Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.01.2004, Az.: 6 B 480/03

Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisprüfung; Neuerteilung; Verhältnismäßigkeit; Zweijahresfrist

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.01.2004
Aktenzeichen
6 B 480/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50477
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Nach dem Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlust der Fahrberechtigung ist nach § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV (früher: § 15c Abs. 2 Satz 3 StVZO) eine erneute Fahrerlaubnisprüfung ohne Ausnahme erforderlich; auf die Gründe für die Fristüberschreitung kommt es aus rechtlichen Gründen nicht maßgeblich an.

Tenor:

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Entscheidung ergeht insoweit gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. ,Die Antragstellerin erhielt im Jahre 1996 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3, die im Jahre 1999 auf die Klasse C1E umgestellt wurde. Am 23. August 2001 wurde die Antragstellerin im Rahmen eines strafgerichtlichen Verfahrens wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz als Zeugin richterlich vernommen. Hierbei gab sie an, seit zwei Jahren Heroin konsumiert und die Beschaffungsfahrten mit ihrem Pkw durchgeführt zu haben. Der Führerschein der Antragstellerin wurde deshalb noch am 23. August 2001 sichergestellt. Durch Urteil des Amtsgerichts Holzminden vom 21. Januar 2002 wurde der Antragstellerin wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 20 Fällen die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen. Für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis wurde vom Amtsgericht eine Sperrfrist von sechs Monaten verhängt.

2

Am 6. Juni 2003 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse BE. Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens unterzog sich die Antragstellerin zur Klärung der an ihrer Fahreignung bestehenden Zweifel einer medizinisch-psychologischen Untersuchung beim TÜV Nord. In dem Gutachten vom 21. August 2003, bei dem Antragsgegner eingegangen am 26. August 2003, kamen die Sachverständigen nach einer Untersuchung vom 31. Juli 2003 zu den Ergebnis, dass in Zukunft nicht mit der Teilnahme der Antragstellerin am Straßenverkehr unter dem Einfluss berauschender Mittel zu rechnen sei.

3

Ein von der Antragstellerin beizubringendes Führungszeugnis ging bei der Behörde am 28. August 2003 ein.

4

Entsprechend einer von den Sachverständigen angeratenen wiederholten Urinkontrolle bis zum Abschluss der weiteren ambulanten Behandlung der Antragstellerin gab der Antragsgegner ihr mit Verfügung vom 26. August 2003 auf, innerhalb eines halben Jahres drei derartige Drogenscreenings nachzuweisen. Unter dem 2. September 2003 teilte die Behörde der Antragstellerin überdies mit, dass die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis ein erneutes Ablegen der Fahrerlaubnisprüfung erfordere, weil seit der Abgabe des Führerscheins im Rahmen der Sicherstellung vom 23. August 2001 mehr als zwei Jahre verstrichen seien.

5

Bereits unter dem 28. August 2003 hatte die Antragstellerin von dem Antragsgegner gefordert, die Fahrerlaubnis ohne eine erneute Fahrerlaubnisprüfung und ungeachtet der in § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV normierten Frist von zwei Jahren zu erteilen, weil die Behörde dem TÜV Nord mit der Erteilung des Gutachtenauftrags als Ablauf der Zweijahresfrist unzutreffend den 30. August 2003 bezeichnet und deshalb die Fristüberschreitung verschuldet habe.

6

Am 5. Dezember 2003 hat die Antragstellerin außerdem beim Verwaltungsgericht um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie macht geltend, dass ihr die Fahrerlaubnis noch zeitgerecht ohne eine neue Fahrerlaubnisprüfung hätte erteilt werden können, wenn der Antragsgegner anders gehandelt hätte. Die Behörde müsse ihr deshalb abweichend von der Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV die Fahrerlaubnis ohne eine Fahrerlaubnisprüfung erteilen. Vorsorglich werde sie jedoch eine Fahrerlaubnisprüfung bei einer Fahrschule in Königslutter absolvieren.

