Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 01.09.2004, Az.: 2 A 292/03
Bauantrag; Baurechtswidrigkeit; Bauvorschriften; materielle Baurechtswidrigkeit; materielle Rechtskraft; Vollstreckungsabwehrklage; wiederholter Bauantrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 01.09.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 292/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50788
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 121 VwGO
- § 767 ZPO
- § 56 Abs 1 Nr 1 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Vorhaben, dessen materielle Illegalität wegen Abweichens von der erteilten Baugenehmigung rechtskräftig festgestellt ist, kann nach erneuter Bauantragstellung noch genehmigt werden. Die Rechtskraft des die Beseitigungsverfügung bestätigenden Urteils steht dem nicht zwingend entgegen.
Tenor:
Die Vollstreckung der Beklagten aus der Verfügung vom 12.12.1997 wird für unzulässig erklärt, solange über den Bauantrag vom 09.07.2003 nicht rechtskräftig entschieden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks F. (Flurstück G.). Aufgrund der Baugenehmigung vom 06.12.1995 errichteten die Kläger auf dem Grundstück ein Zweifamilienhaus mit Garage. Mit Verfügung vom 12.12.1997 wurden die Kläger aufgefordert, die Dacheindeckung ihres Gebäudes so zu gestalten, dass die Auflage Nr. 15 der ihnen erteilten Baugenehmigung eingehalten werde. Die Rechtmäßigkeit der Verfügung ist nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens vom erkennenden Gericht mit Urteil vom 30.11.2000 - 2 A 150/99 - sowie rechtskräftigem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 01.02.2002 - 9 LA 5/02 - bestätigt worden.
Die Beklagte forderte die Kläger im Februar 2002 auf, der nunmehr bestandskräftigen Verfügung vom 12.12.1997 innerhalb von sechs Monaten, später verlängert um weitere drei Monate, nachzukommen. Mit Verfügung vom 07.05.2003 setzte sie - wie bereits mit Verfügung vom 12.12.1997 angedroht - ein Zwangsgeld in Höhe von 511,-- EUR (damals 1000,-- DM) fest.
Trotz Zahlung des Zwangsgeldes legten die Kläger am 06.06.2003 gegen die Festsetzung Widerspruch ein und stellten bei der Beklagten einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, der von der Beklagten unter Hinweis auf die bestandskräftigen Bescheide bzw. die rechtskräftigen Urteile in dieser Sache abgelehnt wurde.
Am 09.07.2003 beantragten die Kläger sodann die Verwendung des roten Ziegels „Karthago 2000“ in schwarz geflammter Ausführung zur Vermeidung der Neueindeckung ihres Gebäudes Willy-Brandt-Ring 10. Zur Begründung führten die Kläger aus, dass die Gestaltungssatzung, die die Verwendung roter Dachziegel vorschreibe, rechtswidrig sei. Diese Frage sei auch weder vom erkennenden Gericht noch vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht geprüft worden. Ebenso wie der „Schwarzbauer“ das Recht habe, sein Vorhaben auch nach ungenehmigter Ausführung noch zur Genehmigung zu stellen, müsse auch im vorliegenden Fall die Möglichkeit bestehen, ein entgegen den Festsetzungen einer Baugenehmigung gedecktes Dach nochmals zur Baugenehmigung zu stellen. Darüber hinaus sei auch zu berücksichtigen, dass eine Nachdunklung der vorhandenen Dächer zu erwarten sei. Mit Bescheid vom 16.07.2003 lehnte die Beklagte eine erneute Befassung mit dem Fall ab, da die Sach- und Rechtslage seit dem Jahr 1995 unverändert sei.
Dagegen legten die Kläger mit Schriftsatz vom 22.07.2003 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.
Die erkennende Kammer hat einen Antrag, die Vollstreckung einstweilig für unzulässig zu erklären, mit Beschluss vom 06.10.2003 - 2 B 293/03 - abgelehnt.
Die Kläger haben am 24.07.2003 Klage erhoben und ihr Vorbringen ergänzt und vertieft.
