Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.11.2011, Az.: L 7 AL 61/10
Arbeitslosigkeit; Arbeitszeit von mehr als 15 Wochenstunden; Durchschnittliche Arbeitszeit; Kompetenzstreit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.11.2011
- Aktenzeichen
- L 7 AL 61/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 45144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 21.04.2010 - AZ: S 7 AL 46/09
Rechtsgrundlagen
- § 119 Abs 3 SGB 3
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Arbeitsverträge bei der Deutschen Post als Sortierer mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 13 Stunden in der Woche schließen Arbeitslosigkeit aus, wenn regelmäßig Nacharbeit anfällt und an mehreren Wochen die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten wird.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. April 2010 aufgehoben.
Die Klagen werden abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit zweier Bescheide der Beklagten, mit denen einerseits die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Klägerin aufgehoben worden ist und die Klägerin andererseits zur Erstattung des zu Unrecht erbrachten Arbeitslosengeldes verpflichtet worden ist.
Unter dem 18. Juli 2008 schloss die Klägerin - nachdem sie die Beklagte am Tag zuvor persönlich über die „Kündigung ihres Arbeitsvertrages“ mit der J. (K.) zum 7. August 2008 informiert hatte (siehe Vermerk der Beklagten vom 17. Juli 2008 = Blatt 84 der Akte und das Schreiben der L. vom 26. Juni 2008 über das Ende eines befristeten Arbeitsvertrages vom 8. August 2006 = Blatt 429 der beigezogenen Leistungsakte [LA]) - mit der M. einen für die Zeit vom 21. Juli 2008 bis 16. August 2008 befristeten Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung mit einer „regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 13,00 Stunden“ ab (siehe Blatt 20 der Akte). Die Vertragspartner verlängerten das Arbeitsverhältnis mit Arbeitsvertrag vom 14. August 2008 für die Zeit vom 17. August 2008 bis 1. November 2008 (der Vertrag findet sich in der beigezogenen Personalakte der Klägerin) und weiterem Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2008 (= Blatt 21 der Akte) für die Zeit vom 2. November 2008 bis 31. Januar 2009. Eine dritte Verlängerung folgte mit dem Arbeitsvertrag vom 30. Januar 2009 (= nur in der Personalakte) für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 20. Juli 2010. Die Klägerin war als Sortiererin mit der Vorbereitung der Zustellung beim Zustellstützpunkt N. beschäftigt. Zuvor war sie zwei Jahre lang befristet bei der K. als Wachfrau beschäftigt gewesen (vergleiche Blatt 424 ff. LA).
Die Beklagte erfasste die Klägerin durch ihre persönliche Arbeitslosmeldung am 29. Juli 2008 mit Wirkung zum 8. August 2008 als arbeitslos und händigte ihr die Unterlagen zur Beantragung von Arbeitslosengeld aus (siehe Vermerke der Beklagten vom 29. Juli 2008 = Blatt 86 und Blatt 88 der Akte). Den ausgefüllten und unterzeichneten Antrag gab die Klägerin am 21. August 2008 bei der Beklagten ab (vergleiche Blatt 417 LA). In dem Antrag hatte sie unter Ziffer 2b angegeben, dass sie seit dem 21. Juli 2008 eine Tätigkeit als „Briefverteiler“ bei der O. mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 13 und einem voraussichtlichen Entgelt von netto 400,00 Euro im Monat ausübe. Die Klägerin bestätigte auf Blatt 3 des verwandten Vordrucks der Beklagten in einem drucktechnisch hervorgehobenen Textfeld mit einer gesonderten Unterschrift den Erhalt eines „Merkblatts 1 für Arbeitslose“ und dessen Kenntnisnahme. Mit Bescheid vom 22. August 2008 (= Blatt 28 der Akte) bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld gemäß § 117 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Zeit vom 8. August 2008 bis 6. August 2009 für die Dauer von 360 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsbetrag von 28,31 Euro.
Auf die von der Klägerin übersandten Bescheinigungen über Nebeneinkommen nach § 313 SGB III vom 30. September 2008 (= Blatt 443 LA; für September 2008), vom 10. Oktober 2008 (= Blatt 444 LA; für Oktober 2008) und vom 21. Oktober 2008 (= Blatt 442 LA; für August 2008) stellte die Beklagte Ermittlungen zu der wöchentlichen Beschäftigungszeit der Klägerin an (siehe Vermerk vom 5. November 2008 auf Blatt 445R LA). Mit Schreiben vom 5. November 2008 (= Blatt 447 LA) informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 8. August 2008 nicht erfüllt seien und deshalb zu prüfen sei, ob die Leistungsbewilligung aufzuheben ist und die zu Unrecht erbrachten Leistungen zu erstatten sind. Die Klägerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15. November 2008. Eine Stellungnahme der Klägerin ging bei der Beklagten am 13. November 2008 ein (= Blatt 451 LA). Darin führte die Klägerin sinngemäß aus, ihre Arbeitszeit läge bei 13 Stunden in der Woche. Der Stellungnahme lag eine Ablichtung des Arbeitsvertrages vom 31. Oktober 2008 bei (siehe Blatt 452 LA). Am 19. November 2008 erreichte die Beklagte die Bescheinigung über Nebeneinkommen nach § 313 SGB III vom 12. November 2008 für den Monat November 2008 (= Blatt 455 LA).