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Die Antragstellerin beantragt,

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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über ihren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu entscheiden, ohne eine erneute Fahrerlaubnisprüfung zu fordern, und ihr für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er entgegnet:

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Der Antrag sei unzulässig, weil das Verfahren über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis noch nicht abgeschlossen sei. Dies beruhe darauf, dass der Behörde bisher nicht bekannt sei, ob die Antragstellerin ihren Neuerteilungsantrag zurücknehme oder eine Fahrerlaubnisprüfung ablege. Eine solche Fahrerlaubnisprüfung sei nach dem Ablauf von zwei Jahren seit der Beschlagnahme des Führerscheins notwendig. Hierauf könne nicht verzichtet werden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

14

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Infolgedessen ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht u.a. schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, um wesentliche Nachteile von dem Rechtsuchenden abzuwenden oder wenn eine solche Maßnahme aus anderen Gründen nötig erscheint. Sowohl die Dringlichkeit der begehrten Maßnahme als auch der geltend gemachte Anspruch sind glaubhaft zu machen. Hier fehlt es bereits an der Dringlichkeit der von der Antragstellerin angestrebten Entscheidung, weil sie ihr Ziel, eine alsbaldige Sachentscheidung über den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis, auch ohne gerichtliche Hilfe erreichen kann, insbesondere nachdem sie sich zum Ablegen der von dem Antragsgegner geforderten Fahrerlaubnisprüfung bereit erklärt hat.

16

Darüber hinaus sind keine durchgreifenden Gesichtspunkte dafür erkennbar, dass die Antragstellerin die Entscheidung der Behörde nicht zunächst hätte abwarten und anschließend im Rechtsbehelfsverfahren ihren rechtlichen Standpunkt hinsichtlich des Erfordernisses einer Fahrerlaubnisprüfung hätte klären lassen können. Unzumutbare und anders als mit der begehrten einstweiligen Anordnung nicht abwendbare Nachteile sind von der Antragstellerin weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich (vgl. hierzu: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 153 f.; VG Oldenburg, Beschl. vom 26.08.2003, 7 B 2994/03).

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Schließlich ist der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch nicht gegeben. Das in § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV (früher: § 15c Abs. 2 Satz 3 StVZO) vorgesehene Erfordernis einer erneuten Fahrerlaubnisprüfung, wenn – wie hier – mehr als zwei Jahre seit der Entziehung, vorläufigen Entziehung, Beschlagnahme des Führerscheins, einer sonstigen Maßnahme nach § 94 StPO oder dem Verzicht verstrichen sind, ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht abdingbar (BVerwG, Beschl. vom 22.02.1994, Buchholz, 452.16 § 15c StVZO Nr. 3; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, Beschl. vom 27.04.1994, 1 BvR 626/94). Dies hat die Kammer in der der Antragstellerin bekannten Entscheidung vom 19. Dezember 2001 (6 A 94/01) dargelegt. Diese Rechtsauffassung, die die Kammer bereits zu der inhaltsgleichen früheren Vorschrift des § 15c Abs. 2 Satz 3 StVZO vertreten hat (Urt. vom 12.05.1997, 6 A 61225/96), wird überdies von anderen Gerichten geteilt (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.07.1997, 12 L 3292/97; VGH München, Urt. vom 15.07.1994, NVZ 1995, 47; VGH Mannheim, Urt. vom 08.10.1991, NZV 1992, 87; VGH Kassel, Urt. vom 27.06.1989, VRS 79, 225; VG Saarlouis, Urt. vom 05.10.1998, ZfSch 1999, 542).

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Auf die Gründe, weshalb es zu der Fristüberschreitung gekommen ist, kommt es in diesem rechtlichen Zusammenhang nicht an. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Hinweis des Antragsgegners an die Untersuchungsstelle für Fahreignung, die Zweijahresfrist laufe am 30. August 2003 ab, für die innerhalb der Frist (die tatsächlich bis zum 23. August 2003 lief) unterbliebene Neuerteilung der Fahrerlaubnis ursächlich gewesen ist. Insoweit ist allerdings anzumerken, dass gemäß § 20 Abs. 1 FeV für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer vorangegangenen Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung maßgeblich sind. Diese Vorschriften sehen u.a. gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV das Einholen einer Auskunft aus dem Verkehrszentralregister sowie die Vorlage eines Führungszeugnisses durch den Fahrerlaubnisbewerber vor. Ein Führungszeugnis wurde von der Antragstellerin auch hier eingeholt und lag der Behörde erst am 28. August 2003, mithin nach Ablauf der Zweijahresfrist, vor.

19

Der Antrag ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Hinsichtlich der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht die Kostenentscheidung auf den §§ 1 Abs. 1 GKG, 166 VwGO und 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des in einem Verfahren zur Hauptsache anzunehmenden Wertes.