Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 03.11.2011, Az.: L 3 KA 104/10 B ER

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Schiedsspruch im Rahmen eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung; Befugnis einer Hausärztegemeinschaft zur Einleitung eines Schiedsamtsverfahrens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
03.11.2011
Aktenzeichen
L 3 KA 104/10 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 28131
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1103.L3KA104.10B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 24.09.2010 - AZ: S 1 KA 36/10 ER

Fundstellen

  • GesR 2012, 35-39
  • MedR 2012, 180

Redaktioneller Leitsatz

1. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Schiedsspruch im Rahmen eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung ist nur statthaft, soweit sich der Antragsteller gegen seine Pflicht zum Vertragsabschluss wendet. Soweit er die Rechtmäßigkeit einzelner inhaltlicher Bestimmungen des Schiedsspruchs bestreitet, ist vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren.

2. Eine Hausärztegemeinschaft ist zur Einleitung eines Schiedsamtsverfahrens befugt, wenn ihr mindestens 50% der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte im Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung angehören. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Auf die Beschwerden der Antragsgegner wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 24. September 2010 aufgehoben.

Die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 15. April 2010 werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert für das erstinstanzliche und das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Streitig ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entscheidung einer Schiedsperson nach § 73b Abs 4a S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

2

Nachdem Verhandlungen zwischen der Antragstellerin (Astin) und dem Antragsgegner (Ag) zu 2. über den Abschluss eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) gemäß § 73b Abs 1 und 4 SGB V gescheitert waren, bestimmte die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales der Freien Hansestadt Bremen mit Bescheid vom 28. August 2009 den Ag zu 1. als Schiedsperson iSv § 73b Abs 4a S 1 SGB V.

3

Seinem Schiedsspruch zur HzV vom 23. Dezember 2009 legte der Ag zu 1. als Ausgangsbasis einen Vollversorgungsvertrag nach dem Modell des Deutschen Hausärzteverbandes zugrunde, ergänzte diesen um einen Ausschluss von Kindern und Jugendlichen für die Teilnahme an der HzV (vgl hierzu ua § 3 Abs 1 S 1 des Vertrags) und entschied ferner, dass die Vergütungs- und Abrechnungsregelungen des Vertrags erst nach Abschluss einer Bereinigungsvereinbarung iSv § 73b Abs 7 SGB V in Kraft treten (vgl hierzu § 9 Abs 5 des Vertrags). Außerdem legte er im Leistungsverzeichnis des HzV für eine kontaktunabhängige Pauschale einen im Vergleich zum Angebot des Ag zu 2. um 5 Euro niedrigeren Vergütungswert fest.

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Die Astin hat am 15. April 2010 beim Sozialgericht (SG) Bremen unter dem Aktenzeichen S 1 KA 35/10 Klage gegen den Schiedsspruch erhoben und zusätzlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zum einen sei der Ag zu 2. nicht berechtigt gewesen, die Einleitung eines Schiedsverfahrens zu beantragen. Er erfülle nicht die Voraussetzungen einer Gemeinschaft iSv § 73b Abs 4 S 1 SGB V, weil er nicht mindestens die Hälfte der Allgemeinärzte des Bezirks einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) iSv § 73b Abs 4 S 1 "vertrete". Dieser Begriff beziehe sich auf ein Vertreten nach Maßgabe einer rechtsgeschäftlichen Stellvertretung (vgl hierzu § 164 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)), sodass die Gemeinschaft die vertretenen Ärzte bereits beim Vertragsschluss rechtsverbindlich in den Versorgungsvertrag einbeziehen können müsse. Die vom Ag zu 2. hierzu vorgelegten "Mandatierungen" entsprächen diesen Voraussetzungen nicht und seien darüber hinaus inhaltlich unzureichend.

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Zum anderen verletze der Schiedsspruch zwingende gesetzliche Vorgaben. Dem SGB V sei nicht zu entnehmen, dass eine HzV ausschließlich in Form eines Vollversorgungsvertrags zulässig sei. Außerdem sei die im Schiedsspruch vorgesehene Vergütung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot, dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität sowie den Vorgaben des § 53 SGB V nicht vereinbar. Der durch den Schiedsspruch festgesetzte Vertrag widerspreche zudem den gesetzlichen Vorgaben des Sozial- und Patientendatenschutzes.

6

Das SG hat mit Beschluss vom 24. September 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage in dem Verfahren S 1 KA 35/10 angeordnet. Die Festsetzung des Vertragsinhalts einer HzV durch die Schiedsperson sei als eine hoheitliche Regelung zu qualifizieren und stelle einen an die Vertragsparteien gerichteten Verwaltungsakt dar, dessen formelle und materielle Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfbar sei. Zwar hätten nach § 73b Abs 4a S 4 SGB V Klagen gegen die Festlegung des Vertragsinhaltes keine aufschiebende Wirkung; hiervon sei jedoch zugunsten der Astin abzuweichen, wenn - wie hier - ein überwiegendes Interesse für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung festzustellen sei.

