Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.02.2007, Az.: L 5 V 8/05
Anspruch auf Erhöhung einer schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen besonderer beruflicher Betroffenheit; Nachweis eines Schadens aufgrund der Verwehrung einer "nachweislich angestrebten" Berufsausbildung als Balletttänzerin; Wahrscheinlichkeitsüberlegungen hinsichtlich der Prognose eines hypothetischen Berufswegs; Vorliegen eines rechtlich-wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen Unterlassung einer Berufsausbildung und den anerkannten Schädigungsfolgen; Anwendbarkeit einer Beweiserleichterung hinsichtlich der Prognose einer bestimmten Erwerbsbiographie
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.02.2007
- Aktenzeichen
- L 5 V 8/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 49828
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0227.L5V8.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 02.06.2005 - AZ: S 18 V 9/03
Rechtsgrundlagen
- § 15 KOVVfG
- § 30 Abs. 2 BVG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erhöhung der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (§ 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz - BVG -).
Die 1929 geborene Klägerin wurde im März 1945 beim Einmarsch der Roten Armee in Danzig von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Bis Dezember 1945 blieb sie in der Nähe von Danzig interniert, wo sie u.a. Zwangsarbeit in der Landwirtschaft verrichten musste. Ihre Tätigkeiten beschrieb sie wie folgt: "Ich musste Waggons mit Korn beladen, Stückgut, Maschinen und Eisenteile ( ) entladen ( ). Tonnen, Säcke, Kartons usw., Steine transportieren und klopfen. Tote Pferde, Soldaten und Zivilisten begraben. Alte Wiesen umgraben usw. Aus ethnischen und rassistischen Gründen von Sowjets verfolgt und vertrieben (ohne Verpflegung)" (vgl. Antrag vom 15. Mai 2001). Im Jahr 1947 siedelte sie in das Gebiet der späteren DDR über, wo sie u.a. als Küchenhilfe arbeitete. 1948 zog sie zunächst zu einer Tante nach Berlin, später nach Niedersachsen, wo sie Hilfsarbeiten verrichtete. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen, den sie am 8. September 1950 heiratete. Ihre Erwerbstätigkeit gab sie zum 30. September 1950 auf. Im Dezember 1950 wurde ihr Sohn E., im Oktober 1956 ihre Tochter F. geboren.
Bei der Klägerin wurden die Gesundheitsstörungen "posttraumatische psychoreaktive Störungen mit Persönlichkeitsänderung" als Schädigungsfolgen nach dem BVG festgestellt. Der Beklagte gewährt deswegen seit 1. Juli 1992 Entschädigungsleistungen nach einer MdE von 30 v.H. (Bescheide vom 28. März 2002, 27. August 2002 und 18. September 2002 sowie rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 2. Juni 2005 - S 18 V 18/02).
Mit Schreiben vom 31. Januar 2002 (Eingang beim Beklagten am 1. März 2002) machte die Klägerin geltend, dass sie infolge der Schädigungsfolgen ihre Ausbildung als Balletttänzerin habe aufgeben müssen. Dieses Schreiben wertete der Beklagte als Antrag auf Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG.
Der schulische und berufliche Werdegang der Klägerin verlief wie folgt: Die Klägerin besuchte vom 1. April 1936 bis zum 25. März 1944 die Volksschule. Von 1938 bis 1942 erhielt sie am Staatstheater Danzig nach bestandener Aufnahmeprüfung Ballettunterricht. Der Ballettunterricht fand zweimal in der Woche nachmittags statt (nach der Schule). Der genaue zeitliche Umfang der einzelnen Unterrichtstage ist der Klägerin nicht mehr erinnerlich. Es handelte sich um theoretischen sowie praktischen Unterricht. Die Klägerin bestand mehrere Zwischenprüfungen und bestritt die Kosten für den Ballettunterricht mit einem Stipendium. Der Ballettunterricht endete 1942, nachdem das Staatstheater Danzig kriegsbedingt jegliche Ballettausbildung eingestellt hatte. Im April 1944 wurde die Klägerin zum Pflichtjahr einberufen.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit mit der Begründung ab, dass es sich bei dem neben der Schulausbildung absolvierten Ballettunterricht nicht um eine Berufsausbildung gehandelt habe. Auch sei die Klägerin vertreibungsbedingt (und nicht primär schädigungsbedingt) zu einer Neuorientierung im Westen gezwungen gewesen. Endgültig sei die Erwerbstätigkeit wegen der Heirat, nicht wegen der Schädigungsfolgen aufgegeben worden (Bescheid vom 2. Dezember 2002). Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin auf die von ihr erzielten Noten in den Schulfächern Musik und Sport ("sehr gut") sowie auf die bestandenen Aufnahme- und Zwischenprüfungen am Staatstheater Danzig hin. Es habe die realistische Möglichkeit bestanden, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Zumindest hätte sie eine Ausbildung im kaufmännischen oder Verwaltungsbereich absolvieren können. Nach dem Krieg sei sie jedoch aufgrund der erlittenen Traumata nicht mehr in der Lage gewesen, Tätigkeiten mit größerer geistiger Beanspruchung auszuüben, obwohl die bescheidenen finanziellen Verhältnisse in den 50er Jahren eigentlich einen Hinzuverdienst durch sie erfordert hätten. Der Widerspruch wurde mit der ergänzenden Begründung zurückgewiesen, dass die Schädigungsfolgen keinen nachweisbaren Einfluss auf den beruflichen Werdegang der Klägerin gehabt hätten. Die Erwerbsbiographie der Klägerin (Aufgabe jeglicher Erwerbstätigkeit im zeitlichen Zusammenhang mit der Heirat) sei in einer für verheiratete Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit typischen Weise verlaufen (Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003).
