).

Im Klageverfahren wurde ein Bericht der Universitätsmedizin G., Zentrum Psychosoziale Medizin, Klinik und Polyklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14.10.2014 über eine stationäre psychiatrische Behandlung der Klägerin zu 2. vom 10.09.2014 bis 15.09.2014 vorgelegt. Danach leidet die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach mehrfacher Traumatisierung auf der Flucht und Verlust des Kindes sowie einer schweren depressiven Episode mit Suizidalität.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

die Bescheide vom 16.07.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren 6 B 226/14 und 6 B 298/14 sowie die dazu vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig. In einem sog. Dublin-Verfahren ist ein "isolierter" Antrag auf Aufhebung der Ablehnung des Asylantrages und der Abschiebungsanordnung statthaft. Bereits eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz; die Zuständigkeitsprüfung ist im Übrigen der eigentlichen inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dieser zu unterscheiden (vgl. Nds. OVG, U. v. 25.06.2015 - 11 LB 248/14 -, www.rechtsprechung.niedersachsen.de und B. v. 06.11.2014 - 13 LA 66/14 -, ; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 16.06.2015 - 13 A 221/15.A - und U. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -; BayVGH, B. v. 06.03.2015 - 13a ZB 15.50000 -, alle ).

Die Anfechtungsklage ist auch begründet. In dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Asylgesetz (in der Fassung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015, BGBl. S. 1722 ff - AsylG -) maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch die erkennende Einzelrichterin erweisen sich die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.07.2014 als rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zwar ist Frankreich nach den allgemeinen Zuständigkeitskriterien der hier anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (ABl. L 180 S. 31, im Folgenden: Dublin-III-VO) der für die Asylverfahren der Kläger zuständige Mitgliedsstaat. Die Kläger haben in Frankreich erfolglos Asylverfahren durchgeführt (s. den ablehnenden Bescheid des Cour nationale du droit d'asile vom 03.09.2012). Die Beklagte hat das Wiederaufnahmegesuch fristgerecht gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO gestellt. Die französische Asylbehörde Service de l'asile hat unter dem 16.07.2014 die Bereitschaft erklärt, die Kläger nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin- III-VO wieder aufzunehmen.

Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls besteht jedoch nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Selbsteintrittsverpflichtung der Beklagten gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO.

Die Vorschrift eröffnet der zuständigen Behörde nach ihrem Wortlaut ein Ermessen zum Selbsteintritt. Diesem Ermessen steht nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein subjektiver Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber (vgl. zum inhaltsgleichen Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II VO, Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates v. 18.2.2003 -, ABl EU Nr. L 50/1 v. 25.2.2003: Nds. OVG, U. v. 04.07.2012 - 2 LB 163/10- und U. v. 25.06.2015 - 11 LB 248/14 -, beide ). Die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sind in der Dublin-III-VO nicht geregelt und bleiben daher dem innerstaatlichen Recht überlassen. Die Verordnung trägt damit den Interessen der Mitgliedstaaten Rechnung, aus politischen oder humanitären Gründen abweichend von der Zuständigkeitsregelung der Verordnung einen Asylantrag zu prüfen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG, Stand: September 2015, § 27a, Rn. 105). Das Bundesamt hat daher sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (z. B. Duldungsgründe gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) zu berücksichtigen. Es ist in diesem Zusammenhang verpflichtet zu prüfen, ob die Abschiebung in den Mitgliedstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden und damit vom System der normativen Vergewisserung nicht erfassten Gründen - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (vgl. Nds. OVG, B. v. 02.05.2012 - 13 MC 22/12 -, m. w. N.; BayVGH, B. v. 12.03.2014 - 10 CE 14.427 -, beide ).

Bzgl. der Klägerin zu 2. besteht eine Selbsteintrittsverpflichtung der Beklagten, weil ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127,33). Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG schützt dabei auch vor Gefährdungen der seelischen Gesundheit (vgl. VG Braunschweig, U. v. 27.09.2004 - 6 A 161/02 -, ; Treiber in: Asylpraxis, Band 7, S. 15, 27 - jeweils zu der entsprechenden Regelung in § 53 Abs. 6 AuslG). Die Gefahr kann sich aus fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat ergeben, aber auch aus allen anderen zielstaatsbezogenen Umständen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 -, ). Dazu gehört auch der Fall, dass die an sich gegebene Behandlungsmöglichkeit für den Betroffenen aus in der Erkrankung selbst liegenden Gründen - beispielsweise wegen der Gefahr einer Retraumatisierung - nicht erfolgversprechend ist (vgl. Nds. OVG, B. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 -, ).

Einer solchen Gefahrenlage wäre die Klägerin zu 2. zur Überzeugung der Einzelrichterin in Frankreich ausgesetzt, weil sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, auf deren Grundlage sich ihr Gesundheitszustand im Falle einer Rückkehr nach Frankreich wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.