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Hinsichtlich der im Schiedsspruch vorgesehenen Weitergabe von Abrechnungsdaten an externe Dienstleister gehe der Ag zu 1. offensichtlich von einem nicht die Laufzeit des HzV-Vertrags abdeckenden rechtlichen Sachverhalt aus. Hierzu ergebe sich aus der Präambel des Vertrags, dass die nach§ 295 Abs 1b SGB V grundsätzlich zulässige Weitergabe von Daten der HzV-Versicherten an Abrechnungsdienstleister über den 30. Juni 2010 hinaus zulässig bleibe. Tatsächlich sei diese Regelung über § 320 SGB V aber nur bis zum 1. Juli 2011 verlängert worden. Darüber hinaus habe der Ag zu 1. seinen Gestaltungsspielraum verkannt und gehe zu Unrecht davon aus, dass der Gesetzgeber mit der HzV ein neues Vollversorgungssystem habe schaffen wollen. Schließlich gebe es Anhaltspunkte dafür, dass der Schiedsspruch den Grundsatz der Beitragssatzstabilität verletzen könne.

8

Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 29. September 2010 an den Ag zu 1. bzw am 1. Oktober 2010 an den Ag zu 2.) wenden sich die Ag mit ihren am 26. Oktober 2010 bzw 28. Oktober 2010 fristgemäß eingelegten Beschwerden.

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Der Ag zu 1. ist der Auffassung, als Schiedsperson sei er keine Behörde und erlasse mit der Festlegung des Vertragsinhalts einer HzV auch keinen Verwaltungsakt. Daher sei er für das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Astin nicht passivlegitimiert.

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Der Ag zu 2. macht im Wesentlichen geltend, dass der Schiedsspruch - entgegen der Auffassung des SG - nicht gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoße. So sei die zeitliche Befristung in § 295 Abs 1b Sätze 5 bis 8 SGB V irrelevant, weil der Schiedsspruch den Vertragsparteien genügend Spielraum für datenschutzrechtliche Anpassungen lasse. Der Ag zu 1. habe auch seinen Gestaltungsspielraum als Schiedsperson nicht verkannt. Aus Wortlaut, Regelungsgehalt, Systematik sowie der Intention des Gesetzgebers ergebe sich, dass eine HzV nur in Form einer Vollversorgung zulässig sei. Im Übrigen handele es sich bei dem vom SG angesprochenen Gestaltungsspielraum der Schiedsperson der Sache nach nicht um ein Verwaltungsermessen, sondern um einen Beurteilungsspielraum. Es sei daher unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausreichend, dass der von der Schiedsperson festgesetzte Vollversorgungsvertrag die Grenzen des vom Gesetzgeber eingeräumten Beurteilungsrahmens nicht verletze. Der Schiedsspruch verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Dieser sei hier nicht anwendbar; im Übrigen habe die Astin eine Gefährdung dieses Grundsatzes nicht substantiiert dargelegt. Auch ansonsten sei ein überwiegendes Interesse zugunsten der Astin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nicht ersichtlich. Die Gefahr, dass die Astin im Falle der sofortigen Vollziehbarkeit des Schiedsspruchs zur Erhebung von Zusatzbeiträgen gezwungen sei, sei nicht gegeben. Zudem bewerte der Gesetzgeber die Probleme einer möglichen Rückabwicklung des Schiedsspruchs gegenüber dem Ziel einer möglichst raschen Umsetzung der HzV als nachrangig.

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Die Antragsgegner beantragen sinngemäß,

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den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 24. September 2010 aufzuheben.

13

Die Antragstellerin beantragt,

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1. die Beschwerden zurückzuweisen,

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2. hilfsweise, unter Abänderung des Beschlusses vom 24. September 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage in dem Verfahren S 1 KA 35/10 im Verhältnis zum Antragsgegner zu 2. anzuordnen,

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3. weiter hilfsweise, unter Abänderung des Beschlusses vom 24. September 2010 im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass der durch Schiedsspruch des Antragsgegners zu 1. festgesetzte Vertrag über die besondere hausärztliche Versorgung bis zur schriftlichen Bestätigung der Übereinstimmung des Vertrags mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben durch den Bremer Beauftragten für Datenschutz nicht umsetzbar ist,

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4. äußerst hilfsweise, unter Abänderung des Beschlusses vom 24. September 2010 den Schiedsspruch außer Vollzug zu setzen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, dass ihr vorläufiges Rechtsschutzbegehren nach § 86b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch insoweit zulässig sei, als sie sich gegen den vom Ag zu 1. festgelegten Vertragsinhalt der HzV wende. Dies ergebe sich aus § 73b Abs 4a S 4 SGB V, wonach Klagen gegen die Festlegung des Vertragsinhalts keine aufschiebende Wirkung zukomme.

