Landgericht Göttingen
Beschl. v. 30.08.2011, Az.: 4 O 90/11

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist bei einer Klage des Insolvenzverwalters gegen den Insolvenzschuldner auf Zahlung von Arbeitsentgelten gegeben; Eröffnung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten bei einer Klage des Insolvenzverwalters gegen den Insolvenzschuldner auf Zahlung von Arbeitsentgelten

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
30.08.2011
Aktenzeichen
4 O 90/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 28313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2011:0830.4O90.11.0A

Fundstelle

  • ZInsO 2011, 2087-2088

Redaktioneller Leitsatz

Für die Klage eines Insolvenzverwalters gegen den Arbeitgeber des Insolvenzschuldners auf Zahlung von Arbeitsentgelt zur Insolvenzmasse ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch dann eröffnet, wenn der Arbeitgeber das verdiente Arbeitsentgelt bereits an den Schuldner ausgezahlt hat.

In dem Rechtsstreit
...
hat die Zivilkammer des Landgericht Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 10.August 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Gebehenne als Einzehlrichter
beschlossen

Tenor:

  1. 1.

    Der Rechtsweg zu den ordetlichen Gerichten wird für unzulässig erklärt.

  2. 2.

    Der Rechtstreit wird an das Arbeitsgericht Göttingen verweisen.

Gründe

1

I.

Über das Vermögen des Ehemannes der Beklagten, Herrn A (im Folgenden: Schuldner), wurde nach dessen Eigenantrag am 20.6.2001 das Insolvenzverfahren vor dem AG Göttingen (Az. 74 IN 326/01) eröffnet, wobei der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt wurde. Mit Beschluss des AG Göttingen v. 27.12.2005 wurde Herr Rechtsanwalt W zum Sonderinsolvenzverwalter mit dem Aufgabengebiet der Prüfung der Forderungen für die Gläubiger und die Vertretung der Gläubiger in dem Erörterung- und Abstimmungstermin im Insolvenzplanverfahren, bei denen der Insolvenzverwalter Dr. F gem. § 181 BGB an der Besorgung der Angelegenheit verhindert ist, bestellt. Durch rechtskräftigen Beschluss des AG Göttingen v. 29.10.2008 wurde dem Schuldner gem. § 300 InsO Rechtsschuldbefreiung mit Wirkung zum 20.6.2008 erteilt. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht beendet. Schon bevor dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt worden ist, hatte dieser mit der Beklagten einen Arbeitsvertrag mit Wirkung v. 1.4.2007 geschlossen, der durch Nachtrag v. 28.8.2007 hinsichtlich der Werthöhe modifiziert wurde. Die Gehaltszahlungen für die Monate April 2007 bis einschließlich Juni 2008 zum Gesamtbetrag von 15.573,66 EUR zahlte die Beklagte nicht an den Kläger, sondern an den Schuldner. Nach dem Vorbringen der Beklagten war Hintergrund des Abschlusses des Arbeitsvertrags mit Zusatzvereinbarung durch den Schuldner ein Schreiben des AG Göttingen v. 27.12.2005, gerichtet an den Schuldner, in dem der in dem betreffenden Insolvenzverfahren tätige Rechtspfleger u.a. ausgeführt hat:

"Sehr geehrter Herr xxx, auch durch die wiederholten Anfragen kann der Sachverhalt nicht verändert werden.

Ich werde daher nur zu drei Punkten nochmals Stellung nehmen:

,1. ...

2.

Die von ihrer Familie und der Sparkasse Göttingen gezählten Beträge zur Masse sind endgültig. Es werden keine weiteren Forderungen erfolgen.

3. ...'

Das Insolvenzgericht wird auf weitere Fragen, die bereits Gegenstand der umfangreichen Telefonate und des umfangreichen Schriftverkehrs waren, nicht mehr entworfen, sofern keine neuen Sachverhalte mehr vorgetragen werden ...".