Das Gutachten der Universitätsmedizin G., Zentrum Psychosoziale Medizin, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14.10.2014 kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zu 2. unter einer posttraumatischen Belastungsstörung nach mehrfacher Traumatisierung auf der Flucht und Verlust eines Kindes sowie einer schweren depressiven Episode mit Suizidalität leidet. Es wird darin zum einen auf die Flucht aus Mazedonien wegen einer Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit, zum anderen auf die Erlebnisse der Klägerin zu 2. in Frankreich abgestellt. Dazu wird ausgeführt, dass ein in Frankreich geborenes Kind in ihren Armen verstorben sei und sie dort keine Therapie (wegen dieses Verlustes) erhalten habe. Insoweit sei es zu einer mehrfachen Traumatisierung der Klägerin zu 2. gekommen. Es wird dargelegt, dass daher eine Ausreise in die Länder, in denen Traumatisierungen erlebt wurden, d. h. nach Mazedonien oder Frankreich, zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen kann und sowohl suizidale Krisen als auch Retraumatisierungen wahrscheinlich sind. Vor diesem Hintergrund wird dringend davor abgeraten, die Klägerin zu 2. in eines dieser Länder abzuschieben. Damit besteht die konkrete Gefahr einer Retraumatisierung und/oder eines Suizids bei einer Rückkehr nach Frankreich. Das Gericht ist unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringens der Klägerin zu 2. und ihres Ehemannes, des Klägers zu 1., zu den Erlebnissen in Frankreich und der vorgelegten Unterlagen von der Richtigkeit der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen zum Krankheitsbild und den daraus resultierenden Folgen überzeugt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Liegt eine fachliche Stellungnahme vor, die einem Ausländer eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt, so kann das Gericht regelmäßig mangels hinreichender eigener Sachkunde die Bescheinigung nicht von sich aus als nicht aussagekräftig ansehen (vgl. Nds. OVG, B. v. 14.09.2000 - 11 M 2486/00 -). Anders ist es nur dann, wenn die ärztliche Stellungnahme nicht nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere keine den anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen genügende Begründung enthält, weil sie von anderen, nicht offensichtlich unzureichenden ärztlichen Bescheinigungen abweicht oder weil sie nicht erkennen lässt, dass objektiv bestehende, diagnoserelevante Zweifel berücksichtigt wurden (vgl. VG Braunschweig, U. v. 19.03.2004 - 6 A 66/03 -, AuAS 2004, 226 ff.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Die Ausführungen der Gutachter sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Den Feststellungen liegen die international anerkannten Diagnoseschemata zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen zugrunde. Das Gericht hat unter Berücksichtigung aller Umstände keine Zweifel daran, dass die Angaben der Kläger zu 1. und 2. zu den traumatisierenden Ereignissen in Frankreich der Wahrheit entsprechen. Sie haben durch französische Personenstandsurkunden nachgewiesen, dass dort am 18.03.2014 ein Kind geboren und noch am selben Tag verstorben ist. Die Klägerin zu 2. hat bereits bei ihrer ersten Befragung durch das Bundesamt deutlich gemacht, wegen des Todes ihres Kindes und der schlechten Behandlung auf keinen Fall nach Frankreich zurückkehren zu können. Bei der Anhörung hat sie dargelegt, im siebten Schwangerschaftsmonat bei der letzten Vorsorgeuntersuchung gewesen zu sein. Die Ärzte hätten gesagt, es sei alles in Ordnung. Zuhause habe sie jedoch Blutungen bekommen. Das Kind sei dann geboren, habe jedoch nur 17 oder 18 Stunden gelebt. Sie sei enttäuscht und wütend gewesen, weil die Ärzte ihr nicht die Wahrheit gesagt hätten. Sie hätten gesehen, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sein. Bereits in Frankreich sei sie bei einem Psychiater gewesen, der ihr jedoch nur Medikamente verschrieben habe. Wegen allem, was passiert sei, werde sie nie nach Frankreich zurückgehen. Außerdem legte sie dar, in Frankreich bereits zuvor ein Kind verloren zu haben. Bestätigt wird dieser glaubhafte Vortrag durch die Angaben des Ehemannes während seiner Anhörung vor dem Bundesamt. Danach hat seine Frau in Frankreich zwei Kinder verloren. Nach dem Tod des zweiten Kindes am 18.03.2014 sei sie psychisch sehr angeschlagen gewesen und habe die ganze Zeit geweint. Sie habe nur aus Frankreich weggewollt. Da sie nicht nach Mazedonien zurückkehren konnten, seien sie dann am 18.05.2014 nach Deutschland weitergereist, wo Verwandte leben. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu 2. durch den Verlust von zwei Kindern innerhalb kurzer Zeit während ihres Aufenthaltes in Frankreich und die von ihr subjektiv empfundenen Umstände im Zusammenhang mit der Geburt des zweiten Kindes traumatisierende Ereignisse erlebt hat, die zu den von der Universitätsmedizin Göttingen festgestellten psychischen Erkrankungen geführt haben. Damit erscheinen die geschilderten konkreten Gefahren einer Retraumatisierung oder eines Suizids bei einer (erzwungenen) Rückkehr nach Frankreich plausibel. In Anbetracht der Art der Erkrankung hat die Einzelrichterin auch keinen Zweifel daran, dass die geschilderten Gefahren auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch bestehen. Das Ermessen der Beklagten von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen ist in diesem Fall auf Null reduziert. Die Klägerin zu 2. kann sich darauf auch berufen (s. o.).

Auf dieser Grundlage liegen für den Kläger zu 1. und die Klägerin zu 3. in Anbetracht des Schutzes der Familieneinheit nach Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO Duldungsgründe gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die für sie ebenfalls eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt begründen (s. o.). Dementsprechend sind die Bescheide der Beklagten vom 16.07.2014 aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 711, 708 Nr. 11 ZPO.

Drinhaus