Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.02.2007, Az.: L 8 AS 35/06

Unterbringung in einer stationären Einrichtung als Versagungsgrund für die Gewährung von Arbeitslosengeld; Zusammenfassung sächlicher und personeller Mittel zur Benutzung durch einen wechselnden Personenkreis unter der Verantwortung eines Trägers als stationäre Einrichtung im sozialrechtlichen Sinne

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.02.2007
Aktenzeichen
L 8 AS 35/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 15671
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0222.L8AS35.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 21.11.2005 - AZ: S 22 AS 35/05
nachfolgend
BSG - 06.09.2007 - AZ: B 14/7b AS 16/07 R

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. November 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006. Streitig ist die Frage, ob die Klägerin sich in dieser Zeit in einer Leistung ausschließenden stationären Einrichtung aufgehalten hat.

2

Die im April 1980 geborene Klägerin wurde am 2. August 2004 in das H. in I. aufgenommen. Dort verblieb sie bis zum 14. Juni 2006, zum 15. Juni 2006 bezog die Klägerin eine eigene Wohnung. Träger des J. ist die Katholische Kirche, und zwar der Katholische K. in I. (L. ). Ziel des Hilfeangebotes des J. ist es, Frauen zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung zu befähigen, die der Würde des Menschen entspricht.

3

Den wohnungslosen Frauen wird durch das Schaffen sozialer und wirtschaftlicher Voraussetzungen und durch den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen das Bleiben ermöglicht; weiterhin wird geboten Unterstützung bei der Überwindung der sozialen Schwierigkeiten, allgemeine Lebensberatung, Beratung bei der Finanzplanung, Vermittlung an medizinische und soziale Fachdienste, weiterhin Beratung in frauenspezifischen Angelegenheiten, Hilfen zur Ausbildung, Maßnahmen zur Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes, Hinführung zum eigenständigen Wohnen, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Hilfen zur Begegnung und zur Gestaltung der Freizeit, Hilfe zur Selbsthilfe. Die Frauen leben in einer Wohngemeinschaft in Einzelzimmern verteilt auf drei Etagen; vorhanden sind Gemeinschaftsräume, Küche, Sanitärbereich, Waschraum mit Waschmaschine und Trockner; insgesamt sind zwölf Plätze vorhanden.

4

Das H. ist als stationäre Einrichtung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten anerkannt. Dementsprechend wurden der Klägerin nach ihrer Aufnahme in die Einrichtung Sozialhilfe - Hilfe in besonderen Lebenslagen - nach § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Ab 1. Januar 2005 wurde diese Hilfe nach §§ 67 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) fortgesetzt. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erhielt die Klägerin Leistungen nach § 35 SGB XII (ab 1. Januar 2005 - Barbetrag 89,70 EUR monatlich; Dispositionsbetrag von 282,00 EUR pro Jahr für Bekleidung).

5

Nach Aufnahme der Klägerin in das H. wurde ein Gesamtplan erstellt. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin in schwierigen familiären Verhältnissen groß geworden ist, in einem von häuslicher Gewalt geprägten Elternhaus. Ab dem 14. Lebensjahr lebte sie in einem Heim. Es ist ihr danach nicht gelungen, eigenständig in wirtschaftlicher Unabhängigkeit in gesichertem Wohnraum zu leben. Zum Zeitpunkt der Aufnahme in das H. war die Klägerin wohnungslos. Von November 2003 bis Mai 2004 lebte sie mit ihrem Säugling in einer Eltern-Kind-Einrichtung in I ... Nach Wegnahme des Kindes durch Sorgerechtsentzug trat akut Wohnungslosigkeit ein. Eine abgeschlossene schulische Ausbildung besitzt die Klägerin nicht. Als Hilfeziele im Gesamtplan wurden angegeben: Verhütung einer Wohnungslosigkeit und Vermittlung in angemessene Wohnform, Klärung der Bezüge und Stabilisierung der Persönlichkeit, um ein Leben in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen zu ermöglichen, Überprüfung der Arbeitsfähigkeit und Motivation zur Arbeitsaufnahme mit Erarbeitung von realistischen umsetzbaren den Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten, Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen, Stärkung der Frustrationstoleranz und Dialogfähigkeit, Erweiterung hauswirtschaftlicher Kenntnisse und Stärkung des Durchhaltevermögens sowie Vermittlung von Kompetenzen zwecks Durchsetzung formeller Belange, Stärkung der Persönlichkeit und Sensibilisierung für problematische Verhaltensweisen. Körperliche bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen der Klägerin wurden nicht festgestellt, ebenso keine massive oder exzessive Einnahme von Drogen oder anderen Suchtmitteln. Der Gesamtplan sah eine Betreuungszeit bis zu neun Monaten und darüber hinaus vor.