19

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für den Erlass einer Sicherungs- bzw Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 SGG ebenfalls vor. Ein Anordnungsanspruch sei wegen des offensichtlich rechtswidrigen HzV-Vertrags gegeben. Hieran ändere sich auch nichts durch die Einführung der Regelung in § 295a SGB V durch das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vom 28. Juli 2011 (BGBl I S 1622, 1627). Da vorliegend für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs dessen Erlasszeitpunkt maßgeblich sei, sei die nachträgliche Änderung des § 295a hier unbeachtlich. Im Übrigen gehe der vom Ag zu 1. festgesetzte Schiedsspruch über den datenschutzrechlichen Rahmen zur Abrechnung erbrachter Leistungen bei HzV-Verträgen iS von § 73b SGB V hinaus. Schließlich liege auch ein Anordnungsgrund vor. Insbesondere das mit der hier offenkundigen Verletzung des Sozialdatenschutzes einhergehende Strafbarkeitsrisiko der an dem Vertrag teilnehmenden Ärzte sei ein wesentlicher Nachteil, der zu einem irreversiblen Vertrauensverlust führe. Zudem könne der vom Ag zu 1. festgesetzte HzV-Vertrag im Falle seines Vollzugs und eines späteren Obsiegens der Astin im Hauptsacheverfahren faktisch nicht mehr rückabgewickelt werden.

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II. Die Beschwerden der Ag zu 1. und 2. sind zulässig und begründet.

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Das SG hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15. April 2010 angeordnet.

22

1. Der Senat hat das Rechtsschutzbegehren der Astin - soweit sie den angefochtenen Schiedsspruch für rechtswidrig hält, weil die Voraussetzungen für die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V nicht vorgelegen hätten - gemäß § 123 SGG als einen statthaften und auch im Übrigen zulässigen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ausgelegt. Diese Regelung erfasst den einstweiligen Rechtsschutz bei Anfechtungsklagen nach § 54 Abs 1 S 1 SGG (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 86b Rn 24), was bei einer verständigen Würdigung auch dem Vorbringen der Astin entspricht. Diese strebt (in der Hauptsache) eine ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Schiedsspruchs an, der zumindest im Rahmen einer vorläufigen Betrachtung auch als ein Verwaltungsakt iS von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) anzusehen ist. Hierfür spricht, dass Festsetzungen in den im Wesentlichen gleichgelagerten Schiedsamtsverfahren (§ 89 Abs 1 SGB V) stets als hoheitliche Maßnahmen angesehen worden sind (vgl hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 4/09 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 56). Auch der Gesetzeswortlaut in § 73b Abs 4a S 4 SGB V, wonach "Klagen gegen die Bestimmung der Schiedsperson und die Festlegung des Vertragsinhalts (...) keine aufschiebende Wirkung" haben, deutet darauf hin, dass der gesetzlichen Konzeption die Vorstellung einer Verwaltungsaktqualität von Schiedssprüchen zur hausarztzentrierten Versorgung zugrunde liegt.

23

a) Der Antrag kann in der Sache aber keinen Erfolg haben. Entgegen der Auffassung der Astin bestehen nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Berechtigung des Ag zu 2., die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V zu beantragen. Insoweit kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, wer von den beiden Antragsgegnern für das anhängige Sozialgerichtsverfahren passivlegitimiert ist.

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b) Nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Über das "Ob" einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts abzuwägen ist (vgl hierzu Keller, aaO., § 86b Rn 12 ff mwN). Dabei überwiegen die Privatinteressen regelmäßig, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu einer unbilligen Härte für den Ast führen würde.

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Vorliegend hat die (Hauptsache-)Klage der Astin zwar keine aufschiebende Wirkung (vgl hierzu die Regelung in § 73b Abs 4a S 4 SGB V), derzeit bestehen aber weder ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vom Ag zu 2. eingeleiteten Schiedsverfahrens noch ist erkennbar, dass die Einleitung des Verfahrens zu einer unbilligen Härte für die Astin geführt hat.

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c) Rechtsgrundlage für die Einleitung eines Schiedsverfahrens zur flächendeckenden Sicherstellung einer hausarztzentrierten Versorgung ist § 73b Abs 4 S 2 iVm Abs 4a S 1 SGB V. Danach kann eine Gemeinschaft nach Abs 4 S 1 der Vorschrift einen Einleitungsantrag stellen, wenn eine Einigung über einen HzV-Vertrag nicht zustande gekommen ist. Nach dem Gesetzeswortlaut bestehen somit zwei Voraussetzungen für die Einleitung eines Schiedsverfahrens zur flächendeckenden Einführung der hausarztzentrierten Versorgung: Zum einen muss die antragsberechtigte Gemeinschaft "mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten"; zum anderen ist es erforderlich, dass sich die Parteien eines HzV-Vertrags zuvor nicht einigen konnten. Beide Voraussetzungen liegen hier vor.