Sie beantragen,
die Vollstreckung der Beklagten aus der Verfügung vom 12.12.1997 für unzulässig zu erklären, solange nicht über den Bauantrag vom 09.07.2003 bezüglich der Verwendung der Ziegel Karthago 2000 rechtskräftig entschieden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, der Regelungsumfang der streitbefangenen örtlichen Bauvorschrift sei verhältnismäßig gering. Es gehe nicht darum eine gestalterische Monotonie festzulegen. Das Baugebiet „Piepenbrink“ liege inselartig, umgeben von Grünflächen. Es ergäben sich vielfältige Blickbeziehungen, teilweise auch von höheren Standorten auf das Baugebiet. Dies rechtfertige schon Regelungen über die Dachlandschaft im Sinne einer positiven Gestaltungspflege aufzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gerichtsakte des Verfahrens 2 A 150/99 sowie die Gerichtsakte des hier entschiedenen Verfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 767 ZPO zulässige Vollstreckungsabwehrklage ist auch begründet.
Nach § 767 ZPO können Einwendungen, die einen durch Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, nur geltend gemacht werden, wenn sie erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in dem Verfahren, in dem der Anspruch festgestellt wurde, entstanden sind. Die Kläger haben erst nach dem Urteil der erkennenden Kammer vom 30.11.2000 und den dieses Urteil bestätigenden Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 01. Februar 2002 am 09.07.2003 die Verwendung des roten Ziegels „Karthago 2000“ in schwarz geflammter Ausführung beantragt. Der ursprüngliche Bauantrag (Anlage Nr. 3 zur Baugenehmigung vom 06.12.1995) sah lediglich eine „rote Ziegeldeckung (Altziegelengobe)“ vor. Dass mit dieser Formulierung nicht die bestehende Dacheindeckung beantragt und genehmigt wurde ist durch das genannte Urteil vom 30.11.2000 rechtskräftig festgestellt. Dies steht einem Erfolg der Kläger im Vollstreckungsverfahren hier jedoch nicht entgegen.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass für den Fall, dass die materielle Legalität Streitgegenstand in einem Verwaltungsstreitverfahren (nicht Verwaltungsverfahren) war, sich ein Antragsteller nicht im Fall einer Klageabweisung in einem erneuten Verwaltungsverfahren darauf berufen kann, dass sein Vorhaben dennoch rechtmäßig sei und es erneut zur Genehmigung stellen kann. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil v. 06.06.1975 - 4 C 15.73 -, BVerwGE Bd. 48, 271-279) hat indes für den Fall der erneuten Antragstellung nach bereits durchgeführtem Verwaltungsverfahren, dem sich ein gerichtliches Verfahren nicht angeschlossen hatte, entschieden, dass ein Bauantragsteller, dessen Vorhaben bereits bestandskräftig (nicht rechtskräftig) abgelehnt wurde, dennoch sein Vorhaben unverändert zur erneuten Genehmigung stellen könne. Dem stehe auch die Verfahrensökonomie nicht entgegen. Es könne ohnedies nicht verhindert werden, dass wiederholt dieselben Anträge gestellt würden. Jeder wiederholte Antrag zwinge die Behörde in das Verwaltungsverfahren einzutreten, sich erneut mit dem Sachverhalt zu befassen und jedenfalls zu prüfen, ob es sich (noch) um dasselbe Vorhaben handele. Angesichts der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG müsse die Verfahrensökonomie zurücktreten.
Etwas anderes gilt jedoch für das gerichtliche Verfahren. Gerichtlichen Urteilen ist das Institut der materiellen Rechtskraft vorbehalten. Die Funktion des gerichtlichen Verfahrens ist eine andere als die des Verwaltungsverfahrens. Diesem Verfahren obliegt nämlich die Aufgabe, endgültig darüber zu entscheiden, ob ein Vorhaben rechtmäßig ist oder nicht. Deshalb hat jeder Antragsteller das Recht, wenigstens einmal in einem mit allen rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren sein Vorhaben zur Prüfung zu stellen (BVerwG, Urt. v. 06.06.1975, a.a.O.)
Grundlage für die Ermittlung dessen, was in materieller Rechtskraft erwachsen ist, kann oft nicht allein der Tenor einer Entscheidung sein. Insbesondere gilt dies bei klagabweisenden Urteilen. Hier geben die Entscheidungsgründe Aufschluss darüber, weshalb beispielsweise eine angegriffene Verfügung für rechtmäßig erachtet worden ist (vgl. zum Ganzen Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand September 2003, § 121 Rn. 50-52).