6

Mit Antrag vom 19. August 2004 begehrte die Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 lehnte die Stadt I. den Antrag ab, weil der Bezug von Arbeitslosengeld II für die Klägerin wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung ausgeschlossen sei, § 7 Abs. 4 SGB II. Die Klägerin legte Widerspruch mit der Begründung ein, dass es sich bei dem H. nicht um eine stationäre Einrichtung i.S. von § 7 Abs. 4 SGB II handele. Sie sei dort weder untergebracht noch zwangsweise eingewiesen, sie befinde sich dort vorübergehend auf freiwilliger Basis. Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. Februar 2005 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das H. sei eine stationäre Einrichtung. Der Aufenthalt werde länger als sechs Monate andauern.

7

Die Klägerin hat am 7. März 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Sie hat vorgetragen, dass das H. keine stationäre Einrichtung i.S. des § 7 Abs. 4 SGB II sei. Das ergebe sich aus dem Hilfeangebot des Trägers des J., der L ... Danach solle den Bewohnern ermöglicht werden, ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Es sei ähnlich gestaltet wie ein Frauenhaus, das ohne Zweifel nicht als stationäre Einrichtung anzusehen sei. Die Beklagte hat erwidert, dass das H. anders als ein Frauenhaus strukturiert sei. Der Aufenthalt der Klägerin sei mittlerweile bis Dezember 2005 verlängert. Das H. sei eine stationäre Einrichtung i.S. sozialhilferechtlicher Vorschriften, also für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. Das SG hat der Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit Urteil vom 21. November 2005 stattgegeben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das H. der Klägerin nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung abgenommen habe. Sie könne selbst darüber entscheiden, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen wolle. Nach Aufnahme werde ein Gesamtplan erstellt und festgestellt, in welchen Bereichen Hilfe benötigt werde. Dabei wirke die Klägerin entscheidend mit. Für Bereiche, in denen nach Angaben des Hausbewohners Hilfe nicht nötig sei, werde auch keine Hilfe gewährt. Der Tagesablauf könne frei gestaltet werden. Einige Bewohner gingen einer Beschäftigung nach. Der Klägerin sei daher nicht die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Gestaltung der problematischen Lebensbereiche und der sonstigen täglichen Lebensführung genommen worden. Das Urteil wurde der Beklagten am 3. Januar 2006 zugestellt.

8

Die Beklagte hat am 17. Januar 2006 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass die Klägerin wie die anderen Bewohner des J. nach einem Hilfeplan umfangreiche therapeutische Hilfestellung und Anleitung in verschiedenen Problembereichen erhalte. Die Maßnahme erfolge im Auftrag des niedersächsischen Landesamtes für zentrale soziale Aufgaben zurÜberwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in stationären Einrichtungen. Das H. sei eine anerkannte stationäre Einrichtung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. Eine Differenzierung des Begriffes stationäre Einrichtung zwischen dem SGB XII und dem SGB II werde nicht gesehen. Der streitige Zeitraum umfasse die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006, da die Klägerin am 15. Juni 2006 eine eigene Unterkunft bezogen habe. Im Hinblick auf das stattgebende Urteil seien ab 1. Januar 2006 vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden. Auch sei mit der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung vom 22. März 2006 nach § 15 SGB II abgeschlossen worden.

