Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.01.2004, Az.: 6 A 175/03

Beigebrauch; Betäubungsmittel; Beurteilungszeitpunkt; Drogenabhängigkeit; Drogenkonsum; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Heroin; Methadon; Methadonsubstitution

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.01.2004
Aktenzeichen
6 A 175/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50476
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei Heroinabhängigkeit bleibt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auch im Rahmen einer bereits langjährigen Methadon-Substitution ausgeschlossen, solange nicht durch geeignete Kontrollen nachgewiesen ist, dass seit zumindest einem Jahr jeglicher Beigebrauch psychoaktiver Substanzen unterlassen wird und auch die sonstigen von den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung genannten Voraussetzungen für eine positive Eignungsfeststellung vorliegen.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.

2

Die im Jahre 1972 geborene Klägerin wurde am 07.02.2000 von Polizeibeamten beobachtet, als sie in Wolfsburg etwa ein Gramm Heroin erwarb. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung am selben Tag gab die Klägerin zu ihrem Drogenkonsum an, sie habe mit 18 Jahren begonnen, gelegentlich Haschisch zu rauchen und konsumiere Heroin seit Vollendung ihres 20. Lebensjahres. Sie befinde sich seit 1998 im Methadonprogramm und konsumiere Heroin zur Zeit nur noch sehr unregelmäßig, etwa einmal im Monat.

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Wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilte das Amtsgericht Wolfenbüttel die Klägerin daraufhin mit Urteil vom 22.06.2000, rechtskräftig seit dem 30.06.2000, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung.

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Der davon unterrichtete Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 30.08.2000 auf, ihm zum Nachweis ihrer Eignung als Kraftfahrzeugführer bis zum 30.12.2000 ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Auf Bitten der Klägerin, die im Wesentlichen geltend machte, die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufbringen zu können, verlängerte der Beklagte die Frist bis zum 26.05.2001, binnen der die Klägerin die von der Begutachtungsstelle geforderten Kosten der Untersuchung indessen ebenfalls nicht einzahlte, sodass der Beklagte ihr Gelegenheit gab, zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis bis zum 22.06.2001 Stellung zu nehmen, was diese dazu nutzte, erneut ihre Bereitschaft zur Untersuchung zu erklären, später aber erneut geltend zu machen, dazu nicht die erforderlichen finanziellen Mittel zu haben.

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Unterdessen, am 25.06.2001, wurde die Klägerin von der Polizei nach entsprechender Beobachtung vorläufig festgenommen, weil sie für einen Freund insgesamt etwa 31 Gramm Marihuana geholt hatte, das sie zum Teil mit diesem konsumieren wollte. Wegen dieser Tat verurteilte das Amtsgericht Wolfsburg die Klägerin am 14.11.2001 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung.

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Mit Bescheid vom 23.11.2001 entzog der Beklagte ihr schließlich die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt), wogegen die Klägerin Widerspruch einlegte.

7

Im Zuge des Widerspruchsverfahrens stellte sich die Klägerin der vom Beklagten geforderten Untersuchung durch den verkehrsmedizinischen Dienst des TÜV Hannover/ Sachsen Anhalt e.V., die am 04.11.2002 in Braunschweig stattfand. In ihrem Gutachten vom 25.11.2002 kommt die Institutsärztin zu dem Ergebnis, dass die Klägerin, bei der am Untersuchungstag mittels Urintests neben Methadon-Metaboliten auch Cannabinoide festgestellt wurden, die zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen nötigen Voraussetzungen nicht erfülle, insbesondere weil sie nach wie vor neben Methadon auf den Beigebrauch von Cannabinoiden nicht verzichten könne oder wolle.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2003 wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch zurück.

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Mit der am 24.04.2003 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

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Sie habe seit 1998 keinerlei Heroin mehr zu sich genommen und sei bald vollständig drogenfrei; sie konsumiere Cannabis nur sehr selten. Der gelegentlich Konsum von Cannabis dürfe indessen nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 23.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 25.03.2003 aufzuheben.