Mit Datum vom 19. November 2008 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 8. August 2008 auf (= Blatt 459 LA). Als Grund gab die Beklagte die Aufnahme einer Beschäftigung an; als Rechtsgrundlage nannte sie § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III. Mit weiterem Bescheid vom 19. November 2008 (= Blatt 461a LA) forderte die Beklagte die Klägerin zur Erstattung eines Betrages in Höhe von 2.378,04 Euro nach § 50 SGB X auf. Die Klägerin legte gegen beide Bescheide am 26. November 2008 Widerspruch ein (vergleiche Blatt 457 LA). Eine Begründung der Widersprüche erfolgte nicht. Die Beklagte wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2009 (= Blatt 468 LA) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld hätten am 8. August 2008 - dem Beginn des Leistungsbezugs - nicht vorgelegen, da die Klägerin am 21. Juli 2008 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, die deren Arbeitslosigkeit beseitigt habe. Nach § 45 Abs. 2 SGB X könne die Klägerin keinen Vertrauensschutz beanspruchen. In diesem Zusammenhang gab die Beklagte den Wortlaut von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X wieder. Die Klägerin habe die Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit rechtzeitig mitgeteilt. Folglich habe sie gewusst oder hätte zumindest wissen müssen, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld weggefallen seien. Das der Klägerin ausgehändigte Merkblatt enthalte verständliche Hinweise zu den Anspruchsvoraussetzungen und Mitteilungspflichten. Es liege somit grobe Fahrlässigkeit vor, weil die Klägerin die erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maße verletzt habe. Vertrauensschutz könne daher nicht beansprucht werden.
Die Klägerin hat am 27. Februar 2009 „gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.11.2008 … in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2009“ Klage bei dem Sozialgericht Lüneburg (SG) erhoben.
In der mit Schriftsatz vom 6. Juli 2009 (= Blatt 18 der Akte) überreichten Klagebegründung hat die Klägerin ausgeführt, dass sie sich „gegen die Bescheide vom 19.11.2008“ wende. Zwar habe sie eine Beschäftigung bei der O. aufgenommen, die wöchentliche Arbeitszeit habe allerdings weniger als 15 Stunden betragen, so dass sie als beschäftigungslos in dem von der Arbeitslosengeldbewilligung betroffenen Zeitraum gegolten habe. In den ersten beiden Wochen ab dem 8. August 2008 habe sie die Wochenarbeitszeit minimal wegen ihrer Einarbeitung überschritten. Sie sei auch gutgläubig gewesen. Die Beklagte ist den Begehren unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten. Die von der O. übersandten Übersichten zu den tatsächlichen Arbeitszeiten hätten ergeben, dass die Wochenstundenzahl allein in der Zeit bis zum 31. August 2008 in vier von sechs Wochen erreicht bzw. überschritten worden sei. Auch in der Folgezeit ab 1. September 2008 seien mehr als die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden geleistet worden. Die Beklagte hat hier exemplarisch auf die Zeiten der 39. und 40. Kalenderwoche (22. September bis 4. Oktober 2008) verwiesen (vergleiche Schriftsatz vom 30. November 2009 = Blatt 79 der Akte).
Das SG hat bei der O. zwei Auskünfte zu den Wochenarbeitszeiten der Klägerin eingeholt (siehe Schreiben der O. vom 20. Juli 2009 = Blatt 32 der Akte und vom 14. September 2009 = Blatt 44 der Akte, jeweils mit anliegenden Übersichten zu den Arbeitszeiten der Klägerin). Danach arbeitete die Klägerin zunächst als Stundenlöhnerin, bevor zum 1. September 2008 ein festes Monatsgrundgehalt für eine Wochenarbeitszeit von 13 Stunden vereinbart wurde. Die Arbeitszeit habe sich auf sechs Tage in der Woche verteilt; gearbeitet worden sei montags und dienstags von 06:00 Uhr bis 08:00 Uhr und mittwochs bis samstags von 05:45 Uhr bis 08:00 Uhr. Die Klägerin hatte ausweislich der vom Senat beigezogenen Personalakte in einer in anderem Zusammenhang abgegebenen Anzeige einer Nebentätigkeit (Arbeitnehmer) vom 31. Juli 2008 gegenüber der O. angegeben, dass sie von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr arbeite. Die Übersichten zur Zeiterfassung der O. weisen für die Zeit vom 1. September 2008 bis Mitte März 2009 beinahe durchgängig zuschlagspflichtige Arbeitszeiten der Klägerin von 05:30 Uhr bis 06:00 Uhr aus. Sie haben ferner Zeiten - meist - ab 08:00 Uhr erfasst. Die dazwischen liegenden zwei Stunden sind nicht ausgewiesen.
