Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 31.05.2005, Az.: 6 A 233/03

Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Atemwegserkrankung; Auskunftsersuchen; Erkrankung; Gesundheitswesen; Gesundheitszustand; Kosovo; Krankheit; Medikament; Montenegro; Serbien; Unbezahlbarkeit; Unerschwinglichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
31.05.2005
Aktenzeichen
6 A 233/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 51041
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn die im Asylrechtsstreit beteiligte Bundesrepublik Deutschland binnen angemessener Zeit weder das an ihre Auslandsvertretung gerichtete Auskunftsersuchen noch ein Erinnerungsschreiben des Gerichts beantwortet, kann das pflichtwidrige Schweigen aller beteiligten Behörden der Bundesrepublik Deutschland als Bestätigung der Behauptung des Asylbewerbers gewertet werden, er könne die benötigten Medikamente im Kosovo voraussichtlich nicht bezahlen.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Ort B., Gemeinde Peje (Pec) im Kosovo, die nach eigenen Angaben der Volksgruppe der Majub (Ashkali bzw. Ägypter) angehören. Über die Klage der Kläger zu 2. bis 5. sowie über den vom Kläger zu 1. geltend gemachten Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 AuslG hat das Gericht durch das rechtskräftig gewordene Teilurteil vom 12.05.2004 entschieden.

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Der Kläger beantragt nunmehr,

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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 02.06.2003 zu verpflichten festzustellen, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Serbien und Montenegro gegeben ist.

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Die Beklagte beantragt (schriftlich),

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die Klage abzuweisen.

6

Zu dem vom Kläger wegen seiner vielfältigen Erkrankungen geltend gemachten Anspruch aus § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) hat das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung am 12.05.2004 einen Beweisbeschluss erlassen, um durch Einholung einer Auskunft des Deutschen Verbindungsbüro Kosovo in Pristina zu klären, ob die Behauptung des Klägers zu 1. zutrifft, schon aus finanziellen Gründen habe er nicht die Möglichkeit, die für seine Erkrankungen erforderliche ärztliche und medikamentöse Versorgung im Kosovo zu erlangen. Wegen der Einzelheiten der mit Schreiben vom 08.06.2004 über das Auswärtige Amt eingereichten Anfrage wird auf Bl. 110 ff. der Gerichtsakte verwiesen. Auch das Erinnerungsschreiben des Gerichts vom 21.01.2005 ist nicht beantwortet worden, mit dem das Gericht ferner darauf hingewiesen hat, dass bei Nichtbeantwortung angenommen werden müsse, die Bundesrepublik Deutschland sei nicht bereit, an einer Aufklärung mitzuwirken.

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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für das Verfahren des Klägers zu 1. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die das Gericht trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden konnte, da es in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist hinsichtlich des bislang noch nicht beurteilten Anspruchs des Klägers aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der seit dem 01.01.2005 an die Stelle des aufgehobenen § 53 Abs. 6 AuslG a. F. getreten ist, begründet.

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Nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kann der Kläger die Feststellung des ausgesprochenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG verlangen; der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er dem entgegen steht.

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Die Gefahr, dass sich eine Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, kann ebenso wie nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG a.F. auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeit im Zielland der Abschiebung eintritt. Dies setzt voraus, dass die dem Ausländer drohende Gesundheitsbeeinträchtigung von erheblicher Intensität ist und konkret zu erwarten ist, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland wegen unzureichender Möglichkeit zur Behandlung der Leiden eintritt (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383; Urt. vom 21.09.1999 - 9 C 8.99 - NVwZ 2000, 206; Nds. OVG, Urt. vom 19.10.2001 - 8 L 2824/99). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht dabei auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urt. vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003, 463; Hessischer VGH, Urteil vom 24.06. 2003 - 7 UE 3606/99.A, AuAS 2004, 20 ff). So verhält es sich im Falle des Klägers zu 1..