9

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. November 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Maßgeblich sei darauf abzustellen, ob sie - die Klägerin - ein arbeitsuchender erwerbsfähiger Mensch sei. Ihr Aufenthalt im H. stehe einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen. Trotz Unterbringung in dem H. gehe sie einem Ein-Euro-Job nach (vom 27. März bis 26. September 2006). Sie beziehe sich weiterhin auf das Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zum Änderungsbedarf im SGB II. Daraus ergebe, dass Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten - wie sie - im besonderen Maße der Betreuung von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe bedürften, jedoch zeitgleich einer Erwerbstätigkeit nachgingen.

12

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

13

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil ihr das anspruchsausschließende Merkmal Unterbringung in einer stationären Einrichtung erfolgreich entgegen gehalten werden kann. Der Berufung war daher stattzugeben.

14

Streitige Zeit ist die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006 (Aufenthalt der Klägerin im H.). Üblicherweise legt der Senat in Anknüpfung an die Regelung in § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II, wonach die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden sollen, diesen Halbjahreszeitraum als streitige Zeit zugrunde. Sofern darüber hinaus Leistungen erbracht werden sollen, setzen sie im Regelfall eine erneute Antragstellung gemäß § 37 SGB II voraus, über welchen der Sozialleistungsträger sodann erneut zu entscheiden hat (vgl Senatsurteil vom 24. August 2006 - L 8 AS 298/05 -; siehe auch BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - Rdnr 30 im Juris-Ausdruck). Nach der BSG-Entscheidung soll unter Umständen, wenn ein erneuter Antrag auf Leistungen nach dem SGB II abschlägig beschieden ist, dieser Bescheid in unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens werden. Diese Sachverhaltsgestaltung liegt hier nicht vor, so dass eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Rechtsansicht nicht nötig ist. Die Erweiterung des streitigen Zeitraums über die sechs Monate hinaus beruht hier auf einer zulässigen Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG. Dies folgt aus den Äußerungen der Beteiligten, die übereinstimmend die Zeit des Aufenthalts der Klägerin im H. vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006 als streitige Zeit ansehen. Die Klageänderung ist bei dieser Fallgestaltung auch sachdienlich, weil der gesamten Zeit ein im Wesentlichen gleich bleibender Sachverhalt zugrunde liegt und der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren bereinigt werden kann.

15

Die volljährige, in Deutschland lebende Klägerin ist dem Grunde nach anspruchsberechtigt für Leistungen nach dem SGB II. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin erwerbsunfähig i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II war. Danach ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Medizinische oder behinderungsbedingte Gründe in der Person der Klägerin, die eine Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden täglich verhinderten, lagen nicht vor. Das erschließt sich aus dem Gesamtplan, der nach Aufnahme der Klägerin in das H. erstellt wurde. Grund für die Aufnahme in das H. waren soziale Schwierigkeiten der Klägerin; der medizinische Status war unauffällig. Der psychische Status wurde als noch nicht geklärt angesehen. Als Hilfeziele wurden Stärkung der Persönlichkeit und Sensibilisierung für problematische Verhaltensweisen angegeben und als notwendige Maßnahmen Beratungsgespräche im Rahmen von Einzelgesprächen, im Bedarfsfall Vermittlung zu einem Therapeuten bzw. einer psychologischen Fachberatungsstelle. Daraus ergibt sich keine psychische Beeinträchtigung der Klägerin, die einer Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden täglich entgegenstand.

16

Das Anliegen der Klägerin könnte allerdings an fehlender Hilfebedürftigkeit scheitern, weil aufgrund der Leistungsgewährung durch den Sozialhilfeträger während ihres Aufenthalts im H. ihr Lebensunterhalt sichergestellt war.

