Landgericht Göttingen
Beschl. v. 03.08.2011, Az.: 10 T 63/11

Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung durch Gläubiger gegenüber einem Schuldner ist nicht begründet wegen rechtzeitiger Vorlage von Gehaltsabrechnungen; Begründetheit des Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung durch Gläubiger gegenüber einem Schuldner bei rechtzeitiger Vorlage von Gehaltsabrechnungen

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
03.08.2011
Aktenzeichen
10 T 63/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 28875
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2011:0803.10T63.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 05.06.2007 - AZ: 74 IK 233/07

Fundstellen

  • InsbürO 2012, 363
  • NZI 2011, 643-644
  • ZInsO 2012, 797-799

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Verheimlichen iSd. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO bedeutet, dass der Schuldner dem Insolvenzgericht oder dem Treuhänder die pfändbaren Bezüge nicht mitteilt. Ziel des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist es, dem Treuhänder Kenntnis vom Einkommen und Vermögen des Schuldners zu verschaffen, damit er den pfändbaren Teil zur Masse ziehen kann. Die Folge, dass der Schuldner Rückstände nicht rechtzeitig an die Masse zahlt, wird nicht vom Tatbestand des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht geregelt. Eine analoge Anwendung der Vorschriften scheidet aus, denn die Versagungsgründe sind in der Insolvenzordnung abschließend geregelt.

  2. 2.

    Nach § 296 Abs. 1 InsO setzt die Versagung der Restschuldbefreiung voraus, dass durch den Verstoß des Schuldners gegen eine seiner Obliegenheiten die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Die Beeinträchtigung ist durch einen Vergleich zwischen einem ordnungsgemäß und dem unter Obliegenheitsverstößen durchgeführten Restschuldbefreiungsverfahren zu bemessen. Allein die Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus. Mithin liegt eine Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist, mithin muss ein pfändbarer Anteil verbleiben.

In dem Restschuldbefreiungsverfahren ... hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht F als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 01.06.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 20.05.2011 - 74 IK 233/07 - am 03.08.2011 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Dem Schuldner wird für die sofortige Beschwerde Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwältin B, Ba, Bc, zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

  2. 2.

    Der angefochtene Beschluss wird geändert:

    Der Antrag der Gläubiger, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Gläubiger

    Beschwerdewert: bis zu 700,00 Euro

Gründe

1

Mit Beschluss vom 05.06.2007 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und den Rechtsanwalt C, Kassel, zum Treuhänder bestellt. Dem Schuldner ist mit Beschluss vom 21.02.2008 die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt worden, sofern er während der Laufzeit der Abtretungserklärung die ihm gemäß § 295 InsO obliegenden Verpflichtungen erfüllt und keine sonstigen Versagungsgründe vorliegen.

2

In seinem Bericht vom 12.03.2009 hat der Treuhänder ausgeführt, der Schuldner habe trotz Aufforderung keinerlei Einkommensnachweise zur Verfügung gestellt, so dass der Treuhänder nicht habe prüfen können, ob der Arbeitgeber die geleisteten pfändbaren Anteile korrekt ermittelt habe.

3

Unmittelbar nach diesem Bericht hat der Schuldner die angeforderten Lohnabrechnungen zur Verfügung gestellt. Daraus ergab sich, dass der Arbeitgeber des Schuldners den monatlich pfändbaren Betrag nicht zutreffend ermittelt hatte, so dass ein Rückstand in Höhe von insgesamt 402,40 Euro eingetreten war. Der Treuhänder hat den Schuldner aufgefordert, diese Rückstände an die Insolvenzmasse zu zahlen. Am 15.03.2011 hat der Treuhänder berichtet, dass der Schuldner wiederum seit Mai 2009 Einkommensnachweise nicht übersandt habe. Der letzte pfändbare Einkommensanteil sei im November 2009 abgeführt worden. Es sei nicht bekannt, ob beziehungsweise wo der Schuldner beschäftigt sei. Auf den Rückstand von 402,40 Euro habe der Schuldner bislang 210,00 Euro gezahlt, der Rest sei jedoch nach wie vor offen.