11

Nach dem gegenwärtigen Sachstand muss angenommen werden, dass dem Kläger zu 1. bei einer Rückkehr in das Kosovo eine erhebliche krankheitsbedingte individuelle Gefahr droht. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger zu 1. im Kosovo im erforderlichen Umfang würde behandelt werden können, ergibt sich dies bereits aus den zu erwartenden Kosten für die zur Abwehr konkreter Lebensgefahr fortlaufend benötigten Medikamente, die der erwerbsunfähige Kläger zu 1. wahrscheinlich nicht aus eigenen Mitteln wird aufbringen können und für die er neben den im Kosovo gewährten Sozialhilfeleistungen sonstige Hilfe nicht zu erwarten hat. Die Sozialhilfeleistungen im Kosovo bewegen sich auf sehr niedrigem Niveau und erreichen für eine Familie (abhängig von der Zahl der Personen) höchstens 75 Euro monatlich. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 04.11.2004) reichen sie kaum aus, den allgemeinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

12

Nach der dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Auskunftslage müsste der Kläger zu 1., der neben einer schweren Atemwegerkrankung (vgl. zu diesem Krankheitsbild und den aufzubringenden Kosten bereits das Urteil des erkennenden Gerichts vom 03.03.2005 – 6 A 310/04) auch an verschiedenen weiteren schweren Erkrankungen leidet, allein für die nachfolgend genannten Medikamente (oder Ersatzprodukte) Kosten aufwenden, die sein im Kosovo verfügbares Einkommen aus Sozialhilfemitteln sicher übersteigen würden:

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Medikament

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Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Auskunft vom Preis im Kosovo, individueller monatlicher Bedarf (anhand der Rezepte und Preisangaben rechnerisch ermittelt)

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Lisinopril, 21.03.2005 an VG Stade, 6,00 € (20 Tabletten a 20 mg) 9,00 €

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Betablocker, 30.06.2003 an VG Freiburg, 10,00 € (30 Tabletten) 10,00 €

17

Allopurinol 300 (1 * ½), 20.02.2004, 2,50 € (25 Tabletten) 1,50 €

18

Pantozol, 04.06.2004, 14,00 € („Handelspack“) 14,00 €

19

Summe: 34,50 €

20

Die weiteren Kosten für die in der ärztlichen Bescheinigung vom 23.05.2005 genannten weiteren Medikamente brauchen in diesem Zusammenhang nicht festgestellt zu werden.

21

Unabhängig davon - im Sinne eines selbständig tragenden Grundes - ergibt sich dieses Ergebnis auch aus dem Umstand, dass die Beklagte sich auf den Beweisbeschluss des Gerichts pflichtwidrig verschwiegen und damit letztlich die Richtigkeit der diesbezüglichen Behauptungen des Klägers zu 1. bestätigt hat; dem - erstaunlichen - Schweigen aller beteiligten Behörden der Bundesrepublik Deutschland kann ein anderer Erklärungswert nicht beigemessen werden.

22

Der Kläger zu 1. könnte der ihm drohenden Gefahr schließlich auch nicht durch ein Ausweichen in ein außerhalb des Kosovo gelegenes Gebiet von Serbien und Montenegro entgehen. Kostenlos können Bürger aus dem Kosovo in den übrigen Landesteilen von Serbien und Montenegro nur dann behandelt werden, wenn sie bei einer Kommunalbehörde registriert oder als Ausgesiedelte, Flüchtlinge oder Vertriebene anerkannt sind; anderenfalls müssen sie die Kosten der medizinischen Versorgung selbst tragen (Deutsche Botschaft Belgrad, Auskunft vom 12.08.2003 an das VG Aachen und vom 22.05.2003 an den Hessischen VGH). Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu 1. einen solchen Status - wenn überhaupt - so rechtzeitig erreichen könnte, dass die in seinem Fall gebotene engmaschige Behandlung und Medikation sichergestellt wäre.

23

Zwar besteht für serbische Staatsangehörige grundsätzlich Niederlassungsfreiheit auf dem gesamten Territorium der Republik Serbien. In der Praxis ist dieser Anspruch jedoch selbst nach der durch diplomatische Rücksichtnahmen geprägten Formulierung des Auswärtigen Amtes „nicht immer problemlos durchsetzbar“ (Auskunft vom 08.02.2005 an das VG Bremen). Nicht nur albanische Volkszugehörige, sondern auch Angehörige anderer ethnischer Minderheiten müssen „mit erheblichem Widerstand der zuständigen Kommunalbehörden rechnen, der im Einzelfall nur durch Beschreitung des Rechtswegs überwunden werden kann“. Dies soll selbst für mittellose Serben gelten. Daneben ist die in der Vergangenheit wohl großzügiger gehandhabte Registrierung als aus dem Kosovo stammender „intern Vertriebener“ für die Personen ausgeschlossen worden, die nicht unmittelbar aus dem Kosovo umsiedeln, sondern - wie der Kläger - aus Drittstaaten zurückkehren (Auswärtiges Amt, a. a. O.; vgl. zum Ganzen auch VG Braunschweig, Urt. vom 03.03.2005 - 6 A 310/04; Urt. vom 27.09.2004 - 6 A 161/02).

24

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.