Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 03.11.2011, Az.: L 11 SF 7/11 AB (SB)
Richterablehnung; Besorgnis der Befangenheit; Selbstentscheidung bei Rechtsmißbrauch
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 03.11.2011
- Aktenzeichen
- L 11 SF 7/11 AB (SB)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 35947
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1103.L11SF7.11AB.SB.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 6 SB 30/10
Rechtsgrundlagen
- Art 101 Abs. 1 S. 2 GG
- § 60 Abs. 1 S. 1 SGG
- § 42 ZPO
Redaktioneller Leitsatz
1. Bei einem untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch kommt eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters in Frage, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt.
2. Maßstab für den Rechtsmißbrauch der Befangenheitsablehnung ist, dass die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist.
Tenor:
Der am 12. Oktober 2011 beim Landesozialgericht gestellte Ablehnungsantrag des Klägers gegen Richter am Sozialgericht E., Sozialgericht Lüneburg, wird als unzulässig zurückgewiesen.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Ablehnungsgesuch wird abgelehnt.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2010, mit dem das Merkzeichen "Bl" (Blindheit), welches bei ihm zum 1. September 2009 anerkannt worden war, mit Wirkung für die Zukunft entzogen worden ist. Der Beklagte hatte seine Entscheidung auf ihm durch den Landkreis F. bekannt gewordene Tatsachen gestützt, wonach der Kläger seit dem Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "Bl" mehrfach einen Pkw geführt, Gartenarbeit verrichtet und Flohmärkte besucht haben soll.
Hiergegen hat der Kläger am 17. Februar 2010 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben. Mit Beschluss vom 13. August 2010 lehnte Richter am Sozialgericht E. den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) ab. Mit einem Befangenheitsantrag wendete sich der Kläger (vgl. Schreiben vom 24. August 2010 ggü. dem SG Lüneburg bzw. vom 21., 24. und 31. August 2010 ggü. dem Landessozialgericht - LSG) insbesondere gegen die aus seiner Sicht nicht ordnungsgemäß durchgeführte Sachaufklärung und Würdigung der vorliegenden Unterlagen auch im Rahmen der ablehnenden PKH-Entscheidung sowie im Zusammenhang mit den zurückgewiesenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren (vgl. Beschluss des SG vom 18. März 2010 - S 6 SB 29/10 ER - und vom 27. August 2010 - S 6 SB 132/10 ER). Nachdem die Akten nach durchgeführten erfolglosen Beschwerde- und Befangenheitsverfahren (vgl. Beschlüsse des LSG vom 11. Februar 2011 - L 10 SB 142/10 B ER, L 10 SF 5/10 AB (SB) und L 10 SF 6/10 AB (SB)) im Juni 2011 an das SG zurückgesandt worden waren, wandte sich der Kläger erneut mit einem Befangenheitsgesuch gegen den Richter am Sozialgericht E. an das SG (vgl. Schreiben vom 30. September 2011). Der Richter hörte den Kläger mit Verfügung vom 7. Oktober 2011 zum Erlass eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass er den im Schriftsatz vom 30. September 2011 enthaltenen Ablehnungsantrag für unzulässig halte und deshalb dem LSG nicht zuleiten werde. Mit einem an das LSG gerichteten Schreiben vom 11. Oktober 2011 (Eingang beim LSG am 12. Oktober 2011) hat der Kläger erneut beantragt, Richter am Sozialgericht E. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Er wendet sich sinngemäß - wie auch in dem gegenüber dem SG gestellten Befangenheitsantrag - gegen die aus seiner Sicht nicht ausreichende Sachaufklärung sowie Würdigung der vorhandenen Unterlagen. Wegen der weiteren Begründung zum Befangenheitsantrag wird auf die Schreiben des Klägers vom 11. und vom 17. Oktober 2011 verwiesen.
II. Das Befangenheitsgesuch ist unzulässig, weil das angerufene LSG nicht entscheidungsbefugt ist. Denn das SG hat vorliegend von seinem Recht Gebrauch gemacht, den Befangenheitsantrag des Klägers nicht dem LSG zur Entscheidung vorzulegen, weil es diesen als unzulässig erachtet. Insoweit ist für das sozialgerichtliche Verfahren anerkannt, dass abweichend von § 60 SGG i.V.m. § 45 Abs. 2 Zivilprozessordnung ein Spruchkörper ausnahmsweise unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen (mit)entscheiden darf, insbesondere wenn ein Befangenheitsgesuch als unzulässig bzw. missbräuchlich (z.B. wegen Wiederholung der Richterablehnung ohne neue Gesichtspunkte) anzusehen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Juni 2011 - L 3 AL 1568/11 NZB). Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass Richter am Sozialgericht E. diese zulässige und in seinem Ermessen stehende Verfahrensweise rechtsfehlerhaft gewählt hat. Erforderlichenfalls wird sich das LSG im Rahmen eines evtl. anschließenden Berufungsverfahrens mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob die instanzbeendende Entscheidung des SG zu Recht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters ergangen ist.
Die Gewährung von PKH für das Ablehnungsgesuch kommt nicht in Betracht, weil dies kein eigenständiges gerichtliches Verfahren darstellt (zum Anwendungsbereich von PKH: Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 73a Rdnr. 2b).
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde angefochten werden.