Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.01.1995, Az.: I 457/90

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
24.01.1995
Aktenzeichen
I 457/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 34216
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1995:0124.I457.90.0A

Fundstelle

  • EFG 1995, 408 (Volltext mit amtl. LS)

Tenor:

  1. Der Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1985 vom 15. Dezember 1989 und die Einspruchsentscheidung vom 11. September 1990 werden aufgehoben.

    Der Beklagte trägt die Kosten.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an die Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern diese nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Im Streit ist die Zulässigkeit einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen für die Vermögensteuerveranlagung auf den 1. Jan. 1985.

2

Die Klägerin (Kl'in.) K. K. hat zusammen mit ihrem Ehemann W. K. und den beiden Söhnen, den Klägern (Kl.) M. K. geb. am 16.04.1968 und F. O. geb. am 10.05.1970, am 28. Sept. 1983 eine Vermögensteuererklärung auf den 1. Jan. 1983 abgegeben. Die Vermögensteuer wurde mit Bescheid vom 28. März 1984 auf 0 DM festgesetzt. Der Ehemann W. K. ist am 24.10.1985 verstorben. Auf den nächsten Hauptveranlagungsstichtag, den 1. Jan. 1986, haben die Kl. ebenfalls eine Vermögensteuererklärung abgegeben. Sie wurden mit Bescheid vom 19.06.1987 zusammen zur Vermögensteuer veranlagt. Die Vermögensteuer wurde auf 8. 415 DM festgesetzt.

3

Kurze Zeit vor Ablauf des Kalenderjahres 1989 stellte das Finanzamt (FA) fest, daß eine Neuveranlagung auf den 1. Jan. 1985 nicht durchgeführt worden war. Zum 31.12.1989 lief die Festsetzungsfrist ab. Ausreichende Frist, von den Kl. noch eine Vermögensteuererklärung anzufordern, stand nicht mehr zur Verfügung. Das FA schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen und erließ am 15. Dez. 1989 einen Vermögensteuerbescheid für 1985, mit dem die Vermögensteuer auf 9. 355 DM festgesetzt wurde. Gegen diesen Bescheid richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, zu deren Begründung die Kl. ausführen:

4

Der 01.01.1985 sei kein Hauptveranlagungszeitpunkt. Deshalb habe für die Kl. keine Verpflichtung bestanden, von sich aus eine Erklärung auf den Neuveranlagungszeitpunkt 01.01.1985 abzugeben. Das FA hätte sie dazu auffordern müssen -; § 19 Abs. 1 Vermögensteuergesetz (VStG). Diese Aufforderung sei unterblieben. Die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 162 Abgabenordnung (AO) lägen nicht vor. § 162 AO sei kein Freibrief für eine Schätzung, durch die lediglich das Eintreten der Festsetzungsverjährung verhindert werden solle. Die Schätzung nach § 162 AO sei eine tatbestandsmäßig begrenzte Ausnahme von den allgemeinen Beweisregeln. Diese Beweisregeln für das Steuerrecht könnten durch die Schätzung nicht gänzlich ausgeschaltet werden. Die Kl. hätten ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen komme nur in Betracht, wenn das FA diese unter Hinzuziehung des Steuerpflichtigen nicht ermitteln oder berechnen könne.

5

Die Kl. beantragen,

den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Jan. 1985 vom 15. Dez. 1989 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Sept. 1990 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Der Beklagte trägt vor:

8

Er sei nach § 85 Satz 1 AO verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Zwar solle vor Erlaß eines Verwaltungsakts den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt werden. Davon könne jedoch abgesehen werden, wenn durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist -; z. B. der Eintritt der Festsetzungsverjährung -; in Frage gestellt werde -; § 91 Abs. 2 Nr. 2 AO. Die fehlende vorherige Anhörung der Kl. sei durch die im Einspruchsverfahren gegebenen Auskünfte geheilt. Folge man der Rechtsauffassung der Kl., so hätte dies zur Folge, daß die dem FA zur Festsetzung der Steuern gesetzlich eingeräumte Frist um mehr als einen Monat verkürzt werde. Diese Auffassung wäre ein Verstoß gegen § 85 Satz 1 AO.

9

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Vermögensteuerakten des FA Bd. I Bezug genommen.

10

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Gründe

11

Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen für die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 oder 2 AO liegen nicht vor.

12

Nach § 162 Abs. 1 AO hat das FA die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn es diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Die Vorschrift setzt Ermittlungshandlungen des FA voraus. Zwar bestimmt das FA Art. und Umfang der Ermittlungen -; § 88 Abs. 1 AO. Das bedeutet aber nicht, daß das FA Ermittlungen ganz unterlassen darf. So ist es hier. Das FA hat die Besteuerungsgrundlagen für die Neuveranlagung auf den 1. Jan. 1985 nach den Angaben in der Vermögensteuererklärung für den folgenden Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Jan. 1986 geschätzt. Ermittlungen zur Neuveranlagung auf den 1. Jan. 1985 fehlen.

13

Auch eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 AO kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift setzt voraus, daß der Steuerpflichtige keine ausreichenden Angaben macht oder Aufklärungen zu geben vermag. Die Schätzung ist insbesondere geboten, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere waren die Kl. nicht zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1. Jan. 1985 verpflichtet. Vermögensteuererklärungen sind auf jeden Hauptfeststellungszeitpunkt abzugeben. Für andere Veranlagungszeitpunkte hat eine Erklärung nur abzugeben, wer von der Finanzbehörde dazu aufgefordert wird -; § 19 Abs. 1 Vermögensteuergesetz (VStG). Der 1. Jan. 1985 war kein Hauptfeststellungszeitpunkt. Eine Aufforderung zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf diesen Stichtag ist nicht erfolgt. Die Kl. sind auch sonst nicht auf gefordert worden, Angaben, Aufklärungen oder Auskünfte zum Stichtag 1. Jan. 1985 zu geben. Der Vermögensteuerbescheid 1985 kam ohne Vorwarnung. Die Kl. haben sich vor Erlaß des Bescheides nicht geweigert, Auskünfte zu erteilen, Unterlagen vorzulegen.

14

Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist nach Aktenlage erfolgt, um vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Neuveranlagung zur Vermögensteuer auf den 1. Jan. 1985 noch durchführen zu können. Es war keine Zeit mehr, von den Kl. eine Vermögensteuererklärung anzufordern, weil den Kl. zur Abgabe eine Frist von mindestens einem Monat hätte eingeräumt werden müssen -; § 19 Abs. 4 Satz 3 VStG. Eine Schätzung ist nur zulässig, wenn der Tatbestand des § 162 AO erfüllt ist. Versäumnisse der Finanzbehörden rechtfertigen keine Schätzung.

15

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und 11 der Zivilprozeßordnung.

17

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.