2

Nach erfolglos verlaufenen vorgerichtlichen Bemühungen nimmt der Kläger die Beklagte nunmehr im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf Zahlung der an früherer Stelle erwähnten Gehaltszahlungen an die Masse in Anspruch, wobei er die Auffassung vertritt, unter Berücksichtigung der §§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1, 82 Satz 1 InsO habe die Beklagte die Gehaltszahlungen nicht wirksam an den Schuldner geleistet, sodass sie zur (erneuten) Zahlung an die Insolvenzmasse verpflichtet sei und ihm als Insolvenzverwalter ein entsprechendes Forderungsrecht zustehe.

3

Die Beklagte ist der Auffassung, der vorliegende Rechtsstreit sei durch das ArbG Göttingen zu entscheiden. Sie bestreitet im Hinblick auf die Bestellung des Herrn Rechtsanwalt W als Sonderinsolvenzverwalter die Aktivlegitimation des Klägers, ist der Meinung, aufgrund des Schreibens des AG Göttingen v. 27.12.2005, das ihr durch den Schuldner zur Kenntnis gebracht worden sei, habe sie die Arbeitsentgelte befreiend an den Schuldner geleistet, und beruft sich schließlich im Hinblick auf die das Jahr 2007 betreffenden Arbeitsentgelte auf Verjährung.

4

II.

Für die mit der Klage verfolgten Ansprüche ist die ausschließliche Zuständigkeit der ArbG gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a), 3 ArbGG gegeben.

5

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Arbeitsentgelten zur Abgeltung der Tätigkeit des Schuldners in der Zeit v. April 2007 bis einschließlich Juni 2008 aufgrund des zwischen der Beklagten und dem Schuldner geschlossenen Arbeitsvertrags nebst Zusatzvereinbarung. Damit macht der Kläger einen Anspruch aus dem zwischen der Beklagten als Arbeitgeberin und dem Schuldner als Arbeitnehmer zustande gekommenen Arbeitsverhältnis geltend. Ein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) ArbGG ist dann berücksichtigungsfähig, wenn es z.Zt. der Klage besteht, zuvor bestanden hat oder aber begründet werden sollte. Hier bestand jedenfalls in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum v. April 2007 bis einschließlich Juni 2008 ein derartiges Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Schuldner.