17

Leistungen für Unterkunft und Heizung stehen nicht in Streit, weil dieser Bedarf durch Leistungen des Sozialhilfeträgers während des Aufenthaltes der Klägerin im H. gedeckt wurde. Als Einkommen ist zu berücksichtigen der Barbetrag, den die Klägerin gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII erhalten hat, also ein monatlicher Betrag in Höhe von 26 vom Hundert des Eckregelsatzes, ein monatlicher Betrag von 89,70 EUR, der insoweit den Bedarf der Klägerin nach dem SGB II mindert. Er ist als Einkommen gemäß § 11 SGB II anzurechnen. Das gilt ebenso für das Bekleidungsgeld. Zwar wäre der Anspruch nach § 35 Abs. 2 SGB XII ausgeschlossen, wenn die Klägerin anspruchsberechtigt nach dem SGB II ist, § 21 Satz 1 SGB XII, § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Da die Klägerin die Leistungen nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII tatsächlich erhalten hat, ist dieser tatsächliche Zufluss als Einkommen nach § 11 SGB II bedarfsmindernd zu berücksichtigen, da ansonsten im Umfang der Zahlung des Barbetrages doppelte Sozialleistungen erbracht würden, einerseits als notwendiger Lebensunterhalt nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII andererseits Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II.

18

Unter Berücksichtigung der Rechtsansicht der Klägerin - Zuständigkeit des SGB II-Leistungsträgers - wäre weiter zu bedenken, ob dem Anspruch nicht die §§ 104, 107 SGB X entgegenstehen. Denn die Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger könnte zur Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X führen.

19

Diese Darstellung veranschaulicht den mangelnden Bedarf der Klägerin während ihrer Zeit im H ... Sie hat die ihr zustehenden Leistungen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts vom Träger der Sozialhilfe erhalten. Diese Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII entsprechen sich in der Höhe, die monatliche Regelleistung beträgt jeweils 345,00 EUR ( § 20 Abs. 2 SGB II bzw. § 1 Nr. 1 Verordnung über die Regelsätze nach dem SGB XII vom 25. Januar 2005, Niedersächsisches GVBl, Seite 43, in derselben Höhe fortgeschrieben durch Verordnung vom 23. August 2005 für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2006, Niedersächsisches GVBl, Seite 275). Auch die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist in vergleichbarer Weise geregelt, diese Kosten sind vom Sozialhilfeträger tatsächlich übernommen worden. Es ist daher nicht ersichtlich, welche weiteren finanziellen Leistungen die Klägerin vom SGB II- Leistungsträger erwartet.

20

Soweit die Klägerin auf Stellenangebote abhebt, kann sie diese auch ohne den Bezug von Arbeitslosengeld II erhalten. Die Agenturen für Arbeit haben gemäß § 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) Arbeitsuchenden Vermittlung anzubieten. Im Übrigen hat die Klägerin von der Arbeitsgemeinschaft - der Beklagten - während ihres Aufenthaltes im H. einen so genannten Ein-Euro-Job zugewiesen erhalten, ist also in Arbeit vermittelt worden. Insoweit kann eine rechtliche Beschwer der Klägerin nicht festgestellt werden. Der weitere Einwand der Klägerin zielt auf die in § 3 Satz 1 Nr. 3a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) geregelte Rentenversicherungspflicht von Arbeitslosengeld II-Beziehern. Daraus kann ein rechtlich geschütztes Interesse im Zusammenhang im dem Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II nicht hergeleitet werden. Denn die Versicherungspflicht von Arbeitslosengeld II-Beziehern und die Tragung der entsprechenden Beiträge durch den Sozialleistungsträger wird im SGB II nicht ausdrücklich als Leistung im Rahmen des Arbeitslosengeld II erwähnt. Die gesetzliche Versicherungspflicht stellt sich daher als Annex zu dem Bezug von Arbeitslosengeld II dar. Sie ist daher nicht geeignet, im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem SGB II ein eigenständiges rechtlich geschütztes Interesse zu begründen.

21

Letztlich kann die möglicherweise fehlende Bedürftigkeit dahinstehen, weil der anspruchsausschließende Tatbestand des § 7 Abs. 4 SGB II vorliegt. Danach erhält keine Leistungen, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht. Die Beklagte hat die Leistungen verweigert, weil sie den Aufenthalt der Klägerin im H. als Unterbringung in einer stationären Einrichtung ansieht. Diese Rechtsansicht trifft zu.

22

Die Vorschrift des § 7 Abs. 4 SGB II ist anzuwenden in der ursprünglichen oben dargestellten ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung. Die Änderung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vom 20. Juli 2006, BGBl. I Seite 1706) findet hier keine Anwendung, weil die Änderung zum 1. August 2006 in Kraft trat, Artikel 16 Abs. 1 des vorgenannten Gesetzes. Damit erfasst die Neufassung nicht mehr den streitigen Zeitraum, der am 14. Juni 2006 endet.