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Der Beklagte verteidigt die ergangenen Entscheidungen und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des vorgelegten Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis (zwingend) zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach den Anlagen 4 oder 5 zu den §§ 11,13 und 14 FeV vorliegt, durch den die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV). Ein solcher Mangel entsteht regelmäßig mit der Einnahme von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG); allgemeine Besonderheiten gelten insoweit nur für die Einnahme von Cannabis (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verfügung, die die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, ist die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend. Danach liegende Umstände können sich erst in einem Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis auswirken (st. Rspr. seit BVerwGE 11, 334 <336>; Urteil vom 28. Oktober 1992 - BVerwG 11 C 29.92 - Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 14.08.2002 - 12 ME 566/02 - m. w. Nw.).

18

Auf dieser Grundlage ist die Fahrerlaubnis der Klägerin im Ergebnis zu Recht entzogen worden. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, seit Vollendung ihres 20. Lebensjahres Heroin (chem. Diacetylmorphin), ein Betäubungsmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 BtmG i.V.m. der zitierten Anlage I, konsumiert zu haben und davon abhängig geworden zu sein. Trotz ihrer anderslautenden Behauptung im Verwaltungsprozess sieht das Gericht ferner keinen Anlass an der Richtigkeit ihrer bei der verantwortlichen Vernehmung gegenüber der Polizei gemachten Angabe vom 07.02.2000 zu zweifeln, sie habe während der im Jahr 1998 begonnenen Methadon-Behandlung bis zum Vernehmungszeitpunkt weiterhin unregelmäßig, etwa einmal im Monat, Heroin gespritzt.

19

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass regelmäßig (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 Satz 1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV) schon die einmalige Einnahme von Heroin oder eines anderen von der Regelung in Nr. 9.1 der genannten Anlage 4 erfassten Betäubungsmittels die Annahme rechtfertigt, dass die konsumierende Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet (geworden) ist; insoweit ist nicht erforderlich, dass der Fahrerlaubnisinhaber unter der Wirkung des Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt hat (ebenso Nds. OVG, Beschlüsse vom 14.08.2002 - 12 ME 566/02, 17.05.2001 – 12 LA 352/02; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.05.2000 – 7 A 12289/99 -, ZfSch 2000, 418 f. <auch juris>, Beschwerde zurückgewiesen durch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.01.2001 – 3 B 144/00 - <juris>; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.11.2000 – 7 B 11967/00 -, DAR 2001, 183; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 2 StVG Rn 17; anderer Ansicht Bode in: Bode/Winkler, Fahrerlaubnis, 3. Aufl., § 3 Rn 180 f.). Im vorliegenden Fall liegt darüber hinaus nicht lediglich ein einmaliger, sondern mehrmaliger Konsum "harter" Drogen vor, der unstreitig auch in die Abhängigkeit geführt hat, die nach Nr. 9.3 der genannten Anlage 4 ebenfalls die Fahreignung ausschließt.

20

Nach den vom Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit herausgegebenen Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115, 6. Aufl., 2000) können nach einem solcherart begründeten Ausschluss der Fahreignung die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht. Ist – wie hier – Abhängigkeit festgestellt, ist ferner in der Regel eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung zu fordern, die stationär oder im Rahmen anderer Einrichtungen für Suchtkranke erfolgen kann. Ferner ist nach der Entgiftungs- und Entwöhnungszeit in der Regel eine einjährige Abstinenz durch ärztliche Untersuchungen nachzuweisen, die auf mindestens vier unvorhersehbar anberaumten Laboruntersuchungen binnen dieser Jahresfrist beruhen (aaO., S. 44).