4

Unter Bezugnahme auf diesen Bericht des Treuhänders haben die oben genannten Gläubiger mit Schriftsatz vom 14.04.2011 beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung haben sie ausgeführt, der Schuldner verletze seine Obliegenheiten. Trotz der Aufforderung durch den Treuhänder habe der Schuldner seit Mai 2009 keine Gehaltsabrechnungen mehr vorgelegt. Der Treuhänder könne daher die Richtigkeit der gezahlten pfändbaren Anteile nicht überprüfen. Hierdurch sei die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Das Amtsgericht hat dem Schuldner den Antrag der Gläubiger zur Stellungnahme übersandt und ihn aufgefordert, innerhalb einer Frist von zwei Wochen die fehlenden Einkommensnachweise vorzulegen.

5

Mit Schreiben vom 09.05.2011 hat der Treuhänder mitgeteilt, der Schuldner habe die fehlenden Einkommensnachweise am 09.05.2011 übersandt. Seit dem 19. Dezember 2009 beziehe der Schuldner Arbeitslosengeld in Höhe von 771,30 Euro. Seit dem 18.08.2010 nehme er an einer Umschulungsmaßnahme teil.

6

Mit Beschluss vom 20.05.2011 hat das Amtsgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Gläubiger hätten den Versagungsgrund des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dargelegt und glaubhaft gemacht. Trotz Aufforderung habe der Schuldner die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt. Zwar habe der Schuldner am 09.05.2011 die Einkommensnachweise dem Treuhänder übersandt. Dies sei jedoch erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist geschehen.

7

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde, für deren Durchführung er Prozesskostenhilfe begehrt. Er trägt vor, er habe sich die entsprechenden Kopien der Einkommensnachweise vom Arbeitsamt besorgt.

8

Unglücklicherweise habe er diese Unterlagen dann auf sein Autodach gelegt und beim Wegfahren dort vergessen. Er habe deshalb nochmals neue Kopien anfordern müssen. Hierdurch sei die Verzögerung eingetreten. Auch habe er inzwischen den noch ausstehenden Betrag der pfändbaren Anteile seines Einkommens in Höhe von 192,40 Euro an den Treuhänder gezahlt.

9

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die nachträgliche Übersendung der Unterlagen durch den Schuldner heile die Obliegenheitspflichtverletzung nicht, denn nach Ablauf der Frist des § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO komme eine Heilung nicht mehr in Betracht. Darüber hinaus sei der Schuldner bereits mit der Zahlung der Rückstände im Verzug gewesen, als die Gläubiger den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt hätten. Deshalb könne auch die nachträgliche Zahlung des Schuldners den Verstoß nicht heilen.

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I.

Dem Schuldner ist für das Verfahren der sofortigen Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die sofortige Beschwerde bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.

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II.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß §§ 6, 296 Abs. 3 InsO zulässig, sie ist auch begründet.

12

Der Antrag der Gläubiger, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, ist nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 295 Abs. 1 Nr. 3, § 296 Abs. 1 InsO liegen nicht vor.

13

1.

Nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verstößt der Schuldner gegen seine Obliegenheiten, wenn er die von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge verheimlicht oder dem Gericht und dem Treuhänder auf Verlangen keine Auskunft über seine Erwerbstätigkeit, seine Bezüge und sein Vermögen erteilt. Der Schuldner hat zunächst gegen diese Obliegenheit verstoßen, denn er hat - wie sich aus dem Bericht des Treuhänders vom 12.03.2009 ergibt - trotz der entsprechenden Aufforderung seine Gehaltsabrechnungen ab Juni 2008 dem Treuhänder nicht zur Verfügung gestellt. Aus dieser Obliegenheitsverletzung des Schuldners resultierte auch eine Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger, denn der Treuhänder war aufgrund der fehlenden Einkommensnachweise nicht in der Lage zu überprüfen, ob die vom Arbeitgeber abgeführten pfändbaren Anteile des Einkommens korrekt ermittelt waren.

14

Gleichwohl ist die Versagung der Restschuldbefreiung in Bezug auf diese Obliegenheitspflichtverletzung des Schuldners nicht gerechtfertigt, denn der Schuldner hat noch im März 2009 die angeforderten Gehaltsabrechnungen für die Zeit ab Juni 2008 dem Treuhänder übersandt. Er hat damit seinen Verstoß gegen die Obliegenheiten geheilt, bevor die Gläubiger den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt haben.

