Landgericht Göttingen
Beschl. v. 27.05.2010, Az.: 10 T 48/10
Obliegenheitsverletzung eines Insolvenzschuldners durch Einbehaltung pfändbarer Beträge und Nichtausgleich bestehender Rückstände
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 27.05.2010
- Aktenzeichen
- 10 T 48/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 35337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2010:0527.10T48.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 12.03.2010 - AZ: 74 IN 4/06
Rechtsgrundlagen
- § 4c Nr. 3 InsO
- § 4d Abs. 1 InsO
- § 6 InsO
- § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO
- § 296 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- DStR 2010, 12
- NZI 2010, 579-580
- NZI 2010, 6
- ZInsO 2010, 1247-1248
- ZVI 2011, 34-35
In dem Insolvenzverfahren
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht D. als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 23.03.2010
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 12.03.2010 - 74 IN 4/06 -
am 27.05.2010 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die dem Schuldner mit Beschluss vom 27.11.2008 bewilligte Stundung der Verfahrenskosten besteht fort.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
Mit Beschluss vom 22.10.2007 hat das Amtsgericht im vorliegenden Insolvenzverfahren dem Schuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt und die Laufzeit der Abtretung (Wohlverhaltensperiode) auf 6 Jahre, beginnend mit dem 10.03.2006, festgesetzt. Ferner hat es den Rechtsanwalt C. in Göttingen zum Treuhänder bestimmt. Dem Schuldner sind die Kosten des Restschuldbefreiungsverfahrens mit Beschluss vom 27.08.2009 gestundet. Der Schuldner geht einer Beschäftigung nach.
Bis Oktober 2008 wurden regelmäßig pfändbare Beträge an die Masse abgeführt.
Mit Schreiben vom 04.12.2009 hat der Treuhänder mitgeteilt, seit Oktober 2008 seien Pfändungsbeträge zur Insolvenzmasse nicht mehr regelmäßig realisiert worden. Für die Monate September und Oktober 2009 ergäben sich pfändbare Beträge in Höhe von 339,40 Euro und 416,40 Euro. Trotz mehrfacher Aufforderungen habe der Schuldner keine Zahlungen geleistet. Am 11.12.2009 zahlte der Schuldner auf die Rückstände einen Betrag von 200,00 Euro. Nach dem das Amtsgericht den Schuldner zur Stellungnahme aufgefordert hatte, hat er erklärt, er werde den geforderten Betrag in Raten à 150,00 Euro zahlen und damit Ende Februar 2010 beginnen. Der Schuldner hat die Raten nicht gezahlt. Das Amtsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 12.03.2010 die dem Schuldner bewilligte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Schuldner habe gegen die Obliegenheit des §295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verstoßen. Er habe pfändbare Beträge einbehalten und die bestehenden Rückstände nicht ausgeglichen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde. Er trägt vor, nach dem er im Rahmen der turnusmäßigen Gespräche dem Treuhänder berichtet habe, dass seine beiden Söhne ihre Ausbildung beendet hätten, seien die vom Treuhänder daraufhin geforderten höheren Beträge überraschend gekommen. Aufgrund eines Todesfalls in der Familie (Schwiegervater) habe man sich auch nicht hinreichend um die Zahlungen kümmern können. Darüber hinaus habe der Schuldner jedoch zu keinem Zeitpunkt den Treuhänder über seine Einkünfte oder die pfändbaren Bezüge getäuscht bzw. diese verheimlicht. Regelmäßig habe er beim Treuhänder vorgesprochen bzw. die Einkünfte dargelegt. Er sei jedoch bemüht, die Rückstände in monatlichen Raten zu tilgen. Nach dem der Schuldner innerhalb der ihm vom Amtsgericht gesetzten Frist bis zum 14.05.2010 die rückständigen Beträge nicht an den Treuhänder gezahlt hat, hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Insoweit hat das Amtsgericht ausgeführt, jedenfalls liege ein Verstoß gegen §4 c Nr. 3 InsO vor, der den Widerruf der Stundung rechtfertige.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß §§6, 4 d Abs. 1 InsO zulässig, sie ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, dem Schuldner ist weiterhin die Stundung der Kosten zu gewähren.