23

Die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II schließt Leistungen bereits dann aus, wenn nach einer Prognose zu Beginn des Aufenthalts in der stationären Einrichtung erwartet wird, dass der Aufenthalt aller Voraussicht nach länger als sechs Monate dauern wird (vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31. Oktober 2005 - L 7 AS 254/05 ER - NDV-RD 2006, 8). Hier bestanden keine Zweifel, dass der Aufenthalt der Klägerin im H. - der stationären Einrichtung - auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten angelegt war. Dies erschließt sich ohne weiteres aus dem nach der Aufnahme erstellten Gesamtplan, der aufgrund der besonderen sozialen Schwierigkeiten der Klägerin einen Aufenthalt von wenigstens neun Monaten vorsah. Diese Prognose des lang währenden Aufenthaltes wird im Nachhinein durch den tatsächlichen Aufenthalt bis zum 14. Juni 2006 bestätigt, also ein Aufenthalt von fast zwei Jahren.

24

Das H. ist eine stationäre Einrichtung i.S. des § 7 Abs. 4 SGB II. Die ursprüngliche Fassung der Vorschrift geht auf den Ausschussbericht zurück und sollte der Anpassung an den Sprachgebrauch des SGB XII dienen, insbesondere an § 35 Abs. 1 SGB XII (vgl Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2005, § 7 Rdnr 33; Hänlein in Gagel, Kommentar zum SGB III/SGB II, Loseblattsammlung Stand Dezember 2006, § 7 SGB II Rdnr 75). Da der Begriff stationäre Einrichtung im SGB II nur einmal auftaucht und nicht definiert ist, wird zur inhaltlichen Bestimmung dieses Begriffes häufig zurückgegriffen auf Gesetzesbestimmungen des SGB XII und hier speziell § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach stationäre Einrichtungen solche sind, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. Es besteht kein Anlass, den Einrichtungsbegriff des SGB II unterschiedlich vom SGB XII zu bestimmen. Vielmehr ist mangels Legaldefinition im SGB II hilfsweise abzustellen auf § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII (vgl Schumacher in Oestreicher, Kommentar zum SGB XII/ SGB II, Loseblattsammlung Stand: Juni 2005, § 7 Rdnr 27; vgl. auch Peters in Estelmann, Kommentar zum SGB II, Loseblattsammlung Stand: Februar 2005, § 7 Rdnr 38f; Senatsbeschluss vom 22. September 2005 - L 8 AS 297/05 ER ). Wird dieser Einrichtungsbegriff zu Grunde gelegt, bestehen keine Zweifel an der Einrichtungseigenschaft des J ... Denn die Klägerin hat die gesamte streitige Zeit im H. gelebt und in der gesamten Zeit die erforderlichen Hilfen erhalten. Der Lebensunterhalt der Klägerin war durch die Zahlung der Leistungen nach § 35 Abs. 1 SGB XII sichergestellt, ihre therapeutische Betreuung wurde durch die Mitarbeiter des J. geleistet.

25

Zwar wird die Legaldefinition in § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zur Bestimmung des Begriffs der stationären Einrichtung für ungeeignet gehalten, weil die Erkenntnis, dass in stationären Einrichtungen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Leistungen erhalten können, für die notwendige Abgrenzung stationärer von nichtstationären Einrichtungen unbrauchbar sei (vgl Gerenkamp in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, Loseblattsammlung Stand Mai 2006, § 7 Rdnr 46; Krahmer in Lehr- und Praxiskommentar - SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 13 Rdnr 4). Es wird daher vorgeschlagen, auf die von der früheren Rechtsprechung und Literatur zur §§ 97 Abs. 4, 100 BSHG entwickelten Auslegungsmerkmale zurückzugreifen (vgl Gerenkamp a.a.O., Rdnr 47; Peters in Estelmann, Kommentar zum SGB II, Loseblattsammlung Stand Februar 2005, § 7 Rdnr 38). Das erscheint auch deshalb sinnvoll, weil § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII durch das Gesetz zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze (vom 2. Dezember 2006, BGBl. I Seite 2670, in Kraft ab 7. Dezember 2006, Art 3 Abs. 1 dieses Gesetzes) aufgehoben worden ist. Nach der Gesetzesbegründung (Drucksache 617/06) ist das erfolgt, um klarzustellen, dass es sich beim bisherigen Satz 2 nicht um eine Definition des Begriffs "Einrichtungen" gehandelt hat; "vielmehr greift die gefestigte Rechtsprechung zum Einrichtungsbegriff des Absatzes 2 wie bisher".