Das SG hat den Klagen mit Urteil vom 20. April 2010 (= Blatt 119 der Akte) stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Bescheide seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld lägen nicht vor, weil die Bewilligung nicht rechtswidrig gewesen sei. Anders als von der Beklagten angenommen, sei die Klägerin ab dem 8. August 2008 arbeitslos gewesen. Sie habe nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Ihre Tätigkeit bei der O. stehe der Annahme von Arbeitslosigkeit nach § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht entgegen, da ihre Arbeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich betragen habe. Bei der Beurteilung der Frage nach der Kurzzeitigkeit im Sinne von § 119 Abs. 3 SGB III käme es maßgeblich auf die Beschäftigungs- und nicht auf die Kalenderwoche an. Eine kurzzeitige Beschäftigung sei bei vorausschauender Betrachtungsweise zu bewerten, wobei es auf die Umstände zu Beginn der Beschäftigung ankomme. Abzustellen sei auf den Arbeitsvertrag und die bisherige Übung. Eine gelegentliche Abweichung liege vor, wenn diese nicht vorhersehbar sei und daher nicht regelmäßig auftrete. Zentraler Anhaltspunkt für die von der Klägerin zu leistende Arbeitszeit seien die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Darin seien jeweils 13 Wochenstunden vereinbart worden. Soweit eine Arbeitszeit vereinbart worden sei, käme es auf die tatsächliche Arbeitszeit, welche sich aus der Rückschau ergeben, nicht an, sofern keine konkludente Vereinbarung über eine Änderung des Arbeitsverhältnisses vorliege. Die tatsächliche Gestaltung der Arbeitszeit sei in der Folgezeit nicht erheblich von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen abgewichen. Innerhalb von 59 Beschäftigungswochen sei es lediglich zu zehn leichten Überschreitungen der Wochenstundengrenze aus § 119 Abs. 3 SGB III gekommen. Das entspreche weniger als einer Überschreitung pro Monat und sei deshalb als gelegentliche Abweichung zu werten. Anders als die Beklagte annehme, sei es nicht statthaft, den zusammenhängenden Zeitraum der Beschäftigung dergestalt zu teilen, dass in einzelnen Abschnitten sich eine Abweichung von mehr als einer Woche pro Monat ergebe. Für ein solches Vorgehen gebe es keinen rechtlichen Anhaltspunkt. Mit der Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheides entfalle auch die Grundlage des Erstattungsbescheides.
Die Beklagte hat gegen das ihr ausweislich des als Blatt 132a zur Akte genommenen Empfangsbekenntnisses am 29. April 2010 zugestellte Urteil am 25. Mai 2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 2. Juni 2010 (= Blatt 143 der Akte) begründet.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Der aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008 sei bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin ab dem 21. Juli 2008 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der O. nachgegangen sei und die Anspruchsvoraussetzungen deshalb wegen fehlender Arbeitslosigkeit nicht erfüllt gewesen seien. Für die Beurteilung der Kurzzeitigkeit einer Beschäftigung nach § 119 Abs. 3 SGB III komme es vorrangig auf die vertraglichen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung anknüpfe, an. Zentrales Ausgangselement für die insoweit geforderte prognostische Betrachtung des voraussichtlichen zeitlichen Umfangs der Beschäftigung sei zunächst die getroffene arbeitsvertragliche Vereinbarung. Die Klägerin habe bereits in den ersten drei Wochen den von der O. vorgelegten Aufzeichnungen zufolge die vereinbarte Arbeitszeit deutlich überschritten. Ihr Einwand, diese Überschreitungen seien auf die notwendige Einarbeitung zurückzuführen, verdeutliche lediglich, dass bereits von Anfang an eine Überschreitung der vereinbarten Wochenarbeitszeit vorhersehbar gewesen sei. Wenn die Vertragspartner dessen ungeachtet einen Arbeitsvertrag über 13 Wochenstunden abgeschlossen haben, sei ihnen bewusst gewesen, dass die vereinbarte Arbeitszeit während der Vertragslaufzeit bei Bedarf überschritten werden würde. Das Überschreiten der wöchentlichen Arbeitszeit sei der Klägerin bei der Abgabe ihres Antrages auf Arbeitslosengeld am 21. August 2008 auch bekannt gewesen. Entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung könne auch nicht auf die Gesamtbeschäftigungszeit der Klägerin abgestellt werden. Die Klägerin befand sich nicht in einem einheitlichen unbefristeten Beschäftigungsverhältnis, sondern in jeweils einzelnen durch Arbeitsvertrag befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Auch wenn die Beschäftigung nahtlos erfolgt sei, habe es sich um voneinander unabhängige Beschäftigungsverhältnisse gehandelt. Da die Frage der Kurzzeitigkeit einer Beschäftigung prognostisch zu klären und eine rückschauende Betrachtung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zulässig seien, könne damit auch nicht zulässig sein, sich später anschließende Beschäftigungsverhältnisse bzw. Vertragsverlängerungen in die Beurteilung mit einzubeziehen. Deshalb habe die Beklagte die einzelnen Beschäftigungsverhältnisse zutreffend gesondert betrachtet. Danach ergebe sich für das zweite Beschäftigungsverhältnis vom 17. August 2008 bis 1. November 2008 bei insgesamt drei der elf Kalenderwochen wiederum eine deutliche Überschreitung der Wochenstunden-grenze von 15 Stunden durch die Klägerin. Auch hierbei handele es sich nicht mehr um gelegentliche Abweichungen von kurzer Dauer. Das sich so ergebende Bild vertiefe sich noch bei der Betrachtung des dritten Zeitraumes vom 2. Novem-ber 2008 bis 31. Januar 2009. In den insgesamt 13 Kalenderwochen sei die Arbeitszeit an sieben Wochen überschritten worden.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. April 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Es habe bei 59 Beschäftigungswochen in zehn Wochen leichte Überschreitungen der Wochenstundengrenze gegeben. Dies sei als gelegentliche Abweichung zu werten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. November 2011 hat die Klägerin ausgeführt, dass zunächst an fünf Tagen in der Woche von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr gearbeitet worden sei. Einer der Werktage sei wechselnd ein freier Tag gewesen. Später sei dann eine Sechs-Tage-Woche eingeführt worden. In der ersten Zeit habe sie wegen Überlastung durch Postaufkommen bzw. durch Krankheiten länger gearbeitet. Die P. habe den Umfang der Tätigkeit bestimmt. Wenn Mehrarbeit verlangt wurde, dann wurde mehr gearbeitet. Die Klägerin hat erklärt, ihr sei bekannt gewesen, dass sie nicht länger als 15 Stunden in der Woche arbeiten darf.