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aa) Insbesondere bestehen keine Zweifel an der Berechtigung des Ag zu 2., ein Schiedsamtverfahren einzuleiten. Entgegen der Auffassung der Astin ist hierzu eine Hausärztegemeinschaft bereits befugt, wenn ihr mindestens 50% der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte im Bezirk einer KÄV angehören. Eine rechtsverbindliche Einbeziehung der Ärzte iS von § 164 Abs 1 BGB ist demgegenüber nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vertretungsregelung in § 73b Abs 4 S 1 SGB V.

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Mit der im Gesetz genannten Vertretungsquote will der Normgeber erreichen, dass nur solche Hausärztegemeinschaften als Vertragspartner der Krankenkassen auftreten, die neben den KÄVen in der Lage sind, eine möglichst flächendeckende HzV zu organisieren. Dabei zielt die Quote von 50% nicht auf eine verbindliche Teilnahmeverpflichtung der Ärzte, sondern auf eine möglichst weitreichende "Sicherstellung mit Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung" ab (so ausdrücklich die Begründung zur Beschlussempfehlung des Bundestags-Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks 16/10609, zu Nr 1f (§ 73b), S 53/54; vgl hierzu auch Huster, NZS 2010, S 69 ff). Eine Vertretung iS von § 73b Abs 4 S 1 wird daher durch den mit der Quote verbundenen hohen Mitgliederbestand einer Hausärztegemeinschaft und nicht durch die auf die Mitglieder bezogene rechtliche Bindungswirkung eines HzV-Vertrags bestimmt (so auch Orlowski, ZMGR 2009, 124, 127/128).

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bb) Hinzu kommt vorliegend, dass mehr als 50% der im Bezirk der beigeladenen KÄV Bremen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte den Ag zu 2. mit dem Abschluss eines HzV-Vertrags ausdrücklich beauftragt haben.

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Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der als Anlage HÄV 4 in diesem Verfahren vorgelegten Erklärung zur "Vertretung durch eine Gemeinschaft nach § 73b Abs 4 S 1 SGB V idF des GKV-OrgWG". Danach wird der Ag zu 2. bevollmächtigt, hausarztzentrierte Versorgungsverträge "zu verhandeln, diese abzuschließen und durchzuführen." Eine Relativierung dieser Vollmachtserklärung - wie sie die Astin anhand der Begleitumstände unterstellt - ist hingegen nicht ersichtlich. Zwar trifft es zu, dass der Ag zu 2. seine Mitglieder vor Abgabe der Vollmachtserklärung schriftlich darauf hingewiesen hat, ihnen stehe unabhängig davon die Teilnahme an dem auszuhandelnden hausarztzentrierten Versorgungsmodell frei. Dieser Hinweis wirkt sich jedoch auf den Umfang der Vollmachtserklärung nicht aus, da er sich (nur) auf die quotenbezogene Vertretungskonzeption in § 73b Abs 4 S 1 SGB V bezieht, wonach es den teilnahmeberechtigten Hausärzten - wie auch den Versicherten nach § 73b Abs 3 S 1 SGB V - vorbehalten bleibt, erst nach Vorlage des hausarztzentrierten Versorgungskonzepts über eine Beteiligung hieran zu entscheiden. Aus dem gesetzlich normierten Prinzip der (Teilnahme-)Freiwilligkeit aber kann eine Beschränkung der HzV-Vertragspartner zum Abschluss eines hausarztzentrierten Versorgungsvertrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt hergeleitet werden.

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cc) Kommt - wie hier - mangels Einigung der Vertragsparteien kein hausarztzentrierter Versorgungsvertrag zustande, kann die beteiligte Hausärztegemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V beantragen. Anhaltspunkte dafür, dass dies vorliegend für die Astin zu einer unbilligen Härte geführt hätte, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

32

Damit liegen die Voraussetzungen dafür, die von der Astin begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 15. April 2010 anzuordnen, nicht vor.

