Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.01.1995, Az.: II 200/93
Geltendmachung von Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten ; Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; Anforderung an die Höhe des Arbeitnehmerpauschbetrages
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.01.1995
- Aktenzeichen
- II 200/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 19591
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1995:0119.II200.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 EStG
- § 19 EStG
- § 12 EStG
Verfahrensgegenstand
Verpfl.mehraufwand bei Binnenschiffern
Einkommensteuer 1991
In dem Rechtsstreit
hat der II. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 19. Januar 1995,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger (Kl.) Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten geltend machen können.
Die verheirateten Kl. sind mindestens seit 1990 als Binnenschiffer nichtselbständig tätig, der Kl. als Schiffsführer, die Klägerin (Kl'in) als Bootsmann. Sie fahren gemeinsam auf einem bereits 1940 in Dienst gestellten Schiff. Auf dem Schiff steht ihnen ein Wohnbereich von 21 qm mit Wohnzimmer, Schlafgemach, Küche und Toilette zur Verfügung. In ihrer Freizeit halten sie sich, wenn möglich, in ihrem Haus in B. auf. Zum Haushalt in B. gehört noch die 1965 geborene Tochter, die als Verwaltungsangestellte tätig ist.
Im Streitjahr 1991 waren die Kl'in 316 Tage und der Kl. - wegen einer in B. auskurierten Erkrankung - 283 Tage mit dem Schiff unterwegs. Die Kl. waren 57 Tage im Heimathafen des Schiffes L. zum Be- und Entladen bzw. im Betriebssitz des Arbeitgebers in D. mit Büroarbeiten beschäftigt. In ihrer Einkommensteuererklärung 1991 machten die Kl. für die 316 bzw. 283 Tage die Pauschale für Verpflegungsmehraufwendungen nach Dienstreisegrundsätzen geltend. Der Beklagte (Bekl.) gewährte zunächst wenigstens die (geringere) Pauschale für Verpflegungsmehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung, verböserte aber im Einspruchsverfahren nach entsprechender Ankündigung den Bescheid dahin, daß, mit Ausnahme der Zeit der Erkrankung des Kl., überhaupt keine Verpflegungsmehraufwendungen berücksichtigt wurden. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kl. meinen weiterhin, bei ihren Fahrten mit dem Binnenschiff Dienstreisen unternommen zu haben. Daher stehe ihnen die Pauschale für Verpflegungsmehraufwand nach Dienstreisegrundsätzen in Höhe von 46 DM zu. Der Mittelpunkt des Lebensinteresses sei das Einfamilienhaus in B.. Da die Kl. mehr als 40 Tage mit fahruntypischen Tätigkeiten beschäftigt gewesen seien, seien der Heimathafen bzw. der Betriebssitz des Arbeitgebers als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen (Abschn. 37 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 Lohnsteuerrichtlinien 1990 - LStR 1990). Es gebe keinen vernünftigen Grund, im Fall der Kl. anders als bei Berufskraftfahrern keine Fahrtätigkeit im Sinne des Abschn. 37 Abs. 5 LStR 1990 anzunehmen. Die Ehefrau fahre nicht als Koch, sondern als Bootsmann mit. Aus diesem Grunde müßten bei Liegezeiten häufig Gaststätten aufgesucht werden. Die Werbungskosten der Kl. seien deshalb wie folgt zu berechnen:
Kl. | Kl'in | |
---|---|---|
bisher anerkannte Werbungskosten darin pauschaler Verpflegungsmehraufwand | 1.901 DM | 898 DM |
Fahrtage × 46,00 DM | 13.018 DM | 14.536 DM |
Summe | 14.919 DM | 15.002 DM |
Die Kl. beantragen,
die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit für den Kl. auf 14.919 DM und für die Kl'in auf 15.002 DM festzustellen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. meint, die Kl. hätten ihren Hausstand während ihrer gemeinsamen Fahrten auf dem Binnenschiff an Bord, Dort sei auch ihr Beschäftigungsort. Da sie sich vom Beschäftigungsort und Wohnort nicht entfernten, führten sie keine Dienstreisen aus. Bei gemeinsamer Fahrt der Kl. sei der Hausstand auf dem Schiff der Mittelpunkt des Lebensinteresses. Hausstand und Beschäftigungsort fielen daher im Streitfall nicht auseinander, so daß die Voraussetzungen der doppelten Haushaltsführung nicht erfüllt seien. Eine Fahrtätigkeit übten die Kl. als Binnenschiffer nicht aus, wie sich aus Abschn. 37 Abs. 5 Satz 3 LStR 1990 ausdrücklich ergebe.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die Klageschrift vom 03.05.1993 (Bl. 1-4 Gerichtsakte), den Schriftsatz vom 29.10.1993 (Bl. 26-27 Gerichtsakte) und die Klageerwiderung vom 27.08.1993 (Bl. 21-25 Gerichtsakte) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Kl. (§§ 9, 19 Einkommensteuergesetz - EStG) übersteigen den vom Bekl. angesetzten Arbeitnehmerpauschbetrag nicht. Der Bekl. ist zu Recht davon ausgegangen, daß den Kl. Pauschalen für Verpflegungsmehraufwand nach Dienstreisegrundsätzen nicht zustehen und Pauschalen nach den Grundsätzen der doppelten Haushaltsführung nur für die Zeit anzusetzen sind, in der die Kl'in ohne den Kl. mit dem Schiff unterwegs war.