Der für die beiden Schreiben an das SG zuständige Sachbearbeiter der O. hat dem Berichterstatter am 2. November 2011 fernmündlich (Vermerk vom selben Tage unter Blatt 161 der Alte) bestätigt, dass in den Belegsichten für die Zeit ab 1. September 2008 - neben den zuschlagpflichtigen Nachtarbeitszeiten (05:30 Uhr bis 06:00 Uhr) - lediglich die Arbeitszeiten der Klägerin erfasst worden sind, die über die im Dienstplan vorgesehene Arbeitszeit hinausgegangen sind. So habe die Klägerin beispielsweise am 4. September 2008 (dem Tag, der von der O. in den Belegsichten zur Erläuterung der Daten ausgewählt worden war [siehe Blatt 67 der Akte]) von 05:30 Uhr bis 08:20 Uhr gearbeitet.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Verfahrensakte, den Inhalt der von der O. beigezogenen Personalakte der Klägerin und den Inhalt der von der Beklagten beigezogenen Leistungsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das von ihr angefochtene Urteil des Sozialgerichts Lüneburg (SG) ist aufzuheben und die Klagen sind abzuweisen.
Die Beklagte hat zu Recht den Bescheid vom 22. August 2008, mit dem der Klägerin für die Zeit vom 8. August 2008 bis 6. August 2009 Arbeitslosengeld bewilligt worden ist, durch den Bescheid vom 19. November 2008 aufgehoben und von der Klägerin die Erstattung der überzahlten Leistungen in Höhe von 2.378,04 € mit weiterem Bescheid vom 19. November 2008 verlangt.
1. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung im Bescheid vom 22. August 2008 hatte auf der Grundlage von § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu erfolgen. Nach den genannten Vorschriften muss ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Der Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008 war bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig (hierzu lit. a)). Die Rechtswidrigkeit war der Klägerin infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (hierzu lit. b)).
a) Der Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008 war von Anfang an rechtswidrig, weil die Klägerin in dem Zeitraum, für den der genannte Bescheid Arbeitslosengeld gewährte (8. August 2008 bis 6. August 2009), die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nicht erfüllte.
Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2848) haben Arbeitnehmer - unter anderem dann - Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie - neben weiteren Voraussetzungen -arbeitslos sind. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit nach § 118 Abs. 1 SGB III verlangt neben dem Vorliegen von Arbeitslosigkeit, Nr. 1, dass sich der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet, Nr. 2, und dass er die Anwartschaftszeit erfüllt, Nr. 3, hat. Arbeitslos im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit), § 119 Abs. 1 Nrn. 1-3 SGB III in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003.
Arbeitslos ist danach nur, wer beschäftigungslos ist, vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Nicht jede Beschäftigung schließt indes die Arbeitslosigkeit aus. Die Ausübung einer Beschäftigung, selbstständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt, § 119 Abs. 3 SGB III.
Zwischen den Beteiligten wird allein über die Frage des Vorliegens von Beschäftigungslosigkeit im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der Person der Klägerin gestritten. Die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld liegen nach Ansicht der Beteiligten vor. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Einschätzung anzuzweifeln.