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2. Soweit die Astin darüber hinaus den angefochtenen Schiedsspruch inhaltlich beanstandet, kann dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren nur im Rahmen einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung iS von § 86b Abs 2 S 2 SGG entsprochen werden. Denn nach der gesetzlichen Konzeption im SGB V obliegt es allein der Schiedsperson (und nicht den Sozialgerichten), den angefochtenen Schiedsspruch neu festzulegen, soweit er mit den gesetzlichen Rahmenvorgaben zur hausarztzentrierten Versorgung nicht in Einklang steht (stRspr zu den im Wesentlichen gleichgelagerten Schiedsamtverfahren nach § 89 Abs 1 SGB V, zuletzt bestätigt durch BSG, Urteil vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 4/09 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 56). Im Hauptsacheverfahren sind die inhaltlichen Einwendungen der Astin daher durch ein Anfechtungs- und Neubescheidungsbegehren nach § 54 Abs 1 iVm § 131 Abs 3 SGG geltend zu machen. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren hat dies nach § 86b Abs 2 S 1 SGG ("Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, (.)") regelmäßig zur Folge, dass einstweiliger Rechtsschutz durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gewährt werden kann (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 86b Rn 24). Eine Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens darauf, ggf nur die aufschiebende Wirkung einer Klage in der Hauptsache nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG anzuordnen, kommt demgegenüber hier nicht in Betracht. Dies hätte nämlich zur Folge, dass einer der Vertragspartner eines hausarztzentrierten Versorgungskonzepts zumindest vorläufig nicht an die inhaltlichen Festlegungen der Schiedsperson nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V gebunden wäre. Dies ist - wie im Folgenden noch dargelegt wird - mit dem in § 73b Abs 4 S 1 SGB V normierten Kontrahierungszwang nicht zu vereinbaren. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) ist es daher schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren uU erforderlich, die Hauptsache vorwegzunehmen und die Schiedsperson zu einer vorläufigen Neufassung seines Schiedsspruchs zu verpflichten, wenn wesentliche Nachteile der Vertragsparteien eines HzV-Vertrags nicht anders abgewendet werden können (aA Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. August 2011 - L 5 KA 1601/11 ER-B - juris).

34

Dem steht auch die Regelung in § 73b Abs 4a S 4 SGB V nicht entgegen. Zwar haben danach "Klagen gegen (...) die Festlegung des Vertragsinhalts (...) keine aufschiebende Wirkung." Hieraus kann - entgegen der Auffassung der Astin - aber nicht abgeleitet werden, dass dem hier in der Hauptsache geltend gemachten Anfechtungs- und Neubescheidungsbegehren nach § 54 Abs 1 iVm § 131 Abs 3 SGG (gerichtet auf eine Neufassung des Vertragsinhalts durch die Schiedsperson) im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durch die sozialgerichtliche Anordnung einer aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG entsprochen werden muss. Das ergibt sich aus der Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck der Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung in § 73b SGB V unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung.

35

a) Nach den gesetzlichen Vorgaben in § 73b Abs 1 SGB V haben die Krankenkassen "ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten." Die Regelung zur HzV ist ursprünglich mit dem GKV-Modernisierungsgesetz ((GMG) vom 14. November 2003, BGBl I S 2190) in das SGB V eingeführt und im Anschluss durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ((GKV-WSG) vom 26. März 2007, BGBl I S 378), das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung ((GKV-OrgWG) vom 15. Dezember 2008, BGBl I S 2426) und das Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ((GKV-FinG) vom 22. Dezember 2010, BGBl I 2309) modifiziert bzw konkretisiert worden.

36

Ausweislich der Begründung zum GMG wollte der Gesetzgeber die Krankenkassen mit der hausarztzentrierten Versorgung zur Bereitstellung einer qualitativ besonders hochstehenden hausärztlichen Versorgungsalternative verpflichten (vgl hierzu BT-Drucks 15/1525, zu Nr 49 (§ 73b), S 97). Hierfür legte er im GKV-WSG die inhaltlichen Voraussetzungen einer HzV fest und löste die zu schließenden Versorgungsverträge aus dem (Gesamtvertrags-)Kollektivsystem der KÄVen und den Verbänden der Krankenkassen heraus. Ferner wurde mit dem GKV-OrgWG die anfangs noch bestehende Auswahlfreiheit der Krankenkassen, beim Abschluss von HzV-Verträgen zwischen verschiedenen Vertragspartnern auszuwählen, durch einen Kontrahierungszwang mit den Hausarztgemeinschaften ersetzt, die mindestens 50% aller an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte eines KÄV-Bezirks vertreten. Zusätzlich verpflichtete der Gesetzgeber die Krankenkassen im Rahmen einer Stichtagsregelung dazu, bis zum 30. Juni 2009 mit solchen Gemeinschaften allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen HzV-Verträge abzuschließen. Ggf war der Vertragsinhalt im Rahmen eines Schiedsverfahrens festzulegen. Durch diese (Neu-)Regelungen sollte das Verhandlungsmandat der Hausarztgemeinschaften gestärkt und eine flächendeckende Sicherstellung mit HzV-Verträgen erreicht werden (vgl hierzu BT-Drucks 16/10609, zu Nr 1f (§ 73b), S 53/54). Schließlich wurde mit dem GKV-FinG die Geltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V) auf HzV-Verträge ausgeweitet und sichergestellt, dass über die hausärztliche Versorgung in § 73 SGB V hinausgehende Leistungen durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen zu finanzieren sind (vgl hierzu BT-Drucks 17/3040, zu Nr 5 (§ 73b), S 22/23).

