Landgericht Göttingen
Beschl. v. 11.02.2011, Az.: 2 S 10/10

Darlegung einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht erfordert Aufstellung einer auf einen konkreten Zeitraum bezogenen Liquiditätsbilanz; Darlegung einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch Aufstellung einer auf einen konkreten Zeitraum bezogenen Liquiditätsbilanz

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
11.02.2011
Aktenzeichen
2 S 10/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 21627
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2011:0211.2S10.10.0A

Fundstelle

  • ZInsO 2011, 1310-1311

Gründe

1

A.

Die Berufung der Kläger hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das angegriffene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler i.S.v. § 546 ZPO noch rechtfertigen die gem. § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung. Das AG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

2

Grds. kommt zwar ein auf die Verletzung der Insolvenzantragspflicht gestützter Zahlungsanspruch der Kläger aus§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 92 Abs. 2 AktG a.F. in Betracht. Diesem Anspruch steht § 93 Abs. 5 Satz 4 AktG nicht entgegen, wenn die Beklagten als Vorstand der Insolvenzschuldnerin vor Fälligkeit der im Zeitraum v. Januar 2003 - Ende August 2004 gezahlten Raten einen Insolvenzantrag gem. § 92 Abs. 2 AktG a.F. hätten stellen müssen und dieser den Klägern vor Fälligkeit der Raten auch bekannt geworden wäre. Für die Neugläubigereigenschaft kommt es bei Leistungen, die im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses erbracht werden, nämlich nicht allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Raten, die nach Eintritt der Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung erbracht werden, fallen unter das Neugläubigerprivileg, wenn der Gläubiger bei Kenntnis der Krise vor der Zahlung hätte kündigen können. Die Zahlungsunfähigkeit der Beteiligungsgesellschaft berechtigt den stillen Gesellschafter gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 723 BGB zur Kündigung aus wichtigem Grund und der Beweis des ersten Anscheins spricht in einem solchen Fall dafür, dass diese Gestaltungserklärung auch abgegeben wird (vgl. dazu nur Beschluss des OLG Braunschweig v. 5.10.2010 - 3 U 60/10 m.w.N.).

3

Die Kläger, die die Darlegungslast für den objektiven Tatbestand einer haftungsbegründenden Insolvenzverschleppung tragen, haben jedoch nicht ausreichend vereinzelt zur Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin vorgetragen. Diese Zahlungsunfähigkeit ist nämlich durch Aufstellung einer auf einen konkreten Zeitraum bezogenen Liquiditätsbilanz darzulegen, aus der sich ergibt, dass es der Gesellschaft durch verfügbare Mittel nicht möglich ist, im Regelfall zumindest 90% der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten zu tilgen. Um die Zahlungsunfähigkeit von der bloßen Zahlungsstockung abzugrenzen, darf die Liquiditätsunterdeckung zudem innerhalb von 3 Wochen nicht behebbar sein (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O., unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 24.5.2005 - IX ZR 123/04, und BGH, Urt. v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03).

4

An entsprechendem Vortrag der Kläger fehlt es; es ist bereits nicht dargelegt, welche Mittel zur Tilgung der Verbindlichkeiten zur Verfügung standen und ob sämtliche Verbindlichkeiten (seitens der Insolvenzschuldnerin) eingefordert waren.

5

Die Zahlungsunfähigkeit wird insbesondere durch das von den Klägern zum Gegenstand ihres Prozessvortrags gemachte Gutachten der ... Wirtschaftsprüfung GmbH v. 8.5.2009 nicht ausreichend dargelegt. Aus dem Gutachten ergibt sich nämlich ebenfalls nicht, welche Mittel zur Tilgung der Verbindlichkeiten zur Verfügung standen und ob sämtliche Verbindlichkeiten eingefordert waren. Vielmehr geht das Gutachten unter Hinweis auf das Urteil des BGH v. 12.10.2006 (Az. IX ZR 228/03) davon aus, dass im Anfechtungsprozess die Zahlungsunfähigkeit vereinfacht dargelegt werden könne, weil es insoweit regelmäßig ausreichend sei, dass im Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung fällige Verbindlichkeiten bestanden hätten, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden seien (vgl. S. 7 des Gutachtens der ... Wirtschaftsprüfung GmbH). Diese Rechtsprechung des BGH beruht jedoch auf den Besonderheiten der Insolvenzanfechtung, die eine sog. "ex-post-Betrachtung" zulässt. Eine Liquiditätsbilanz hingegen ist aufzustellen, wenn eine Prognose erforderlich, ist, was bei der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB, § 92 AktG a.F. der Fall ist (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O., unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03, Rn. 28, zit. nach [...]).

6

Nach alledem ist die Klage mangels ausreichender Darlegung einer bereits am 31.12.2002 vorliegenden Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden, sodass die Berufung der Kläger keine Aussicht auf Erfolg hat.

7

B.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO), und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch keine Entscheidung der Kammer als Berufungsgericht (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess. Grundsätzliche Rechtsfragen müssen nicht neu entschieden werden.

8

C.

Den Klägern wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen Stellung zu nehmen oder die Berufung zurück zu nehmen.

9

1.

Die Berufung der Kläger ist ohne Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss der Kammer v. 11.2.2011 Bezug genommen. Die Stellungnahme der Kläger v. 31.3.2011 vermag nicht zu einer anderen Entscheidung zu führen.

10

Nach der auch von den Klägern in ihrer Stellungnahme erwähnten Entscheidung des BGH v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03 (veröffentlicht u.a. in NZI 2007, 36 ff.) ist eine Liquiditätsbilanz nötig, wenn eine Prognose erforderlich ist, also etwa im Rahmen der Frage, ob Insolvenzantrag zu stellen oder ein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist (bzw. ob dies zu einem bestimmten Zeitpunkt angezeigt war). Folglich bedarf es hier, wo einzig ein Anspruch der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 92 Abs. 2 AktG a.F. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht in Betracht zu ziehen ist, der Aufstellung einer auf einen konkreten Zeitraum bezogenen Liquiditätsbilanz, die - wie bereits im Beschluss der Kammer v. 11.2.2011 dargelegt - u.a. ausweisen muss, welche Mittel zur Tilgung der Verbindlichkeiten zur Verfügung standen, und ferner Auskunft darüber geben muss, ob sämtliche Verbindlichkeiten eingefordert waren. Dazu fehlt es indes nach wie vor an jedwedem Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Kläger. Auch das Gutachten der ... Wirtschaftsprüfung GmbH v. 8.5.2009 enthält dazu - wie ebenfalls bereits im Beschluss der Kammer v. 11.2.2011 hervorgehoben - keinerlei verwertbare Aussagen.

11

2.

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO); die Kammer weicht nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung ab, sondern orientiert sich - wie dargelegt - an der Auffassung des BGH und auch des OLG Braunschweig.

12

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.