26

Danach ist unter einer stationären Einrichtung eine auf Dauer angelegte Kombination von sächlichen und personellen Mitteln zu verstehen, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers zusammengefasst wird und die für einen größeren wechselnden Personenkreis bestimmt ist. Der Einrichtungsbegriff ist grundsätzlich erfüllt, wenn neben der Vollunterbringung der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu dessen Entlassung nach Maßgabe des angewandten Therapiekonzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind (vgl Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 24/92 - BVerwGE 95, 149; Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52; Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 17/91 - ZFSH /SGB 1995, 535; im Anschluss daran jetzt auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2006 - L 13 AS 4377/05 - ). Legte man diesen Einrichtungsbegriff zugrunde, ist das H. als stationäre Einrichtung anzusehen. Gerade die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 5 C 24/92 (BVerwGE 95, 149) erging für einen Hilfesuchenden in einer sozialtherapeutischen Außenwohngruppe, der Hilfe nach § 72 BSHG erhalten hatte, also ähnlich wie die Klägerin im vorliegenden Fall.

27

Das Bundesverwaltungsgericht hat dort näher dargelegt, dass der Hilfesuchende in der Einrichtung stationär betreut worden sei. Der Hilfesuchende sei in der vom Sozialhilfezentrum eingerichteten Außenwohngruppe nach einem Konzept untergebracht, das eine sozialtherapeutisch begleitete Wohnsituation bei regelmäßiger, wenn auch unterschiedlich intensiver Betreuung durch die Mitarbeiter der Einrichtung mit dem Ziel einschloss, den Empfänger der Hilfe zu selbständiger und selbstbestimmter Lebensgestaltung zu befähigen. Solange dieses Therapieziel noch nicht erreicht war, habe die Verantwortung für die tägliche Lebensgestaltung des Hilfesuchenden beim Sozialzentrum gelegen, das auch begleitende Kontrollen wahrgenommen habe. Dies sei nicht nur darin zum Ausdruck gekommen, dass der Hilfesuchende in einer vom Sozialzentrum gemieteten Wohnung und damit in den Räumen der Einrichtung gewohnt habe; die Gesamtverantwortung des Einrichtungsträgers zeige sich vielmehr auch darin, dass der Hilfesuchende, wie aus der Abrechnung des Gesamtaufwands des Aufenthalts in der Einrichtung über einen Tagessatz folge, die für das tägliche Leben benötigten finanziellen Mitteln aus der Hand und damit auch unter der Kontrolle des Sozialzentrums erhalten habe. Das Vorliegen einer stationären Einrichtung könne auch nicht deshalb verneint werden, weil die Betreuungsleistungen des Sozialzentrums in nicht unerheblichem Umfang am Tage in Ansprechbereitschaft und abends und in der Nacht in Rufbereitschaft der Mitarbeiter der Einrichtung bestanden habe. Denn diese Leistungen seien selbst Bestandteil des vom Einrichtungsträger praktizierten Therapiekonzepts, wodurch dem Hilfesuchenden der erforderliche psychologische Rückhalt im Prozess des Selbständigwerdens vermittelt werden sollte. Notfalls habe der Einrichtungsträgers korrigierend eingreifen können.

28

In Anwendung dieser Maßstäbe ist eine stationäre Einrichtung zu bejahen, weil die Klägerin ähnlich wie im Fall des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend betreut wurde. Aus dem Grunde wird das H. im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen nach§ 72 BSHG bzw. 67 SGB XII, also bei Hilfeleistungen für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, als stationäre Einrichtung angesehen und werden entsprechende Hilfeleistungen veranlasst.