37

b) Diesen gesetzlichen Vorgaben liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, dass den Versicherten unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ein flächendeckendes Angebot an HzV-Verträgen zu unterbreiten ist. Flankierend hierzu ergibt sich aus der Stichtagsregelung in§ 73b Abs 4 S 1 SGB V und der Einführung eines antragsgestützten Schiedsverfahrens in § 73b Abs 4a SGB V, dass hausarztzentrierte Versorgungskonzepte ohne weitere Verzögerungen als Alternative zum Kollektivsystem bereitzustellen sind. Dieses im Gesetz selbst angelegte Verfahren zur Sicherstellung einer flächendeckenden hausarztzentrierten Versorgung würde ausgehöhlt, wenn die Vertragspartner der HzV-Verträge deren Umsetzung in vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren blockieren könnten, weil sich nach einer summarischen Prüfung uU ein einzelner Bestandteil eines umfangreichen Versorgungskonzepts als rechtswidrig erweist. Da nach der Gesetzesbegründung die Regelung in § 73b Abs 4 S 4 SGB V aber gerade zu einer möglichst raschen Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots an HzV-Verträgen eingeführt worden ist (vgl hierzu BT-Drucks 16/10609, zu Buchstabe c (§ 73b), S 54), kann aus deren Wortlaut nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von der dargelegten Regelungskonzeption in § 86b SGG abweichen wollte. Hierfür wäre eine klare gesetzliche Regelung mit einem expliziten Bezug auf die Vorschriften zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im SGG erforderlich gewesen; eine solche besteht jedoch nicht.

38

c) Der so verstandene Antrag der Astin - gerichtet auf eine vorläufige Verpflichtung der Schiedsperson, den festgelegten Vertragsinhalts der hausarztzentrierten Versorgung teilweise neu zu fassen - kann in der Sache ebenfalls keinen Erfolg haben. Daher kann auch hier dahingestellt bleiben, wer von den beiden Antragsgegnern für das anhängige Sozialgerichtsverfahren passivlegitimiert ist.

39

Nach § 86 b Abs 2 S 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür muss die Astin nach§ 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft machen, dass ihr aus einem Rechtsverhältnis ein Recht gegenüber dem Antragsgegner zusteht (Anordnungsanspruch) und eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).

40

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Astin ein (Anordnungs-)Anspruch auf eine vorläufige Neufassung des streitbefangenen Schiedsspruchs zusteht (dazu unten aa). Entscheidend ist allerdings, dass die Astin in diesem Verfahren nicht glaubhaft gemacht hat, dass ihr durch die inhaltlichen Festlegungen im streitbefangenen Schiedsspruch ein wesentlicher Nachteil droht (dazu unten bb).

41

aa) Nach einer vorläufigen Einschätzung des Senats greift die inhaltliche Einwendung der Astin - der Schiedsspruch verstoße gegen zwingende gesetzliche Vorgaben im SGB V - im Wesentlichen nicht durch.

42

Anders als von der Astin angenommen, können die Sozialgerichte einen Schiedsspruch nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V nur in eingeschränktem Umfang überprüfen. Dies ergibt sich schon daraus, dass ausweislich der Gesetzesbegründung zum GKV-OrgWG die Schiedsperson die Aufgabe hat, bei fehlender Einigung der Vertragsparteien den Vertragsinhalt einer hausarztzentrierten Versorgung "nach billigem Ermessen" festzulegen (vgl hierzu BT-Drucks 16/10609, zu Nr 1f, S 53). Offen bleiben kann an dieser Stelle, ob sich die Billigkeitskontrolle derartiger Entscheidungen an § 319 Abs 1 S 1 BGB - wonach die Bestimmung der Schiedsperson nicht in grober Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und sich dies bei einer unbefangenen sachkundigen Prüfung nicht sofort aufdrängen darf (vgl zu diesem Prüfungsmaßstab Grüneberg in: Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 319 Rn 3) - oder an dem vom BSG entwickelten Kontrollmaßstab für Schiedsamtsentscheidungen - wonach bei den Bestimmungen der Schiedsperson die grundlegenden verfahrensrechtlichen Anforderungen und inhaltlich die zwingenden rechtlichen Vorgaben einzuhalten sind (stRspr; vgl zu diesem Prüfungsmaßstab BSGE 91, 153 [BSG 16.07.2003 - B 6 KA 29/02 R] = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, jeweils Rn 11 mwN; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 3 Rn 18) - zu orientieren hat. Eine Überprüfung des streitbefangenen Schiedsspruchs anhand der aufgezeigten Kriterien ergibt, dass in beiden Fällen die Entscheidung des Ag zu 1. zumindest im Rahmen einer summarischen Betrachtung nicht zu beanstanden ist.