Die Antwort auf die Frage, wann eine Beschäftigung die zeitliche Grenze des § 119 Abs. 3 SGB III überschreitet, ist unter Heranziehung der von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Vorgängervorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) entwickelten Kriterien vorzunehmen (Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.2008 - B 11 AL 44/07 R = SozR 4-4300 § 118 Nr. 3 = juris Rz 16 [zu dem bis 31. Dezember 2004 geltenden § 118 SGB III unter ausdrücklicher Nennung des anschließend geltenden vergleichbaren § 119 Abs. 3 SGB III]; Urteil des Senats vom 30. April 2009 - L 7 AL 51/08 = juris Rz 18). Auch wenn die Regelungen in §§ 118, 119 SGB III den früheren Regelungen der §§ 101, 102 AFG nicht in vollem Umfang entsprechen, haben die schon zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze jedenfalls insofern weiterhin Gültigkeit, als bei der Bestimmung von Arbeitszeiten in Beschäftigungsverhältnissen vorrangig auf die getroffenen Vereinbarungen abzustellen ist. Letzteres war in § 102 Abs. 1 Satz 1 AFG in der bis zum 31. März 1997 geltenden Fassung in Form eines Grundtatbestandes ausdrücklich geregelt. Erst wenn eine Vereinbarung über die Arbeitszeit nicht bestand, war festzustellen, ob die Beschäftigung „der Natur der Sache nach“ kurzzeitig war. Heute sieht § 119 Abs. 3 Satz 1 HS. 1 SGB III diese Unterscheidung zwar nicht mehr vor, sondern stellt nur noch einheitlich auf die Ausübung einer weniger als die maßgebliche Anzahl von Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung ab. Dennoch hat sich in der Sache insoweit nichts geändert und kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden, wonach es für die Beurteilung der Kurzzeitigkeit einer Beschäftigung vorrangig auf die vertraglichen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung anknüpft, ankommt (zu Nachweisen dieser Rechtsprechung siehe Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.2008 - B 11 AL 44/07 R = SozR 4-4300 § 118 Nr. 3 = juris Rz 16). Dies entspricht auch der im Schrifttum vertretenen Ansicht (siehe beispielsweise Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, K § 119, Stand Lfg. 1/06, Rz 59 f.; Gutzler in Mutschler u. a., SGB III, 3. Auflage 2008, § 119 Rz 41 und 42; Steinmeyer in Gagel, SGB II/SGB III, § 119, Stand 42. Ergänzungslieferung 2011, Rz 69).
Das zugrunde gelegt, war die Klägerin am 8. August 2008, dem ersten Tag des Leistungsbezugs, nicht beschäftigungs- und damit nicht arbeitslos, so dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld durch den Bescheid vom 22. August 2008 bei dessen Erlass nicht vorgelegen haben.
aa) Die Klägerin meldete sich am 29. Juli 2008 bei der Beklagten mit Wirkung zum 8. August 2008 arbeitslos. Das ergibt sich aus dem hierüber von der Beklagten am 29. Juli 2008 gefertigten Vermerk (siehe Blatt 86 Akte). Bis einschließlich 7. August 2008 arbeitete die Klägerin noch auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages als Wachfrau bei der K.. Bereits am 21. Juli 2008 nahm die Klägerin eine Tätigkeit als Sortiererin bei der O. auf, wobei die Gleichzeitigkeit der beiden Beschäftigungsverhältnisse vorliegend keine Rolle spielt, denn die Klägerin meldete sich zwar am 29. Juli 2008 arbeitslos, jedoch erst mit Wirkung im Anschluss an das Ende eines der beiden Beschäftigungsverhältnisse (8. August 2008).
Die Klägerin war indes mangels Beschäftigungslosigkeit nicht arbeitslos gewesen. Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der O. auf der Grundlage des unter dem 18. Juli 2008 geschlossenen Arbeitsvertrages war nicht lediglich kurzzeitig im Sinne von § 119 Abs. 3 Satz 1 HS. 1 SGB III. Ob ein Beschäftigungsverhältnis kurzzeitig ist, ist zunächst den vertraglichen Vereinbarungen über die Arbeitszeit zu entnehmen. Maßgebend ist, welche Arbeitszeit vorausschauend vereinbart worden war. Für die insoweit anzustellende Prognose sind grundsätzlich die Merkmale und Umstände, wie sie bei Beginn der Beschäftigung vorliegen, maßgeblich; das gilt auch in den Fällen, in denen wie vorliegend über die Kurzzeitigkeit erst im Anschluss an einen längeren, bereits abgeschlossenen, Zeitraum entschieden wird (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 15.12.1999 - B 11 AL 53/99 R = juris Rz 16; Steinmeyer in Gagel, SGB II/SGB III, § 119, Stand 42. Ergänzungslieferung 2011, Rz 69). Ausreichend ist eine ungefähre Einschätzung, welche Arbeitszeit in der Woche nach dem Arbeitsvertrag oder der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten war (Steinmeyer in Gagel, SGB II/SGB III, § 119, Stand 42. Ergänzungslieferung 2011, Rz 70). Als kurzzeitig stellt sich die Beschäftigung somit dar, wenn sie nach den Vereinbarungen voraussichtlich auf weniger als 15 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen war.