Zwar kann das Gericht schon in der Wohlverhaltensperiode die einem Schuldner gewährte Stundung der Verfahrenskosten nach §4 c Nr. 5 InsO aufheben, wenn zweifelsfrei ein Grund besteht, der den Schluss rechtfertigt, dass die Restschuldbefreiung letztlich versagt werden wird. Wenn sich herausstellt, dass der Schuldner die ihm auferlegten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nicht erfüllt und aufgrund dessen die Restschuldbefreiung nach §296 Abs. 1 InsO zu versagen ist, ist das Insolvenzgericht nicht verpflichtet, die Stundung weiter zu gewähren, um sie später aus einem Grund, der bereits im Stadium der Wohlverhaltensperiode vorliegt, wieder aufzuheben (LG Göttingen NZI 2008, 226).
Ein solcher Sachverhalt steht jedoch hier nicht zweifelsfrei fest. Der Schuldner hat gegen die in §295 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannte Obliegenheit nicht verstoßen. Nach dieser Vorschrift obliegt es dem Schuldner keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge zu verheimlichen. Demzufolge ist der Schuldner verpflichtet über seine Bezüge vollständig und lückenlos Auskunft zu erteilen, um den Treuhänder in die Lage zu versetzen die jeweils pfändbaren Bezüge festzustellen und einzuziehen. Der Verpflichtung zur Mitteilung der Bezüge ist der Schuldner nachgekommen. Zwar hat der Schuldner den pfändbaren Teil seines Einkommens nicht an den Treuhänder abgeführt, ein Verstoß gegen §295 Abs. 1 InsO liegt darin jedoch nicht (AG Göttingen NZI 2009, 616). Insbesondere erfüllt das Verhalten des Schuldners nicht den Tatbestand des Verheimlichens der von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge. Verheimlichen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet vielmehr, dass der Schuldner dem Insolvenzgericht oder dem Treuhänder die pfändbaren Bezüge nicht mitteilt. Ziel des §295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist es zwar, dem Treuhänder Kenntnis vom Einkommen und Vermögen des Schuldners zu ermöglichen, damit er den pfändbaren Teil zur Masse ziehen kann. Gleichwohl kann der vorliegende Sachverhalt, dass der Schuldner sämtliche Auskünfte über sein Einkommen erteilt, aber die daraus sich ergebenden pfändbaren Anteile nicht zur Masse abführt, nicht unter den Tatbestand des §295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gefasst werden. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht geregelt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den vorliegenden Fall, dass der Schuldner die von der Abtretung erfassten Bezüge nicht vollständig an den Treuhänder abführt, kommt nicht in Betracht, denn die Versagungsgründe sich in der Insolvenzordnung abschließend geregelt (vgl. insoweit BGH NZI 2010, 26 [BGH 22.10.2009 - IX ZB 249/08]; AG Göttingen NZI 2009, 616 [BGH 20.07.2009 - II ZR 273/07]).
Die Stundung der Kosten ist auch nicht nach §4 c Nr. 3 InsO aufzuheben. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Stundung aufheben, wenn der Schuldner länger als 3 Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrags schuldhaft in Rückstand geraten ist. Hier hat der Schuldner pfändbare Anteile seines Einkommens trotz entsprechender Aufforderungen des Treuhänders und Gerichts nicht an den Treuhänder abgeführt und die rückständigen Forderungen der Masse nicht ausgeglichen. §4 c Nr. 3 InsO erfasst jedoch nicht die an den Treuhänder abzuführenden pfändbaren Beträge (a.A. LG Berlin ZInsO 2007, 824). Vielmehr entspricht die Vorschrift §124 Nr. 4 ZPO. Gemeint sind deshalb nur solche Zahlungen, die dem Schuldner auferlegt werden können, wenn ihm die Restschuldbefreiung bereits erteilt und er zur Rückzahlung der gestundeten Kosten in der Lage ist (Uhlenbruck/Mock, Insolvenzordnung, 13. Aufl. §4 c Rdnr. 16).