Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.04.1998, Az.: XIV 640/97 Ki

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.04.1998
Aktenzeichen
XIV 640/97 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 33018
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0423.XIV640.97KI.0A

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom. Mai 1997 und der Einspruchsbescheid vom. September 1997 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn J. ab Januar 1996 sowie die Erstattung von zuviel gezahltem Kindergeld i.H.v. 3.600,00 DM.

2

Der am ….10.1973 geborene Sohn J. der Klägerin hat im Februar 1993 seine Ausbildung zum Büroinformationselektroniker erfolgreich abgeschlossen. Zuvor hat er in der Zeit vom Sommer 1990 bis Sommer 1991 ein Berufsgrundbildungsjahr für Elektrotechnik an der Berufsfachschule in M. absolviert. Im Anschluß an seine Ausbildung war er in der Zeit vom 15.02.1993 bis 30.06.1995 bei der Firma … in M. als Büroinformationselektroniker tätig. In der Zeit vom 01.08.1995 bis 30.06.1997 hat er die Fachschule Medizintechnik der Berufsbildenden Schulen N. besucht. Nach seinem Abschluß zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtung Medizintechnik war er vorübergehend bei seiner Ausbildungsfirma im erlernten Beruf als Büroinformationselektroniker tätig. Seit dem 01.01.1998 ist er als Elektroniker/Techniker für medizinisch technische Geräte angestellt.

3

Am 13.09.1995 beantragte die Klägerin beim Beklagten Kindergeld für ihren Sohn J. Der Beklagte bewilligte der Klägerin zunächst das Kindergeld für den Sohn J. ab Januar 1996. Nachdem der Beklagte erfahren hatte, daß J. neben seinem Bafög seit Januar 1996 eine Waisenrente bezog, setzte er mit Bescheid vom 27.05.1997 das Kindergeld für den Zeitraum vom 01.01.1996 bis 31.12.1996 rückwirkend gegenüber der Klägerin auf 0 DM fest und forderte sie zugleich auf, das für die Zeit von Januar bis Dezember 1996 zuviel gezahlte Kindergeld i.H.v. 3.600,00 DM gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zu erstatten. Hierbei ging der Beklagte von folgenden Einkünften und Bezügen des Sohnes aus:

Leistungen nach dem Bafög

9.021,00 DM

Waisenrente

3.765,30 DM

Summe

12.786,30 DM

abzüglich Kostenpauschale

360,00 DM

abzüglich Werbungskostenpauschbetrag

200,00 DM

zugrunde zu legendes Einkommen

12.226,30 DM.

4

Den hiergegen gerichteten Einspruch begründete die Klägerin wie folgt: Aufgrund der Teilnahme ihres Sohnes an der beruflichen Fortbildungsmaßnahme an der Fachschule für Medizintechnik in N. seien ihm Werbungskosten entstanden, die die vom Beklagten angesetzten Bafög-Beträge entsprechend minderten. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn einerseits beim sogenannten Schüler-Bafög die erhöhten auswärtigen Ausbildungsaufwendungen durch einen entsprechend höheren Förderbetrag berücksichtigt würden, andererseits aber bei der Einkommensgrenze von 12.000,00 DM diese Aufwendungen keine Berücksichtigung fänden.

5

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom … 09.1997 als unbegründet zurück. Die vom Sohn J. in 1996 erzielten Einkünfte und Bezüge seien zutreffend nach § 32 Abs. 4. Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelt worden. Da J. die schädliche Einkommensgrenze von 12.000,00 DM in diesem Jahr überschritten habe, sei das Kindergeld zutreffend rückwirkend ab Januar 1996 auf 0 DM festgesetzt und das zuviel gezahlte Kindergeld zurückgefordert worden.

6

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiterverfolgt. Ergänzend trägt sie folgendes vor: Zu Unrecht habe der Beklagte bei der Einkommensermittlung die halben Anteile des Rentenversicherungsträgers zur Kranken- und Pflegeversicherung den Einkünften des Kindes zusätzlich hinzugerechnet. Diese Hinzurechnung weiche eindeutig von den Vorschriften des Steuerrechts ab und entbehre jeder gesetzlichen Grundlage. Darüber hinaus verstoße sie gegen den Gleichheitsgrundsatz, da dann auch bei den Beziehern von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die Sozialversicherungsanteile des Arbeitgebers ebenfalls als Einkünfte erfaßt werden müßten.

7

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 1997 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

9

hilfsweise die Revision zuzulassen.

10

Er verweist bezüglich der Einkünfteermitlung auf DA 63.4.2.4 (2) zu § 63 EStG.