1.
Den Kl. steht der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen nach Dienstreisegrundsätzen nicht zu. Allerdings können Arbeitnehmer, die vorübergehend auswärts, d.h. nicht in ihrer Wohnung oder an ihrer regelmäßigen Arbeitsstätte, tätig werden, unter bestimmten, hier nicht näher interessierenden weiteren Bedingungen ihre Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten abziehen. Statt eines Einzelnachweises der Aufwendungen können auch die in den LStR niedergelegten Pauschalen, im Streitjahr bei mehrtägigen Dienstreisen in Höhe von 46 DM (Abschn. 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 LStR 1990), in Anspruch genommen werden.
Selbst wenn man mit den Kl. davon ausgeht, daß die Kl. bei ihren Fahrten Dienstreisen im Sinne des Abschn. 37 Abs. 3 LStR 1990 ausführten, können Verpflegungsmehraufwendungen nicht steuermindernd berücksichtigt werden. Bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte ist nämlich nur für die ersten drei Monate eine Dienstreise anzuerkennen (Abschn. 37 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LStR 1990). Diese Drei-Monats-Frist war für die Kl. im Streitjahr 1991 bereits abgelaufen. Sie haben bereits 1990 auf dem Schiff ihren Dienst verrichtet.
Der von den Kl. herangezogene Vergleich mit den Berufskraftfahrern, die in einer ähnlichen Verpflegungssituation wie die Kl. seien und für die die Dienstreisefiktion bei Fahrtätigkeiten (Abschn. 37 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 LStR 1990) gelte, geht fehl. Die Dienstreisefiktion der LStR soll dem Umstand Rechnung tragen, daß ein Berufskraftfahrer, der mehrtägig unterwegs ist, eine Reisetätigkeit ausführt, bei der wegen der Verköstigung in Gaststätten ein erhöhter Verpflegungsmehraufwand anfallen wird. Diese für den Arbeitnehmer kostenträchtige Verpflegungssituation besteht jedoch dann nicht, wenn Arbeitnehmer, wie die Kl., auf ihrer fahrenden Arbeitsstätte wohnen und sich dort verpflegen können. Die Verpflegungssituation der Kl. ist daher mit der eines an einer auswärtigen ortsfesten Arbeitsstätte arbeitenden und dort die Woche über wohnenden Arbeitnehmers vergleichbar. Dann ist es auch geboten, die Dienstreisefiktion jedenfalls nach einer im Streitfall bereits vor dem Streitjahr abgelaufenen Übergangszeit von drei Monaten entfallen zu lassen. Die Anweisung in Abschn. 37 Abs. 5 Satz 3 Lohnsteuerrichtlinien 1990, wonach u.a. die Fahrten von Binnenschiffern nicht nach den Grundsätzen der Fahrtätigkeit zu beurteilen sind, erweist sich jedenfalls dann als zutreffend, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Arbeitnehmer auf dem Schiff eine Unterkunft haben (BFH-Urteil vom 21.01.1994 VI R 56/91, BStBl II 1994, 417 - "Fährschifferurteil").
Allerdings bestimmt Abschn. 39 Abs. 2 LStR 1990, daß für die Frage des Abzugs von Verpflegungsmehraufwendungen jede Fahrt für sich zu betrachten ist. Daraus kann aber für den Streitfall nicht geschlossen werden, daß nach Beendigung einer mehrtägigen Fahrt für die jeweils nächste mehrtägige Fahrt eine neue Dreimonatsfrist zu laufen begann. Diese Regelung kann von vornherein nicht für Schiffspersonal gelten, da sich die Verpflegungssituation auf dem Schiff, auf dem die Kl. eingesetzt waren, durch die Beendigung einer mehrtägigen Fahrt und den Beginn einer neuen mehrtägigen Fahrt nicht veränderte. Die Kl. konnten sich ihre Mahlzeiten auf dem Schiff selbst zubereiten, so daß sie gegenüber Arbeitnehmern mit ortsfesten Arbeitsstätten sogar im Vorteil waren.