Mit der am 16. September 2003 beim SG Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass bereits die Unterbrechung des Ballettunterrichts im Jahre 1942 kriegsbedingt gewesen sei. Die Traumafolgen hätten die Ausbildung in einem Theaterberuf verhindert.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 2. Juni 2005 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin den Beruf der Balletttänzerin nachweisbar angestrebt habe. Ausbildungsnachweise lägen nicht vor. Die Klägerin habe lediglich im Alter von 10 bis 14 Jahren neben der Volksschule Ballettunterricht erhalten. Aufgrund fehlender medizinischer Unterlagen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit und wegen der späten Antragstellung könne eine schädigungsbedingte Aufgabe der Erwerbstätigkeit im Jahre 1950 heute nicht mehr nachgewiesen werden. Auch habe die Klägerin im Verwaltungsverfahren selbst angegeben, aufgrund ihrer Heirat und der Geburt der Kinder aus dem Erwerbsleben ausgeschieden zu sein.
Gegen das der Klägerin am 5. Juli 2005 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 3. August 2005 eingelegte Berufung. Die Klägerin vertieft ihr bisheriges Vorbringen dahingehend, dass aufgrund der durch die erlittenen Traumata stark geschwächten Antriebskraft eine Berufsausbildung unmöglich gewesen sei. Letztlich habe es sich bei der Heirat um die Flucht in eine Versorgungssituation gehandelt. Zu ihren Gunsten seien die Beweiserleichterungen nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) anzuwenden.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des SG Hannover vom 2. Juni 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Dezember 2002 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2003 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Juli 1992 Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 40 v.H. gemäß § 30 Abs. 2 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält es nicht für erwiesen, dass die Klägerin eine berufliche Tätigkeit als Balletttänzerin i.S.d. § 30 Abs. 2 BVG "nachweislich angestrebt" habe.
Der Senat hat den Ehemann der Klägerin zu deren Ausbildungs- und Erwerbsbiographie befragt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 5. Mai 2006 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 7. und 20. Juli 2006 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die die Klägerin betreffende Beschädigtenakte (G.), die Gerichtsakte S 18 V 18/02 (SG Hannover) / L 5 V 7/05 (LSG Niedersachsen-Bremen) sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie haben der Entscheidung zugrunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Höherbewertung der schädigungsbedingten MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit.
Nach § 30 Abs. 2 BVG ist die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt.
Da die Klägerin geltend macht, durch die Schädigungsfolgen an der Aufnahme bzw. Fortsetzung einer Berufsausbildung als Balletttänzerin gehindert worden zu sein, kommt im vorliegenden Fall lediglich die Tatbestandsvariante der besonderen beruflichen Betroffenheit in einem "nachweisbar angestrebten" Beruf in Betracht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann jedoch nicht als erwiesen angesehen werden, dass sie eine Berufsausbildung zur Balletttänzerin i.S.d. § 30 Abs. 2 BVG "nachweislich angestrebt" hat. So hatte sie im März 1945 (Beginn der Schädigungen i.S.d. BVG) noch keine Berufsausbildung als Balletttänzerin begonnen. Sie hatte zwar von 1938 bis 1942 (also im Alter von ca. 9 bis 13 Jahren) an der Staatsoper in Danzig den Ballettunterricht besucht. Dieser an zwei Nachmittagen pro Woche erteilte Unterricht (dessen genaue Stundenzahl von der Klägerin bzw. ihrem Ehemann nicht mehr angegeben werden kann, vgl. Protokoll des Erörterungstermins vom 5. Mai 2006 sowie Schriftsatz der Klägerin vom 3. Juli 2006) erfolgte jedoch schulbegleitend. Es handelte sich (noch) nicht um eine erst nach abgeschlossener Schulausbildung beginnende Berufsausbildung. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schulausbildung der Klägerin im März 1944 wurde in Danzig jedoch an der Staatsoper bereits seit langem kriegsbedingt kein Ballettunterricht mehr erteilt.