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So ist es weder unbillig iS von § 319 Abs 1 S 1 BGB noch verstößt es gegen rechtliche Vorgaben im SGB V, eine hausarztzentrierte Versorgung - wie vorliegend - inhaltlich als Vollversorgung auszugestalten. Vielmehr entspricht es der Intention des Gesetzgebers, durch die damit verbundene Intensivierung des Wettbewerbs auf Kassenseite Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung zu verbessern (vgl hierzu die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, A II 2, S 87). Im Übrigen erklären sich der nach § 73b Abs 4 S 6 SGB V eingeschränkte Sicherstellungsauftrag der KÄVen, die Regelungen zur Bereinigung der Gesamtvergütungen nach § 73b Abs 7 S 2 ff SGB V und die Herauslösung der hausarztzentrierten Versorgung aus dem Kollektivvertragssystem im SGB V nur vor dem Hintergrund einer Vollversorgungssystematik. Die sukzessive Einführung dieser Neuregelungen wäre für die von der Astin bevorzugte Add-on-Versorgung nicht erforderlich gewesen.

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Ein Verstoß des Schiedsspruchs gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität aus § 71 SGB V ist ebenfalls nicht zu erkennen. Schon der eher substanzlose Vortrag der Astin hierzu vermag einen entsprechenden Rückschluss nicht ausreichend zu rechtfertigen. Darüber hinaus ist nach einer vorläufigen Betrachtung davon auszugehen, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität den Gestaltungsspielraum der Schiedsperson bei der Festlegung des Vertragsinhalts einer hausarztzentrierten Versorgung zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht eingeschränkt hat. Dies folgt aus der Befugnis der Vertragspartner nach § 73b Abs 5 S 4 SGB V, in den HzV-Verträgen Abweichendes von den Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V sowie den in diesen Vorschriften getroffenen Regelungen zu vereinbaren. Eine Einschränkung dieser Befugnis hat der Gesetzgeber erstmals im GKV-FinG vorgesehen, die sich nach § 73b Abs 5a S 5 SGB V nF aber ausdrücklich nicht auf Verträge bezieht, die - wie hier - vor dem 22. September 2010 zustande gekommen sind. Für eine Schiedsperson wie den Ag zu 1., der anstelle der Vertragspartner "den Inhalt des Vertrags" einer hausarztzentrierten Versorgung festlegt (§ 73b Abs 4a S 1 SGB V), kann nichts anderes gelten.

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Im Rahmen einer vorläufigen Betrachtung ist schließlich auch nicht anzunehmen, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Finanzierung der von den Krankenkassen anzubietenden Wahltarife nach § 53 Abs 9 SGB V den Gestaltungsspielraum einer Schiedsperson nach § 73b Abs 4a S 1 SGB V bei der Festlegung des Vertragsinhalts einer hausarztzentrierten Versorgung beschränken. Gegen eine derartig weitreichende Geltung der normierten Finanzierungsvorgaben spricht die gesetzessystematische Stellung der Vorschrift im Dritten Kapitel des SGB V, die sich auf das Leistungsrecht und nicht das im Vierten Kapitel des SGB V geregelte Leistungserbringerrecht bezieht. Daneben ist der mit dem GKV-FinG eingeführten Gesetzesergänzung in § 73b Abs 5a S 4 SGB V zu entnehmen, dass eine Kompensation der mit den HzV-Verträgen für die Krankenkassen uU verbundenen finanziellen Mehraufwendungen, die über den jeweiligen Bereinigungsbetrag nach § 73b Abs 7 S 2 SGB V hinausgehen, in vor dem 22. September 2010 zustande gekommenen Vereinbarungen nicht zwingend sichergestellt werden muss. Dieser gesetzliche Bestandsschutz für Alt-Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung dürfte auch für den Schiedsspruch des Ag zu 1. gelten.

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Zweifel an der Rechtmäßigkeit der inhaltlichen Festlegungen des Ag zu 1. ergeben sich aus Sicht des Senats nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung allenfalls hinsichtlich der im Schiedsspruch enthaltenen Datenschutzvorgaben. Es ist fraglich, ob die dort vorgesehene Form der Auftragsdatenverarbeitung mit der zum 4. August 2011 als bereichsspezifische Befugnisnorm für die Datenübermittlung zu Abrechnungszwecken bei HzV-Verträgen in Kraft getretenen Vorschrift in § 295a Abs 1 und 2 SGB V in Einklang steht. Insbesondere die Einbeziehung eines Unterauftragnehmers in Form der "Rechenzentrum AG" (§ 6 der Anl 3 zum HzV-Vertrag) und die Befugnis der HÄVG eG zur uneingeschränkten Nutzung von Patientendaten für die Führung von Musterverfahren vor den Sozialgerichten (§ 6 Abs 10 der Anl 3 zum HzV-Vertrag) dürften - vorbehaltlich einer Prüfung im Hauptsacheverfahren - mit den gesetzlichen Vorgaben der neuen Ermächtigungsgrundlage nicht zu vereinbaren sein. Allerdings ergibt sich hieraus weder für die Astin noch für die an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmenden Ärzte die Notwendigkeit, eine Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile zu erlassen. Weil die Neuregelung in § 295a Abs 1 und 2 SGB V erst nach dem Schiedsspruch des Ag zu 1. in Kraft getretenen ist, hat die Astin nämlich gegenüber dem Ag zu 2. nach § 21 Abs 2 S 2 HzV-Vertrag einen Anspruch darauf, dass die entsprechenden Vertragsbestimmungen "nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben" an die neue Rechtslage anzupassen sind. Sollte sich der Ag zu 2. einer solchen Vertragsanpassung verweigern, steht der Astin nach § 16 Abs 3 S 5 c) HzV-Vertrag ein Sonderkündigungsrecht des Vertrags aus wichtigem Grund zu. Die Astin hat es also selbst in der Hand, nachträglich ein aus ihrer Sicht gesetzeskonformes Datenschutzkonzept mit dem Ag zu 2. zu vereinbaren.

