Landgericht Göttingen
Urt. v. 03.03.2011, Az.: 8 O 144/07
Iliosakralgelenk; Blockade; Unfallfolge
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 03.03.2011
- Aktenzeichen
- 8 O 144/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 45186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen einer Blockade des Iliosakralgelenks als Unfallfolge.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem über das Vermögen des vormaligen Klägers am 07.05.2009 eröffneten Insolvenzverfahren.
Der Insolvenzschuldner, der als selbstfahrender Fuhrunternehmer tätig war, ist bei der Beklagten gemäß Versicherungsschein mit der Nummer I mit einer Invaliditätssumme von 168.237,- Euro und progressiver Invaliditätsstaffel unfallversichert. Dem Vertrag liegen die AUB 88 zu Grunde. Der Insolvenzschuldner zeigte der Beklagten mit Schadensanzeige vom 06.09.2003 (Anl. K 1) ein Unfallereignis vom 24.04.2003 an, bei dem ein Schaltschrank von der Ladefläche gestürzt und vom Insolvenzschuldner als Reflex aufgefangen worden sei. Die Beklagte lehnte ihre Leistungsverpflichtung mit Schreiben vom 10.08.2004 (Anl. K 13) endgültig ab.
Der Insolvenzschuldner begab sich unmittelbar nach dem Vorfall in die orthopädische Notfallambulanz der Universitätsklinik Göttingen, wo er bis zum 28.04.2003 stationär behandelt wurde (Anl. K 2). Am 21.07.2003 wurde im Rahmen einer Begutachtung eine Blockierung des rechten und linken Iliosakralgelenks diagnostiziert (Gutachten K, Anl. K 10). Am 25.08.2003 stellte L eine Blockierung des rechten Iliosakralgelenks und am 08.09.2003 eine Blockierung des linken Iliosakralgelenks fest (Bescheinigungen Praxis M, Anl. K 6 und K 9). Ein weiteres Gutachten des N vom 26.07.2004 (Anl. K 11) kommt zu der Diagnose eines chronischen Lumbalsyndroms mit Schmerzsyndrom der LWS bei chronischer Blockierung und muskulärer Dysbalance. Der Insolvenzschuldner ist abgesehen von zwischenzeitlich unternommenen Arbeitsversuchen fast durchgehend arbeitsunfähig krank geschrieben (Anl. K 3 - K 5).
Der Kläger ist der Ansicht, bei dem Vorfall vom 24.04.2003 handele es sich um einen Unfall im Sinne eines plötzlich von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses gemäß § 1 Abs. 3 AUB 88. Er behauptet, als der Insolvenzschuldner den Schaltschrank von der Ladefläche seines Kleintransporters habe ziehen wollen, sei der Karton ins Kippen geraten und unvermittelt auf den Insolvenzschuldner eingestürzt. Dieser habe instinktiv seine Arme nach oben gerissen, um das fallende Gerät abzufangen. In Folge dieses Geschehens habe er sofort einen starken Schmerz im Rücken verspürt.
Der Kläger behauptet weiter, der Unfall sei alleinige Ursache der Beschwerden des Insolvenzschuldners. Die diagnostizierte Blockade des rechten wie linken Iliosakralgelenkes sei unmittelbare Unfallfolge, vor dem 24.04.2003 seien keinerlei Beschwerden aufgetreten. Unter Berücksichtigung der dauernden Schmerzen und Beeinträchtigungen, insbesondere beim Heben von Lasten mit mehr als 5 kg Gewicht, ergebe sich ein unfallbedingter Invaliditätsgrad von 30 %.
Jedenfalls sei aber § 1 Abs. 4 Nr. 2 AUB 88 - bei erhöhter Kraftanstrengung erlittene Folgen - einschlägig. Das Iliosakralgelenk sei ein Gelenk, das verrenken könne. Dies sei bei dem Vorfall vom 24.04.2003 geschehen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 67.430,- Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, ein Unfallereignis i. S. v. § 1 Abs. 3 AUB 88 sei nicht gegeben, es handele sich lediglich um ein sog. Verhebetrauma. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88 seien nicht erfüllt, da eine IGS - Blockade gerade nicht mit der Verrenkung eines Gelenkes gleichzusetzen sei. Schließlich liege allenfalls eine Gelegenheitsursache vor, wie sich aus dem Gutachten N vom 26.07.2004 ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen O und P sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18. Mai 2006 (Bl. 57 - 59 d. A.) sowie das schriftliche Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Q vom 15.09.2006, 29.10.2007 und 28.08.2008 sowie ihre mündlichen Erläuterungen vom 08.02.2011 (Bl. 192 - 194 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 1 AUB 88.
Gemäß § 1 Abs. 1 AUB 88 bietet der Versicherer Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem Versicherten während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen. Nach Abs. 3 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Legt man den Klägervortrag zu Grunde, handelt es sich zweifelsohne um einen Unfall im Sinne der Vorschrift. Der Insolvenzschuldner hat ausgeführt, er habe einen schweren Schaltschrank von der Ladefläche ziehen wollen, dieser sei ins Kippen geraten und auf ihn eingestürzt. Er habe instinktiv versucht, das schwere Gerät abzufangen. Diesen Ablauf des Ereignisses zu Gunsten des Klägers unterstellt, scheidet ein Anspruch aber dennoch aus, da der Kläger nicht zu beweisen vermocht hat, dass die bei dem Insolvenzschuldner bestehenden Beeinträchtigungen auf den Unfall zurückzuführen sind.