Die Klägerin hatte bei einer solchen vorausschauenden Betrachtung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 18. Juli 2008 mit der O. keine lediglich kurzzeitige Beschäftigung vereinbart. Zwar ist in dem genannten Vertrag eine regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 13 Stunden genannt, doch ist der Senat insbesondere auf der Grundlage der Einlassungen der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung am 22. November 2011 zu der Einschätzung gelangt, dass diese Stundenzahl lediglich auf dem Papier eine Obergrenze des Beschäftigungsumfangs der Klägerin darstellte. Zu berücksichtigen ist dabei zunächst der Wortlaut der Vereinbarung, der auf eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit abstellt. Das Wort durchschnittlich macht deutlich, dass beide Seiten davon ausgingen, dass Abweichungen möglich sein können. Gegen eine lediglich kurzzeitige Beschäftigung spricht weiter, dass die Klägerin, wie sich aus der Auskunft der O. im Schreiben vom 14. September 2009 ergibt, während des gesamten Beschäftigungszeitraums des Vertrages vom 18. Juli 2008 - und darüber hinaus bis einschließlich 31. August 2008 - als so genannte Stundenlöhnerin eingestellt gewesen ist. Das bedeutete, dass sie nicht mit einem Monatsgrundgehalt für eine im Voraus bestimmte Arbeitszeit entlohnt wurde, sondern für die tatsächlich gearbeiteten Stunden. Beide Seiten müssen also davon ausgegangen sein, dass die Arbeitszeitangabe in dem Vertrag mit der Arbeitsleistung der Klägerin nichts zu tun haben wird: Entweder war man davon ausgegangen, dass die Klägerin innerhalb von 13 Stunden den Arbeitsanfall nicht wird bewältigen können oder es bestand die Annahme, die Arbeit werde für 13 Stunden nicht ausreichen. Letzteres kann aus drei Erwägungen heraus als unwahrscheinlich abgetan werden. Zum einen lag die tatsächliche Arbeitszeit während des ersten Beschäftigungszeitraums in drei von vier Wochen deutlich über der vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit und auch in der vierten Woche blieb sie mit 12,66 Stunden nur 20 Minuten unter der in der Vereinbarung angegebenen Stundenzahl. So arbeitete die Klägerin in der ersten Woche (30. Kalenderwoche: 21. Juli bis 26. Juli 2008) 16,83 Stunden, in der folgenden Woche (31. Kalenderwoche: 28. Juli bis 2. August 2008) 21,83 Stunden und in der anschließenden Woche (30. Kalenderwoche: 4. August bis 9. August 2008) 17,50 Stunden. Diese Überschreitungen können keinesfalls, wie von der Klägerin getan, als „minimal“ eingestuft werden. Selbst die geringste von ihnen bedeutet eine Mehrarbeit von rund 29 Prozent bezogen auf die im Arbeitsvertrag genannten 13 Wochenstunden. Zum anderen gab die Klägerin in einer in anderem Zusammenhang abgegebenen Anzeige einer Nebentätigkeit (Arbeitnehmer) vom 31. Juli 2008 gegenüber der O. an, dass sie von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr arbeite. Diese Angabe weicht zwar von der Auskunft der O. gegenüber dem SG im Schreiben vom 20. Juli 2009 ab, entspricht aber den Daten der Zeiterfassung für die Zeit ab 1. September 2008: Diesen zufolge hat die Klägerin bis Mitte März 2009 werktäglich von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr und damit zweieinhalb Stunden täglich und somit bei einer Fünf-Tage-Woche mindestens 12,5 Stunden die Woche gearbeitet. Schließlich ist während des zweiten Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin bei der O. das Entlohnungssystem von der Stundenlohnbasis auf das ansonsten bei der O. für länger als drei Monate Beschäftigte übliche Monatsgrundgehalt umgestellt worden. Damit verbunden war die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, auf dem die nicht mit dem Grundgehalt vergüteten Arbeitszeiten - und die zuschlagspflichtigen Arbeitszeiten - erfasst worden sind. Wäre nun die P. ernsthaft davon ausgegangen, die Tätigkeit der Klägerin erfordere keine durchschnittliche Arbeitszeit von 13 Stunden in der Woche, hätte sie gewiss keine Umstellung der Entlohnung auf Festgehaltsbasis für eine solche Stundenzahl vorgenommen. Auch hier zeigt die aufgelaufene Mehrarbeit im Übrigen eindrucksvoll, dass - bei einem Dienstplan mit einer Arbeitszeit von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr (dazu unten unter bb) mehr) - beinahe täglich Mehrarbeit zu leisten war. Es war nämlich so, dass die Klägerin - und mutmaßlich auch die anderen Sortierer - nach Belieben der O. Mehrarbeit zu leisten hatten. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese, wie von der Klägerin geschildert, infolge hohen Postaufkommens oder aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheiten von Mitarbeitern anfiel. In jedem Falle reagierte die P. durch längeren Einsatz des eingeteilten Personals und nicht durch Aktivierung einer Personalreserve. Sie konnte sich dabei auf die Einsatzbereitschaft der befristet eingestellten Klägerin verlassen.
Zu dieser flexiblen Reserve passt die Gestaltung der Arbeitsverträge: Die Klägerin wurde zunächst bis 31. August 2008 nach den tatsächlich gearbeiteten Stunden entlohnt. Mehrarbeit wurde dementsprechend also zusätzlich vergütet. Ab dem 1. September 2008 wurden die überobligatorisch geleisteten Zeiten auf einem Arbeitszeitkonto erfasst und später durch Freizeit ausgeglichen.
bb) Selbst wenn in der Abgabe der Unterlagen für den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld am 21. August 2008 eine weitere Arbeitslosmeldung gesehen wird, bliebe es bei dem gezeigten Ergebnis, weil die Klägerin auch zu diesem Zeitpunkt nicht beschäftigungslos war und deshalb keine Arbeitslosigkeit vorlag.
