Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.02.2007, Az.: L 7 AL 333/03
Gültigkeit einer fernmündlichen Antragsrücknahme bei Erfordernis eines schriftlichen Antrags; Gleichstellung behinderter Menschen mit einem Grad der Behinderung zwischen 30 und 50 bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen bei Schwierigkeiten des Erlangens oder Behaltens eines geeigneten Arbeitsplatzes infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung; Kausalität zwischen den vorliegenden Behinderungen und einer konkreten Arbeitsplatzgefährdung bei einer depressiven Erkrankung mit Persönlichkeitsstörung und zwanghafter Korrektheit als potentielle Gefährdung eines Arbeitsverhältnisses
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.02.2007
- Aktenzeichen
- L 7 AL 333/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 46589
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0227.L7AL333.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 16.07.2003 - AZ: S 18 AL 241/01
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 3 SGB IX
- § 73 SGB IX
- § 85 SGB IX
Fundstelle
- br 2008, 117-120 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Beruft sich die Behörde darauf, ein Antrag auf Gleichstellung sei fernmündlich vom Antragsteller zurückgenommen worden, geht die Nichtaufklärbarkeit dieser Behauptung zu ihren Lasten.
- 2.
Unter Behinderung i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX ist die beeinträchtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und im Betrieb zu verstehen. Für das Behaltenkönnen eines geeigneten Arbeitsplatzes im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX kommt es daher auch auf die soziale Stellung behinderter Arbeitnehmer im Betrieb und die Reaktionsweisen des Arbeitgebers auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen an.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Juli 2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2001 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger mit Wirkung ab 19. Oktober 2000 einem schwerbehinderten Menschen gleichzusetzen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge zu erstatten.
Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen hat.
Der am 4. April 1943 geborene Kläger war seit dem 15. August 1992 bei der Beigeladenen als Bautechniker beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde am 22. November 2000 durch die Beigeladene außerordentlich gekündigt, weil der Kläger bei der Staatsanwaltschaft Sachverhalte und Verhaltensweisen seiner Vorgesetzten zur Kenntnis gebracht hatte, die seines Erachtens unrechtmäßig waren. Dadurch habe er gegen seine Loyalitätspflichten aus § 8 Abs. 1 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) verstoßen. Über diese Kündigung ist beim Arbeitsgericht F. ein Kündigungsrechtsstreit anhängig (Az.: 2 Ca 2342/00).
Das Versorgungsamt G. stellte durch Bescheid vom 20. September 2000 mit Wirkung vom 3. April 2000 beim Kläger aufgrund folgender Behinderungen einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest: Kniegelenkserkrankung, Wirbelsäulenleiden und Depressionen. Im Rahmen eines Prozessvergleichs im Februar 2005 wurde vereinbart, dass beim Kläger ab 1. November 2000 ein GdB von 40 und ab 1. September 2003 ein GdB von 50 vorliegt. Das Integrationsamt beim Niedersächsischen Landesamt für zentrale soziale Aufgaben hat durch Bescheid vom 10. April 2001 und Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2001 einer fristgemäßen Kündigung des Klägers zugestimmt. Diesbezüglich ist beim Verwaltungsgericht F. ein Rechtsstreit anhängig (Az.: 4 A 320/01). Daraufhin kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis fristgemäß.
Der Kläger beantragte durch einen mit Datum vom 18. Oktober 2000 unterschriebenen Antrag die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Antragsvordruck enthält einen Vermerk der Beklagten, dass eine Antragstellung am 19. Oktober 2000 erfolgt, der Vordruck selbst am 20. Oktober 2000 ausgegeben worden und am 7. März 2001 wieder eingegangen sei. Die Beklagte lehnte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 21. März 2001 und Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2001 den Gleichstellungsantrag ab, weil eine mögliche Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht im ursächlichen Zusammenhang mit den anerkannten Behinderungen stehe.