Nach diesen Maßstäben hat die erkennende Kammer mit rechtskräftigem Urteil vom 30.11.2000 - 2 A 150/99 - entschieden, dass die Aufforderung zur Neueindeckung des Daches des Gebäudes der Kläger gem. der Auflage Nr. 15 der ihnen erteilten Baugenehmigung durch Bescheid vom 12.12.1997 rechtmäßig war. Daran hält die Kammer fest.
Den Klägern ist allerdings zuzugeben, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der örtlichen Bauvorschrift, auf der die Auflage Nr. 15 der ihnen erteilten Baugenehmigung beruhte, weder Gegenstand des Urteils der erkennenden Kammer noch des dieses Urteil bestätigenden Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes war. Eine solche Prüfung war auch nicht erforderlich, weil ein Antrag wie er nun weit dem 09.07.2003 vorliegt, noch nicht gestellt war. Ist den Gründen der genannten Entscheidung der erkennenden Kammer und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes zu entnehmen, dass eine Befassung mit der Frage der Rechtmäßigkeit der örtlichen Bauvorschrift nicht erfolgte, ist eine Aussage dazu demnach auch nicht in materieller Rechtskraft, die eine erneute Befassung der erkennenden Kammer mit dieser Frage nicht zuließe, erwachsen. Nur dies führt dazu, dass entgegen der Regel, dass nach rechtskräftigem Urteil eine Überprüfung der materiellen Legalität eines Vorhabens nicht möglich ist (vgl. dazu Schmaltz in Große-Suchsdorf, NBauO, § 71 Rn. 22) im vorliegenden Verfahren erfolgen kann.
Diese nun vorzunehmende Prüfung führt dazu, dass sich das mit Antrag vom 09.07.2003 zur Genehmigung gestellte Vorhaben der Kläger nicht an den Vorgaben der örtlichen Bauvorschrift über die Gestaltung innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplanes „Piepenbrink“ (§ 2 „Gestaltung der Dächer“) zu orientieren hat.
Die örtliche Bauvorschrift genügt nämlich nicht den Anforderungen des § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO. Nach dieser Vorschrift können Gemeinden um bestimmte städtebauliche oder baugestalterische Absichten zu verwirklichen über die Anforderungen der §§ 14, 49 und 53 NBauO hinausgehend, durch örtliche Bauvorschriften für bestimmte Teile des Gemeindegebietes besondere Anforderungen an die Gestaltung von Gebäuden stellen, namentlich auch die Auswahl der Baustoffe und Farben der von außen sichtbaren Bauteile bestimmen. In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes ist anerkannt (zul. Urt. v. 23.06.2004 - 1 KN 296/03 -, Veröffentl. nicht bekannt), dass dieser gesetzlichen Vorgabe zu entnehmen ist, dass stets ein Konzept oder eine Idee eigens für die Ausgestaltung eines konkreten, überschaubaren Ortsteiles bzw. einer Straße vorhanden sein und sich die örtliche Bauvorschrift daraus folgerichtig ableiten lassen muss. Die städtebauliche Gestaltungsabsicht muss also an die Besonderheiten des zu schützenden Gebietes anknüpfen. Daran fehlt es hier.
Die Kammer vermag der Begründung zur örtlichen Bauvorschrift (Ziff. 6.2) ein Konzept nicht zu entnehmen. Als Ziel wird lediglich allgemein formuliert, dass die Attraktivität des Gebietes „Piepenbrink“ gesteigert werden solle. Dies soll durch ein „ansprechendes und übereinstimmendes Ortsbild“ unterstützt werden. Warum nur die unter § 2 Abs. 2 der örtlichen Bauvorschrift genannten Rottöne geeignet sein sollten, die Attraktivität des Baugebietes zu steigern, erschließt sich indes nicht. Ebenso könnten schwarze, schwarz geflammte oder völlig anders farbige Dachziegel geeignet sein, die Attraktivität zu steigern. Auch der Wunsch nach einem „übereinstimmenden Ortsbild“ vermag die örtliche Bauvorschrift nicht zu rechtfertigen. Gerade die Formulierung der Einheitlichkeit der Gestaltung als Ziel ist nämlich vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht nicht als ausreichendes Gestaltungskonzept anerkannt worden (Wiechert in: Große/Suchsdorf, NBauO, 7. Aufl., § 56 Rn. 11 m.N.).
Nach alldem ist der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.