6

Die Beklagte war Arbeitgebern i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, denn Arbeitgeber im Sinne dieser Vorschrift ist jeder, der zumindest einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 ArbGG beschäftigt (vgl. ErfK-Arbeitsrecht/ Koch, 11. Aufl. 2011, § 2 ArbGG und Nr. 14 sowie Matthes/Schlewing, in: Germelmann, ArbGG, 7. Aufl. 2009, § 2 Rn. 51 m.w.N. - jeweils zit. nach beck-online). Der Zuständigkeit der ArbG steht nicht entgegen, dass vorliegend der Kläger nicht direkter Vertragspartner der Beklagten aus dem vorerwähnten Arbeitsverhältnis und nicht selbst Arbeitnehmer i.S.d. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 5 ArbGG war. Denn es muss berücksichtigt werden, dass der Kläger als Insolvenzverwalter gem. § 80 Abs. 1 InsO ein umfassendes Verwaltungs- und Verfügungsrecht besaß, das ihn zu allen Maßnahmen berechtigte, die sich auf die Insolvenzmasse bezogen und die dem Insolvenzzweck zugutekamen, während der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen die materielle und verfahrensrechtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des dem Insolvenzbeschlag unterliegenen Vermögens verloren hat (vgl. allgemein Braun, InsO, 4. Aufl., § 80 Rn. 11 und 25 m.w.N.). Dabei gehört zur Insolvenzmasse nach § 35 Abs. 1 InsO auch der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens, zu dem u.a. auch die durch die Arbeitskraft des Schuldners erzielten Entgelte rechnen (vgl. Braun, a.a.O., § 35 Rn. 76 f. sowie 80 m.w.N.). Damit war der Kläger als Insolvenzverwalter auch berechtigt, evtl. ausstehende Arbeitsentgelts aus der Arbeitstätigkeit des Schuldners gegen den Arbeitgeber zur Masse geltend zu machen. In diesen Fällen ist der Insolvenzverwalter i.S.v. § 3 ArbGG kraft Gesetzes befugt, anstelle des Schuldners Ansprüche geltend zu machen. Dabei steht vorliegend der Annahme einer bürgerlichen Rechtstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Rechtsverhältnis nicht entgegen, dass die Beklagte das von dem Schuldner in dem hier fraglichen Zeitraum verdiente Arbeitsentgelt bereits ausgezahlt hat und der Kläger als Insolvenzverwalter, gestützt auf die Vorschriften der §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 82 Satz 1 InsO erneute Zahlung, und zwar zur Insolvenzmasse, verlangt und die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. maßgeblich davon abhängen dürfte, ob die Beklagte z.Zt. der Zahlung der Entgelte an den Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kannte i.S.v.§ 82 Abs. 1 Satz 1 InsO oder ob die - grds. andauernde - positive Kenntnis der Beklagten über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Kenntniserlangung von dem Inhalt des Schreibens des AG Göttingen v. 27.12.2005, gerichtet an den Schuldner, im Rechtssinne entfallen ist (vgl. zum Entfallen der positiven Kenntnis über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens LG Dresden, ZIP 2008, 935 f. [LG Dresden 02.11.2007 - 10 O 929/07]). Denn es geht nach wie vor um eine von der Beklagten als Arbeitgeberin geschuldete Arbeitsvergütung aus dem an früherer Stelle dargelegten Arbeitsverhältnis mit dem Schuldner. Auch ist zu beachten, dass bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis gegeben ist, kein restriktiver Maßstab anzulegen ist. So ist es ohne Bedeutung, auf welche Anspruchsgrundlage der Klageanspruch gestützt wird, solange nur eine enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis gegeben ist (vgl. GemS, Beschl. v. 27.9.2010 - GmS-OGB 1/09, abgdr. u.a. in ZIP 2010, 2418 f.). So ist bspw. wiederholt entschieden worden, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für eine Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO gegeben ist (vgl. dazu GemS, a.a.O.) oder auch dann, wenn gerichtlich ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Drittschuldner auf Abführung des verschleierten Teils des pfändbaren Lohnanspruchs gem. § 850a Abs. 2 ZPO geltend gemacht wird (vgl. ArbG Passau, Beschl. v. 26.6.2006 - 2 Ca 185/06 W, NZA-RR 2006, 541 f.), und zwar auch dann, wenn der Insolvenzverwalter im Wege der Drittschuldnerklage tätig wird (vgl. BAG, Urt. v. 12.3.2008 - 10 AZR 148/07, abgdr. u.a. in ZIP 2008, 979 f.; BAG, Urt. v. 22.10.2008 - 10 AZR 703/07, abgdr. u.a. in ZInsO 2009, 344 f. sowie LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.4.2009 - 11 Sa 97/08, zit. nach [...]). Eine enge Verknüpfung des der vorliegenden Klage zugrunde liegenden Lebensvorgangs mit dem zwischen der Beklagten und dem Schuldner zustande gekommenen Arbeitsverhältnis kann nach Auffassung des entscheidenden Einzelrichters bei der hier vorliegenden Klage auf Zahlung einer Arbeitsvergütung ebenfalls nicht verneint werden.

7

Gem. § 17a Abs. 2 GVG hatte der erkennende Einzelrichter daher nach Anhörung der Parteien von Amts wegen die Unzulässigkeit des bestrittenen Rechtswegs festzustellen und den Rechtsstreit an das gem. § 48 Abs. 1a ArbGG sowie § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 12 f. ZPO örtlich zuständige ArbG Göttingen zu verweisen.