Die Sachverständige Prof. Dr. Q hat den Insolvenzschuldner im Rahmen ihrer Begutachtung klinisch untersucht. Dabei haben sich keine pathologischen Auffälligkeiten gefunden. Auch die durchgeführten radiologischen Untersuchungen haben keine über das Altersmaß hinausgehenden pathologischen Befunde ergeben. Insbesondere habe eine Verletzung des Iliosakralgelenks nicht vorgelegen. Bei dem Iliosakralgelenk handele es sich um ein Pseudogelenk, das aus einer bindegewebigen Verbindung von zwei Knochenanteilen bestehe. Durch die sehr geringe Beweglichkeit und spezielle Form des Gelenks sei dessen Verletzung nur dann möglich, wenn einer der beteiligten Knochen breche. Eine Verletzung des Iliosakralgelenks trete daher nur in Kombination mit anderen knöchernen Verletzungen wie einer Beckenringfraktur oder einer Symphysenruptur auf. Dies sei bei dem Insolvenzschuldner nicht der Fall gewesen.
Auch eine Blockade des Iliosakralgelenks war im Rahmen der sachverständigen Untersuchung nicht feststellbar. Die Sachverständige weist darauf hin, dass sämtliche entsprechenden früheren Diagnosen erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand zum Unfallereignis gestellt worden seien. Bei dem Klinikaufenthalt direkt nach dem Unfallgeschehen sei kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung des Iliosakralgelenks aufgetreten. Anderenfalls hätte man bereits in der Klinik mit Einrenken oder ähnlichem reagiert.
Selbst wenn es aber zu einer Blockade des Iliosakralgelenks gekommen wäre, so handelt es sich bei einer solchen Blockade nach den Ausführungen der Sachverständigen um keine Unfallfolge, wobei die Sachverständige wiederum den von dem Insolvenzschuldner dargestellten Unfallhergang zu Grunde gelegt hat. Die Sachverständige hat ausgeführt, eine Blockade des Iliosakralgelenks könne durch vielfältige Ursachen, beispielsweise schon durch bloßes Aufstehen, eintreten. Das Iliosakralgelenk weise eine geringe Beweglichkeit auf. Es träfen zwei durch Bänder fest miteinander verbundene Knochen aufeinander. Die Oberflächen der Knochen seien dabei nicht glatt wie bei anderen Gelenken, sondern eher kraterähnlich. Durch bestimmte Bewegungen könnten sich diese Oberflächen gegeneinander verschieben und quasi verhaken, was zu Schmerzen führe. Diesen Vorgang nenne man Blockade. Eine Blockierung entstehe in der Allgemeinbevölkerung recht häufig schon bei Alltagsbelastungen und werde nicht durch einen Unfall im eigentlichen Sinne hervorgerufen. Solche Blockierungen seien konservativ in der Regel gut zu behandeln und brächten keinerlei Spätfolgen mit sich. Eine solche Blockade werde eingerenkt und sei damit behoben. Keinesfalls resultiere aus einer Blockade des Iliosakralgelenks ein Invaliditätsgrad.
Die Sachverständige führt weiter aus, der Grund der Beschwerden des Insolvenzschuldners liege in dem altersentsprechenden Zustand seiner Lendenwirbelsäule. Der Beruf des Insolvenzschuldners bringe sicherlich eine diesbezügliche höhere Abnutzung mit sich als beispielsweise Berufe mit sitzender Tätigkeit. Der Insolvenzschuldner habe die Beschwerden von Beginn an linksseitig geschildert. Eine im Juni 2002, also vor dem Unfall gefertigte CT-Aufnahme zeige im Bereich L4/L5 eine Bandscheibenvorwölbung linksbetont. Die bei der Untersuchung geschilderten Beschwerden ließen sich mit einer solchen linksbetonten Bandscheibenvorwölbung sehr gut in Einklang bringen.
Das Gericht hat sich die in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführen der Sachverständigen nach eigener kritischer Würdigung zu eigen gemacht und der Urteilsfindung zu Grunde gelegt. Insbesondere die erläuternden Ausführungen in der mündlichen Verhandlungen haben das Gericht zu überzeugen vermocht.
Danach scheidet ein Anspruch des Klägers nach § 1 Abs. 3 AUB 88 aus, da die bei dem Insolvenzschuldner bestehenden Beeinträchtigungen nicht auf das Unfallereignis vom 24.04.2003 zurückzuführen sind. Dem Antrag auf Vernehmung des Insolvenzschuldners als Zeuge war nicht zu entsprechen. Das Gericht hat zu seinen Gunsten sowohl den von ihm geschilderten Unfallhergang wie auch das Vorliegen der geschilderten Beschwerden bis heute unterstellt. Dass er die Beschwerden durch den Unfall erlittten hat, ist gerade keine in das Wissen eines Zeugen zu stellende Behauptung, sondern eine Sachverständigenfrage. Diese hat die Sachverständige Prof. Dr. Q in ihrem Gutachten - wie ausgeführt - beantwortet.
Ein Anspruch aus § 1 Abs. IV AUB 88 scheidet ebenfalls aus. Danach gilt als Unfall auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird. Nach den Ausführungen der Sachverständigen ist bei einer Verrenkung oder auch Luxation das Gelenk in seiner Struktur zerstört, wenn beispielweise der Gelenkkopf aus der Gelenkpfanne rutsche. So etwas könne bei Ellenbogengelenken und anderen Gelenken geschehen, beim Iliosakralgelenk aufgrund seiner Beschaffenheit jedoch nicht.
Die Klage war danach insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.