Mit der am 30. Juli 2001 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er nach einer schweren depressiven Symptomatik mit Kuraufenthalt und teilweiser Wiedereingliederung auf dem Arbeitsplatz seit Jahren in psychiatrischer Behandlung stehe. Nach Auskunft des behandelnden Psychiaters H., I., seien immer wieder reaktive Anteile einer ausgeprägten depressiven Erschöpfungssituation feststellbar und er befinde sich oft an der Grenze des psychischen Kontrollverlustes. Der primärpersönlich zu zwanghafter Korrektheit neigende Kläger sei am Arbeitsplatz immer wieder mit schwierigen Arbeitssituationen und dem kräftezehrenden Umgang mit diesen Situationen konfrontiert gewesen. Damit sei nach Auffassung des Klägers ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Arbeitsplatzgefährdung belegt. Demgegenüber hat die Beklagte eingewendet, streitgegenständlich sei ein Antrag auf Gleichstellung vom 7. März 2001. Denn der Kläger habe seinen ursprünglichen Antrag vom 19. Oktober 2000 fernmündlich am 5. Dezember 2000 zurückgenommen. Dies gehe aus einem handschriftlichen Vermerk des Mitarbeiters J. über dieses Telefonat hervor.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat nach zeugenschaftlicher Vernehmung des Mitarbeiters der Beklagten J. mit Urteil vom 16. Juli 2003 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass der Kläger den Antrag am 5. Dezember 2000 telefonisch zurückgenommen habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 12. August 2003 Berufung eingelegt. Er wiederholt sein Vorbringen, er habe beim Telefonat am 5. Dezember 2000 nur darauf hingewiesen, dass er zum Ausfüllen des Antrages noch etwas Zeit benötige und die Beklagte deshalb den Antrag nicht - wie angekündigt - wegen fehlender Mitwirkung verwerfen solle. Er behauptet, keine ausdrückliche Strafanzeige gegen seinen Arbeitgeber erstattet zu haben. Er habe lediglich im Mai 2000 dem Leiter eines sich mit der Korruption im öffentlichen Dienst beschäftigenden Fortbildungsseminars, einem Staatsanwalt in G., die Teilnahme absagen müssen, weil seine Dienstvorgesetzten die Notwendigkeit der Seminarteilnahme verneint hätten. In diesem Zusammenhang habe er dem Seminarleiter mitgeteilt, dass er die Gründe der Absage nicht teilen könne, weil auch in seinem Arbeitsumfeld diese Problematik bestehe. So sei z.B. eine asbestverseuchte Fläche innerhalb des Rathauses durch eine Malerfirma, die über die Verseuchung nicht informiert gewesen sei, behandelt worden. Ihm, der dies mehrfach beanstandet habe, sei von Seiten des Arbeitgebers kein Gehör geschenkt worden. Er sei ganz im Gegenteil gegängelt worden und er habe sich alle Schreiben zuvor von seinem Vorgesetzten genehmigen lassen müssen. Diese belastende Arbeitssituation stehe also im unmittelbaren Zusammenhang mit seinen Behinderungen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Juli 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn aufgrund seines Antrages vom 18. Oktober 2000 mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe offenbar nach Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber dem Gleichstellungsantrag keine Bedeutung beigemessen und diesen zurückgenommen. Im Übrigen sei der Arbeitsplatz des Klägers nicht wegen seiner Behinderung gefährdet gewesen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen des vollständigen Sachverhalts und des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Der Senat hat folgende Beiakten zum Gegenstand des Verfahrens gemacht: Personalakte des Klägers bei der Beigeladenen; Ermittlungsakte bei der Staatsanwaltschaft F. (Az.: 701 Js 20388/00); Streitakte Arbeitsgericht F. (2 Ca 2342/00) und Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, von der Beklagten den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt zu werden.
Streitgegenstand ist ein Gleichstellungsantrag des Klägers vom 19. Oktober 2000. Dieses Datum der Antragstellung hat die Beklagte auf der ersten Seite des Antrages vermerkt. Danach hat der Kläger am 19. Oktober 2000 persönlich diesen Antrag gestellt. Ihm wurde am nächsten Tage der Antragsvordruck ausgehändigt. Das Datum vom 18. Oktober 2000, unter dem der Kläger den Antrag unterschrieben haben will, ist unzutreffend und für die anstehende Entscheidung unerheblich. Der Senat hat nicht die gemäß § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger diesen Antrag am 5. Dezember 2000 fernmündlich zurückgenommen hat. Im Hinblick darauf, dass dem Kläger arbeitgeberseitig am 22. November 2000 gekündigt wurde, erhielt der zuvor eingereichte Gleichstellungsantrag eine eminente Bedeutung. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger von seinem Anwalt nicht über die Rolle seines zuvor gestellten Gleichstellungsantrages bei der Beklagten beziehungsweise des Verschlimmerungsantrages beim Versorgungsamt G. informiert worden ist. Es bestand somit seitens des Klägers nicht die geringste Veranlassung, den Gleichstellungsantrag zurückzunehmen. Die vom SG Lüneburg am 16. Juli 2003 durchgeführte zeugenschaftliche Vernehmung des Mitarbeiters J. ist nicht geeignet, Gewissheit über den genauen Inhalt des Telefonats zu gewinnen. Der Zeuge konnte sich verständlicherweise nur auf seinen schriftlichen Vermerk beziehen, sich aber nicht mehr an das genaue Gespräch erinnern. Ein Missverständnis zwischen dem Kläger und dem Zeugen K. ist folglich nicht auszuschließen. Diese Nichtaufklärbarkeit geht zu Lasten der Beklagten, die sich auf die fernmündliche Antragsrücknahme bezieht. Von der Beklagten ist nämlich zu erwarten, dass, wenn sie schon eine schriftliche Antragstellung verlangt, obwohl das nicht erforderlich ist, sie dann die gleichen Maßstäbe an einer Antragsrücknahme stellt. Sie hätte vom Kläger eine schriftliche Bestätigung der behaupteten Antragsrücknahme verlangen müssen, was hier jedoch nicht geschehen ist.