Am 21. August 2008 befand sich die Klägerin in einem weiteren Beschäftigungsverhältnis mit der O., dieses Mal auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 14. August 2008. Hier galten zunächst die gleichen vertraglichen Bedingungen wie unter dem vorausgegangenen Arbeitsvertrag vom 18. Juli 2008. Die hierzu angestellten Erwägungen (siehe oben aa)) gelten damit auch hier. Schon in der ersten Arbeitswoche vom 18. August bis 24. August 2008 (34. Kalenderwoche) arbeitete die Klägerin 13,25 Stunden und damit mehr als gegenüber der Beklagten angegeben. Bereits in der zweiten Woche überschritt die Arbeitszeit mit 19,75 Stunden deutlich die Kurzzeitigkeitsgrenze aus § 119 Abs. 3 Satz 1 HS. 1 SGB III. Anders als von dem SG in seinem Urteil angenommen, reduzierte sich die wöchentliche Arbeitszeit in der Folge also nicht. Die Annahmen des SG, wie sie in den Angaben zur Arbeitszeit im Urteil auf Seite 2 f. niedergelegt sind, beruhen auf einer unzutreffenden Auswertung der von der O. übersandten Belegsichten. Sie berücksichtigen nicht, dass infolge der Umstellung des Vergütungssystems fort von der Stundenentlohnung zum 1. September 2008 ein Arbeitszeitkonto für die Klägerin eingerichtet worden ist. In den Beleglisten ist deshalb für die Zeit ab 1. September 2008 - neben der zuschlagspflichtigen Arbeitszeit vor 06:00 Uhr - die von der Klägerin geleistete Mehrarbeit im Sinne einer Tätigkeit über den im Dienstplan niedergelegten Umfang hinaus erfasst. Der Dienstplan sah, wie aus den Beleglisten abgeleitet werden kann und wie die Klägerin im Termin auch bestätigte, eine werktägliche Arbeitszeit von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr vor. Dass die Klägerin bereits um halb sechs zu arbeiten begann, ergibt sich aus der Erfassung der Zuschlagszeiten bis 06:00 Uhr. Mehrarbeit ist jeweils erst - mit ganz wenigen Ausnahmen - für die Zeit ab 08:00 Uhr erfasst worden. Eine solche Arbeitszeit entspricht auch den Angaben der Klägerin in der bereits erwähnten Anzeige einer Nebentätigkeit (Arbeitnehmer) vom 31. Juli 2008. Die Arbeitszeit betrug in der 36. Kalenderwoche (1. September bis 6. September 2008) 14,41 Stunden bei fünf Arbeitstagen der Klägerin (5*2,5 Stunden laut Dienstplan zuzüglich Mehrarbeit an drei von fünf Tagen, am 1. September 2008 hat sie nicht gearbeitet), und nicht wie von dem SG angenommen 9,75 Stunden. In der folgenden 37. Kalenderwoche (8. September bis 13. September 2008) hat die Klägerin die ersten vier Tage gearbeitet, bevor sie, den Angaben Abwesenheit in der Belegsicht zufolge, krankheits-bedingt bis einschließlich 19. September 2008 ausfiel. Die Arbeitszeit summierte sich dennoch auf 10,75 Stunden (und nicht auf 5,25 Stunden wie vom SG ermittelt).
cc) Es handelte sich auch nicht um lediglich gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer, weil sie weder unvorhersehbar waren noch nicht regelmäßig wiedergekehrt sind. Die O. hatte die Klägerin zur Überzeugung des Senats auf dem Papier für 13 Stunden in der Woche eingestellt, diese aber je nach Bedarf jederzeit deutlich darüber hinaus eingesetzt. Die Klägerin war nach eigenen Angaben auch für die längere Arbeitszeit einsatzbereit.
dd) Es spielt keine Rolle, ob bezogen auf die gesamte Zeit des Arbeitslosengeldbezugs die Kurzzeitigkeitsgrenze im Durchschnitt möglicherweise nicht überschritten wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.2008 - B 11 AL 44/07 R = SozR 4-4300 § 118 Nr. 3 = juris Rz 17). Entscheidend ist allein, ob die Vereinbarung über die tatsächliche Wochenarbeitszeit von vornherein auf eine Überschreitung der Grenze von 15 Wochenstunden angelegt war.
b) Der Klägerin war die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides vom 22. August 2008 zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt, so dass Vertrauensschutzgesichtspunkte der Rücknahme nicht entgegenstanden.
Die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit setzt nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS. 1 SGB X ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten voraus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS. 2 SGB X. Vorausgesetzt wird dabei eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, das ist eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Anzulegen ist bei der Prüfung der groben Fahrlässigkeit ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (Bundessozialgericht, Urteil vom 24.04.1997 - 11 RAr 89/96 = juris Rz 21). Subjektiv unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hierbei sind auch die persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen (Bundessozialgericht, Urteil vom 06.03.1997 - 7 RAr 40/96, = juris Rz 26). Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis kann dem Betroffenen in der Regel vorgeworfen werden, wenn Hinweise oder Belehrungen, die die Behörde in beigefügten Merkblättern oder im Antragsformular deutlich und verständlich gegeben hat, nicht beachtet werden und die Aushändigung noch nicht zu lange zurücklag (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rz 57; Waschull in Diering u. a., SGB X, 3. Auflage 2011, § 45 Rz 45).