15

Die Restschuldbefreiung ist dem Schuldner auch nicht deshalb zu versagen, weil er die sich nach der Überprüfung der Gehaltsabrechnungen durch den Treuhänder ergebenden Rückstände der pfändbaren Anteile seines Einkommens nicht vor der Stellung des Versagungsantrags zurückgezahlt hat. Diese unterlassene Zahlung des Schuldners stellt keine Verletzung der Obliegenheitspflicht im Sinne des§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar. Insbesondere erfüllt dieses Verhalten des Schuldners nicht den Tatbestand des Verheimlichens der von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge. Verheimlichen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet vielmehr, dass der Schuldner dem Insolvenzgericht oder dem Treuhänder die pfändbaren Bezüge nicht mitteilt. Ziel des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist es zwar, dem Treuhänder Kenntnis vom Einkommen und Vermögen des Schuldners zu verschaffen, damit er den pfändbaren Teil zur Masse ziehen kann. Hier hat jedoch der Schuldner im März 2009 die bis dahin vorliegenden Gehaltsabrechnungen überreicht, der Treuhänder war also in der Lage, den pfändbaren Teil des Einkommens zu ermitteln. Die sich hier daraus ergebende Folge, dass der Schuldner dann die Rückstände nicht rechtzeitig an die Masse zahlt, wird jedoch vom Tatbestand des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht erfasst. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht geregelt. Eine analoge Anwendung der Vorschriften scheidet aus, denn die Versagungsgründe sind in der Insolvenzordnung abschließend geregelt (vgl. LG Göttingen, Beschluss vom 27.05.2010 - 10 T 48/10 -, NZI 2010, 579; ZInsO 2010, 1247; BGH NZI 2011, 451 = ZInsO 2011, 929). Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Schuldner den rückständigen Betrag erst nach der Stellung des Versagungsantrags durch die Gläubiger vollständig an den Treuhänder entrichtet hat.

16

2.

Der Antrag auf Versagung des Restschuldbefreiung ist auch nicht deshalb begründet, weil der Schuldner - wie vom Treuhänder im Bericht vom 15.03.2011 dargelegt - seine Gehaltsabrechnungen ab Juni 2009 trotz entsprechender Aufforderung nicht vorgelegt hat. Zwar hat der Schuldner damit gegen seine Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verstoßen. Gemäß § 296 Abs. 1 InsO setzt jedoch die Versagung der Restschuldbefreiung voraus, dass durch den Verstoß des Schuldners gegen eine seiner Obliegenheiten die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Die Beeinträchtigung ist durch einen Vergleich zwischen einem ordnungsgemäß und dem unter Obliegenheitsverstößen durchgeführten Restschuldbefreiungsverfahren zu bemessen (Uhlenbruck-Vallender, Insolvenzordnung, 13. Auflage § 296 Rdnr. 18). Allein die Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus (BGH NZI 2006, 413 [BGH 05.04.2006 - IX ZB 50/05]). Mithin liegt eine Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist, mithin muss ein pfändbarer Anteil verbleiben (AG Göttingen NZI 2006, 300; Uhlenbruck-Vallender, a.a.O.)- Hier hat der Verstoß des Schuldners gegen seine Obliegenheiten nicht zu einer Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger geführt. Der Schuldner hat am 09.05.2011 die fehlenden Einkommensnachweise vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass er bis zum 18.12.2009 beschäftigt war. Tatsächlich sind bis November 2009 pfändbare Anteile seines Einkommens an die Masse abgeführt worden. Dass sich aus den nun vorgelegten Einkommensnachweisen ein höherer pfändbarer Anteil ergibt, haben die Gläubiger nicht dargelegt. Auch führt der Umstand, dass der Schuldner ab Dezember 2009 die Bescheinigungen über den Bezug von Arbeitslosengeld nicht vorgelegt hat, zu keiner Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Der Schuldner bezieht seit dem 19.12.2009 Arbeitslosengeld in Höhe von 731,30 Euro. Von diesem Einkommen steht der Masse ein pfändbarer Anteil nicht zu. Selbst wenn der Schuldner die Bescheinigung über den Bezug des Arbeitslosengeldes dem Treuhänder übersandt hätte, hätte dieser keine pfändbaren Anteile zur Masse ziehen können. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ergibt sich deshalb keine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger.

17

Im Hinblick darauf kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner durch die verspätete Vorlage der Einkommensnachweise den Obliegenheitsverstoß heilen konnte.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

19

Den Beschwerdewert hat die Kammer nach § 3 ZPO festgesetzt und ist dabei von der Höhe der angemeldeten Forderung ausgegangen.