Gemäß § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) sollen den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinn des § 73 SGB IX nicht erlangen oder behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen). Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers mit Wirkung ab Antragstellung am 19. Oktober 2000 erfüllt. Bei ihm war zu jenem Zeitpunkt ein GdB von 30 festgestellt worden. Ohne die Gleichstellung hätte der Kläger einen geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb der Beigeladenen nicht behalten können.
Die Gleichstellung gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX setzt voraus, dass die Behinderung die wesentliche Ursache für eine mögliche Arbeitsplatzgefährdung sein muss. Die erforderliche Geeignetheit des Arbeitsplatzes bestimmt sich individuell nach dem Eignungs- und Leistungsprofil des Klägers als behinderter Mensch. Maßgeblich ist insoweit, ob der behinderte Mensch infolge seiner Beeinträchtigungen bei wertender Betrachtung in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den nichtbehinderten Menschen im Betrieb benachteiligt wird. Bei der erforderlichen Prognose über das Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes ist keine absolute Sicherheit erforderlich; es genügt, dass durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann (BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1). Die erforderliche Kausalität zwischen den vorliegenden Behinderungen und einer konkreten Arbeitsplatzgefährdung wird in der depressiven Erkrankung des Klägers mit Persönlichkeitsstörung und zwanghafter Korrektheit gesehen, die in einer bestimmten konfliktbezogenen Arbeitsplatzsituation eine potentielle Gefährdung des Arbeitsverhältnisses darstellt.
Zunächst muss geklärt werden, was als Behinderung im konkreten Fall anzusehen ist. Mit dem SGB IX hat der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel beim Verständnis von Behinderung vorgenommen. Anders als noch im Schwerbehindertengesetz wird Behinderung nicht mehr ausschließlich als Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Einschränkung der Funktionsfähigkeit, sondern als beeinträchtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und im Betrieb angesehen. Damit wird Behinderung in Anlehnung an die Definition der Weltgesundheitsorganisation nicht als funktionale Einschränkung, sondern als Teilhabestörung verstanden. Das hat unmittelbar zur Folge, dass Behinderung im Arbeitsleben im Hinblick auf das Behaltenkönnen eines geeigneten Arbeitsplatzes im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX auch die soziale Stellung behinderter Arbeitnehmer im Betrieb und die Reaktionsweisen des Arbeitgebers auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen beinhaltet (SG Bremen vom 01.07.2005 - S 9 AL 12/05, in Behindertenrecht 2006, 24-27). Das Verständnis der Behinderung als Teilhabestörung hat insbesondere Auswirkung auf die Funktion der Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen. Das übersieht die Beklagte, die lediglich die Kausalität zwischen den Behinderungen und der ausgesprochenen Kündigung prüft. Die Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen ist aber nicht nur für das Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes im Kündigungsverfahren (§ 85 SGB IX) von Bedeutung. Vielmehr bezweckt diese Regelung, dass der gleichgestellte behinderte Mensch wegen seiner Behinderung in der konkreten Arbeitsplatzsituation eine besondere Rücksicht erfahren muss, weil gerade diese Behinderung im Vergleich zu gesunden Menschen im Hinblick auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung beziehungsweise auf eine gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragspartner ein Störelement darstellt.
Der Kläger leidet nach den ärztlichen Stellungnahmen von H., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 19. Februar und vom 2. Mai 2001 seit längerem an einer ausgeprägten depressiven Symptomatik mit reaktiven Anteilen. Die Persönlichkeitsstruktur des Klägers und sein Verhalten am Arbeitsplatz ist infolge dieser Krankheit durch zwanghafte Korrektheit bezüglich seiner Arbeitsleistungen und durch eine narzisstische Kränkung auf negative Reaktion seiner Vorgesetzten gekennzeichnet. Bedingt durch sein übertriebenes Bewusstsein zu korrektem Verhalten bis zur Grenze des psychischen Kontrollverlustes empfindet der Kläger konfrontative Situationen am Arbeitsplatz als mangelnde Erfüllung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber. Die schwierige Arbeitssituation und der kräftezehrende Umgang mit dieser wird zusätzlich durch eine von Zwängen geprägte Borderline-Symptomatik überlagert, die den Kläger am Arbeitsplatz überfordert, nach eigener Überzeugung immer wieder mit unfairen Behandlungsweisen konfrontiert und ihn veranlasst, gegen diese anzugehen.