11

Während des Klageverfahrens hat die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin den Einkommensteuerbescheid 1996 des Sohnes J. vom … 04.1998 vorgelegt. Dieser weist werbungskosten aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 11.057,00 DM sowie einen gleichlautenden negativen Gesamtbetrag der Einkünfte aus. Wegen der genauen Ermittlung der Einkünfte wird auf Bl. 39-42 der FG-Akte verwiesen.

Gründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Der Beklagte hat die Einkünfte und Bezüge des Sohnes J. für 1996 fehlerhaft ermittelt.

14

1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, u.a. berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Ein Kind wird jedoch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.000,00 DM im Kalenderjahr hat.

15

Einkünfte des Kindes sind die dem Kind steuerlich zuzurechnenden Einkünfte im Sinne des EStG (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.1980 VI R 53/79, BStBl II 1981, 92 zu der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 33 a Abs. 2 EStG). Bei verschiedenen Einkünften oder Einkünften verschiedener Einkunftsarten ist die Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3) maßgebend.

16

Bezüge i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind ebenso wie nach § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfaßt werden, also nicht steuerbare oder im einzelnen für steuerfrei erklärte Einnahmen (vgl. BFH-Urteil vom 07.03.1986 III R 177/80, BStBl II 1986, 554).

17

2. Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte zu Recht sowohl das Bafög als auch die Waisenrente als zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte oder geeignete Einkünfte und Bezüge i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG herangezogen. Hierbei ist der Ertragsanteil der Waisenrente als Einkünfte zu erfassen; der darüber hinausgehende Betrag gehört nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu den Bezügen (vgl. BFH-Urteil vom 17.10.1980 VI R 98/77, BStBl II 1981, 158).

18

Zu Recht hat der Beklagte insoweit auch die Zuschüsse des Rententrägers zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung zu den Bezügen gerechnet (vgl. Urteil des Hessischen FG vom 30.05.1985, EFG 1985, 505).

19

3. Rechtsfehlerhaft hat es der Beklagte jedoch unterlassen, die dem Sohn der Klägerin entstandenen werbungskosten in 1996 bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge abzuziehen.

20

a) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß es sich bei den vom Sohn J. in 1996 aufgewendeten - und vom zuständigen Finanzamt anerkannten - Kosten um vorweggenommene werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit handelt. Der Senat folgt dieser Auffassung. Ausbildungskosten im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG scheiden insoweit aus, weil die Aufwendungen der weiteren Qualifizierung (Spezialisierung) im schon erlernten Beruf dienten.

21

b) Da der Begriff "Einkünfte" i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dem einkommensteuerlichen Begriff "Einkünfte" nach § 2 entspricht, sind bei Anrechnung der Einkünfte auch alle Einkunftsermittlungsvorschriften zu berücksichtigen. Demgemäß sind Betriebsausgaben und werbungskosten oder ein Verlustabzug nach § 10 d EStG abzusetzen. Ergibt sich bei Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte ein Verlust, so entspricht es dem Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, daß dieser etwa vorhandene anrechenbare Bezüge mindert (vgl. Kanzler in H/H/R, § 32, Anm. 136; Arndt in Kirchhoff/Söhn, § 33 a Rdn. B 125).

22

Soweit der Beklagte der Auffassung ist, Werbungskosten seien nur bis zur Höhe der Einkünfte abzuziehen, ein darüber hinausgehender Verlust dürfe nicht die anrechenbare Bezüge mindern, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn nach Sinn und Zweck des Gesetzes soll die Zahlung des Kindergeldes dann entfallen, wenn das Kind entsprechend leistungsfähig ist. Die Leistungsfähigkeit des Kindes ist jedoch durch vorweggenommene werbungskosten gemindert. Diesem Umstand muß durch eine entsprechende Verrechnung der negativen Einkünfte mit den positiven Bezügen Rechnung getragen werden.

23

c) Da hiernach der sich bei der Einkünfteermittlung des Sohnes ergebende Verlust i.H.v. 10.987,00 DM die verbleibenden anrechenbaren Bezüge i.H.v. 12.716,00 DM voll mindert, ergibt sich im vorliegenden Fall nach Abzug der Kostenpauschale von 360,00 DM ein zugrunde zu legender Betrag i.H.v. 1.369,00 DM. Da somit die Grenze des § 32 Abs. A. Satz 2 EStG von 12.000,00 DM in 1996 nicht überschritten ist, waren der angefochtene Bescheid vom 27.05.1997 und der Einspruchsbescheid vom 04.09.1997 aufzuheben.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

25

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO), 155 FGO.

26

5. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).