Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.1995, Az.: XII 78/92
Einhaltung von Formvorschriften und Fristvorschriften bei Einreichung und Erhebung einer Klage
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.01.1995
- Aktenzeichen
- XII 78/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 17875
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1995:0118.XII78.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 1 FGO
- § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Fundstellen
- DStZ 1996, 92 (amtl. Leitsatz)
- EFG 1995, 895-896 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Gewinnfeststellung 1983
In dem Rechtsstreit
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18. Januar 1995,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der Klage.
In der Sache ist die Nachversteuerung des negativen Kommanditkapitals des Klägers streitig.
Beim Beklagten ging am 27. Dezember 1991 ein Schreiben ein, das an den Beklagten adressiert ist und als Absender den Kläger bezeichnet. Ferner ist die Steuernummer ... angegeben mit dem Zusatz: Einspruch. In dem Schreiben heißt es wörtlich: "Hiermit erhebe ich Einspruch gegen den Bescheid vom 26. November 1991. Ich werde Mitte Januar 1992 auf die Angelegenheit zurückkommen und Stellung nehmen." Das Schreiben ist von einer fremden Person mit dem Zusatz "i.A." unterschrieben worden.
Der Beklagte behandelte das Schreiben zunächst als Einspruch und teilte dem Kläger mit, daß ein Einspruch gegen den vermutlich gemeinten Einspruchsbescheid vom 26. November 1991 in der Gewinnfeststellungssache 1983 der ... GmbH & Co. KG nicht zulässig sei. Daraufhin erklärten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers gegenüber dem Beklagten, daß das Schreiben des Klägers vom 23.12.1991 eine beim Beklagten angebrachte Klageschrift sei. Der Beklagte übersandte die Vorgänge deshalb an das Finanzgericht.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger dieÄnderung des Gewinnfeststellungsbescheids 1983. Zur Zulässigkeit der Klage führt er aus, er habe mit seinem Schreiben fristgerecht eine Klage beim Beklagten angebracht, da die Klagefrist erst am 30. Dezember 1991 abgelaufen sei. Die Voraussetzungen des § 65 Finanzgerichtsordnung seien erfüllt. Das Schreiben bezeichne den Kläger als Absender und den Beklagten als Adressaten und gebe Datum und Steuernummer des angefochtenen Bescheides, also zugleich den Streitgegenstand an. Das Schreiben stelle damit eine Klageschrift dar, zumal aus dem Umstand der Übersendung als Einschreiben mit der Bezeichnung Einspruch erkennbar eine gerichtliche Überprüfung des genannten Bescheides gewollt sei. Die Klage stelle nämlich den einzigen zulässigen Rechtsbehelf dar.
Der Kläger beantragt,
den Anteil des Klägers an den Einkünften aus Gewerbebetrieb der ehemaligen ... GmbH & Co. KG für 1983 von 137.335 DM auf ./. 56.638,29 DM herabzusetzen und die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1983 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 26.11.1991 dementsprechend zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, eine Klage sei durch das Schreiben vom 23.12.1991 nicht wirksam erhoben worden. Aus dem Schreiben lasse sich nicht entnehmen, daß der Kläger habe Klage erheben wollen, da das Schriftstück durch eine fremde Person mit dem Zusatz "im Auftrag" unterschrieben worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Das Schreiben vom 23. Dezember 1991, eingegangen beim Finanzamt am 27. Dezember 1991, stellt keine Klage dar.
Eine Klage ist nach § 64 FGO schriftlich beim Gericht zu erheben. Die Frist für die Klageerhebung gilt jedoch auch als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde angebracht wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 47 Abs. 2 FGO).
Im Streitfall ist eine Klage innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO weder beim Finanzgericht erhoben noch beim Finanzamt angebracht worden. Die Klage ist ein formalisiertes und konkretisiertes Verlangen nach gerichtlichem Rechtsschutz (vgl. Urteil des BFH vom 07. Dezember 1977 II R 96/75, BStBl II 1978, 7). Aus der Rechtsbehelfsschrift selbst muß sich klar erkennen lassen, daß gerichtlicher Rechtsschutz begehrt wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Tz. 1).
Die Voraussetzung erfüllt der Schriftsatz vom 23.12.1991 nicht. Wird eine Willenserklärung eines Steuerpflichtigen an eine Verwaltungsbehörde gerichtet, so spricht dieser Umstand dafür, daß die Verwaltungsbehörde auch Adressat der Erklärung sein soll. Soll eine an das Finanzamt gerichtete Willenserklärung für einen anderen Empfänger bestimmt sein, so muß sich das aus der schriftlich verkörperten Erklärung ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1989 I R 67/85, BStBl II 1989, 88).
Hieran fehlt es bei dem Schreiben vom 23.12.1991. Nach dem Wortlaut des Schreibens hat der Kläger sich zwar mit einer Entscheidung des Finanzamts nicht einverstanden erklärt, jedoch lediglich Einspruch eingelegt. Dies deutet zunächst darauf hin, daß eineÜberprüfung im Verwaltungsverfahren erfolgen soll. Dafür spricht auch, daß der Kläger mitteilte, daß er auf die Angelegenheit Mitte Januar 1992 zurückkommen wolle, ohne klarzustellen, daß dies etwa gegenüber dem Finanzgericht geschehen sollte. Die Finanzbehörde mußte bei einer derartigen Formulierung des Schreibens folglich davon ausgehen, daß sie als Adressat des Schreibens noch nähere Erläuterungen erwarten durfte.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann das Schreiben auch nicht abweichend von seinem Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, daß mit dem Wort "Einspruch" tatsächlich eine Klage gemeint gewesen sei.
Zwar ist eine Willenserklärung der Auslegung zugänglich, wobei nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln ist, so daß es auf die richtige Bezeichnung eines Rechtsbehelfes nicht ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 06. Februar 1979 VII R 82/78, BStBl II 1979, 34).
Dies setzt jedoch voraus, daß ein derartiger Wille sich aus der verkörperten Erklärung anhand der erkennbaren Umstände entnehmen läßt. Dies ist nicht der Fall. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß ein Einspruch als möglicher zulässiger Rechtsbehelf ausschied und die Versendungsform darauf hinweist, daß dem Kläger daran gelegen war, die Absendung des Schreibens nachweisen zu können. Bei dem Schreiben kann es sich jedoch ebenso um einen Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gehandelt haben, da gemäß § 172 Abs. 1 Satz 2 AO ein derartiger Antrag auch nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung zulässig ist. Dafür spricht im verstärktem Maße, daß ein derartiger Antrag an die Finanzbehörde als richtigen Adressaten zu richten ist. Da eineÄnderung zugunsten des Steuerpflichtigen nur in Betracht kommt, wenn der Antrag innerhalb der Rechtsbehelfsfrist eingeht, läßt sich auch die Versendungsform durch Einschreiben erklären. Umstände, die zweifelsfrei erkennen lassen, daß eine gerichtliche Überprüfung begehrt wird, sind dem Schreiben vom 23.12.1991 nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.