Bei dieser krankhaften Disposition des Klägers ist eine Störung des Arbeitsverhältnisses und eine Gefährdung seines Arbeitsplatzes vorprogrammiert. Erschwerend kommt hinzu, dass auch das Arbeitgeberverhalten der Beigeladenen die Konfliktfelder und die Streitmechanismen eher vermehrt als entschärft hat. Die Anlässe, die in der Vergangenheit zu Abmahnungen geführt haben, waren nicht so schwerwiegend, dass ein verständiger Arbeitgeber darauf mit Abmahnungen und Kündigungsandrohungen reagieren musste. Jedenfalls war die Arbeitsplatzsituation des Klägers im Vergleich zu den gesunden Arbeitskollegen wegen seiner Krankheit und wegen seines krankhaften Verhaltens belastet und gefährdet.
Charakteristisch für das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen aber auch für die Kausalität zwischen Behinderung und Gefährdung des Arbeitsplatzes ist der Anlass, der letztendlich zur fristlosen Kündigung geführt hat. In der Gemeinde wurden Bauarbeiten an asbestverseuchten Fensterverkleidungen durchgeführt. Dieser Zustand war dem Kläger und seinen Vorgesetzten bekannt, wurde aber gegenüber den Auftragnehmern verschwiegen. Der Kläger empfand es als mit seinem Gewissen nicht vereinbar, dass er bei der Ausschreibung beziehungsweise bei der Herstellung einer Sitzungsvorlage diesen Umstand nicht erwähnen durfte. Er hat andererseits wegen des belasteten Arbeitsverhältnisses keine Möglichkeit gesehen, diese Angelegenheit mit den internen Stellen zu besprechen. Er konnte auch nicht einschätzen, inwiefern diese Handlung Rechtswidriges darstellen könnte und wollte deshalb den Vorfall mit der Arbeitsgruppe über Korruptionprävention bei der Vergabe öffentlicher Aufträge besprechen. Das ist an sich nichts Verwerfliches. Auch die Leitung der Beigeladenen müsste ein starkes Interesse daran haben, dass diese Problematik durch Einschaltung qualifizierter Betreuer behandelt wird. Eine grundlose Strafanzeige gegen seinen Arbeitgeber, obwohl das Einschalten interner Stellen möglich und zumutbar gewesen wäre, ist im Schreiben des Klägers vom 10. Mai 2000 an den Lehrgangsleiter dieser Arbeitsgruppe nicht zu sehen, sondern eher der Ausdruck seiner Krankheit und Empfindungen. Denn Loyalität im Sinne des § 8 BAT bedeutet nicht kommentarloses Hinnehmen und Wegsehen durch Beschäftigte gegenüber signifikanten Missständen. Wenn ein Arbeitgeber, wie in diesem Fall bei der Asbestverseuchung der Fensterrahmen, die Loyalität besorgter Mitarbeiter dazu benutzt, um einerseits den zu Besorgnis Anlass gebenden Sachverhalt unverändert zu lassen, andererseits aber von seinen Mitarbeitern Stillschweigen zu verlangen, ist diese Einforderung von Loyalität im Grunde genommen zynisch (Dieter Deiseroth, Stärkung von Zivilcourage zur Verbesserung der Qualität der stationären Pflege, ZRP 2007, 25). Das macht nach Überzeugung des Senates deutlich, warum der Arbeitsplatz des Klägers wegen seiner Behinderung gefährdet war.
§ 2 Abs. 3 SGB IX gibt der Beklagte grundsätzlich ein gebundenes Ermessen. "Soll" gleichstellen bedeutet, dass im Regelfall eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen erfolgen muss, während nur in atypischen Fällen pflichtgemäßes Ermessen auszuüben und gegebenenfalls von einer Gleichstellung abzusehen ist. Derartige besondere Umstände sind hier nicht erkennbar. Die Beklagte war daher zur Gleichstellung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Kläger mit seinem Begehren obsiegt, muss die Beklagte seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen erstatten. Die Aufwendungen der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs. 4 SGG).
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlicher Entscheidung abweicht.