Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.04.1998, Az.: VI 398/95
Erstattungspflicht des Empfängers einer zu Unrecht erfolgten Einkommensteuererstattung; Vorliegen eines Leistungsempfängers im Sinne des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.04.1998
- Aktenzeichen
- VI 398/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18617
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0421.VI398.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 218 Abs. 2 S. 2 AO
- § 37 Abs. 2 S. 1 AO
Fundstellen
- NJW-RR 1999, 416-417 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB DokSt 1999, 367
- ZBB 1999, 98
Verfahrensgegenstand
Rückforderung
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 21. April 1998,
an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
Richter am Finanzgericht ... Richterin am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Regierungs-Oberamtsrätin ehrenamtlicher Richter ... Malermeister
fürRecht erkannt:
Tenor:
Der Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 17. Oktober 1994 sowie der dazu ergangene Einspruchsbescheid vom 3. Juli 1995 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der der Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, wer als Leistungsempfänger einer zu Unrecht erfolgten Einkommensteuererstattung anzusehen und damit zu deren Erstattung verpflichtet ist.
Die Klägerin ist eine Bank in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, bei der die Eheleute A. unter der Konto-Nr. ... ein Girokonto unterhielten. Am 3. März 1993 reichten sie bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) Ihre Einkommensteuererklärung für 1992 ein. Als Bankverbindung gaben sie das bei der Klägerin geführte Girokonto an. Der Einkommensteuererklärung war eine Erklärung nach amtlichem Vordruck beigefügt, durch die die Eheleute ihren gesamten Erstattungsanspruch an die Klägerin verpfändeten. Auf der Rückseite hieß es unter Abschnitt IV:
"Der abgetretene/verpfändete Betrag soll ausgezahlt werden durch:
Überweisung auf Konto-Nr. ... Bankleitzahl (soweit kein Eintrag vgl. Vorderseite Fußleiste)
Geldinstitut (Zweigstelle und Ort) B. bank AG,
Kontoinhaber, wenn abweichend von Abschnitt II identisch mit Abschnitt I Abtretende(r)/Verpändender(in)".
In der Fußleiste der Vorderseite hieß es: "Konto Nr. gem. Abschnitt IV Rückseite".
Durch Bescheid vom 11. Mai 1993 führte das FA die Einkommensteuerveranlagung der Eheleute durch. Das sich daraus ergebende Guthaben von 576,90 DM (Einkommensteuer 455,85 DM und Kirchensteuer 121,05 DM) wurde auf das bei der Klägerin geführte Konto der Eheleute überwiesen. Hierbei hatte das FA übersehen, daß ihm hinsichtlich des Erstattungsanspruchs seit 4. Januar 1993 eine Abtretungsanzeige der C. bank GmbH über eine Abtretung des Ehemanns in Höhe von 350 DM sowie seit 2. März 1993 ein gegen die Ehefrau als Vollstreckungsschuldnerin ergangener Pfändungs- undÜberweisungsbeschluß zugunsten der Stadtsparkasse H. über 869,63 DM zzgl. Nebenkosten vorlagen.
Durch Bescheid vom 17. Oktober 1994 forderte das FA den ausgezahlten Betrag unter Hinweis auf die vorgehenden Abtretungen und Pfändungen von der Klägerin zurück. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es durch Einspruchsbescheid vom 3. Juli 1995 als unbegründet zurück.
Mit der Klage macht die Klägerin geltend, daß Schuldner eines eventuellen Erstattungsanspruchs allein die Eheleute seien. Nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. April 1994 VII B 278/93 (BFHE 174, 8) sei es ernstlich zweifelhaft, ob sich der Rückforderungsanspruch des FA auch im Fall der Verpfändung des Steuerguthabens gegen den Pfandgläubiger richte. Im übrigen verstoße die Rückforderung gegen Treu und Glauben. Aufgrund der am 18. Mai 1993 eingegangenen Überweisung des FA habe sie - die Klägerin - noch am selben Tage das Kreditkonto der Eheleute abgerechnet und den überschießenden Betrag von 9,07 DM durch Zahlungsanweisung an die Eheleute ausgezahlt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Rückforderungsbescheid vom 17. Oktober 1994 sowie den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 3. Juli 1995 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Hinweis auf seinen Einspruchsbescheid vertritt er die Ansicht, daß die Klägerin Schuldnerin des durch die unberechtigte Auszahlung des Steuerguthabens entstandenen Erstattungsanspruchs sei. Der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) richte sich gegen den "Leistungsempfänger", der in Fällen, in denen mehrere Personen an dem Erstattungsvorgang beteiligt gewesen seien, nicht mit dem Empfänger der Zahlung (Überweisung) identisch sein müsse (BFH, Urteil vom 22. August 1980 VI R 102/77, BStBl II 1981, 44, 46 f.; Beschluß vom 8. April 1986 VII B 128/895, BStBl II 1986, 511, 513). Für den Fall der Abtretung eines Steuererstattungsanspruchs und der Auszahlung des Guthabens an den Abtretungsempfänger habe der BFH wiederholt entschieden, daß sich der Rückforderungsanspruch gegen diesen richte (Urteile vom 6. Dezember 1988 VII R 206/83, BStBl II 1989, 223, und vom 14. Februar 1989 VII R 55/86, BFH/NV 1989, 751, m.w.N.). Für den hier zu beurteilenden Fall der Verpfändung des Erstattungsanspruchs könne nichts anderes gelten. Auch der Hinweis der Klägerin auf die Grundsätze von Treu und Glauben könne nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Rückforderungsansprüche würden in aller Regel erst zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, zu dem der Leistungsempfänger bereits in irgend einer Form über die Erstattung verfügt habe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt, der als Abrechnungsbescheid im Sinne des § 218 Abs. 2 Satz 2 AO zu werten ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Dem FA steht aufgrund der Überweisung der Einkommensteuererstattung auf das bei der Klägerin geführte Konto der Eheleute kein Erstattungsanspruch gegen die Klägerin zu.
Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des zurückgezahlten Betrages (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO). Im Streitfall ist das Guthaben, das sich aus der Einkommensteuerveranlagung der Eheleute ergab, ohne rechtlichen Grund auf deren Konto bei der Klägerin überwiesen worden, weil der Erstattungsbetrag der CB-Creditbank GmbH als Abtretungsempfängerin bzw. der Stadtsparkasse Hildesheim als Pfändungspfandgläubiger in zustand (§ 46 Abs. 1 AO bzw. §§ 829 Abs. 1 und 835 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - in Verbindung mit § 46 Abs. 6 Satz 1 AO). Die Klägerin ist jedoch nicht als Leistungsempfängerin des durch diesenÜberweisungsvorgang zurückgezahlten Steuerbetrages anzusehen. Für den Fall der Abtretung eines Steuererstattungsanspruchs hat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sich der Rückforderungsanspruch des FA wegen rechtsgrundloser Erstattung gegen den Zessionar richte, da dieser in die Rechtsstellung des Zedenten eingetreten sei und - wenn das FA willentlich an ihn leiste - den ohne rechtlichen Grund ausgezahlten Betrag aus eigenem - erworbene - Recht erhalte (BFH-Urteile vom 6. Dezember 1988 VII R 2060/83, BStBl II 1989, 223, und vom 14. Februar 1989 VII R 55/86, BFH/NV 1989, 751, mit weiteren Nachweisen). Ob das Gleiche auch für Zahlungen an einen Pfandgläubiger gilt - wie das FA in Einklang mit der Zivilrechtsprechung zum Bereicherungsrecht (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 1981 VII ZR 319/80, BGHZ 82, 28) meint, was der BFH in BFHE 174, 8 aber als ernstlich zweifelhaft bezeichnet hat -, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Fließt die fehlgeleitete Zahlung einem an dem Steuerschuldverhältnis unbeteiligten Dritten zu, so kann dieser nur dann als Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO angesehen werden, wenn er nicht lediglich als Vertreter, Bote oder Zahlstelle für den nach dem Steuerrecht Erstattungsberechtigten aufgetreten ist (BFH-Urteile in BStBl II 1989, 223; vom 22. August 1980 VI R 102/77, BStBl II 1981, 44; BFH-Beschluß vom 8. April 1986 VII B 128/85, BStBl II 1986, 511). So liegen die Dinge jedoch im Streitfall. Die dem Senat vorgelegten Akten enthalten keinen Hinwels darauf, daß sich das FA der Tatsache der Verpfändung des Erstattungsanspruchs bewußt war und den Erstattungsbetrag an die Klägerin als Pfandgläubigerin auszahlen wollte. Aus dem Inhalt der Verpfändungsanzeige war das Konto, auf das die Auszahlung des verpfändeten Betrages erfolgen sollte, nicht ersichtlich. Die Konto-Nr. ... ergab sich ausschließlich aus den Angaben der Eheleute in der Zeile 16 des Mantelbogens der Einkommensteuererklärung, die von dem Veranlagungssachbearbeiter abgehakt wurden. Da es sich bei dem an dieser Stelle anzugebenden Konto um die Bankverbindung des Steuerpflichtigen handelt und der Steuerbescheid keinen Hinwels darauf enthält, daß die Auszahlung des Guthabens an einen anderen als den nach dem Steuerrecht Erstattungsberechtigten erfolgen sollte, muß davon ausgegangen werden, daß das FA die Auszahlung an die Eheleute bewirken wollte.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO in Verbindung mit § 151 Abs. 1 und 3 FGO.