Aus Sicht des erkennenden Senats bestehen auch erhebliche Zweifel, ob die Klägerin den Beruf der Balletttänzerin i.S.d. § 30 Abs. 2 BVG "nachweislich angestrebt" hat. Denn hierfür reicht nicht aus, dass im Zeitpunkt der Schädigung ein entsprechender Berufswunsch bestand. Vielmehr ist nach § 30 Abs. 2 BVG auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen ein hypothetischer Berufsweg für den Fall zu prognostizieren, dass die Schädigung nicht stattgefunden hätte. Dieser hypothetische Berufsweg muss zum Zeitpunkt der Schädigung bereits nachgezeichnet werden können (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 13. April 2006 - L 8/5 V 33/04 m.w.N. aus der BSG-Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall fehlt es an einem ausreichenden Nachweis für eine Festlegung in der Berufswahl. Zwar belegen der von der Klägerin absolvierte mehrjährige Ballettunterricht sowie das Bestehen der Aufnahme- und mehrerer Zwischenprüfungen (verbunden mit der Gewährung eines Stipendiums für den Ballettunterricht) eine Neigung, möglicherweise sogar eine Eignung der Klägerin für einen tänzerischen Beruf. Allerdings endete der Ballettunterricht kriegsbedingt bereits im Jahre 1942, also mehrere Jahre vor Eintritt der Schädigungsfolgen (ab März 1945) sowie ebenfalls ca. 3 Jahre vor dem frühestmöglichen Beginn einer Berufsausbildung. Schließlich beendete die Klägerin erst im Jahre 1944 ihre Schulausbildung und musste anschließend das sog. Pflichtjahr für Frauen unter 25 Jahre ableisten. Auch wäre die Berufswahl der Klägerin (die Schädigungsfolgen hinweggedacht) im Jahr 1945 sowohl aufgrund ihrer Minderjährigkeit als auch aufgrund der damaligen Verhältnisse wesentlich von den Eltern mitbestimmt worden. Die Mutter der Klägerin war im Hinblick auf eine Ausbildung als Balletttänzerin allerdings nach den Worten des Ehemanns der Klägerin "eher skeptisch" und hatte sich stattdessen für die Ausbildung in einem "anständigen Beruf" wie z.B. Kontoristin ausgesprochen (vgl. Protokoll des Erörterungstermin vom 5. Mai 2006). Auch wenn der Vater der Klägerin eine Ausbildung als Balletttänzerin befürwortet haben sollte, hätte diese Zustimmung unter dem Vorbehalt einer Finanzierung der Ausbildung mittels eines erneuten Stipendiums gestanden. Ohne ein Stipendium hätte auch der Vater einer Ausbildung als Balletttänzerin nicht zugestimmt. Vielmehr hätte die Klägerin dann bereits allein aus finanziellen Gründen eine Ausbildung in einem anderen Beruf absolvieren müssen. Auch das Arbeitsamt hatte - trotz der Annahme einer Eignung zur Balletttänzerin - der Klägerin keine diesbezügliche Ausbildung, sondern eine Ausbildung zur Kindergärtnerin (als dem für die Klägerin "idealen" Beruf) vorgeschlagen (vgl. insgesamt: Angaben des Ehemanns der Klägerin im Erörterungstermin vom 5. Mai 2006). Nach alledem sieht sich der erkennende Senat nicht in der Lage, nach Ablauf von mehr als 60 Jahren restrospektiv eine Berufsausbildung als Balletttänzerin als "nachweislich angestrebt" (§ 30 Abs. 2 BVG) anzusehen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Prognose einer bestimmten Erwerbsbiographie auch nicht auf die Beweiserleichterung nach § 15 KOVVfG gestützt werden. Denn diese Norm erstreckt sich nur auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen, d.h. auf Tatsachen im Zusammenhang mit dem Eintritt der Schädigung. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut erstreckt sich ihr Anwendungsbereich nicht auf sonstige Tatbestandsvoraussetzungen (wie z.B. die Frage, ob und ggf. welchen Einfluss die Schädigungsfolgen auf die Erwerbsbiographie des Geschädigten gehabt haben). Zudem dient § 15 KOVVfG nicht dazu, Beweisschwierigkeiten zu beseitigen, die allein aus einer erst Jahrzehnte nach Eintritt der Schädigung erfolgenden Antragstellung resultieren (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994 - 9/9a RV 9/92, SozR 3-3100 § 5 Nr. 2; Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 2006 - L 5 V 20/03).