29

Dieser Begriff der stationären Einrichtung erfährt in § 7 Abs. 4 SGB II keinen Bedeutungswandel. Zwar entspricht es dogmatischen Möglichkeiten, dass ein Begriff, je nach Sachzusammenhang, in dem er steht, eine unterschiedliche zusammenhangsbezogene Bedeutung haben kann (vgl BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 109/88 - SozR 3 - 4100 § 55 a Nr. 2; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 24/92 - a.a.O., Rdnr 14 im Juris-Abdruck). Der Versuch, den Begriff der stationären Einrichtung in § 7 Abs. 4 SGB II anders als im SGB XII auszulegen, wird in der Weise unternommen, dass die stationäre Einrichtung des § 7 Abs. 4 SGB II nur dann als stationäre Einrichtung angesehen werden soll, wenn den darin untergebrachten Hilfebedürftigen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II nicht möglich sei (vgl dazu Münder/Geiger, Stationäre Einrichtungen i.S. des § 7 Abs. 4 SGB II, Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 2007, 1, 4).

30

Die Konsequenz dieser Ansicht führt zu einem anderen Verständnis des Begriffs der stationären Einrichtung in § 7 Abs. 4 SGB II. Danach ist eine solche Einrichtung nur anzunehmen, wenn der Antragsteller in einer Weise untergebracht ist, dass er nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilnehmen kann. Nur wenn eine Einrichtung derart strukturiert sei, dass von dieser Einrichtung aus eine Erwerbstätigkeit nicht nachgegangen werden könne, falle sie unter den Begriff der stationären Einrichtung i.S. des § 7 Abs. 4 SGB II (vgl dazu Münder/Geiger, a.a.O., Seite 4ff). Bei Zugrundelegung dieser Ansicht wäre das H. keine stationäre Einrichtung gemäß § 7 Abs. 4 SGB II und die Klägerin anspruchsberechtigt.

31

Allerdings kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Aufgrund der oben dargelegten Verzahnungen und Verschränkungen zwischen den Rechtsgebieten des SGB II und SGB XII ist der Begriff der stationären Einrichtung in beiden Rechtsgebieten inhaltlichübereinstimmend auszulegen und anzuwenden. Unterschiedliche Begriffsinhalte würden zu unnötigen praktischen Schwierigkeiten führen, wie die vorliegende Fallgestaltung anschaulich belegt. Denn nach der abweichenden Ansicht wäre dieselbe Einrichtung je nach Rechtsgebiet einmal als stationäre Einrichtung (nach dem SGB XII) und einmal nicht als stationäre Einrichtung (nach dem SGB II) anzusehen. Eine derartige Aufspaltung ist lebensfremd und führt zu praktischen Schwierigkeiten in der Betreuung der Hilfebedürftigen. Würde die Anspruchsberechtigung der Klägerin nach dem SGB II bejaht, erhielte sie trotz Aufenthalts in einer stationären Einrichtung nach dem SGB XII keine Leistungen für ihren Lebensunterhalt nach § 35 SGB XII, wie sich aus § 21 Satz 1 SGB XII ergibt. Der SGB II-Leistungsträger wäre zuständig für die Regelleistung an die Klägerin, also die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung, § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Damit würden die bestehenden Leistungsvereinbarungen zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger zum Teil hinfällig. Denn die Vereinbarungen enthalten auch Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung, § 76 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, Leistungen, die Bestandteil der Regelung in § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II sind. Weiterhin würde die wünschenswerte Betreuung der in der stationären Einrichtung Untergebrachten aus einer Hand entfallen. Der SGB II-Leistungsträger wäre zuständig für die Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts, der Sozialhilfeträger und der Einrichtungsträger wären zuständig für die nötigen sozialtherapeutischen Maßnahmen. Eine derartige Zuständigkeitsaufsplitterung wird durch die einheitliche Auslegung des Begriffs "stationäre Einrichtung" vermieden.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Klägerin unterliegt, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

33

Gerichtskosten werden in Sozialhilfestreitigkeiten dieser Art nicht erhoben.

34

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. -