Die im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. November 2011 persönlich angehörte Klägerin hat zur Überzeugung des Senats in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt. Sie hat in ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld mit einer gesondert abgegebenen Unterschrift versichert, das „Merkblatt 1 für Arbeitslose“ erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Über die Auswirkungen einer die Kurzzeitigkeitsgrenze überschreitenden Beschäftigung auf den Arbeitslosengeldanspruch und die sie treffende Mitteilungspflicht wurde sie durch das überreichte „Merkblatt 1 für Arbeitslose“ hingewiesen. Dort heißt es auf Seite 13 unten:
„Sie müssen für den Bezug von Arbeitslosengeld beschäftigungslos sein. Sie sind beschäftigungslos, wenn Sie vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen. Beschäftigungslos sind Sie auch, wenn Sie nur eine weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung als Arbeitnehmer ... ausüben.“ [Hervorhebung im Original]
Auf Seite 14 heißt es weiter:
„Bei Aufnahme jeder Beschäftigung … prüft Ihre Agentur für Arbeit, ob die Arbeitslosigkeit und damit der Anspruch auf Arbeitslosengeld entfällt.
Der Anspruch entfällt also z. B., wenn die aufgenommene Beschäftigung … mind. 15 Stunden in der Kalenderwoche erfordert.“
Hieraus hätte die Klägerin - die im Termin der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt hat, von der Bedeutung der 15 Stunden Kenntnis gehabt zu haben - ohne Weiteres erkennen können: Die mit der O. geschlossenen Arbeitsverträge vom 18. Juli 2008 und 14. August 2008 überschritten die Kurzzeitigkeitsgrenze von 15 Stunden je Woche und deshalb war sie nicht beschäftigungs- und damit nicht arbeitslos. Soweit zugunsten der Klägerin angenommen werden könnte, dass sie die Kurzzeitigkeitsgrenze als Durchschnittswert verstanden hatte (dazu, dass dies eine unzutreffende Annahme wäre siehe dd)), wäre eine solche Annahme durch die Arbeitszeiten während der ersten Wochen bis 31. August 2008 widerlegt: Während dieser Zeit wurde nämlich jede Stunde vergütet, ein Ausgleich für Mehrarbeit durch Freizeit erfolgte erst infolge der Vergütungsumstellung zum 1. September 2008. Die Klägerin konnte also bei Antragstellung gar nicht davon ausgehen, dass die geleistete Mehrarbeit später „abgebummelt“ werden könnte, sie also im Ergebnis auf längere Sicht nur 13 Stunden in der Woche arbeiten würde.
Eine etwaige Unkenntnis der Klägerin von der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. August 2008 beruhte deshalb (zumindest) auf grober Fahrlässigkeit.
c) Die für die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld nach § 45 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 SGB X vorgeschriebenen Fristen sind eingehalten worden.
d) Da die in § 45 Abs. 1 SGB X genannten Voraussetzungen vorliegen, hatte die Beklagte gemäß § 330 Abs. 2 SGB III die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufzuheben. Eine Ermessensausübung ist nicht zulässig.
2. Es wirkt sich nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 19. November 2008 aus, dass die Beklagte diesen zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützt hat und erst im Widerspruchsbescheid § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X zur Anwendung gelangte. Der Austausch der Bescheidbegründung ist zulässig, weil vorliegend in beiden Varianten eine gebundene Entscheidung zu treffen war (vgl. Bundessozialgerichts, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R = FEVS 60, 546, 549 =juris Rz 14 ff.).
3. Der angefochtene Erstattungsbescheid vom 19. November 2008 ist gleichfalls rechtmäßig.
Die Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung des vom 8. August bis 31. Oktober 2008 zu Unrecht gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.378,04 € ergibt sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Höhe hegt der Senat nach eigener Prüfung nicht; von den Beteiligten sind insoweit auch keine Einwände vorgetragen worden.
Die erstattende Leistung ist wie in § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X vorgeschrieben schriftlich festgesetzt worden. Zwar war die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts, den Bescheid vom 22. August 2008, erbracht worden, und deshalb hätte die Festsetzung an und für sich mit der Aufhebung dieses Bescheides verbunden werden sollen, § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X, doch handelt es sich hier um eine Soll-Vorschrift, deren Verletzung die Klägerin nicht rügen kann (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.09.1997 - L 10 Ar 844/94 = juris Rz 18; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 50, Stand 70. Ergänzungslieferung 2011, Rz 46; Waschull in Diering u. a., SGB X, 3. Auflage 2011, § 50 Rz 56 f.).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da die Berufung der Beklagten Erfolg hat und die Klagen abzuweisen sind, die Klägerin also mit ihren Begehren nicht durchdringt, findet eine Kostenerstattung nicht statt.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.