Unabhängig davon, ob die Klägerin nachweislich eine Berufsausbildung als Balletttänzerin angestrebt hat, scheitert ein Anspruch auf Höherbewertung der schädigungsbedingten MdE nach § 30 Abs. 2 BVG auch daran, dass zwischen der Unterlassung dieser Berufsausbildung (bzw. einer Berufsausbildung im kaufmännischen bzw. Verwaltungsbereich) und den anerkannten Schädigungsfolgen nicht der erforderliche rechtlich-wesentliche Ursachenzusammenhang nachgewiesen werden kann.
Der Umstand, dass die Klägerin nicht direkt nach dem Abschluss der Volksschulausbildung im März 1944 eine Berufsausbildung beginnen konnte, beruhte nicht auf den (erst ab März 1945 eingetretenen) Schädigungen i.S.d. BVG, sondern auf der Einberufung in das sog. Pflichtjahr. Zudem wurde an ihrem damaligen Lebensmittelpunkt (Danzig) bereits seit 1942 an der Staatsoper kriegsbedingt überhaupt kein Ballettunterricht mehr erteilt. Nach Eintritt der Schädigung stand in der unmittelbaren Nachkriegszeit bereits allein die Internierung in einem Auffanglager der Aufnahme einer jeglichen Berufsausbildung entgegen. Selbst bei einem Hinwegdenken der Schädigungsfolgen hätte die Klägerin bis Dezember 1945 keine Berufsausbildung aufnehmen können. Die Schädigungsfolgen wirkten sich somit bis Dezember 1945 nicht rechtlich-wesentlich auf die Erwerbsbiographie der Klägerin aus. Auch in der Folgezeit verhinderten bereits allein die Zeitumstände der Nachkriegszeit, dass die Klägerin (irgend-)eine Berufsausbildung aufnehmen konnte: In Polen leistete die Klägerin noch bis 1947 "Zwangsarbeit für Polen und Russen" (vgl. S. 2 des Antrags auf Berufsschadensausgleich vom 31. März 2002). Nach Übersiedlung in das Gebiet der späteren DDR bzw. ab 1948 in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands musste die Klägerin Hilfsarbeiten verrichten, um als damals mittellose Vertriebene ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dass die Klägerin dann im September 1950 ihre Erwerbstätigkeit insgesamt aufgab, dürfte am ehesten auf der Eheschließung am 8. September 1950 und der Geburt ihrer Kinder im Dezember 1950 und Oktober 1956 beruhen. Die Aufgabe der eigenen Erwerbstätigkeit im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer Eheschließung war - wie der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt hat - für Frauen in den 50er Jahren sehr weit verbreitet bzw. üblich. Dies galt insbesondere dann, wenn - wie im Fall der Klägerin - Kinder zu versorgen waren. Eine abhängige Erwerbstätigkeit von verheirateten Müttern stellte in den 50er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland den Ausnahmefall dar. Dafür, dass die Klägerin noch nach den Kindererziehungszeiten (also im fortgeschrittenen Lebensalter) die Aufnahme einer Berufsausbildung beabsichtigt hätte, bestehen keine Anhaltspunkte. Dies wurde auch von der Klägerin nicht vorgetragen.
Insgesamt kommt somit den anerkannten Schädigungsfolgen bei der Erwerbsbiographie der Klägerin nicht die Wertigkeit einer rechtlich-wesentlichen (Teil-) Ursache zu, so dass kein Anspruch auf Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit besteht.
Bei dieser Entscheidung verkennt der erkennende Senat nicht, dass die gesamte Biographie der Klägerin von den Kriegs-, Internierungs- und Vertreibungserlebnissen geprägt worden sein dürfte und die Zeitumstände wesentlichen Einfluss auf ihren Lebensweg genommen haben. Entschädigungsansprüche nach § 30 Abs. 2 BVG (wie auch nach dem BVG insgesamt) bestehen jedoch nur hinsichtlich der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer anerkannten Schädigungsfolge (hier: "Posttraumatische psychoreaktive Störungen mit Persönlichkeitsänderung"), nicht dagegen hinsichtlich sämtlicher kriegs- bzw. vertreibungsbedingter Einbußen (vgl. im Einzelnen: § 1 BVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.