21

Nichts wesentlich anderes ergibt sich im Falle einer Substitutionsbehandlung mit Methadon. Methadon ist selbst eine suchtbildende Substanz, die dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt (Anlage III Teil A zum Betäubungsmittelgesetz). Nach den bereits zitierten Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass derjenige, der als Heroinabhängiger mit Methadon substituiert wird, im Hinblick auf eine hinreichend beständige Anpassungs- und Leistungsfähigkeit unberechenbar ist und darum nicht die Voraussetzungen besitzt, ein Kraftfahrzeug zu führen. Eine positive Beurteilung soll jedoch möglich sei, wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen. Dazu gehören zumindest eine mehr als einjährige - regelmäßige - Methadonsubstitution, eine psychosozial stabile Integration, die Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen (einschließlich Alkohol) seit mindestens einem Jahr, die durch geeignete und zufällige Kontrollen (z.B. Urin, Haar) nachgewiesen ist, sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit, wobei in die Begutachtung des Einzelfalls das Urteil der behandelnden Ärzte einzubeziehen ist (aaO., S. 44; zur Fahreignung bei Methadonsubstitution vgl. auch OVG Berlin, Beschl. vom 12.07.1991 – 1 S 6.91; OVG Hamburg, Beschl. vom 06.12.1996 – Bs VI 104/96, NZV 1997, 247 [BVerwG 07.11.1996 - BVerwG 4 B 170.96]; Nds. OVG, Beschl. vom 15.03.1996 – 12 L 7149/95 – jew. m. w. Nw.; Beschl. vom 03.04.2000 – 12 M 1216/00).

22

Diesen Grundsätzen folgt auch das Gericht. Danach kann zu Gunsten der Klägerin ein Ausnahmefall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 Satz 1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV selbst bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des bemerkenswert lang andauernden Verwaltungsverfahrens nicht angenommen werden. Nicht zuletzt auf Grund des verkehrsmedizinischen Gutachtens vom 25.11.2002 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin auch bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 die zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen erforderlichen Voraussetzungen noch nicht wieder erlangt gehabt hat. Die Sachverständige hat in diesem Gutachten unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die genannten Begutachtungs-Leitlinien nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass schon die unverzichtbare Freiheit vom Beigebrauchs anderer psychoaktiver Substanzen, die seit mindestens einem Jahr bestehen müsse, nachweislich nicht gegeben sei, so dass aus verkehrsmedizinischer Sicht auch die zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen nötigen Voraussetzungen fehlen würden. Die am 04.11.2003 unter Sichtkontrolle durchgeführte Urinprobe habe Hinweise auf Cannabinoide ergeben und gezeigt, dass die Klägerin selbst kurz vor dem Untersuchungszeitpunkt und trotz der von ihr angegebenen finanziellen Problemen auf den Beigebrauch von Cannabis-Produkten nicht habe verzichten können oder wollen.

23

Ob die Klägerin mittlerweile die gebotene einjährige Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen eingehalten hat, die bei Erlass des Widerspruchsbescheides noch nicht vorhanden sein konnte, und ob auch genügend andere Umstände vorliegen, die nunmehr trotz der anhaltenden Substitutionsbehandlung eine positive Einschätzung der Fahreignung der Klägerin erlauben, ist in diesem Verfahren nicht zu klären. Auf den Nachweis einer hinreichenden Drogenabstinenz sowie der sonstigen Voraussetzungen für die Fahreignung wird es grundsätzlich - wie auch hier - erst im Rahmen eines Verfahrens zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis ankommen, wenn mit Blick auch auf Nr. 9.3 der genannten Anlage 4 zu klären ist, ob eine Entgiftung und Entwöhnung stattgefunden hat und eine grundsätzlich über ein Jahr lang durchgehaltene Abstinenz vorliegt, die so hinreichend gefestigt ist, dass ein Rückfall in den Drogenkonsum unwahrscheinlich ist (vgl. dazu auch Nds. OVG, Beschluss vom 14.08.2002 - 12 ME 566/02 - m. w. Nw.).

24

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

25

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer sowie des Nds. Oberverwaltungsgerichts in Verwaltungsstreitverfahren, die eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 betreffen.