Eine andere Entscheidung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Kl'in an Bord ihrer Berufstätigkeit nachgeht und damit nicht (regelmäßig) für den Kl. kochen kann. Wenn die Kl. deshalb, wie sie vortragen, häufig Gaststätten zum Essen aufsuchten, wären diese Aufwendungen nicht durch die auswärtige Tätigkeit der Kl., sondern durch die Berufstätigkeit der Kl'in. verursacht. Solche Mehraufwendungen, die ebenso bei berufstätigen Ehepaaren mit ortsfestem Arbeitsplatz anfallen, sind als Kosten der privaten Lebensführung nicht abzugsfähig (§ 12 EStG).
2.
Die Kl. können auch keine Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung zum Abzug bringen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
Zu den Mehraufwendungen, die bei doppelter Haushaltsführung - auch als Pauschale in Höhe von im Streitjahr 16 DM täglich (Abschn. 43 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 b LStR 1990) - berücksichtigungsfähig sind, gehören auch Verpflegungsmehraufwendungen. Dies wurde bislang damit gerechtfertigt, daß in der Wohnung am Lebensmittelpunkt hauswirtschaftliches Leben herrscht, der auswärts beschäftigte Arbeitnehmer mithin aus einer Verpflegungsgemeinschaft ausscheidet und die Verpflegung als Einzelperson teurer ist als diejenige in einer Gemeinschaft. Unter Änderung seiner langjährigen Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 05.10.1994 (VI R 62/90, DStR 1994, 1888) entschieden, daß es auf das hauswirtschaftliche Leben im Heimathaushalt nicht mehr ankomme, weil dieses Erfordernis ledige Arbeitnehmer in nicht zu rechtfertigender Weise benachteilige. Auch bei Ehegatten erfordere die doppelte Haushaltsführung nicht, daß eine Zurechnungsperson im Hausstand am Lebensmittelpunkt verbleibe (BFH-Urteil vom 06.10.1994 VI R 136/89, noch nicht veröffentlicht). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Von einer doppelten Haushaltsführung ist daher bereits dann auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Mittelpunkts seiner Lebensinteressen arbeitet und am Beschäftigungsort wohnt.
Mangels steuerlicher Auswirkung kann dahinstehen, ob eine doppelte Haushaltsführung für die Zeit anzuerkennen ist, in der die Kl'in ohne den Kl. auf dem Schiff gearbeitet hat. Für die Zeit indes, in der die Kl. gemeinsam auf dem Schiff gefahren sind, stehen ihnen die Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen nicht zu. Zwar liegt im Streitfall eine doppelte Haushaltsführung vor, weil der Haushalt in B. der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Kl. darstellt. Jedoch fehlt es an der weiteren Voraussetzung, daß die Verpflegungssituation am Beschäftigungsort, dem Schiff, bei typisierender Betrachtungsweise einen höheren Aufwand als üblicherweise erfordert. Diese zusätzliche Bedingung leitet der Senat aus den 1994 ergangenen BFH-Urteilen zu den Pauschalen für Verpflegungsmehraufwand bei eintägiger Abwesenheit (BFH-Urteile vom 21.01.1994 VI R 112/92, BStBl II 1994, 418; vom 21.01.1994 VI R 56/91, a.a.O.; vom 26.01.1994 VI R 118/89, BStBl II 1994, 529; vom 18.02.1994 VI R 65/92, BStBl II 1994, 532; vom 05.05.1994 VI R 6/92, BStBl II 1994, 534) ab. Sie enthalten den allgemeinen Grundsatz, daß die Berücksichtigung pauschaler Verpflegungsmehraufwendungen von der konkreten Verpflegungssituation abhängt, die der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort vorfindet. Es gibt keinen Grund, im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nach anderen Maßstäben zu entscheiden.
Im Streitfall fehlt es danach an der die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen rechtfertigenden Verpflegungssituation. Soweit die Kl. gemeinsam unterwegs sind, können sie sich weiterhin im Rahmen einer Verpflegungsgemeinschaft versorgen. Den höheren Aufwand für die Verpflegung als Einzelperson hat hingegen die Tochter zu tragen. Daß die Kl. an Bord nur einen Zwei-Personen-Haushalt führen und nicht mehr in einem Drei-Personen-Haushalt leben können, rechtfertigt den Abzug von Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen nicht. Die Verpflegungskosten des einzelnen innerhalb dieser beiden Haushaltstypen unterscheiden sich nicht nennenswert.
3.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der vorliegende Sachverhalt könnte Gelegenheit geben, die Bedeutung der Verpflegungsgemeinschaft im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nach der geänderten Rechtsprechung zu den Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen näher zu präzisieren.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.