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bb) Der Erlass einer Regelungsanordnung scheidet daher vor allem deshalb aus, weil die Astin nicht glaubhaft gemacht hat, dass eine solche Regelung "zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint".

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Dieser unbestimmte Rechtsbegriff in § 86b Abs 2 S 2 SGG erfordert eine Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls. Ein Anordnungsgrund ist danach anzunehmen, wenn dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist; dabei sind die öffentlichen Interessen und die der Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen. Insbesondere sind die Folgen abzuwägen, die mit dem Erlass bzw dem Nicht-Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden sind. Einzubeziehen sind dabei ua die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Intensität einer drohenden (Grund-)Rechtsverletzung und sonstige unbillige Härten der Beteiligten. Die mit jedem Hauptsacheverfahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile reichen für den Erlass einer Regelungsanordnung aber nicht aus (vgl zu alledem Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 86b Rn 28 ff mwN).

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Dass die Durchführung der vom Ag zu 1. festgelegten hausarztzentrierten Versorgung für die Astin mit einer unbilligen Härte verbunden wäre, ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen. Insbesondere der Hinweis auf eine "offenkundige Verletzung des Sozialdatenschutzes" durch den streitbefangenen Schiedsspruch und damit einhergehende Strafbarkeitsrisiken für die teilnehmenden Hausärzte überzeugt vor dem Hintergrund nicht, dass der Astin insoweit ein Anspruch auf Vertragsanpassung aus § 21 Abs 2 S 2 HzV-Vertrag zusteht. Die Astin hat es selbst in der Hand, nachträglich ein aus ihrer Sicht gesetzeskonformes Datenschutzkonzept mit dem Ag zu 2. zu vereinbaren. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, um den Ag zu 1. als Schiedsperson zu einer entsprechenden Neufassung seines Schiedsspruchs zu verpflichten, ist hierfür nicht erforderlich.

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Auch ansonsten sind Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer solchen Verpflichtung weder ersichtlich noch vorgetragen. Daher ist die Astin im Rahmen des bereits mit dem GKV-WSG eingeführten Kontrahierungszwangs und in Abwägung mit den vorangestellt dargelegten öffentlichen Interessen an einer flächendeckenden Bereitstellung von HzV-Verträgen jetzt gehalten, den vorliegenden Schiedsspruch unter Wahrnehmung der ihr darin eingeräumten Rechte (und Pflichten) durchzuführen.

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3. Die von der Astin im Beschwerdeverfahren gestellten Hilfsanträge, den streitbefangenen Schiedsspruch bis zu einer schriftlichen Bestätigung des Bremer Datenschutzbeauftragten hinsichtlich der Übereinstimmung des HzV-Vertrags mit den Vorgaben des Sozialdatenschutzes auszusetzen bzw den Schiedsspruch insgesamt außer Vollzug zu setzen, können in der Sache ebenfalls keinen Erfolg haben. Eine derartige Auflage oder eine Aufhebung der Vollziehung des Schiedsspruchs kann nach § 86b Abs 1 S 2 und 3 SGG nur im Zusammenhang mit einer Anordnung iS von § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG angeordnet werden. Soweit sich die Einwendungen der Astin gegen die inhaltlichen Festlegungen im Schiedsspruch des Ag zu 1. richten, kann - wie dargelegt - dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren der Astin aber allenfalls durch eine einstweilige Anordnung iS von § 86b Abs 2 SGG entsprochen werden. Die Voraussetzungen hierfür (Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds) liegen jedoch nicht vor.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iV mit den §§ 154 Abs 2 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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5. Die Festsetzung des Streitwerts - gemäß § 63 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG) auch für das erstinstanzliche Verfahren - beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 2, 53 Abs 2 Nr 4 GKG. Dabei ist vom Regelstreitwert iH von 5.000 Euro pro Abrechnungsquartal auszugehen, da sich der mit den Anträgen der Astin insgesamt geltend gemachte Anspruch nicht beziffern lässt. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Verfahren des einsteiligen Rechtsschutzes hat der Senat ferner bei der Laufzeit des streitbefangenen Schiedsspruchs nur ein Kalenderjahr berücksichtigt.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.